Fall Mollath - BGH verwirft Revision

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 09.12.2015

Mit seiner heute bekannt gemachten Entscheidung hat der 1. Senat des BGH die von Gustl Mollath gegen das Urteil des LG Regensburg vom 14. August 2014 eingelegte Revision verworfen, Pressemitteilung.

Die Entscheidung wurde sogleich mit Begründung im Wortlaut veröffentlicht.

Die Ausführlichkeit der Begründung und deren sofortige Veröffentlichung stehen im erstaunlichen Kontrast zur erstmaligen Revision des BGH im Fall Mollath, bei der ein außerordentlich fehlerhaftes und problematisches Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom selben Senat einfach ohne nähere Begründung zur Rechtskraft „durchgewunken“ wurde. Immerhin scheint auch der BGH insofern aus dem Fall Mollath „gelernt“ zu haben. Zunächst nur ein kurzer Kommentar, den ich je nach Diskussionsverlauf möglicherweise in den nächsten Tagen ggf. noch ergänzen werde:

Wie ich schon zuvor verschiedentlich geäußert haben, war tatsächlich kaum damit zu rechnen, dass der BGH seine grundsätzliche Linie, der Tenor eines Urteils selbst müsse eine Beschwer enthalten, damit zulässig Revision eingelegt werden kann, gerade bei diesem Fall ändert. Dennoch gab es natürlich auch bei mir die leise Hoffnung, der BGH werde sich mit den sachlichen Einwänden gegen das Urteil, die auch ich noch hatte, auseinandersetzen.

Immerhin kann man den Beschluss angesichts der ausführlichen Begründung nun auch juristisch nachvollziehen, selbst wenn man ihm im Ergebnis nicht zustimmt. Es findet insbesondere auch eine Auseinandersetzung mit dem auch hier im Beck-Blog diskutierten vom EGMR entschiedenen Fall Cleve ./. Deutschland statt: Dort war der EGMR von der Tenorbeschwer abgewichen. Der BGH meint nun, das Urteil im Fall Mollath sei mit Cleve ./. Deutschland nicht vergleichbar, weil im Mollath-Urteil anders als im Cleve-Fall kein direkter Widerspruch zwischen Tenor und  Begründung festzustellen sei.

Enttäuscht bin ich vom letzten Satz der Begründung des Beschlusses, der konstatiert, die Revision sei ohnehin unbegründet gewesen. Dieser Satz ist völlig verzichtbar und gibt dem Leser Steine statt Brot.

Abgesehen von der  Kritik am Urteil des LG Regensburg möchte ich aber noch einmal darauf hinweisen: Der gesamte Fall in seiner Entwicklung und Dynamik ist ein aus Sicht des Dezember 2012 riesiger persönlicher Erfolg für Herrn Mollath und ist auch in seiner langfristigen Wirkung auf die (bayerische) Justiz und den Maßregelvollzug nicht zu unterschätzen.. Das sollte man – bei aller Enttäuschung über die heutige Entscheidung des BGH – nicht vergessen.

Update (14.12.2015): Eine eingehendere sehr kritische Analyse hat nun Oliver Garcia im delegibus-Blog veröffentlicht.

Update 3.3.2016: Die Kommentarspalte ist nach mehr als tausend Beiträgen geschlossen.

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1041 Kommentare

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Lutz Lippke schrieb:
Im vorliegenden Fall konnte nach Auffassung der STA schon nach Gesetz nur Schuldunfähigkeit bzw. Strafverzicht herauskommen. In der Sache lagen die Voraussetzungen für § 153 II StPO damit wohl vor, insbesondere wenn man den staatlichen Strafanspruch als Aufgabe des Strafverfahrens definiert.

Wenn lediglich der staatliche Strafanspruch die Aufgabe des Verfahrens wäre, wären Wiederaufnahmeverfahren in den Fällen, wo sie wegen Verschlechterungsverbot gar nicht mit Strafe enden können, völlig unsinnig und wohl gar nicht erst vorgesehen.

 

Die Frage, die das Gericht sich für die Anwendung des §153 II StPO stellen muss: "Was unterscheidet diese gefährliche Körperverletzung von anderen, so dass geringe Schuld prognostiziert werden kann?"

Weil es sonst keine Anhaltspunkte für die geringe Schuld gibt, hätte man dafür die "Auffassung der STA" übernehmen und davon ausgehen müssen, dass wahrscheinlich Schuldunfähigkeit vorliegt. Damit kann man dann die Einstellung begründen: "Wir prognostizieren, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt nicht voll schuldfähig war, also stellen wir nach §153 II ein."

Selbst wenn diese Begründung so nicht explizit im Einstellungsbeschluss steht, wäre das doch die inhaltliche  Aussage einer Einstellung gewesen. Dem hätte GM ziemlich sicher nicht zugestimmt. Und das Gericht hätte sich dann erst Recht dem Vorwurf ausgesetzt gesehen, den Sachverhalt und die Schuldfähigkeit nicht einmal genau prüfen zu wollen und stattdessen einen Ausweg zu wählen, der keine Rechtsmittel zuläßt.

 

§153 wäre meiner Meinung nach für den Fall GM kein geeignetes Mittel gewesen.

I.S. schrieb:

Lutz Lippke schrieb:
Im vorliegenden Fall konnte nach Auffassung der STA schon nach Gesetz nur Schuldunfähigkeit bzw. Strafverzicht herauskommen. In der Sache lagen die Voraussetzungen für § 153 II StPO damit wohl vor, insbesondere wenn man den staatlichen Strafanspruch als Aufgabe des Strafverfahrens definiert.

Wenn lediglich der staatliche Strafanspruch die Aufgabe des Verfahrens wäre, wären Wiederaufnahmeverfahren in den Fällen, wo sie wegen Verschlechterungsverbot gar nicht mit Strafe enden können, völlig unsinnig und wohl gar nicht erst vorgesehen.

Deswegen sind die Maßregeln laut BGH Mollath-Beschluss ja auch mit in den Blick zu nehmen, nicht nur der Strafanspruch. Es hätte wieder zum Freispruch + Maßregel kommen können, oder nicht? Bei Mollath speziell hochgradig unwahrscheinlich, aber im allgemeinen möglich.

So macht es dann wieder Sinn, ein Wiederaufnahmeverfahren durchzuführen.

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Sehr geehrter Herr Lippke,

Ihre Ausführungen zur Einstellung nach § 153 StPO mögen in manchen Fällen einschlägig sein, im Fall Mollath war dies m. E. keine Option.

Aus Sicht eines tatsächlich unschuldigen Angeklagten kommt die Einstellung auch dann in Betracht, wenn ein Freispruch wegen erwiesener Unschuld (keine Tatbegehung) praktisch nicht erreichbar scheint. Hier hatte der Angeklagte mit der Zwangsbeobachtung und dem Abweisen seiner Beweisanträge und Zeugen in der WAV schon deutliche Hinweise darauf, dass ihm der Nachweis seiner Nichttäterschaft und seiner Schuldfähigkeit nicht zugestanden wird. Eine Einstellung kann in jeder Lage des Verfahrens angeregt oder angeboten werden. Warum dies kein Thema war, könnten Prozessbeobachter sicher besser beantworten.

Im Vorfeld eines Prozesses, wenn also zur Debatte steht, ob eine Hauptverhandlung vermieden werden kann, mag das eine Überlegung sein, aber in der Wiederaufnahme-Hauptverhandlung auf einen Freispruch zu verzichten und lieber eine Einstellung nach § 153 StPO zu begehren, wäre schlicht untunlich und hätte sicherlich nicht nur meine Kritik hervorgerufen. Erst wird jahrelang dafür gearbeitet, eine Wiederaufnahme zu erringen (DAS war schon ein Riesenerfolg) und dann gibt man sich in der Hauptverhandlung mit einer Einstellung wegen zu geringer Schuld zufrieden? Was hätten Sie (und andere) wohl dazu geschrieben?

Ihre Formulierung "ihm wurde der Nachweis seiner Nichttäterschaft und seiner Schuldfähigkeit nicht zugestanden" ist zudem problematisch und gibt auch den Verlauf der Hauptverhandlung unzutreffend wieder.  Ein Nachweis der Nichttäterschaft war von vorneherein  unmöglich (und war auch gar nicht erforderlich, weil der Staat die Beweislast für die Tatbegehung trägt) und die Schuldfähigkeit nachzuweisen (wenn das überhaupt die Absicht war) ist ja nur möglich, wenn man zuvor die Tatbegehung eingesteht, denn eine Schuldfähigkeit gibt es nur bezüglich einer Straftat, nicht unabhängig davon. Aber worin sehen Sie überhaupt das Faktum begründet, Herrn Mollath sei der Nachweis der Nichttäterschaft "nicht zugestanden" worden? Ich habe die Hauptverhandlung verfolgt (und das mit sehr viel kritischem Bewusstsein), aber davon habe ich nichts bemerkt. Auch die Verteidigung hat diesen Vorwurf nicht erhoben. Die Ablehnung der  Beweisanträge war m. E. erwartbar, da sie an der angeklagten Tatbegehung vorbeizielten und sowit das nicht der Fall war, ihr Beweisziel wahr unterstellt wurde. Immerhin wurde hinsichtlich  zwei der drei angeklagten Taten wegen tatsächlicher Nichterweislichkeit ein Freispruch erzielt. Herr Mollath hat sich doch selbst in der Hauptverhandlung zum 12.08.2001 (und zwar auf Nachfrage ganz konkret dazu) geäußert (in Ihrer Diktion: "es wurde ihm zugestanden"), leider so, dass das Gericht daraus schließen konnte, es habe eine körperliche Auseinandersetzung stattgefunden und eine Notwehr habe dabei nicht vorgelegen. 

Die vorhandenen Mängel (in der Beweiswürdigung der Aussage der Nebenkl., in der Würdigung zu § 20 StGB) sehe ich durchaus und ich bin auch der Ansicht, dass Herrn Mollath - ungerechterweise, aber im Einklang mit der bisherigen Rspr. - vom BGH eine Beschwer und damit eine Revision verweigert wurde. Aber ich komme aus dem Kopfschütteln nicht heraus, wie hier versucht wird, den Fall Mollath umzudeuten und jemandem, dem es (unwahrscheinlicherweise) gelungen ist, sich aus der Psychiatrie zu befreien, eine Wiederaufnahme zu erreichen und freigesprochen zu werden, und vor dem ich deshalb größte Hochachtung habe, eine bleibende Opferrolle zuzuweisen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Sehr geehrter Prof. Dr. Müller,

Ihre Einwände sind gewiss berechtigt. Mir ist es faktisch nicht möglich, eine eindeutige Wertung mit Begründung in eine Richtung vorzunehmen. Zu Bedenken möchte ich aber geben, dass nicht nur das objektive Verhalten des Angeklagten zum Schluss ("ich habe mich nur gewehrt") maßgeblich sein kann, sondern seine gesamte Situation im Verfahren gesehen werden muss. Ob diese Aussage nur Resignation war oder wie vom Gericht gewertet ein Tateingeständnis, kann ich für mich nicht entscheiden.

Ich selbst hatte mit einer mich belastenden Anklage in der Hauptverhandlung zu tun und kann im Ansatz nachempfinden, wie man sich als Angeklagter trotz Unschuldsvermutung behandelt fühlt. Ich traf auf ein sehr rationales Gericht und einen StA der sehr logisch arfumentierte. Die Tendenz zur Fokussierung auf den Schuldnachweis war trotzdem deutlich. Die Risiken einer Beweisauswahl, deren Wertung und die richterliche Überzeugungsbildung in einer Gesamtschau war mir so präsent, dass ich angesichts des Aufwandes zum Nachweis meiner Nichttat doch lieber der Einstellung ohne Feststellungen zugestimmt habe. Auch wenn § 153 StPO mit Einstellung wegen geringer Schuld überschrieben ist, wird damit ja nicht die Täterschaft festgestellt, sondern ist nur eine Prognose zum (maximal) möglichen Ergebnis gemeint. Die Unschuldsvermutung wird auch zur Täterschaft nicht berührt, wenn entsprechende Feststellungen im Einstellungsbeschluss nicht getroffen werden. Das alte Urteil hätte hier natürlich aufgehoben werden müssen.

