Erste Entscheidung des BGH zur nicht geringen Menge im KCanG

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 23.04.2024

In meinem letzten Blog-Beitrag habe ich ausgeführt, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass man aufgrund der geänderten Risikobewertung von Cannabis an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge von 7,5 g THC nicht mehr festhalten könne, sondern eine deutliche Anhebung des Grenzwertes für Cannabis erfolgen müsse (BT-Drs. 20/8704, 130).

Mit dem 1. Strafsenat hat sich nun erstmals ein Strafsenat des BGH mit der umstrittenen Rechtsfrage befasst (Beschl. v. 18.4.2024 - 1 StR 106/24).

Die beiden Angeklagten waren erstinstanzlich jeweils wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Sie hatten nach den Urteilsfeststellungen als „Gärtner“ in einer Indoor-Marihuanaplantage mitgearbeitet. Dort wurden 160 kg Marihuana und mit einer Gesamtmenge von 22.105 g Tetrahydrocannabinol (THC) zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs angebaut. Auf die Revisionen der Angeklagten hob der 1. Strafsenat das Urteil im Strafausspruch auf und fasste den Schuldspruch infolge des Inkrafttretens des Cannabisgesetzes zum 1.4.2024 auf. Der neue Schuldspruch lautet: "verbotener Besitz von mehr als drei lebenden Cannabispflanzen in Tateinheit mit Beihilfe zum verbote-
nen Handeltreiben mit Cannabis".

Zur nicht geringen Menge nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG führt der Senat aus:

Der Grenzwert der nicht geringen Menge für Tetrahydrocannabinol (§ 1 Nr. 2 KCanG) im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG beträgt 7,5 g.

Maßgebend hierfür sind folgende Erwägungen:

aa) Bereits im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) hat der Gesetzgeber den unbestimmten Begriff der nicht geringen Menge nicht definiert, sondern dies der Rechtsprechung überlassen, die dafür auf alle Betäubungsmittel gleichermaßen anwendbare allgemeingültige Maßstäbe entwickelt hat.

(1) Bei der Festlegung der Grenzwerte stellt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung nicht auf die Gewichtsmenge des jeweiligen Suchtstoffes, sondern auf die darin enthaltene Wirkstoffmenge ab (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 2015 – 1 StR 302/13, BGHSt 60, 134; vom 17. November 2011 – 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60; vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89; vom 24. April 2007 – 1 StR 52/07, BGHSt 51, 318; vom 9. Oktober 1996 – 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255; vom 22. Dezember 1987 – 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179; vom 1. September 1987 – 1 StR 191/87, BGHSt 35, 43; vom 11. April 1985 – 1 StR 507/84, BGHSt 33, 169; vom 1. Februar 1985 – 2 StR 685/84, BGHSt 33, 133; vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8; Beschlüsse vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, BGHSt 42, 1 und vom 7. November 1983 – 1 StR 721/83, BGHSt 32, 162). Der Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels ist stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Wirkungsintensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials, zu bemessen. In einem zweistufigen Verfahren wird die nicht geringe Menge mithin durch ein Vielfaches der zum Erreichen eines Rauschzustandes erforderlichen Wirkstoffmenge bestimmt, welche aus dem Produkt einer Einzelmenge und einer an der Gefährlichkeit orientierten Maßzahl, gemessen in Konsumeinheiten, errechnet wird. Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 10. August 2023 – 3 StR 462/22 Rn. 7; vom 14. Januar 2015 – 1 StR 302/13, BGHSt 60, 134 Rn. 35; vom 5. November 2015 – 4 StR 124/14 Rn. 14; vom 17. November 2011 – 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60 Rn. 10; vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89 Rn. 13; vom 24. April 2007 – 1 StR 52/07, BGHSt 51, 318 Rn. 12 f.; vom 28. Oktober 2004 – 4 StR 59/04 Rn. 18 f.; vom 1. September 1987 – 1 StR 191/87, BGHSt 35, 43, 44 f.; vom 22. Dezember 1987 – 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179 f.; vom 1. Februar 1985 – 2 StR 685/84, BGHSt 33, 133, 136 f.; vom 11. April 1985 – 1 StR 507/84, BGHSt 33, 169, 170 f.; vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8, 9 f.; Beschlüsse vom 11. Dezember 2023 – 1 StR 276/23 Rn. 8; vom 8. März 2022 – 3 StR 136/21 Rn. 12; vom 27. Januar 2022 – 3 StR 155/21 Rn. 9; vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, BGHSt 42, 1, 10 f. und vom 7. November 1983 – 1 StR 721/83, BGHSt 32, 162, 163 f.). Im Ergebnis drückt die nicht geringe Menge damit ein Vielfaches des zum Erreichen eines Rauschzustands erforderlichen jeweiligen Wirkstoffs (Konsumeinheit) aus, wobei die Grenzwerte für die verschiedenen Betäubungsmittel gerade wegen ihrer qualitativ unterschiedlichen Wirkung aufeinander abgestimmt sein müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, BGHSt 42, 1, 10). Bei der insoweit vorzunehmenden Gesamtbetrachtung sind dabei nicht nur die dem jeweiligen Suchtstoff innewohnenden, pharmakologischen Wirkungen auf den Menschen wie Beschaffenheit, Wirkungsweise und Gefährlichkeit zu berücksichtigen, sondern auch das Umfeld, in dem der Konsum typischerweise erfolgt (vgl. dazu die Nachw. bei Patzak/Volkmer/Fabricius, 10. Aufl., BtMG § 29a Rn. 50).

