Höchststrafe für Anders Behring Breivik - aber Fragen bleiben

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 25.08.2012

Dass ein zur Höchststrafe von 21 Jahren Haft plus Sicherungsverwahrung Verurteilter ein solches Urteil mit einem Lächeln entgegennimmt (Video bei SPIEGEL ONLINE), es sogar als große Genugtuung empfindet und deshalb kein Rechtsmittel einlegen will, ist die bisher letzte große Besonderheit im Zusammenhang mit dem schwersten Verbrechen in Norwegen seit 1945.

 

Der Rechtsstaat hat gewonnen, verloren aber hat die Rechtspsychiatrie, nachdem die zwei vom Gericht in Auftrag gegebenen psychiatrischen Gutachten zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind. Das eine diagnostizierte eine Psychose (paranoide Schizophrenie; dem schloss sich die Staatsanwaltschaft an), das andere nicht (dem hat sich das Gericht angeschlossen). Der Gutachterstreit (hier zur im beck-blog bereits im Vorfeld des Urteils geführten Diskussion ) im Vorfeld des Prozesses hat in Norwegen Zweifel an der Praxis geschürt, zentrale Entscheidungen im Strafprozess in die Hände von Psychiatern zulegen. Im Zusammenhang mit dem Breivik-Urteil wird diese bei uns schon früher einmal heftig geführte Diskussion vermutlich alsbald wieder hochkommen.

 

Ungeklärt ist nach wie vor, wie sich Breivik im Internet derart radikalisieren konnte. Unbeantwortet bleibt die Frage, wie weit der Hass auf den Islam in Europa in der Gesellschaft bereits angekommen ist? Schließlich: Wie kann es einen „homegrown terrorism“ in einer der offensten und liberalsten Gesellschaften wie Norwegen geben?

 

Breivik mit seinen abstoßenden Posen und einem letzten Wort, das die Richerin ihm abschnitt (bei uns bislang  nicht vorstellbar), kann man für immer wegschließen, nicht aber seine kruden Botschaften. Ein Schlussstrich kann so gesehen noch lange nicht gezogen werden. Die 77 toten Opfer nehmen uns alle gegen die Gegner von Freiheit und Demokratie in die Verantwortung.

 

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13 Kommentare

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Ein psychiatrisches Gutachten, das zeitnah nach der Tat erstellt wurde und auch die Jahre vor der Tat aus Breiviks Leben mit einbezog, kam zu dem Ergebnis, dass Breivik an Schizophrenie leide. Dieses Gutachten wurde von der zuständigen, norwegischen Expertenkommission anerkannt. Ein zweites Gutachten, das ausschließlich auf Befragungen Breiviks mehr als ein halbes Jahr nach der Tat beruht, kam zu dem Ergebnis, dass Breivik an einer schweren Persönlichkeitsstörung leide aber nicht psychotisch sei. Dieses Gutachten wurde von der zuständigen, norwegischen Expertenkommission als fachlich mangelhaft abgelehnt. Insofern kann ich die Einschätzung von Herrn Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, dass der Rechtsstaat gewonnen hätte, nicht so recht nachvollziehen. Ebenso kann ich die Einschätzung der Osloer Richterin nicht nachvollziehen, sie halte es für „prinzipiell bedenklich, Verbrecher von Schuldfähigkeit freizusprechen, indem man ihre Gesinnung für krankhaft erklärt“. (http://www.focus.de/politik/ausland/gerichtsurteil-in-norwegen-massenmoerder-breivik-bekommt-hoechststrafe_aid_805752.html) Wer hat denn Breiviks Gesinnung für krankhaft erklärt? Die Ersteller des ersten Gutachtens erklärten Breivik aufgrund von Wahnvorstellungen, für die es bereits Jahre vor der Tat Hinweise gab, für unzurechnungsfähig und nicht aufgrund irgendeiner "Gesinnung". Auf der anderen Seite kritisiert die Richterin die Ersteller des ersten Gutachtens, ihr Gutachten würdige Breiviks politische Einstellung nicht ausreichend. Ja was denn nun?

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Wenn man selber im Umkreis erlebt wie schnell Psychiater die Diagnose paranoide Schizophrenie geben und andere Fachleute aber ein schwerstes Trauma später diagnostizieren, sieht man welchen Wert solche Diagnosen haben.