Zur Schuldfähigkeit meinte ich natürlich, die Absicht des Angeklagten, sich nicht als wahnkranken Täter darstellen zu lassen. Ich verstehe das so, dass eine konkrete Tat und Schuldfähigkeit im Sinne des Angeklagten war, nicht eine hergeleitete Tat und Schuldunfähigkeit. Die Opferrolle hat sich der Angeklagte selbst zugewiesen. Ich kann das anhand der Tatsachen nicht entscheiden und störe mich an den geringen Ansprüche zur Beweisaufnahme und der richterlichen Überzeugungsbildung.

Hätte das Gericht die (evtl. verminderte) Schuldfähigkeit zur Tat festgestellt und nur wegen des § 353 StPO die Strafe ausgesetzt, wäre das wohl ehrlicher gewesen. So äußerte sich auch der OStA. Wäre dann eine Tenorbeschwer gegeben?

Mit freundlichem Gruß

Lutz Lippke              

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Sehr geehrter Herr Professor Müller,

den Gedanken der Einstellung habe ich in die Diskussion eingeführt, ohne damit nerven zu wollen. Selbstverständlich war damit nur die Einstellung bezüglich der gefährlichen KV gemeint. Ich gebe Ihnen und I.S. recht, dass die Einstellung grundsätzlich hinter einem Freispruch stehen soll und im Fall Mollath wohl auch Kritik und Unverständnis ausgelöst hätte. Zum einen drückt sich das in dem Anspruch des Angeklagten auf Freispruch, zum anderen in der Zustimmungsbedürftigkeit zu einer Einstellung. Mit anderen Worten: In einer Einstellung liegt wohl stets eine Beschwer, die erst mit der Zustimmung wegfällt.

Wenn man die Auffassung - wie der BGH - vertritt, dass ein Freispruch wegen Schuldunfähigkeit nicht beschweren kann, dann muss man auch erklären können, wo der wesentliche Unterschied zu der grundsätzlich beschwerenden Einstellung liegen soll. In den Großkommentaren zu StPO steht in etwa wortgleich geschrieben, es gebe keine graduellen Unterschiede zwischen den Freisprüchen, auch nicht bei einem Freispruch wegen Schuldunfähigkeit, weil die Unschuldsvermutung erhalten bleibe und der Freigesprochene damit rehabilitiert sei. So argumentiert auch Henning Radtke. Diesbezüglich gibt es dann aber keinen Unterschied zu einer Einstellung nach 153 StPO. An diesem Argument kann doch aber irgendetwas nicht stimmen. Denn einen Unterschied, und zwar einen wesentlichen, muss es ja geben.

M.E. dürfte der Unterschied in der Rehabilitierung liegen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das Rehabilitierungsinteresse auf Unschuldsvermutung, die fehlende Vorwerfbarkeit und damit die fehlenden Voraussetzungen für Bestrafung beschränkt wird, so als wären sie äquivalent. Ich meine, der Zweck dürfte doch verschieden sein. Während die Rehabilitierung auf Negation des angeklagten Sachverhalts gerichtet sein dürfte, ist die Unschuldsvermutung auf Negation der Strafe beschränkt, jedenfalls nach dem Urteilsspruch. Vor dem Urteilsspruch dürften Rehabilitierung und Unschuldsvermutung noch gleichgerichtet sein.

Dass die Rehabilitierung mehr ist als nur bloße Unschuldsvermutung, habe ich schon an Nr. 171 Abs.2 RiStBV zu zeigen versucht. Sie macht m.E. grundsätzlich auch den Unterschied zwischen Einstellung und Freispruch, aber auch zwischen den Freisprüchen. 

Besten Gruß
Waldemar Robert Kolos

@ Kolos

Wenn man die Auffassung - wie der BGH - vertritt, dass ein Freispruch wegen Schuldunfähigkeit nicht beschweren kann, dann muss man auch erklären können, wo der wesentliche Unterschied zu der grundsätzlich beschwerenden Einstellung liegen soll. 

Der Unterschied liegt in der erneuten Beweisaufnahme und Würdigung durch das Gericht, die bei Einstellung nicht stattfände, wohl aber bei erneuter HV, mit welchem Ergebnis auch immer (hier: Freispruch wegen (i.d.p.r.) Schuldunfähigkeit).

Bei Einstellung wäre eine Chance zur Rehabilitierung genommen, bei erneuter HV ist sie gegeben, so wie es hier war.

Daß die Rehabilitierung in diesem Fall fehlschlug, ist zu einem großen Teil G.M. selbst anzulasten, wie Prof. Müller hier nun mehrfach darstellte.

Das Fehlschlagen der bestehenden Chance ist aber - gegenüber der Einstellung, bei der eine solche Chance nie bestanden hätte - dann eben logischerweise keine Beschwer, sondern allenfalls eine vergebene Chance.

 

 

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(Etwas zu schnell geklickt, bitte vorherigen Beitrag löschen/ignorieren.)

Also ich fasse mal zusammen:

Vor der Hauptverhandlung im Wiederaufnahmeverfahren gibt es ein Rehabilitierungsinteresse des Verurteilten, das die Staatsanwaltschaft selbst in einem klaren Fall und ggf. sogar gegen den Willen des Angeklagten daran hindern kann, einem Freispruch ohne neue Hauptverhandlung zuzustimmen, § 371 Abs. 2 StPO iVm Nr. 171 RiStBV.

In der Hauptverhandlung gibt es nach § 153 StPO das Zustimmungserfordernis des Angeklagten, weil er sonst beschwert wäre. Die Hauptverhandlung gibt ihm, im Gegensatz zur Einstellung, die Chance zur Rehabilitierung.

Nach dem gerichtlichen Verfahren kann nach dem Gesetz ein Rehabilitierungsinteresse die Nichteintragung in das bzw. Entfernung aus dem BZR rechtfertigen, § 25 BZRG. Das gilt gerade auch bei jemandem, bei dem die Voraussetzungen für eine Eintragung völlig zu Recht festgestellt wurden.

Unabhängig davon, ob man die Tenorbeschwer befürwortet oder nicht: Warum das Rehabilitierungsinteresse zwischen LG und BGH auf einmal auf Tauchstation geht, erschließt sich mir nicht.

 

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Das Argument von Gast, dass die zulässige Chance der Aufklärung und Rehabilitation wegen einem Verschulden des Freigesprochenen fehlschlug, ist eine Frage der Begründetheit. Hier geht es aber grundsätzlich um die Frage der Zulässigkeit der Revision und die Anwendbarkeit der Tenorbeschwer.

Der Ausflug über § 153 StPO diente ja eigentlich nur der Vergewisserung, dass es in der WAV um Aufklärung und Rehabilitierung ging und nicht nur um einen staatlichen Strafanspruch. An dem ausschließlichen Zweck Strafanspruch hängt die Beschränkung der Beschwer auf eine Tenorbeschwer als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Revision. (siehe Kommentare von WR Kolos)

Das Rudiment im BGH-Beschluss zur angeblich offensichtlichen Unbegründetheit gem. § 349 II StPO hatte in der Verwerfung gem. § 349 I StPO nichts zu suchen, da dem BGH dieser Verfahrensweg gar nicht offen stand. Hätte es den erforderlichen Antrag von GBA / STA gegeben, wäre dazu etwas im BGH-Beschluss ausgeführt. Eine aktive Anregung des Gerichts an GBA oder STA den Antrag gem. § 349 II StPO zu stellen, hätte lt. BVerfG fast zwingend den Ausschluss der Richter wegen Befangenheit bewirkt. Der BGH konnte mit dieser Phantom-Begründung also weder die Verwerfung wegen Unzulässigkeit untermauern, noch vorsorglich behaupten, auch bei Annahme einer Zulässigkeit wäre es zur Verwerfung gekommen. Bei Annahme der Zulässigkeit der Revision hätte es zur HV und einem Urteil kommen müssen. Vielleicht würde der BGH dann § 153 StPO im Sinne der Prozessökonomie ansprechen und Aufklärungswillen vs. Prozessökonomie in der Verhandlung mit den Beteiligten transparent abwägen. Das wäre konsequent. Das war ja zum LG-Verfahren meine Intention, als ich das Thema Einstellung statt Urteil aufgriff. Eine Einstellung ist in jeder Lage des Verfahrens möglich. Es ging nicht darum, ob dem Angeklagten oder mir das gefallen hätte. Wer Prozessökonomie beanspruchen will, sollte das ehrlich und transparent in der Verhandlung tun und nicht im Hinterzimmer dazu heimliche Strickmuster entwerfen. Das schädigt nicht nur den Rechtsfrieden, sondern das Vertrauen auf Rechtstaatlichkeit. Davon hängt die Legitimität des staatlichen Strafanspruchs unmittelbar ab. Die Tenorbeschwer ist m.E. nach so ein Strickmuster und zumindest in der vorliegenden Fallkonstellation mit Recht und Gesetz nicht vereinbar. Im Übrigen halte ich die Tenorbeschwer auch allgemein für überflüssig, da es gesetzliche Vorschriften mit dem erklärten Ziel der Prozessökonomie bereits gibt. Denen richterrechtlich noch ein weiteres Instrument vor- oder nachzuschalten, wo liegt der Sinn? Also bitte, wer schafft hier die Probleme, der Klüngel im Hinterzimmer oder ein paar Diskutanten im offenen Blog?

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Lutz Lippke schrieb:

Hätte es den erforderlichen Antrag von GBA / STA gegeben, wäre dazu etwas im BGH-Beschluss ausgeführt.

Warum? Ist das Ihrer Kenntnis nach sonst beim BGH üblich?

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Gast schrieb:

Lutz Lippke schrieb:

Hätte es den erforderlichen Antrag von GBA / STA gegeben, wäre dazu etwas im BGH-Beschluss ausgeführt.

Warum? Ist das Ihrer Kenntnis nach sonst beim BGH üblich?

Es handelt sich zwar nur um eine Nebenfrage, aber ich will Ihnen eine Antwort nicht schuldig bleiben.

Ob Ausführungen zum hilfsweisen Vorliegen der Entscheidungsgrundlage gem. § 349 II StPO gesetzlich zwingend waren, weiß ich natürlich nicht. Auslegware auf Parkett geklebt, ist ja auch nicht verboten. Nur sollte man dann nicht die Qualität des Parketts anpreisen. Das ist doch unüblich.

Der BGH führt aus:

All dies unbeschadet wäre die Revision des Angeklagten auch unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Beweiswürdigung lässt angesichts des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs des Revisionsgerichts Rechtsfehler nicht erkennen.  

Eine Antwort hängt m.E. nach davon ab, ob mit dieser Begründung die Verwerfung wegen Unzulässigkeit untermauert werden sollte oder hilfsweise und vorsorglich noch eine offensichtliche Unbegründetheit einstimmig festgestellt wurde.

Für die Untermauerung der Unzulässigkeit gem. § 349 I StPO ist das Argument vollkommen ungeeignet. Die Begründung zur Unzulässigkeit ist sehr umfangreich und gewinnt durch ein solches Hilfsargument nicht an Aussagekraft. Es deutet eher die implizite Verlagerung der Prüfung der Begründetheit in die formale Zulässigkeitsprüfung an, womit die Erfordernisse von § 349 II und III StPO umgangen werden. 

Für eine Begründung der offensichtlichen Unbegründetheit als Beschlussalternative wären jedoch die zwingenden Voraussetzungen zu erfüllen, die nicht allein im Zugriff des BGH liegen. Neben dem Antrag der STA/GBA hätte es gem. § 349 III StPO eine Vorlage an den Beschwerdeführer und die Gelegenheit zur Gegenerklärung geben müssen. Eine Verwerfung gem. § 349 II StPO hätte nur unter dieser Voraussetzung und bei Einstimmigkeit erfolgen können. Zum Vorliegen oder Nichtvorliegen dieser Voraussetzungen nichts auszuführen, steht zumindest im Kontrast zur sonstigen Darstellung des Verfahrensgangs und der umfänglichen Begründung des Verwerfungsbeschlusses. Üblichkeiten sind mir nicht bekannt, weil ich nicht einen einzigen vergleichbaren Verwerfungsbeschluss fand. Da hatte ich auch hier schon nachgefragt und keine Hinweise erhalten. Woher der BGH den eingeschränkten Prüfungsmaßstab nimmt, ist mir auch ein Rätsel.