(2) Für Tetrahydrocannabinol (THC) hat der Bundesgerichtshof den Grenzwert der nicht geringen Menge unter Anwendung dieser Maßgaben auf 7,5 g festgesetzt und dies infolge fehlender Bestimmbarkeit einer lebensbedrohlichen Einzeldosis (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8, 10) auf dessen konkrete Wirkweise und Gefährlichkeit gestützt. Er ist auf der Grundlage öffentlich zugänglicher sachverständiger Bewertungen, darunter einer Analyse von sachkundigen Chemikern der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8, 12), zu dem Ergebnis gelangt, dass zur Erzielung eines Rauschzustandes durch Rauchen einer Zubereitung von Cannabisprodukten im Durchschnitt 15 mg THC erforderlich seien (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8, 11 f.). Um den Unsicherheitsfaktoren bei der Bestimmung des THC-Gehalts einer durchschnittlichen Konsumeinheit von Cannabisprodukten unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Qualität der in der Drogenszene tatsächlich auftauchenden Stoffe und den unterschiedlichen Konsumformen Rechnung zu tragen und zugleich einen angemessenen Abstand zu der harten Droge Heroin zu schaffen, hat er der Bestimmung des Grenzwerts 500 Konsumeinheiten mit diesem Wirkstoffgehalt zugrunde gelegt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8, 13 f.). Denn anders als Heroin führt Tetrahydrocannabinol nicht zur physischen Abhängigkeit und nur zu mäßiger psychischer Abhängigkeit, wenngleich es allerdings Denk- und Wahrnehmungsstörungen, Antriebs- und Verhaltensstörungen, Lethargie, Angstgefühle, Realitätsverlust und Depressionen, zuweilen auch Psychosen hervorruft sowie eine erhöhte Gefahr des Umsteigens auf harte Drogen begründet (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8, 12 f.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 – 2 BvL 43/92 u.a., BVerfGE 90, 145 ff.). Aus diesen anhand der konkreten Wirkweise und Gefährlichkeit bestimmten Faktoren errechnet sich der bislang geltende Grenzwert (500 x 15 mg = 7,5 g).