Zu § 349 II StPO unter http://www.zis-online.com/dat/artikel/2012_5_665.pdf

S. 198: Wie weit sich die höchstrichterliche Praxis von einer Offensichtlichkeit selbst in deren weitestem Wortsinne entfernt hat, zeigt die eingebürgerte Übung, dass die Beschlussverwerfung wegen offensichtlicher Unbegründetheit mit einer Schuldspruchberichtigung einhergehen kann, wenn eine Auswirkung auf den Rechtsfolgenausspruch auszuschließen ist,52 wovon teilweise in weitem Umfang und auch zum Nachteil des Angeklagten Gebrauch gemacht wird. Der einer solchen Revisionsentscheidung immanente Widerspruch wird nicht mehr wahrgenommen.      

Was "ou-tauglich" ist, entzieht sich offensichtlich der notwendigen Klarheit, wie u.a. auch ein Beispiel im verlinkten Dokument deutlich macht:

S.197: Die Frage der Prozesswidrigkeit hatte der dann zu entscheidende Senat des OLG Hamm offengelassen. Anders als die drei abgelehnten OLG-Richter stufte er allerdings die Revision nicht als offensichtlich unbegründet ein. Er entschied stattdessen nach § 349 Abs. 4 StPO, hielt also die eingelegte Revision einstimmig für begründet und hob demzufolge das angefochtene Urteil per Beschluss auf.

Klar ist, dass die unbestreitbare falsche Beweiswürdigung im LG-Urteil nicht ohne Einfluss auf das Urteil blieb. Dass der BGH dies auch mit seinen Auswirkungen offensichtlich auf einen Blick erkannt haben wollte und dazu eine Beschwer einstimmig als unbegründet erachtete, überrascht mich. Würde ein anderes Gericht dies ebenso offensichtlich erkennen und bewerten? Warum verzichtete das LG dann nicht auf die offensichtlich falsche Beweiswürdigung, wenn dies so offensichtlich und für das Urteil unnötig war?   

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Lutz Lippke schrieb:
Eine Einstellung ist in jeder Lage des Verfahrens möglich. Es ging nicht darum, ob dem Angeklagten oder mir das gefallen hätte.

Nicht nach §153:
(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen.

I.S. schrieb:

Lutz Lippke schrieb:
Eine Einstellung ist in jeder Lage des Verfahrens möglich. Es ging nicht darum, ob dem Angeklagten oder mir das gefallen hätte.

Nicht nach §153:
(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen.

Das mit der Zustimmungsbedürftigkeit war doch klar und das hatte ich zuvor auch dargestellt. Der Kontext des Zitats betraf etwas Anderes.

"Wer Prozessökonomie beanspruchen will, sollte das ehrlich und transparent in der Verhandlung tun und nicht im Hinterzimmer dazu heimliche Strickmuster entwerfen. Das schädigt nicht nur den Rechtsfrieden, sondern das Vertrauen auf Rechtstaatlichkeit."

Konkret hatte ich im Anschluss an WR Kolos und MT festgestellt, dass die Beschwer, der Aufklärungs- und Rehabilitationsanspruch auch zur Tatfeststellung nicht mit dem Freispruchurteil einfach verloren gehen kann, wenn alternativ einer Einstellung nach § 153 StPO sogar ohne Tatfeststellung vom Angeklagten zugestimmt werden musste. Das LG hätte also die Einstellung des Verfahrens anbieten können, wenn es sowieso freisprechen musste und ansonsten nur mutmaßen konnte. Wäre ein faires Angebot zur Einstellung vom Angeklagten abgelehnt worden und dann nichts Erhellendes mehr gekommen, dann könnte man das Urteil vielleicht sogar milder bewerten. Das LG ist aber ganz sicher nicht durch Zufall zu dieser Form des Freispruchurteils gekommen. Das Hindernis der Tenorbeschwer für die Zulässigkeit einer Revision wurde wohl bewusst angestrebt.

Und wirklich mal ehrlich, wer stellt sich namentlich hinter das LG-Urteil und hinter den BGH-Beschluss?    

  

   

 

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Lutz Lippke schrieb:
Das LG hätte also die Einstellung des Verfahrens anbieten können, wenn es sowieso freisprechen musste und ansonsten nur mutmaßen konnte.

Wann hätte das LG denn die Einstellung anbieten sollen?

Das Gericht wusste ja nicht von Anfang an, dass es freisprechen musste, es wusste erstmal nur, dass es keine Strafe verhängen kann.

 

Sollen die Richter nach der Beweisaufnahme dann anbieten: "Wollen Sie Freispruch wegen Schuldunfähigkeit oder Einstellung des Verfahrens?" Und das nicht im Hinterzimmer, sondern am Besten noch offen im Verfahren? Damit wäre GM jetzt kein bisschen gedient gewesen, und am Ende wäre das Gericht vermutlich (möglicherweise auch von Ihnen) heftig kritisiert worden, wenn es durch die Einstellung Rechtsmittel komplett verhindert hätte.

 

 

Menschenrechtler schrieb:

Nach meinem Dafürhalten ist diese, nicht differenzierte justizielle Verfahrensweise auf § 246a der Strafprozessordnung zurückzuführen, die ausschließt, dass nicht zuerst über die Anschuldigung geurteilt wird und dann -wenn notwendig- über die Schuldfähigkeit.

Sie vermischen hier zwei Dinge.

"Geurteilt" wird über die Schuldfähigkeit nur, wenn eine rechtswidrige Tatbegehung festgestellt wurde.

Beispiel: Hätte GM die angebliche Notwehrlage so geschildert, dass das Gericht von einem Angriff der P3M ausgegangen wäre, gegen den sich GM nur verteidigt hat, hätte es zu einem Freispruch kommen können, weil die Körperverletzung gegen P3M gerechtfertigt gewesen wäre. Dann hätte im Urteil zur Schuldfähigkeit gar nichts stehen müssen, weil man bis zur Frage der Schuld gar nicht mehr gekommen wäre.

 

Es wird allerdings die Beweisaufnahme über alle Teilbereiche des Sachverhalts (Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld) in einem Verfahren vorgenommen, damit das Gericht nach dem Ende der Beweisaufnahme den vollständigen Sachverhalt hat und dadurch über alle notwendigen Punkte urteilen kann.

 

@ Lutz Lippke

Ich zitiere mal von ein paar Seiten vorher

MT schrieb:

Nach weiteren Recherchen ist die Situation bzgl. des rechtlichen Gehörs wohl doch etwas komplexer, als ich annahm.

BVerfG (Hervorhebung von mir):

Quote:

bb) Zudem setzt eine Verwerfung der Revision durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO einen zu begründenden Antrag der Staatsanwaltschaft voraus, der dem Revisionsführer mit den Gründen mitzuteilen ist (§ 349 Abs. 3 StPO). Zwar muss sich das Revisionsgericht, um nach § 349 Abs. 2 StPO entscheiden zu können, dem Antrag der Staatsanwaltschaft nur im Ergebnis, nicht jedoch in allen Teilen der Begründung anschließen. Bei einer Abweichung von der Begründung der Staatsanwaltschaft ist es aber sinnvoll und entspricht allgemeiner Übung, in den Beschluss einen Zusatz zur eigenen Rechtsauffassung aufzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Oktober 2001 - 2 BvR 1620/01 -, NJW 2002, S. 814 <815>; BGH, Beschluss vom 20. Februar 2004 - 2 StR 116/03 -, NStZ 2004, S. 511). Ohne einen solchen Zusatz kann davon ausgegangen werden, dass sich das Revisionsgericht die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft zu Eigen gemacht hat (vgl. BVerfGK 5, 269 <285 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2013 - 2 BvR 85/13 -, juris, Rn. 25).

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/201...

 

Es kommt also wohl auf die - nicht veröffentlichte - Begründung des Antrags der Staatsanwaltschaft an.

 

Ich sehe keinen Grund, warum es auf einen magischen Satz wie "Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hin..." ankommen sollte. Klar ist schade dass wir die Begründung der STA nicht haben. Der, der sie auf jeden Fall haben muss, hat sie aber (§ 349 III StPO). Und sollte es den Antrag aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen nicht geben, schreibt sich die Verfassungsbeschwerde sowieso von selber.

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@ Gast #10

Die Verwerfung wegen Unzulässigkeit gem. § 349 I StPO setzt doch keinen Antrag des GBA voraus. Wenn ein GBA-Antrag auf Anwendung von § 349 I StPO (Unzulässigkeit) vorliegt, dürfte der BGH nicht nach § 349 II StPO (offensichtliche Unbegründetheit) entscheiden. Hier wurde formal korrekt gem. § 349 I StPO entschieden, unabhängig davon, ob irgendein GBA-Antrag vorlag oder nicht. Der BGH hat sich also mit seiner Entscheidung allein an die Anwendbarkeit der Tenorbeschwer gebunden.

Zur Begründetheit / Unbegründetheit der Revision sagt uns der BGH-Beschluss daher faktisch nichts, weil der knappe Bezug auf "wäre im Sinne von § 349 II StPO" formal nichts für die Entscheidung Tragendes aussagt. Sachlich und rechtlich ist er auch falsch.       

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Lutz Lippke schrieb:

 

Zur Begründetheit / Unbegründetheit der Revision sagt uns der BGH-Beschluss daher faktisch nichts, weil der knappe Bezug auf "wäre im Sinne von § 349 II StPO" formal nichts für die Entscheidung Tragendes aussagt. Sachlich und rechtlich ist er auch falsch.       

Quote:
Zudem setzt eine Verwerfung der Revision durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO[...]Ohne einen solchen Zusatz kann davon ausgegangen werden, dass sich das Revisionsgericht die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft zu Eigen gemacht hat

Deutlicher kann ich es nicht machen - nach BVerfG ist STA Begründung = BGH Begründung.

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Gast schrieb:

[quote=Lutz Lippke       

 

Quote:
Zudem setzt eine Verwerfung der Revision durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO[...]Ohne einen solchen Zusatz kann davon ausgegangen werden, dass sich das Revisionsgericht die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft zu Eigen gemacht hat

Deutlicher kann ich es nicht machen - nach BVerfG ist STA Begründung = BGH Begründung.

[/quote]

Welche Aufgabe erfüllen in diesem Zusammenhang die Richter des BGH, wenn es richtig sein sollte, dass nach dem BVerfG die STA Begründung deckungsgleich die BGH Begründung ist?

 

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Quote:

Welche Aufgabe erfüllen in diesem Zusammenhang die Richter des BGH, wenn es richtig sein sollte, dass nach dem BVerfG die STA Begründung deckungsgleich die BGH Begründung ist?

Die Richter überprüfen, ob sie von der Begründung der STA abweichen wollen. Tun sie das nicht macht es für den Angeklagten keinen Unterschied, weil er die Begründung der STA angreifen kann als wäre es die Begründung des BGH.

0

Wurden diese zwei Rechtsfragen tatsächlich unabhängig voneinander beurteilt?

Lesen Sie das Urteil, da steht es drin. In verschiedenen Abschnitten. Ihre Unterstellung eines Vorurteils ist nicht gerechtfertigt.

Im Übrigen darf die Frage von § 20 StGB nicht unabhängig von der zugrundeliegenden Tat beurteilt werden, wie hier mehrfach erklärt wurde.

3

"Nicht ausschließbar" ist eine unakzeptable Schwachstelle

wie das Nedopil-Schlechtachten drastisch belegt.

Historische Entwicklung "Nicht ausschließbar"

Nach meinen Recherchen geht die Entwicklung dieses extrem dubiosen Begriffs. [fett-kursive Hervorhebung von mir] auf den § 323a StGB  [Vollrausch] zurück. Herr Prof. Müller kann vielleicht zu dessen Geschichte Näheres sagen. [Fett-kursive Hervorhebung von mir]

§ 323a [Vollrausch]

(1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.

(2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist.

(3) Die Tat wird nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt, wenn die Rauschtat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt werden könnte.

Diesem Paragraphen kommt deshalb allgemein besondere Bedeutung zu, weil der Gesetzgeber hier einen äußerst problematischen Rechtsbegriff "nicht auszuschließen" einführt - wie meist ohne genaue Entsprechungen anzugeben. Manche Richter versuchen hier Sachverständige zu missbrauchen, wenn sie von ihnen verlangen, sich zur Frage zu äußern, ob schuld­unfähig§ ausgeschlossen§ werden könne. Hier geben Foerster et al. (2004, 2009) eine gute Empfehlung für Sachverständige, indem sie deutlich machen, dass "nicht ausschließbar" ein Rechtsbegriff ist und nicht vom Sachverständigen, sondern vom Gericht zu beantworten ist.