bb) Wie das Betäubungsmittelgesetz verhält sich auch das Konsumcannabisgesetz (KCanG) zum Begriff der nicht geringen Menge nicht. Anstatt selbst einen Grenzwert zu bestimmen oder nur Maßgaben dazu aufzustellen, hat sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden, die Bestimmung des Grenzwerts der nicht geringen Menge der Rechtsprechung zu überlassen (BT-Drucks. 20/8704, S. 132). Mit Blick auf die unveränderte Wirkweise und Gefährlichkeit des Tetrahydrocannabinols hält der Senat das Merkmal „nicht geringe Menge“ der Strafzumessungsregel in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG für erfüllt, wenn das tatgegenständliche Cannabisprodukt mindestens 7,5 g THC enthält. Die auf chemisch-toxikologischer Grundlage getroffene Feststellung, wonach zur Erzielung eines Rauschzustandes durch Rauchen einer Zubereitung von Cannabisprodukten im Durchschnitt 15 mg THC erforderlich sind, gilt nach wie vor. Auch die im Vergleich zur harten Droge Heroin entwickelte Anzahl der Konsumeinheiten beansprucht unverändert Geltung; das pharmakodynamische Wirkungsverhältnis von THC zu Heroin ist heute nicht anders zu beurteilen als im Zeitpunkt der erstmaligen Grenzwertbestimmung. Dafür spricht auch die Wechselwirkung zwischen den Grenzwerten der verschiedenen Betäubungsmittel, die auf der Grundlage des Gefährlichkeitsvergleichs in unmittelbarer Abhängigkeit voneinander stehen. Die im Vergleich zu anderen Betäubungsmitteln geringere Gefährlichkeit von Cannabisprodukten hat der Bundesgerichtshof bereits bei der Festsetzung des Grenzwerts von 7,5 g THC berücksichtigt (zum Stufenverhältnis von sog. harten Drogen wie Heroin, Fentanyl, Kokain und Crack über Amphetamin, das auf der Gefährlichkeitsskala einen mittleren Platz einnimmt, bis hin zu sog. weichen Drogen wie Cannabis vgl. etwa BGH, Urteil vom 11. Oktober 2018 – 4 StR 274/18 Rn. 7; Beschlüsse vom 14. Juni 2017 – 3 StR 97/17 Rn. 13; vom 15. Juni 2016 – 1 StR 72/16 Rn. 12 und vom 26. März 2014 – 2 StR 202/13 Rn. 20). Die einzelnen vom Bundesgerichtshof festgesetzten Grenzwerte und ihre Abstufung werden schließlich sowohl in der Praxis als auch im Schrifttum als praktikabel angesehen und gemeinhin akzeptiert (vgl. Krumm, NJ 2024, 151, 153; Patzak/Volkmer/Fabricius, 10. Aufl., BtMG § 29a Rn. 50 mwN; Weber/Kornprobst/Maier, 6. Aufl., BtMG § 29a Rn. 68).

cc) Die Regelung in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG gibt keinen Anlass, den Grenzwert der nicht geringen Menge höher als unter Geltung des § 29a BtMG festzusetzen.

(1) Der Wortlaut der Vorschrift enthält dafür keine Anhaltspunkte; im Gegenteil hat der Gesetzgeber bewusst einen unbestimmten Rechtsbegriff gewählt und dessen Ausfüllung der Rechtsprechung überantwortet (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 132).

(2) Sinn und Zweck der Vorschrift in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG sprechen für die Beibehaltung des auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelten Grenzwerts von 7,5 g THC. Die Schaffung der Strafvorschriften in § 34 KCanG hat der Gesetzgeber für geeignet und erforderlich gehalten, um die Volksgesundheit und damit die körperliche Unversehrtheit des einzelnen Bürgers zu schützen. Die Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabis außerhalb der gesetzlichen Ausnahmen hält er für ein notwendiges Mittel, um den Verkehr mit dieser riskanten Droge zu unterbinden oder jedenfalls möglichst weit zurückzudrängen und dadurch vor allem junge Menschen vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren. Das Cannabisgesetz zielt gemäß seiner Präambel darauf ab, zu einem verbesserten Gesundheitsschutz beizutragen. Ungeachtet der Straflosstellung bestimmter Verhaltensweisen liegt dem Gesetz die Annahme zugrunde, es handele sich bei Cannabis um ein gefährliches Suchtmittel. Die Begründung des Gesetzentwurfs enthält dazu schon eingangs der Präambel folgende Erwägung (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1): „Der Konsum von Cannabis, das vom Schwarzmarkt bezogen wird, ist häufig mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko verbunden, da der Tetrahydrocannabinol-Gehalt unbekannt ist und giftige Beimengungen, Verunreinigungen sowie synthetische Cannabinoide enthalten sein können, deren Wirkstärke von den Konsumentinnen und Konsumenten nicht abgeschätzt werden kann. Das Gesetz zielt darauf ab, zu einem verbesserten Gesundheitsschutz beizutragen, […]“. Im Allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung ist ausgeführt (BT-Drucks. 20/8704, S. 68 f.): „Wie bei anderen psychoaktiven Substanzen auch, ist der Konsum von Cannabis mit gesundheitlichen Risiken, wie beispielsweise cannabisinduzierte Psychosen, verbunden. Daher sollte auf den Konsum von Cannabis verzichtet werden. […] Darüber hinaus sollen nichtkonsumierende Bürgerinnen und Bürger vor den direkten und indirekten Folgen des Cannabiskonsums geschützt werden.“ Von der Sozialschädlichkeit des Konsums von Cannabis und der Gefahr der Heranführung und Gewöhnung selbst Jugendlicher an berauschende Mittel geht der Gesetzgeber mithin unverändert aus und zielt mit den Regelungen des Cannabisgesetzes darauf, den Konsum möglichst zu unterbinden. Dieser Zielsetzung dienen auch die Strafvorschriften in § 34 KCanG, die für verschieden-artige Verstöße gegen das grundsätzlich bestehende Verbot des Umgangs mit Cannabisprodukten Kriminalstrafe androhen. Insoweit hat sich gegenüber dem Regelungszweck des § 29a BtMG nichts geändert.

(3) Die Gesetzessystematik steht der Beibehaltung des zu § 29a BtMG entwickelten Grenzwerts gleichfalls nicht entgegen. Der Umgang mit Cannabis ist gemäß § 2 KCanG weiterhin – verwaltungsrechtlich – verboten. Der Gesetzessystematik liegt ein allgemeines Verbot für den Umgang mit Cannabis zugrunde, in § 2 Abs. 3 KCanG werden lediglich bestimmte, gesetzlich erlaubte Handlungen vom Verbot ausgenommen (BT-Drucks. 20/8704, S. 93). Auf welcher Grundlage die strafrechtlich irrelevanten Mengen festgelegt wurden, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung allerdings ebenso wenig, wie eine Aussage zur Bewertung ihrer Gefährlichkeit. Die gemäß § 3 KCanG legalen – nicht wirkstoffbezogen festgelegten – Besitzmengen von bis zu 25 g Cannabis zum Eigenkonsum (Abs. 1) und bis zu 50 g Cannabis sowie drei lebenden Cannabispflanzen am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt mit einer Gesamtmenge an Cannabis von bis zu 50 g (Abs. 2) stehen der vorbenannten Grenzwertfestsetzung nicht entgegen. Dies gilt schon deshalb, weil sich aus der legalisierten Besitzmenge keine Aussage zur Gefährlichkeit des Wirkstoffes ableiten lässt. Die Variationsbreite des praktisch festzustellenden Wirkstoffgehalts ist hoch (vgl. Patzak/Dahlenburg, NStZ 2022, 146, 147 f.). Zwar ist denkbar, dass auch der Besitz einer die Strafbarkeitsschwelle nur geringfügig überschreitenden Menge Cannabis – also geringfügig mehr als 60 g – das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG verwirklicht. Allerdings verbleibt in Anbetracht – praktisch ebenfalls relevanter – niedriger Wirkstoffgehalte ein Anwendungsraum für eine Strafbarkeit nach § 34 Abs. 1 KCanG, bei welcher das Regelbeispiel nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG nicht erfüllt ist. Vorgaben hinsichtlich eines zu wahrenden „Abstands“ zu den erlaubten Besitzmengen ergeben sich aus den Regelungen des Konsumcannabisgesetzes nicht (so auch Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 – 5 Ws 19/24).

(4) Schließlich ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des Konsumcannabisgesetzes nichts anderes.