    Bereits 1983 äußert Foerster in seiner Arbeit Der psychiatrische Sachverständige zwischen Norm und Empirie, NJW 1983, 37, S. 2052:  "Der Sachverständige sollte sich auch nicht aus der Ruhe bringen lassen, wenn er - je nach Sachlage - vom Verteidiger oder vom Staatsanwalt die wohl nicht auszurottende Frage gestellt bekommt: „Können Sie ausschließen, daß diese oder jene Voraussetzungen vorlagen oder nicht vorlagen?" Es kann für den Sachverständigen nie darum gehen, jeden auch nur denkbaren theoretischen Zweifel oder jede abstrakte Möglichkeit auszuschließen, sondern immer nur darum, ob aufgrund der seinen empirischen Untersuchungsmöglichkeiten zugänglichen Fakten konkrete Hinweise für das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen bestimmter Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten bestehen FN15"[= FN15: BGH, NJW 1951, 83]

Und, Foerster, 2004, S. 41 "Die Frage nach dem „Nicht-ausschließen-Können"

Im Rahmen der Befragung des Sachverständigen wird mitunter der Versuch unternommen, die gutachtliche Darlegung zu modifizieren oder dadurch zu verwässern, dass der Sachverständige mit der oft bohrend vorgebrachten Frage bedrängt wird, ob er erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit wenigstens nicht mit „allerletzter Sicherheit" ausschließen könne. Wird ihm eine solche Frage gestellt, sollte der Sachverständige auf den diesbezüglich gegebenen Primat der juristischen Wertung verweisen. Prinzipiell ist es immer so, dass die Frage nach der Steuerungsfähigkeit der juristischen Begrifflichkeit angehört und nicht der psychiatrischen Terminologie. Der psychiatrische Sachverständige kann nur anhand des Vorliegens konkreter Kriterien belegen, dass eine psy-chopathologische Symptomatik und ihre psychosozialen Folgen vorgelegen haben oder nicht. Dies ist aber nur ein Teil der juristischen Beweiswürdigung. Der Sachverständige ist bekanntlich Beweismittel neben anderen Beweismitteln. Kommt der Richter in seiner Würdigung aller Beweise zum Ergebnis, dass er - aus juristischer Sicht und in juristischer Kompetenz - das Vorliegen einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit nicht ausschließen könne, so ist dies eine juristische Wertung, aber keine empirisch begründete Feststellung des psychiatrischen Sachverständigen.

Das i.d.p.r. ("nicht ausschließen könnnen") sich nur auf Tatsachen bezieht und nicht auf das "erheblich" wurde hier m.E. auch schon ziemlich in Breite ausdiskutiert.

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehter Menschenrechtler,

Sie fragen:

Was bedeuten nachfolgende Urteile und welche  juristische Schlussfolgerungen können im Fall Mollath gezogen werden?

 Der Grundsatz "in dubio pro reo" findet bei der Entscheidung, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit als "erheblich" im Sinne von § 21 StGB anzusehen ist, keine Anwendung (vgl. BGH, Urt. v. 15.9.2005 - 4 StR 216/05; BGH, Urt. v. 30.8.2006 - 2 StR 198/06; BGH, Beschl. v. 9.10.2008 - 1 StR 359/08 - wistra 2009, 25). Denn hierbei handelt es sich um eine Rechtsfrage. Dieser Grundsatz ist somit auf die rechtliche Wertung der zur Schuldfähigkeit getroffenen Feststellungen n i c h t  anwendbar (vgl. BGH, Beschl. v. 16.12.1959 - 4 StR 484/59 - BGHSt 14, 68, 73; BGH, Urt. v. 2.2.1996 - 2 StR 689/95 - NStZ 1996, 328 m.w.N.

.Anwendung findet der Zweifelssatz jedoch bei der Entscheidung über die Voraussetzungen der verminderten Schuldfähigkeit, wenn nicht behebbare tatsächliche Zweifel bestehen, die sich auf Art und Grad des psychischen Ausnahmezustandes beziehen.

In dem Zitat geht es um die Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit erheblich (Sie haben nicht die entscheidenden Wörter gefettet)  ist für die Anwendung des § 21 StGB. Bei der Auslegung des Begriffs "erheblich" gilt - wie bei der rechtlichen Auslegung/Wertung generell NICHT der Grundsatz i.d.p.r. Der Grundsatz i.d.p.r. gilt nur für Tatsachen und zwar immer dann, wenn sich Tatsachen nicht vollständig aufklären lassen.

Fiktives, aber praktisch relevantes Beispiel: Es stehe fest, dass der Täter zur Tatzeit alkoholisiert war (sagen wir der Sachverständige bestätigt aufgrund Blutprobe  3,0 Promille). Hinsichtlich dieser Tatsache besteht also kein Zweifel. Ob diese Trunkenheit aber "erheblich" ist für die Anwendung von §§ 20, 21 StGB bei dem konkret begangenen  Delikt, das ist eine Rechtsfrage, die NICHT im Zweifel zugunsten des Angekl. beantwortet werden darf. Fiktives Alternativbeispiel: Es steht nicht fest, dass der Angeklagte zur Tatzeit volltrunken war. Der Sachverständige sagt: Es kann sein, dass er nur 0,5 Promille hatte, aber es ist nicht auszuschließen, dass er 3,5 Promille intus hatte. In diesem Fall muss (für die Frage der Anwendung von §§ 20, 21 StGB) i.d.p.r. angewendet werden. Die daraus folgenden rechtlichen Schlüsse müssen parktisch von der Basis ausgegehn, dass 3,5 Promille (die ja nicht ausgeschlossen werden können) gegeben waren. Die rechtliche Schlussfolgerung (z.B. ob dies "erheblich" im Sinne von § 21 StGB ist), ist wiederum eine Rechtsfrage, die nicht nach i.d.p.r. entschieden wird.

Fazit: die von Ihnen zitierten Entscheidungen tragen zur Mollath-Debatte wenig bei. Bei Mollath wurde i.d.p.r. auf die Tatsache der psychischen Erkrankung/Störung bezogen, zusätzlich auf die tatsächliche Frage, dass diese Störung sich auf seine zuvor festgestellte Tat ausgewirkt habe. Beide Tatsachen konnten nicht aufgeklärt werden, der Psychiater hat sie weder mit ja noch mit nein beantwortet. Das Gericht meinte nun, in diesem Fall sei i.d.p.r. anzuwenden. Ob dies richtig war, darüber kann man streiten (siehe schon meinen Kommentar zum Urteil). Es ging aber nicht um die in Ihrem Zitat angesprochene Frage, ob hier i.d.p.r. auf Rechtsfragen angewendet wurde. Dies ist nicht geschehen, deshalb keine Bedeutung Ihres Zitats für den Mollath-Fall.

 

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Dass das irgendwas mit § 323a StGB zu tun hat, wäre mir neu. Das ist schließlich eine Strafnorm aus dem materiellen Strafrecht, die mit dem Prozessrecht erstmal nichts zu tun hat.

Das Problem, das i.d.p.r. ggf. mit Sachverständigen"hilfe" auch gerne mal auf Rechtsfragen angewendet wird, scheint beim BGH bekannt zu sein. Der ehemalige BGH Richter Nack spricht in einem von Lutz Lippke zitierten youtube Video von einer häufigen Fehlerquelle wenn ich mich recht entsinne.

https://www.youtube.com/watch?v=aV4gjef-W4o

Jedenfalls war die Handhabung im Fall Mollath korrekt, da i.d.p.r. nicht auf Rechtsfragen angewendet wurde.

4

Sehr geehter Herr Sponsel,

ich möchte ausschließen, dass der "Begriff" des "nicht ausschließen könnens" auf den Tatbestand des § 323a  StGB "zurückgeht". Der Begriff ist vielmehr eine Folge des i.d.p.r.-Grundsatzes und hat zunächst auch nicht unbedingt  etwas mit § 20 StGB zu tun. Deshalb  ist es systematisch umgekehrt: Der Vollrauschtatbestand ist die Folge einer durch die i.d.p.r. -Anwendung bei § 20 StGB entstehenden "Lücke". Wer sich nämlich so berauscht, dass er für seine Taten nicht verantwortlich gemacht werden kann, der soll trotzdem (durch Vorverlagerung auf das fahrl. oder vors. Berauschen) strafbar sein. Die Lücke besteht nicht nur dann, wenn die Tatsachen für § 20 StGB direkt bewiesen werden können (etwa durch eine entsprechend hohe Tatzeit-BAK-Messung), sondern auch dann, wenn die Schuldunfähigkeit nur nicht ausgeschlossen werden kann, also wenn ein non liquet besteht hinsichtlich der Tatsachen, die die Schuldunfähigkeit begründen. Angenommen, der Angeklagte bringt vor, er sei total besoffen gewesen und habe nicht bemerkt, dass er sein Opfer zu Tode prügelt. Der SV sagt, der Angeklagte habe zwar einen erheblichen Blutalkohol, aber aufgrund nicht mehr aufklärbarer Trunkenheitsfolgen könne er dessen physiologisch-psychischen Folgeerscheinungen nicht sicher bestimmen. Dann kann eben, weil  Zweifel über die Alkoholisierungsfolgen nicht ausgeräumt werden können, nur i.d.p.r. geschlossen werden, eine Schuldunfähigkeit lasse sich "nicht ausschließen". Das ist auch gar nicht "dubios", wie Sie meinen, sondern schlicht Folge des Zweifelssatzes: Schon wenn irgendeine dem Angekl. günstige Tatsache (hier: die Trunkenheitsfolgen, in anderen Fällen: die Notwehrlage, ein vorsatzausschließender Irrtum etc.) nicht ausgeschlossen werden kann, erfolgt die Rechtsfolge des § 20 StGB bzw. des § 32 StGB oder des § 16 StGB.  Für denselben Sachverhalt kann man  auch andere Worte verwenden, ohne dass sich irgendetwas ändert, z.B. "das Gegenteil ist nicht beweisbar", das ändert an der Sachlage gar nichts. "nicht ausschließen können" ist schlicht ein sprachlicher Ausdruck für die Zweifel, die die Anwendung des i.d.p.r.-Grundsatzes bedingen, daran ist nichts dubios.

§ 323a enthält diesen Begriff, weil der Vollrauschtatbestand  auch dann gelten soll, wenn (wegen einer festgestellten Alkoholisierung) ein Freispruch nur infolge von i.d.p.r. eingetreten ist, man aber den Täter doch für seinen Rausch zur Verantwortung ziehen will. Für andereZweifelssatzanwendungen (nicht ausschließbar) des § 20 StGB bedurfte es keiner solchen Norm.

Der Konflikt, den Sie andeuten, nämlich  ob ein Sachverständiger oder ein Richter  für die Bestimmung des "nicht ausschließbar" zuständig ist, ist ein anderer Streitpunkt, eine andere Baustelle, die sie hier mit der relevanten Frage vermischen.

Ich denke, Sie sind hier nicht auf dem richtigen Pfad.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

In seiner Entscheidung  2 BvR 66/01  vergleicht das BVerfG Einstellung des Verfahrens (260 III StPO) mit einem Freispruch (Rn. 20 und 23):

Eine Aufhebung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs und die zugleich begehrte endgültige Einstellung des Verfahrens würden den Beschwerdeführer schlechter stellen, da mit einer derartigen Entscheidung keine materiell-rechtliche Rehabilitierung einherginge, der Schuldvorwurf vielmehr im Raum bliebe. 
[...]
Diese endete aber mit einem rechtskräftigen Freispruch, durch den der Beschwerdeführer eine materiell-rechtliche Rehabilitierung erreicht hat. 

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/200...

 

Durch die Einstellung bleibt dem Angeklagten die Unschuldsvermutung erhalten. Der "Schuldvorwurf" kann daher nicht im Raume bleiben. Das BVerfG hatte sich hier wohl vertan. Was meint das BVerfG damit? Den Tat- bzw. Unrechtsvorwurf. Oder? Fehlende "Beweisaufnahme und Würdigung durch das Gericht" (Gast #5) scheinen damit nicht gemeint zu sein.

Wenn eine Entscheidung keine materiell-rechtliche Rehabilitierung zur Folge hat, weil der Tatvorwurf offen bleibt, dann erst recht nicht, wenn der Tatvorwurf festgestellt wurde. 

Geschichte des Nicht-ausschließbar-Begriffs im Rechtswesen

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

danke für Ihre Meinung, für die ich aber einen Beleg vermisse. Können Sie einen Gesetzestext - möglichst natürlich im StGB - nennen, der vor der Aufnahme des § 323a StGB "nicht ausschließen [können]" oder "nicht ausschließbar" enthielt?

Ansonsten meine ich zwar auch, dass "nicht ausschließen" eine längere Geschichte hat, finde es aber ausgesprochen unbefriedigend und merkwürdig, dass ich bislang keinen Eintrag "Nicht ausschließen" oder "nicht ausschließbar" in Rechtsbegriffbüchern finden konnte, z.B. im Beck'schen Rechtslexikon. Rund 1800 Rechtsbegriffe für Beruf und Alltag.

Ich vermute, dass der Begriff  nicht ausschließen können = nicht ausschließbar in der Rechtsgeschichte schon sehr alt ist (Antike?). Möglicherweise hat man sich dabei ja etwas gedacht und es auch ausgesprochen. Möglicherweise wird der Rechtsbegriff aber auch naturwüchsig einfach so verwendet mit der stillen Voraussetzung, dass er sich von selbst versteht. Ich denke aber, wir sollten die Vermutungen durch Wissen ersetzen. Vielleicht können Sie hierzu ja noch etwas mehr beitragen.

Ansonsten finde ich Ihren Vorschlag, die Geschichte des Begriffs (Rechtsbegriffs) "nicht ausschließen können" von den Sprachwirren zwischen JuristInnen und Nichtjuristinnen, inbesondere Sachverständigen zu trennen,   sinnvoll und werde hierzu dann einen neuen Beitrag einstellen.

Metasprachlich-Methodologische Anmerkung:

Die Bedeutung, Begriff  in Anführungszeichen gesetzt haben, habe ich nicht verstanden.

Quote:

ich möchte ausschließen, dass der "Begriff" des "nicht ausschließen könnens" auf den Tatbestand des § 323a  StGB "zurückgeht".

Im Wesentlichen sind mir drei Bedeutungen geläufig:

(1) Zitat, (2) Distanzierung, (3) Metasprachliche Aussage. Aus der Wissenschaftstheorie und Methodologie kenne ich das so: spricht man vom Wort - also dem "Kleid" des Begriffs - setzt man Anführungszeichen, um anzudeuten, dass man eine metasprachliche Aussage trifft, z.B. "Nicht ausschließen" hat 17 Zeichen. Spricht man vom Begriff (der Bedeutung) entfallen die Anführungsstriche. Nicht ausschließen bedeutet, es ist möglich, mag es auch unwahrscheinlich sein. Die Geschichte eines Wortes und die Geschichte der das Wort zugeschriebenen Bedeutung, dem Begriff, müssen und werden ja oft nicht übereinstimmen.

 

Durch die Einstellung bleibt dem Angeklagten die Unschuldsvermutung erhalten. Der "Schuldvorwurf" kann daher nicht im Raume bleiben. Das BVerfG hatte sich hier wohl vertan.

Ich muß Sie enttäuschen, das BVerfG hat sich nicht geirrt, und Sie sind nicht schlauer als das BVerfG.

Was meint das BVerfG damit? Den Tat- bzw. Unrechtsvorwurf. Oder?

Nein, den Schuldvorwurf, denn Schuld (für eine rechtswidrige Tat) ist die Voraussetzung für Strafe, die das Strafrecht regelt.

Fehlende "Beweisaufnahme und Würdigung durch das Gericht" (Gast #5) scheinen damit nicht gemeint zu sein.

Doch.

Dem Vorwurf steht zwar eine Vermutung entgegen, solange jedoch der Sachverhalt gar nicht geklärt ist (und damit auch nicht die darauf bezogene Schuld) verbleibt ggf. durchaus ein Rehabilitierungsinteresse des Angeklagten.

Vielleicht hilft Ihnen die auch für Laien gut verständliche Erklärung hier:

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wulff-prozess-das-fuer-und-wid...

 

Da allerdings in dem obigen Fall zwischenzeitlich ein Freispruch erfolgte, war das gar nicht mehr der Fall, der Sachverhalt und die (Un-)Schuld geklärt. Eine rückwirkende Anfechtung der Revisionsentscheidung war darum auch nicht mehr möglich, weil eine nun doch gewünschte Einstellung (vgl. dggü. RN 12) gerade nicht zugunsten des nunmehr Freisgesprochenen wirken würde, er also kein Rechtsschutzinteresse geltend machen kann.

 

Damit erübrigt sich auch die Kommentierung Ihres falschen letzten Satzes.

 

 

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Gast schrieb:

 

Durch die Einstellung bleibt dem Angeklagten die Unschuldsvermutung erhalten. Der "Schuldvorwurf" kann daher nicht im Raume bleiben. Das BVerfG hatte sich hier wohl vertan.

Ich muß Sie enttäuschen, das BVerfG hat sich nicht geirrt, und Sie sind nicht schlauer als das BVerfG.

Was meint das BVerfG damit? Den Tat- bzw. Unrechtsvorwurf. Oder?

Nein, den Schuldvorwurf, denn Schuld (für eine rechtswidrige Tat) ist die Voraussetzung für Strafe, die das Strafrecht regelt.

 

 

Ja, eben. Bei der Einstellung (260 III StPO) liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Keine Schuld, keine Vorwerfbarkeit, kein "Schuldvorwurf". Daher auch keine Strafe, sondern Einstellung. 

Nach Ihrem Verständnis bedarf es für den "Schuldvorwurf" also keine Schuldfeststellung. Der "Schuldvorwurf" sei immer irgendwo im Raume. Interessant. Verwechseln Sie das nicht mit der christlichen Lehre?

Ich vermute, dass der Begriff  nicht ausschließen können = nicht ausschließbar in der Rechtsgeschichte schon sehr alt ist (Antike?).

Vielleicht versuchen Sie es einfach mal mit deutscher Grammatik?

Tipp:

"Die Bedeutung von -bar lässt sich mit können umschreiben"

https://de.wikipedia.org/wiki/-bar

 

 

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Es ist ein "Begriff" weil der eigentliche juristische Begriff in dubio pro reo lautet. Also "im Zweifel für den Angeklagten". "Nicht ausschließbar" ist nur das sprachliche Vehikel, um den Zweifel auszudrücken.

Deshalb würde es mich sehr wundern, wenn man "nicht ausschließbar" im Gesetz belegen könnte. Selbst i.d.p.r. wird "nur" aus Art. 103 Abs.2 GG bzw. § 261 StPO abgeleitet, steht also auch nicht ganz explizit im Gesetz. Ich meine in der EMRK (Art. 6?) steht es deutlicher drin, aber die wirkt ja nur indirekt in das innerstaatliche Recht hinein.

Also kurz gesagt: Sie kramen in der falschen Schublade.

3

Gast schrieb:

Deshalb würde es mich sehr wundern, wenn man "nicht ausschließbar" im Gesetz belegen könnte.

Ich meinte natürlich im Sinne von i.d.p.r. Dass es in § 323a StGB steht weiss ich, ist aber ja gerade die Ausnahme von i.d.p.r. da.

4

Rudolf Sponsel schrieb:

Metasprachlich-Methodologische Anmerkung:
Die Bedeutung, Begriff in Anführungszeichen gesetzt haben, habe ich nicht verstanden.

Da brauche ich keine "metasprachlich-methodologischen" Überlegungen, was immer das auch sein mag. Herr Prof. Müller hat ganz einfach wörtlich aus Ihrem höchstselbst eigenen Betrag zitiert und Zitate setzt man gemeinhin in Gänsefüsschen, und zwar vollkommen unmetasprachlich-unmethodologisch, sondern 6. Klasse Gymnasium.

Im Wesentlichen sind mir drei Bedeutungen geläufig:

(1) Zitat, (2) Distanzierung, (3) Metasprachliche Aussage. Aus der Wissenschaftstheorie und Methodologie kenne ich das so: spricht man vom Wort - also dem "Kleid" des Begriffs - setzt man Anführungszeichen, um anzudeuten, dass man eine metasprachliche Aussage trifft, z.B. "Nicht ausschließen" hat 17 Zeichen. Spricht man vom Begriff (der Bedeutung) entfallen die Anführungsstriche. Nicht ausschließen bedeutet, es ist möglich, mag es auch unwahrscheinlich sein. Die Geschichte eines Wortes und die Geschichte der das Wort zugeschriebenen Bedeutung, dem Begriff, müssen und werden ja oft nicht übereinstimmen.

So viel Lärm um weniger als nichts (s. o.) habe ich wahrlich noch nie gesehen. "Metasprachlich-methodologisch" möchte ich das lieber gar nicht analysieren...

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Und wirklich mal ehrlich, wer stellt sich namentlich hinter das LG-Urteil und hinter den BGH-Beschluss?    

Aber natürlich. Die beiden Urteile sind das einzige, was angesichts des Verfahrensverlaufs, der Prozessrechtslage und angesichts der völlig blödsinnigen Entscheidung Mollaths, Angaben zur Sache zu machen, nicht anders zu erwarten war. Alles andere sind entweder völlig illusorische Hoffnungen oder völlig unzulängliche Besserwisserei.

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Gast schrieb:

Und wirklich mal ehrlich, wer stellt sich namentlich hinter das LG-Urteil und hinter den BGH-Beschluss?    

Aber natürlich. Die beiden Urteile sind das einzige, was angesichts des Verfahrensverlaufs, der Prozessrechtslage und angesichts der völlig blödsinnigen Entscheidung Mollaths, Angaben zur Sache zu machen, nicht anders zu erwarten war. Alles andere sind entweder völlig illusorische Hoffnungen oder völlig unzulängliche Besserwisserei.

Auf meine Kommentare 30 und 43 der vorhergehenden Seite sind Sie nicht eingegangen. Fehlen Ihnen die Argumente?

Das verfahrene Verfahren im Fall Mollath beschreibe ich mit folgendem Resümee:

Die unglaubwürdige, mehr als zweifelhafte Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin.

Die zweifelhafte unglaubliche Gläubigkeit des Herrn Staatsanwalt „ Ich glaube, weil ich nicht glauben darf.....

Die Beweiswürdigung des gutgläubigen WA-Gerichts die mehr Glaubenssätze enthalten als Zweifel.

Die angenommene anzuzweifelende Unglaubwürdigkeit des eher glaubwürdigen Justizopfers G.M.

Ein zweifelhaftes Urteil des WA-gerichts, das Herr Mollath aufgrund des Zweifelsatzes für nicht ausschließbar seelisch abartig hält und den Zweifelsatz in dubio pro reo nicht für die anzuzweifelnde, zweifelhafte KV anwendet, obwohl grundlegende Zweifel unzweifelhaft vorliegen.

Eine zweifelhafte BGH-Entscheidung, die anzweifelt, dass GM durch die zweifelhafte KV und die durch die Abartigkeit beschwert ist.Die zweifelhafte Tenorbeschwer ist nicht nur anzuzweifeln.

Ist dies nicht alles nicht völlig zu verzweifeln und ab.....?

 

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Nach Ihrem Verständnis bedarf es für den "Schuldvorwurf" also keine Schuldfeststellung. Der "Schuldvorwurf" sei immer irgendwo im Raume. Interessant. Verwechseln Sie das nicht mit der christlichen Lehre?

Im Strafrecht wird die Schuld des rechtswidrig Handelnden als Normalfall vorausgesetzt. Deshalb regelt das StGB nicht die Schuldfähigkeit, sondern allein deren Ausschluss, vgl.: http://goo.gl/kr1wkF

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@ Kolos

 

Lesen Sie doch wenigstens meinen Link!

SIE behaupten ja sogar noch eine Schuld (Verstoß gegen die Unschuldsvermutung), wenn sie bereits als nicht vorhanden bestätigt wurde, wie im Fall Mollath!

 

Sie argumentieren mal soherum, mal andersherum - wie es Ihnen gerade paßt.