An dem grundsätzlichen Verbot des Umgangs mit Cannabis hat der Gesetzgeber festgehalten. Hinsichtlich der Bestimmung des Grenzwerts nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG führt die Gesetzesbegründung aus, der konkrete Wert sei „abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis von der Rechtsprechung aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln“ (BT-Drucks. 20/8704, S. 132). „Im Lichte der legalisierten Mengen [werde] man an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten können und [werde] der Grenzwert deutlich höher liegen müssen als in der Vergangenheit“ (BT-Drucks. 20/8704, S. 132). Mit der Anknüpfung an die seit Jahrzehnten ständige Rechtsprechung zur Bestimmung der nicht geringen Menge hat sich der Gesetzgeber die hierfür geltenden Maßstäbe im Ausgangspunkt zu eigen gemacht. Er hat damit im Ergebnis selbst auf die konkrete Wirkungsweise und -intensität des Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol abgestellt, die sich nicht geändert haben. Soweit von einer „geänderten Risikobewertung“ (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 132) die Rede ist, sind der – nicht bindenden – Gesetzesbegründung keine tatsachenbasierten Informationen zu entnehmen, auf welche weitergehende Rückschlüsse oder gar eine Berechnung gestützt werden könnten. Es wird schon nicht klar, worauf genau sich diese geänderte Risikobewertung beziehen soll (kurzfristige Wirkweise, Nebenwirkungen, Langfristschäden, Konsumentwicklung, Vergleich zu Nachbarstaaten, gesellschaftliche Auswirkungen, Kriminalitätsentwicklung). Konkrete, allgemein anerkannte und wissenschaftlich belegte oder belegbare Prämissen benennt der Gesetzgeber nicht. Insbesondere lässt sich weder aus Gesetz noch Begründung ableiten, welche Konsum- oder Wirkstoffmenge medizinisch-toxikologisch (noch) unbedenklich sein soll. Auch den Widerspruch, der sich aus dem Regelungszweck des Gesundheitsschutzes und den ihm dienenden Vorschriften einerseits und der „geänderten Risikobewertung“ andererseits ergibt, löst die Gesetzesbegründung nicht auf. Wenngleich die Absenkung der in § 34 KCanG vorgesehenen Strafrahmen gegenüber den vormals geltenden Straftatbeständen des Betäubungsmittelgesetzes zeigt, dass der Gesetzgeber die unter Strafe gestellten Handlungen nunmehr für weniger strafwürdig hält als zuvor, ergeben sich daraus keine Folgerungen für die Frage, ab welcher Mengengrenze der Handel mit Cannabis der gegenüber dem Grundtatbestand verschärften Strafandrohung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG unterliegen soll (so auch Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 – 5 Ws 19/24).

Wie aus meinem letzten Blog-Beitrag bekannt, vertrete auch ich diese Auffassung. Hier ist aber sicherlich noch nicht das letzte Wort gesprochen...

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3 Kommentare

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Hallo,

mich würde sehr interessieren wie es sich bei 7,5g THC um eine nicht geringe Menge handeln kann wenn 61g Marihuana im Durchschnitt in Deutschland ~8,5g (14%) THC enthält. Die Konsequenz ist ja das ein Großteil aller Fälle wo die Strafbarkeitsgrenze überschritten wird dann zu besonders schweren Fällen werden. Wie ist das mit dem Grundgesetz vereinbar wenn es offensichtlich mehr besonders schwere Fälle als normale Fälle geben wird?

Es bleibt nur zu hoffen das der Gesetzgeber hier einen Wert in das Gesetz schreibt.

mit freundlichen Grüßen

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Ich vertrete die Auffassung, dass die Freimenge nach § 2 Abs. 3 iVm § 3 KCanG bei Schuldumfang, Einziehung (über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) und bei der maßgeblichen Menge zur Bestimmung der nicht geringen Menge abgezogen werden muss. Denn diese Menge darf man ohne Wenn und Aber haben, deshalb muss sie auch bei Überschreitung der Bereichsausnahmen in § 34 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 12 KCanG (Besitz von mehr als 30g/50g, Erwerb von mehr als 25g) entsprechend zugunsten des Beschuldigten berücksichtigt werden. Derjenige, der eine Freimenge von 50g haben darf, verliert dieses Recht doch nicht, nur weil er die Menge überschreitet. Jedenfalls sagt § 3 KCanG etwas anderes. Das ist neu, deshalb wirkt das auf den ersten Blick befremdlich.

Beispiel: Beim Besitz von 70g Cannabis zu Hause macht sich der Beschuldigte nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG strafbar, da er die Bereichsausnahme von bis zu 60g überschreitet. M.E. sollte hier aber hinsichtlich Schuldumfang und Einziehung nur der 50g übersteigende Teil (bis dahin legale Freimenge nach § 3 KCanG) einfließen. Das gilt auch für die Bestimmung der nicht geringen Menge, hier also aus dem die legale Freimenge übersteigenden Teil von 20g.

Dann stellt sich Ihre Frage nicht mehr.

Bei Straftaten ohne Freimenge (und damit ohne Bereichtsausnahme), also z.B. dem Handeltreiben, wird die gesamte Menge berücksichtigt.

Das steht beides im Einklang mit dem gesetzgeberischen Willen, Konsumenten zu privilegieren.

 

LTO weist auf eine Korrektur des Beschlusses kurz nach der Veröffentlichung hin (s. hier). Ich habe die korrigierte Fassung in meinem Blog zitiert...

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