Und wenn es gar nicht mehr geht, erfinden Sie eine zweite Art von Schuld (angeblich nur das Tatgeschehen betreffend, neben einer angeblich anderen Schuld § 20 StGB betreffend), wollen aber nun einen Schuldvorwurf mit einer Einstellung als ausgeräumt betrachten.

Das ist nicht mehr ernst zu nehmen.

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Gast schrieb:

@ Kolos

 

SIE behaupten ja sogar noch eine Schuld (Verstoß gegen die Unschuldsvermutung), wenn sie bereits als nicht vorhanden bestätigt wurde, wie im Fall Mollath!

 

Mit Ihrem kryptischen Satz unterstellen Sie mir boshaft etwas, was ich nicht getan habe und verfälschen damit den Inhalt meiner Beiträge. 

 

Gast schrieb:

Sie argumentieren mal soherum, mal andersherum - wie es Ihnen gerade paßt.

Und wenn es gar nicht mehr geht, erfinden Sie eine zweite Art von Schuld (angeblich nur das Tatgeschehen betreffend, neben einer angeblich anderen Schuld § 20 StGB betreffend), wollen aber nun einen Schuldvorwurf mit einer Einstellung als ausgeräumt betrachten.

 

Das ist nur zu einem kleinen Teil richtig. Denn bei der Einstellung liegen die Voraussetzungen für einen Schuldvorwurf einfach nicht vor. Daher kann von "ausräumen" nicht die Rede sein.

Also mein lieber Herr Co-gast, der Herr Prof sieht bei der Beweiswürdigung auch Schwächen. Mag Herr Lippke auch in die andere Richtung übertreiben, im Kern kann man dem eine gewisse Berechtigung nicht absprechen.

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@Gast #31

Sie weichen aus. Das sagt nichts darüber aus, was unter Schuld zu verstehen ist und unter welchen Voraussetzungen Schuld erst vorgeworfen werden darf oder ein "Schuldvorwurf" vorliegt oder "im Raum bleibt". 

Probleme Nicht ausschließen [können] = nicht ausschließbar als Rechts- und Fachbegriff

Es gibt viele sprachliche und Verständnisprobleme zwischen JuristInnen, Sachverständigen und Normalbürgerinnen, insbesondere in dem Kuddelmuddel zwischen Rechtsbegriffen, die ja gewöhnlich nicht als solche kenntlich gemacht werden, und ihren alltags-, bildungs- oder fachsprachlichen Bedeutungen. Hier hat die Rechtswissenschaft bislang so gut wie nichts geleistet - möglicherweise motiviert nicht.  

Ein klassisches Problemfeld betrifft Aussagen zu  nicht ausschließen können_§ = nicht ausschließbar_§.  Da man es den Worten nicht ansehen - bestenfalls dem Kontext entnehmen - kann, in welcher begrifflichen Bedeutung sie gebraucht werden, empfiehlt es sich an kritischen Stellen Indizes zu verwenden, um Missverständnisse zu minimieren. Ich schlage folgende Indizes als Beispiele für die Diskussion vor:

  • Suffix _a := alltagssprachliche Bedeutung
  • Suffix _b := bildungssprachliche Bedeutung
  • Suffix _f := fachsprachliche Bedeutung
  • Suffix _fpsy = forensisch-psychologische Bedeutung
  • Suffix _fppath := forensisch-psychopathologische Bedeutung
  • Suffix _fpsychiat := forensisch psychiatrische Bedeutung
  • Suffix ...  :=   ...........

 

Wenn JuristInnen einen Sachverständigen fragen: "Können Sie ausschließen, dass .... " dann kann mit "nicht ausschließen" bei strenger Betrachtung nicht der Rechtsbegriff gemeint sein, weil der ja grundsätzlich juristischer Beurteilung und Wertung vorbehalten bleibt und nicht vom Sachverständigen zu beurteilen und zu bewerten ist. Was bedeutet aber forensisch-psychiatrisch "nicht ausschließen können", ob z.B. ein Wahn vorlag (den man bei strenger Betrachtung ja nie ausschießen kann)?

 

Manche JuristInnen (Richter, StA, RA) versuchen hier Sachverständige zu missbrauchen, wenn sie von ihnen verlangen, sich zur Frage zu äußern, ob der Rechtsbegriff schuld­unfähig_§ ausgeschlossen_§ werden könne.

 

Mit der Problematik haben sich die forensischen Psychiater Foerster et al. (2004, 2009)* auseinandergesetzt und mit ihrer Empfehlung die Sachverständigen entlastet, indem sie deutlich machen, dass "nicht ausschließbar" ein Rechtsbegriff ist und nicht vom Sachverständigen, sondern vom Gericht zu beantworten ist.

Schon 1983 äußert Foerster in seiner Arbeit Der psychiatrische Sachverständige zwischen Norm und Empirie, NJW 1983, 37, S. 2052:  "Der Sachverständige sollte sich auch nicht aus der Ruhe bringen lassen, wenn er - je nach Sachlage - vom Verteidiger oder vom Staatsanwalt die wohl nicht auszurottende Frage gestellt bekommt: „Können Sie ausschließen, daß diese oder jene Voraussetzungen vorlagen oder nicht vorlagen?" Es kann für den Sachverständigen nie darum gehen, jeden auch nur denkbaren theoretischen Zweifel oder jede abstrakte Möglichkeit auszuschließen, sondern immer nur darum, ob aufgrund der seinen empirischen Untersuchungsmöglichkeiten zugänglichen Fakten konkrete Hinweise für das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen bestimmter Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten bestehen FN15"[= FN15: BGH, NJW 1951, 83]

Und Foerster et al. 2004, S. 41 "Die Frage nach dem „Nicht-ausschließen-Können"

Im Rahmen der Befragung des Sachverständigen wird mitunter der Versuch unternommen, die gutachtliche Darlegung zu modifizieren oder dadurch zu verwässern, dass der Sachverständige mit der oft bohrend vorgebrachten Frage bedrängt wird, ob er erheblich verminderte Steuerungs­fähig­keit wenigstens nicht mit „allerletzter Sicherheit" ausschließen könne. Wird ihm eine solche Frage gestellt, sollte der Sachverständige auf den diesbezüglich gegebenen Primat der juristischen Wertung verweisen. Prinzipiell ist es immer so, dass die Frage nach der Steuerungsfähigkeit der juristischen Begrifflichkeit angehört und nicht der psychiatrischen Terminologie. Der psychiatrische Sachverständige kann nur anhand des Vorliegens konkreter Kriterien belegen, dass eine psychopathologische Symptomatik und ihre psychosozialen Folgen vorgelegen haben oder nicht. Dies ist aber nur ein Teil der juristischen Beweiswürdigung. Der Sachverständige ist bekanntlich Beweismittel neben anderen Beweismitteln. Kommt der Richter in seiner Würdigung aller Beweise zum Ergebnis, dass er - aus juristischer Sicht und in juristischer Kompetenz - das Vorliegen einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit nicht ausschließen könne, so ist dies eine juristische Wertung, aber keine empirisch begründete Feststellung des psychiatrischen Sachverständigen.

Es ist hilfreich, sich im Rahmen einer solchen Diskussion noch einmal die kategorialen Un­ter­schiede einer Beweisführung vor Augen zu halten: Erkenntnistheoretisch wird im Gutachten eines Sachverständigen kein experimenteller oder rechnerischer Beweis, sondern ein historischer Beweis geführt. Rechnerische und experimentelle Beweise erlauben absolute und überprüfbare Aussagen. Jedem historischen Beweis wohnt prinzipiell und zwangsläufig eine abstrakte Fehlermöglichkeit inne. Der lediglich aus abstrakten Denkmöglichkeiten im Rahmen eines historischen Beweises verbleibende abstrakte Zweifel an der Richtigkeit einer Entscheidung ist jedoch forensisch-psychiatrisch nicht relevant."

Nach diesen Ausführungen hat sich Nedopil in seinem Akten- und Meinungsachten in der Mollath WA-Aufnahme an die Stelle der RichterInnen gesetzt, was diese auch noch gut fanden. Und das geschieht tagtäglich in deutschen Gerichten - nicht nur in Bayern. Recht? Rechtsstaat? Rechtswissenschaft?

*

  • Foerster, Klaus (2004, Hrsg.) Venzlaff Foerster Psychiatrische Begutachtung. Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen. 4. Auflage. München: Elsevier (Urban & Fischer).
  • Foerster, Klaus & Dreßing, Harald (2009). Fehlermöglichkeiten beim psychiatrischen Gutachten. In (55-62): Venzlaff, Ulrich & Foerster, Klaus (2009, Hrsg). [Das Sachregister enthält keine Einträge zu Hypothese, Methode, Evalution, das wichtige BVerG Urteil vm 2001 zur Untersuchungsanordnung § 81 StPO, dass der Proband Mitwirkungsbereitschaft zeigen muss, wird an der entsprechenden Stelle S. 29f nicht erwähnt.]
  • Foerster, Klaus (1983) Der psychiatrische Sachverständige zwischen Norm und Empirie, NJW 1983, 37, S. 2052

 

Ich sehe nicht wie sich der Sachverständige im Fall Mollath an die Stelle des Gerichts gesetzt haben soll. Denn es wurde ja gerade nicht die Schuldunfähigkeit vom Sachverständigen als nicht ausschließbar bezeichnet. Zitat Prof. Müller:'Bei Mollath wurde i.d.p.r. auf die Tatsache der psychischen Erkrankung/Störung bezogen, zusätzlich auf die tatsächliche Frage, dass diese Störung sich auf seine zuvor festgestellte Tat ausgewirkt habe. Beide Tatsachen konnten nicht aufgeklärt werden, der Psychiater hat sie weder mit ja noch mit nein beantwortet. Das Gericht meinte nun, in diesem Fall sei i.d.p.r. anzuwenden. Ob dies richtig war, darüber kann man streiten (siehe schon meinen Kommentar zum Urteil). Es ging aber nicht um die in Ihrem Zitat angesprochene Frage, ob hier i.d.p.r. auf Rechtsfragen angewendet wurde. Dies ist nicht geschehen, deshalb keine Bedeutung Ihres Zitats für den Mollath-Fall.'

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Gast schrieb:
Ich sehe nicht wie sich der Sachverständige im Fall Mollath an die Stelle des Gerichts gesetzt haben soll. Denn es wurde ja gerade nicht die Schuldunfähigkeit vom Sachverständigen als nicht ausschließbar bezeichnet. Zitat Prof. Müller:'Bei Mollath wurde i.d.p.r. auf die Tatsache der psychischen Erkrankung/Störung bezogen, zusätzlich auf die tatsächliche Frage, dass diese Störung sich auf seine zuvor festgestellte Tat ausgewirkt habe. Beide Tatsachen konnten nicht aufgeklärt werden, der Psychiater hat sie weder mit ja noch mit nein beantwortet. Das Gericht meinte nun, in diesem Fall sei i.d.p.r. anzuwenden. Ob dies richtig war, darüber kann man streiten (siehe schon meinen Kommentar zum Urteil). Es ging aber nicht um die in Ihrem Zitat angesprochene Frage, ob hier i.d.p.r. auf Rechtsfragen angewendet wurde. Dies ist nicht geschehen, deshalb keine Bedeutung Ihres Zitats für den Mollath-Fall.'

LG-Urteil S.89 (Hervorhebungen von mir):

"Die Kammer schließt sich auch insoweit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N      an, wonach eine aufgehobene oder verminderte Schuldfähigkeit bei Tatbegehung zwar nicht auszuschließen, aber auch nicht beweisbar ist."

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Lutz Lippke schrieb:

Gast schrieb:
Ich sehe nicht wie sich der Sachverständige im Fall Mollath an die Stelle des Gerichts gesetzt haben soll. Denn es wurde ja gerade nicht die Schuldunfähigkeit vom Sachverständigen als nicht ausschließbar bezeichnet. Zitat Prof. Müller:'Bei Mollath wurde i.d.p.r. auf die Tatsache der psychischen Erkrankung/Störung bezogen, zusätzlich auf die tatsächliche Frage, dass diese Störung sich auf seine zuvor festgestellte Tat ausgewirkt habe. Beide Tatsachen konnten nicht aufgeklärt werden, der Psychiater hat sie weder mit ja noch mit nein beantwortet. Das Gericht meinte nun, in diesem Fall sei i.d.p.r. anzuwenden. Ob dies richtig war, darüber kann man streiten (siehe schon meinen Kommentar zum Urteil). Es ging aber nicht um die in Ihrem Zitat angesprochene Frage, ob hier i.d.p.r. auf Rechtsfragen angewendet wurde. Dies ist nicht geschehen, deshalb keine Bedeutung Ihres Zitats für den Mollath-Fall.'

LG-Urteil S.89 (Hervorhebungen von mir):

"Die Kammer schließt sich auch insoweit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N      an, wonach eine aufgehobene oder verminderte Schuldfähigkeit bei Tatbegehung zwar nicht auszuschließen, aber auch nicht beweisbar ist."

Es hat sich an dem Begriff "nicht ausschließbar" eine sicherlich interessante Diskussion entwickelt, die ich  nach meinem Empfinden als zu theoretisch und spitzfindig wahrnehme, wie dies auch in den Kommentaren deutlich wurde.  Entscheidender und aufklärender ist doch sicherlich, wie das WA-Gericht, zu dem "nicht ausschließbar" gekommen ist. Herr Dr. Sponsel kann als erfahrener Psychologe und Therapeut inhaltlich zu dieser entscheidenden Frage beitragen.  Dazu habe ich zwei Kommentare (# 40 u.a. Vorderseite) eingebracht, auf die merkwürdigerweise keiner der Kommentatoren eingegangen ist.  Das Rechtstheoretische war offensichtlich wichtiger und stellt sich mir als eine Ablenkung dar von der konkreten kritischen Reflektion über das fragwürdige Ferngutachten von Herrn Prof. Nedopil, das die V o r l a g e für das WA-Gericht und  für die "nicht ausschließbare anderweitige seelische Abartigkeit" geliefert hat. Es stellt sich anschließend die weitere Frage, inwieweit das WA-Gericht überzeugend und rechtlich vertretbar, aus der psychiatrischen Beurteilung die Schlussfolgerung getroffen hat, Herrn G.M. für schuldunfähig zu erachten. Dies ist m.E. die juristische und intellektuelle  Herausforderung!

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Nicht ausschließbar bei Prof. Nedopil

Menschenrechtler schrieb:

 Herr Dr. Sponsel kann als erfahrener Psychologe und Therapeut inhaltlich zu dieser entscheidenden Frage beitragen.  

Das sollte in meiner Gutachtenanalyse ausgiebig erörtert worden sein:

"Zusammenfassend ist festzustellen 4. Zur prognostischen Einschätzung a) Annahme nicht ausschließ- und beweisbar ... S. 110: "Zur prognostischen Einschätzung ergeben sich aus dem Vorgesagten eine Reihe von Überlegungen, die zum jetzigen Zeitpunkt eher hypothetischer Natur sind.
a) Würde man von der Annahme ausgehen, dass die Voraussetzungen für aufgehobene oder verminderte Schuldfähigkeit zwar nicht ausschließbar, aber auch nicht beweisbar sind, dann würden schon aus formalen Aspekten die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 63 StGB entfallen." 

Diese Äußerung ist schwerer Fehler, weil Prof. Nedopil sich hier an die Stelle des Gerichts setzt und hypothetische rechtliche Wertungen durchführt, die ihm gar nicht zustehen. So viel erst zu meiner Analyse Nr. 39:

Quelle: file:///D:/EigDat/Intern05/sgipt/forpsy/Mollath/ipgipt/wa/Nedopil.htm#39%20[Zusammenfassend

Gast schrieb:
Ich sehe nicht wie sich der Sachverständige im Fall Mollath an die Stelle des Gerichts gesetzt haben soll. ...........
gr

Da hülfe dann ggf ein Lesen des zugrundeliegenden Urteils, (siehe Beitrag von LL#40) ohne das man, worauf ein anonymer Gast hier ja bereits hingewiesen hat, hier ohnehin nicht mitdiskutieren sollte.

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Sehr geehrter Herr Sponsel,

Sie schreiben:

Ansonsten meine ich zwar auch, dass "nicht ausschließen" eine längere Geschichte hat, finde es aber ausgesprochen unbefriedigend und merkwürdig, dass ich bislang keinen Eintrag "Nicht ausschließen" oder "nicht ausschließbar" in Rechtsbegriffbüchern finden konnte, z.B. im Beck'schen Rechtslexikon. Rund 1800 Rechtsbegriffe für Beruf und Alltag.

Ich vermute, dass der Begriff  nicht ausschließen können = nicht ausschließbar in der Rechtsgeschichte schon sehr alt ist (Antike?). Möglicherweise hat man sich dabei ja etwas gedacht und es auch ausgesprochen. Möglicherweise wird der Rechtsbegriff aber auch naturwüchsig einfach so verwendet mit der stillen Voraussetzung, dass er sich von selbst versteht. Ich denke aber, wir sollten die Vermutungen durch Wissen ersetzen. Vielleicht können Sie hierzu ja noch etwas mehr beitragen.

Ich habe es vielleicht zu kryptisch ausgedrückt, aber bei "nicht ausschließen können" handelt es sich überhaupt nicht um einen Rechtsbegriff, weshalb Sie auch nichts dazu im Rechtslexikon finden. Deshalb habe ich auch "Begriff" in Anführungsstriche gesetzt. Sie dürfen aber gern darüber philosophieren, was die Anführungsstriche sonst noch bedeuten könnten und auch weiter darüber spekulieren, wie "dubios" der Begriff sein könnte. Noch einmal mein Versuch: Es ist weithin anerkannt, dass der Staat im Strafrecht die Beweislast trägt (dies gilt aber nicht bereits seit der Antike). In den Fällen, in denen dem Angeklagten die Erfüllung einer der Voraussetzungen der Strafbarkeit (Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld) nicht nachgewiesen werden kann, aber auch nicht das Gegenteil bewiesen werden kann, spricht man von einem non liquet. Der Zweifelssatz "in dubio pro reo" ist unmittelbare Folge der Beweislastverteilung, d.h. der Angeklagte ist freizusprechen. Bei Merkmalen, bei deren Vorliegen  die Strafbarkeit entfallen würde (Tatbestandsirrtum, Notwehr, Schuldunfähigkeit) kann man Zweifel so benennen: Wenn sich nicht ausschließen lässt, dass ein Tb-Irrtum vorliegt, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass aus Notwehr gehandelt wurde oder  wenn nicht ausschließbar Schuldunfähigkeit vorgelegen hat, schon dann gilt nach i.d.p.r., dass die Strafbarkeit entfällt. Deshalb ist DIES die Grenze, bei der der Zweifelssatz schon gilt. Und deshalb ist dies auch - in den Fällen, in denen der Richter auf Sachverständige angewiesen ist, für den Richter die entscheidende Frage. Es ist auch überhaupt nicht verwunderlich, dass ein Richter solche Fragen an einen Sachverständigen stellt. Nehmen wir an, es gehe um eine Brandstiftung und der Richter fragt den Brandsachverständigen: Können Sie ausschließen, dass der von Ihnen untersuchte Brand auch ohne Brandbeschleuniger in Gang gekommen wäre? Dann hat diese Frage überhaupt nichts Dubioses. Sie ist inhaltsgleich mit der Frage "Ist denn wirklich eindeutig/hunderprozentig ein Brandbeschlkeuniger verwendet worden oder ist das nur irgendwie wahrscheinlich?" Bei der Frage der Schuldfähigkeit ist zugegebenermaßen ein gewisser Streit zwischen Sachverständigen und Richtern vorprogrammiert, weil Schuldfähigkeit ein Rechtsbegriff ist (da "Schuld" ein juristisches Konzept ist), so dass  DORT Tatsachenfragen und Rechtsfragen gleichermaßen hineinspielen. Dies hat aber (ich wiederhole mich) nichts mit dem angeblichen Begriff "nicht ausschließbar" zu tun.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Metasprache und Methodologie? Oder, kommt wissenschaftlich fundierte Anwendung ohne theoretisch begründete Systematik aus?

Dr. Sponsel moniert fehlende Bewusstheit für die Bedeutung von Begriffbildung/-analyse und einer wissenschaftlichen Methodologie im Juristischen. Die Metasprache (Theorie) definiert eigentlich die Objektsprache (Praxis). Es gibt dazu auch juristische Quellen, die jedoch, soweit ich sie bisher erfassen konnte, kein festes Fundament für die Praxis bilden, sondern eher der Orientierung in und Kritik an dieser Praxis dienen. Die juristische Praxis (be)herrscht das Recht (Rechtsprechung, Gesetzgebung), die juristische Theorie deutet, formalisiert und kritisiert diese Praxis (Rechtsmeinungen). Das ist an sich kein Alleinstellungsmerkmal, sondern in vielen Wissensgebieten durchaus üblich. Entscheidend für Wissenschaftlichkeit ist nur, ob die Metaebene auf die Struktur und Entwicklung der Praxis konkret Einfluss nimmt oder generell nur den Ereignissen hinterherläuft und überwiegend ignoriert wird. Metaebenen betreffen nicht nur die Sprache, sondern auch Bedeutungen, Strukturen / Systematik. Nicht nur in der technischen Kommunikation ist z.B. das OSI-Schichtenmodell oder 7-Schichten-Modell ein anerkanntes Metamodell, das in einem praktischen Kommunikations-Protokoll selbst nie explizit erscheint, aber ein strukturelles Richtmaß darstellt. Selbst wenn ein Protokoll nicht diesem Modell entspricht, wird das Protokoll strukturell daran gemessen und bewertet.

Sogenannte agile Vorgehensweisen verzichten zunächst bewusst auf eine theoretische Basis bzw. stellen praktische Ziele in den Vordergrund. Sie negieren aber die Existenz und Bedeutung der theoretischen Metaebene nicht, die nachrangig oder nachholend bedient wird.

"Eine Sprache, die wie die Umgangssprache nicht zwischen Objekt- und Metasprache unterscheidet, nennt Alfred Tarski semantisch geschlossene Sprache.[19] In ihr kann das Lügner-Paradoxon formuliert werden." Das Lügner-Paradoxon: Pinocchios Nase wächst bekanntlich genau dann, wenn er lügt. Was passiert aber, wenn er sagt „Meine Nase wächst gerade“?  (Wikipedia)

Um beispielsweise die Zuweisung der Täterschaft, Schuld- und Strafwürdigkeit einem Verdächtigen, Beschuldigten, Angeklagten, Verurteilten oder Freigesprochenen rechtsstaatlich bestimmen zu können, müssen die Gesetze und Rechtsgrundsätze eingehalten werden. Begriffe wie "Strafanspruch", "hinreichend", "überzeugend", "glaubwürdig", "glaubhaft", "nicht ausschließbar", "wahrscheinlich", "fernliegend", "naheliegend", "Unschuldsvermutung", "unvoreingenommen", "Schuldfähigkeit" usw. werden zwar in der Praxis wie selbstverständlich gebraucht, können sich aber nicht selbst definieren und erklären. Gibt es dazu keine ordnende Metaebene, die die Regeln widerspruchsfrei klärt, dann entsteht ein semantisch geschlossenes System mit inhärent verleugneten oder nicht erkannten Widersprüchen. Bis zum Lügner-Paradoxon ist es dann nicht weit. Wenn die Nase von Pinnoccio gerade wächst, kann er das nicht wahrheitsgemäß eingestehen.

Der StA oder Strafrichter, der die Aufgabe des staatlichen Strafanspruch gegen einen Beschuldigten verfolgt, aber wegen der Unschuldsvermutung und Unvoreingenommenheit auch zugunsten des Beschuldigten ermittelt/verhandelt, muss sich dieser Widersprüchlichkeit und der notwendigen Methoden bewusst sein (Metaebene), um die praktische Umsetzung tatsächlich korrekt zu meistern (Objektebene).

Wissenschaftlich übergreifend führt der Nachweis eines Fehlers in einer Beweisführung / Ableitung zunächst zur Ungültigkeit dieser Beweisführung / Ableitung. Nicht die tatsächliche Auswirkung des Fehlers auf das Ergebnis muss bewiesen werden, sondern die Gültigkeit des Ergebnisses nach der Korrektur des Fehlers. Letzteres kann nicht einfach pauschal behauptet werden. Begriffe der Metaebene wie "fehlerfrei", "eingeschränkter Prüfmaßstab", "nicht tragende Erwägung", "ungeachtet dessen", "nicht entscheidungserheblich", oder auch "offensichtliche Unbegründetheit" können nicht den tatsächlichen Nachweis der Gültigkeit auf der Objektebene ersetzen. In dieser Hinsicht hätte Jura sonst ein Alleinstellungsmerkmal, die semantisch geschlossene Sprache.   

 

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In dieser Hinsicht hätte Jura sonst ein Alleinstellungsmerkmal, die semantisch geschlossene Sprache.   

Genau so ist es. Deshalb ist es ja so wichtig, dass man diese Sprache aus dem Effeff kennt, versteht und spricht.

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@Lutz Lippke

Meine frühere Strafrechtsprofessorin, Frau Ingeborg Puppe war dafür berühmt berüchtigt, sehr ausgiebige Grundsatz-Diskussionen zu führen und häufig "quälende" Fragen zu stellen. Weil mir ihre Art bis heute noch sehr präsent ist, hatte ich gehofft, dass sie inzwischen dazu vielleicht ein Vorlesungsskript im Netz veröffentlicht hätte. Und tatsächlich, es ist sogar ein Buch "Strafrechtsdogmatische Analysen". Auf Seite 74 bringt sie ihr Apfel-Beispiel:

"Aber wie kann man denn eine Subsumtion eigentlich begründen? In einem Kolloquium über Methodenlehre brachte ich eines Tages einen Apfel mit und rollte ihn über den Tisch. Den unglücklichen Teilnehmer, bei dem der Apfel liegen blieb, fragte ich dann, was denn da vor ihm läge. ..."

Lesen Sie an dieser Stelle weiter. Ich bin mir ziemlich sicher, das wird Ihnen und Dr. Sponsel weiterhelfen können. Ich finde, sie erklärt sehr schön den juristischen Umgang mit Begriffen.

https://books.google.de/books?id=C0EU8FUKE0sC&pg=PA75&lpg=PA75&dq=ingebo...

@ Gast #43

Eine semantisch geschlossene Sprache ist wohl nicht nur anfällig für Widersprüche, sondern verfängt sich unweigerlich darin. Die Umgangssprache z.B. dient wohl schon aus diesem Grund "nur" als Teil einer spontanen Kommunikation zwischen konkreten Personen, die wesentlich von deren Beziehungen, Rollen und nonverbalen Elementen geprägt ist. Sobald dieser Rahmen verlassen wird, geht man i.d.R. auf allgemeinverbindliche, formalisierte sprachliche Kommunikationsformen über. Diese nutzen alle Metasprachen, mit denen die jeweilige Syntax und Semantik als Schema definiert wird.

So sind Sie hier "Gast" als ein bestimmter Gast, können aber nicht im Sinne von "Der Gast" Gast hier sein. Insofern sind Sie wiederum tatsächlich ein unbestimmter Gast. Das ergibt sich aus der Meta-Ebene des Blogs, weil jeder Namenlose hier als "Gast" kommentiert. Nur für Sie selbst sind Sie also ein bestimmter "Gast" und nutzen dabei Ihre isolierte Metaebene als Brücke der Selbstfindung. Das gilt analog auch für "wichtig", "diese Sprache", "aus dem Effeff", "verstehen", "sprechen". Wenn Sie diese Begriffe und Zuweisungen für sich allein bestimmen, in dem Sie sie hinschreiben, dann definieren Sie damit implizit nur Ihre eigene Metaebene, ohne diese mit Anderen austauschen zu können.

Konkret zum Strafrecht und der StPO ist Ihre unbestimmte Anforderung des "aus dem Effeff kennen, verstehen und sprechen" wohl problematisch. Denn 1. das Strafrecht und die StPO soll Jeder soweit kennen und verstehen, dass er Regeln und Rechte beachten und beansprucnen kann. Wesentliche Widersprüche der einfachen Kenntnis zum "aus dem Effeff" müssten also ausgeschlossen sein. Und 2. wäre "aus dem Effeff" ja nur subjektiv am Ergebnis zu erkennen, weil ohne allgemeinverbindliche Metaebene nur die subjektive Wertung über das "aus dem Effeff" bestimmt. Wie wollen Sie z.B. eine Aussage zu sich selbst: "Diese Aussage ist falsch." allgemeingültig bewerten. Anbieten würde sich eine unklare Bewertung, die bei einem Entscheidungszwang mit subjektiver Überzeugung entschieden wird. "Zur Überzeugung von Gast ist die Aussage richtig" oder " ... nicht ausschließbar falsch" oder "naheliegend richtig falsch" oder beliebig  

Lutz Lippke        

    

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Logik in der Rechtswissenschaft nach Puppe*

Sehr geehrter Herr Kolos, ich habe Ihren Hnweis auf Puppe aufgegriffen zur Grundsatzfrage Logik in den Rechtswissenschaften und zitiere mal aus "Kleine Schule des juristischen Denkens"*:

"D. Recht und Logik

I. Die Verachtung der Logik in der Rechtswissenschaft

Die Jurisprudenz stand lange Zeit in dem Ruf, eine eminent logische Disziplin zu sein. Daraus bezog sie ihre Anerkennung als Wissen­schaft, obwohl ihr Gegenstand, von den Naturrechtskonzepten ab­gesehen, nichts anderes war, als die prinzipiell zufälligen Erzeugnisse des Willens eines historischen Gesetzgebers, also kaum ein würdiger Gegenstand ewiger Erkenntnis.1 Ihre Dignität, auch als Gegenstand der Erkenntnis, beziehen die Gesetze schlicht aus der Tatsache, dass sie gerade gelten. „Sed auctoritas, non veritas, facit legem."2 Das In­teresse an Rechtserkenntnis ist in erster Linie ein praktisches, die Gesetze müssen richtig angewandt werden. Die Anerkennung der Rechtswissenschaft hängt also davon ab, dass es bei Anwendung die­ser Gesetze ein Richtig und ein Falsch gibt. Da es sich um Anwen­dung vorgegebener Sätze handelt, die als solche nicht angezweifelt werden dürfen, kann diese Richtigkeit oder Falschheit offenbar nur eine logische sein. Ihre Blütezeit hatte diese Auffassung von der Ju­risprudenz im Positivismus des 19. Jahrhunderts. Dieser glaubte, dass der Gesetzgeber alles regele und regeln könne, so dass die Auf­gabe des Rechtsanwenders in nichts anderem bestand, als darin, für den Einzelfall die logischen Konsequenzen zu ziehen, die im Gesetz bereits ausgesprochen sind. Der Richter ist „la bouche, qui prononce les paroles de la loi. "3

 

1)   Daher die Klage Kirchmanns über die „Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissen­schaft" (1847).

2)   Die Autorität, nicht die Wahrheit macht das Gesetz, Thomas Hobbes Leviathan (Opera Philosophica, 1839-45), Kapitel 26 (De legibus civilibus), S. 202.

3)   „Der Mund, der die Worte des Gesetzes ausspricht", Montesquieu De l'esprit de lois (1748), Buch 11 Kapitel 6. Zur Irrigkeit dieser Vorstellung von der Rolle des Richters bei der Rechtsfindung zuletzt Schünemann Vagheit und Porosität der Umgangssprache als Horizont extensionaler Rechtsfortbildung durch die Straf­justiz, Puppe-FS (2011), 243 (244)."

 

Das hört sich nicht sehr prickelnd an, so wenig wie die Ausführungen Prof. Müllers zum Rechtsbegriff "Nicht ausschließbar". Ich komme darauf zurück.

*

Puppe, Ingeborg (2014) Kleine Schule des juristischen Denkens. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (UTB)

 

Die Diskussion um die Bedeutung von Begriffen  und die geistigen Grundlagen  der Jurisprudenz kommt gerade in einem wissenschaftlichen Rechtsböog eine große Bedeutung zu. Ausgangspunkt war der fragliche Begriff "nicht ausschließbar".  Grundlage für diese fragwürdige Urteilsbegründung lieferte, das Gutachten von Prof. Nedopil. In diesem Zusammenhang ist es hochinteressant, die sehr ausführlichen, einleitenden und allgemeinen Ausführungen zu  psychiatrischen Begutachtungen von Prof. Nedopil nachzulesen, die er beim WA-Gericht vorgetragen hat.

Um wieder mehr Bodenhaftung in der Diskussion zu erreichen, nachstehend einige Gedanken zu:

prospektiv-retrospektiv-okkult-

Das Wort okkult hat Dr. Sponsel in diesem Zusammenhang eingebracht!

Im Urteil des WA-Verfahrens wurde Herrn Mollath nur die Körperverletzung angelastet. Die Feststellung der Schuldunfähigkeit kann und darf sich nur auf die psychische Verfassung zum Zeitpunkt der KV, also im August 2001 beziehen.

Prof. Nedopil bezieht sich jedoch eindeutig auf Ereignisse vor und nach der Körperverletzung. Wie ist dieser eklatante Widerspruch zu erklären? ......... Über die Anschuldigungen bezüglich der einzelnen vorgeworfenen Taten wurde vor Abgabe der psychiatrischen Stellungnahme im WA-Verfahren noch nicht geurteilt.

Das Gericht hätte m.E.bei der Urteilsfindung und Begründung die rechtsstaatliche Aufgabe gehabt, alle prospektiven (ab 2002 vorausschauenden) Betrachtungsweisen mit der Prof. Nedopil einen möglichen Wahn begründet hat, zu eliminieren. Es kann und darf nicht sein, dass Herr Mollath zum Zeitpunkt der KV für schuldunfähig erklärt wird und zur Begründung spätere und auch frühere Ereignisse zur Pathologisierung „prospektiv und retrospektiv“ herangezogen werden.

Für eine Rigidität des Angeklagten, die nur vorübergehend Kompromisse zulasse, zieht Nedopil auch die Mandatsniederlegung der Wahlverteidiger des Angeklagten heran, obwohl nachvollziehbare Gründe für diesen Konflikt bestanden.

Auch mit ungeprüften Tatsachen, wie etwa das angebliche Verhalten Mollaths gegenüber Mitpatienten oder seine Anwaltswechsel begründet Prof. Nedopil das pathogene Verhalten von G.M.

Auch die retrospektive Betrachtung von Prof. Nedopil verletzt Grundrechte: Montagsdemos wegen Hartz IV und die Schüler-Friedensdemo und die Wahrnehmung des Demonstrationsrechts wird von Prof. Dr.Nedopil psychiatrisch bewertet!

Die angebliche Egozentrik Mollaths bei den angeblichen Konflikten mit anderen Patienten (in Wirklichkeit mit einigen Pflegern) in der Forensik wird von Prof. Nedopil herausgestellt und die vorherrschend schwer destruktive Dynamik in der Forensik und Hochsicherheitsforensik ignoriert. Prof. Nedopil müsste bereits realisiert haben, dass die angebliche Gemeingefährlichkeit nicht gegeben war und es menschlich völlig deplaziert ist, dieses Pseudoargument gegen Herrn Mollath einzusetzen, zumal Herr Mollath sich während und nach seiner Unterbringung nachweislich sehr diszipliniert verhalten und für Untergebrachte eingesetzt hat.

Die realistische Basis der Schwarzgeldverschiebungen anzuerkennen und gleichwohl „retrospektiv“ einen Wahn für möglich zu halten, diese gewagte Hypothese vertrat bereits der Fehlgutachter Prof. Kröber und sie wird dadurch keineswegs wahrhaftiger und überzeugender. In seiner Argumentation wird die Voreingenommenheit und Einseitigkeit von Prof. Nedopil offenbar. Prof. Nedopil verletzt m.E. schwerwiegend die gebotene Sorgfaltspflicht .

Es stellt sich die Frage: Verletzt die vorgenommene prospektive und retrospektive Betrachtung rechtsstaatliche Grundsätze? War es legitim, dass das Gericht bei der Urteilsfindung und -begründung Gegebenheiten, psychiatrische Begründungen einbezogen hat, die mit der psychischen Verfassung zum Zeitpunkt der belasteten KV nicht in einem direkten Zusammenhang steht?

Nach meinem Dafürhalten ist diese, nicht differenzierte justizielle Verfahrensweise auf § 246a der Strafprozessordnung zurückzuführen, die ausschließt, dass nicht zuerst über die Anschuldigung geurteilt wird und dann -wenn notwendig- über die Schuldfähigkeit.

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