 

Wenn ein Täter wirklich unter Schizophrenie leidet, ist er nicht imstande über Jahre hinweg konsequent solche Verbrechen zu planen und geheim zu halten und auszuführen.

Meiner Meinung hat der Rechtsstaat nicht gewonnen , denn unter einem gutem Rechtsstaat verstehe ich, dass Behörden vieles verhindern hätten können.

Ich denke, dass noch Zivilprozesse folgen werden, dass Opfer oder Hinterbliebene Schadenersatz oder andere Hilfen vom Staat erkämpfen müssen, wie bei uns nach dem Opferentschädigungsgesetz. Es gibt doch bestimmt noch Opfer , die nie körperlich  vollständig gesunden und viel Hilfe brauchen.

 

Verbrecher von Schuldfähigkeit freizusprechen wegen psychischer Krankheit  ist ein sehr bedenkliches Recht. Wie ist bei uns das Recht in so einem Fall ?

 

Welche Symptome, die typisch für paranoide Schizophrenie sind,  hat denn Hr. Breivik gezeigt ?

 

 

ICD10  F20,0

Die paranoide Schizophrenie ist durch beständige, häufig paranoide
Wahnvorstellungen gekennzeichnet, meist begleitet von akustischen
Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen. Störungen der Stimmung,
des Antriebs und der Sprache, katatone Symptome fehlen entweder
oder sind wenig auffallend.

http://www.icd-code.de/icd/code/F20.0.html

 

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Menschen, die unter Schizophrenie leiden, können durchaus - innerhalb ihrer Wahnvorstellung - über Jahre hinweg konsequent planen. Herr Breivik hat mehrere sehr typische Symptome einer Schizophrenie gezeigt. Diese wurden im ersten Gutachten sehr gut beschrieben. Dazu gehört z.B., dass Breivik sich eine Parallelwelt erschaffen hat (Organisationen, die es nicht gibt, Ereignisse, die nie stattgefunden haben...) an deren Existenz er wirklich glaubt.

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Gegen das Gutachten hatten aber nicht nur Angehörige von Opfern und Überlebende der Attentate protestiert. Auch unter Experten gab es von Anfang an Zweifel an dieser Einschätzung. Vor allem die langfristige systematische Planung und Organisation der Taten wurden als Argument gegen eine floride Schizophrenie angeführt.

 

http://www.aerztezeitung.de/panorama/article/820337/urteil-massenmoerder-breivik-toetete-klarem-bewusstsein.html

 

Leider steht hier nichts Näheres über die  Gutachten.

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Stundenlang rechnet Arntzen mit den Erstgutachtern Torgeir Husby und Synne Sørheim ab, die bei Breivik eine paranoid-schizophrene Psychose diagnostiziert hatten. Seine Ansichten über die heimliche Machtübernahme der islamischen Einwanderer, den Bürgerkrieg, den er aufziehen sah - all das sahen die Forensik-Experten als Beleg für seine bizarre Wahnvorstellungen.

 

 

Arntzen weist das zurück. "Ist das pathologischer oder politischer Extremismus?", fragt sie - und gibt darauf eine klare Antwort: "Es gibt eine ganze Reihe anderer Menschen, die diese Ansichten vertreten", zitiert sie die Zweitgutachter, die Breivik für zurechnungsfähig halten. Da ist sie, die schmerzliche Erkenntnis, die Arntzen ihren Mitbürgern an diesem Freitag präsentiert: Es existiert ein rechter Extremismus, der gefährlich ist, der Gewalt hervorbringt - und dessen ideologische Grundlagen in einem Teil der Bevölkerung vorhanden sind.

 

Auch der Generalstaatsanwalt Tor Aksel Busch geriet unter Druck. Er habe einseitig auf das Gutachten gesetzt, das Breivik für geisteskrank erklärt. "Er muss sofort zurücktreten", forderte Per Egil Hegge, ein landesweit bekannter Kommentator.

Norwegens Stolz auf den Prozess

Hegge ist es auch, der nun eine verstärkte Auseinandersetzung mit den islamfeindlichen Ideologen fordert. Einer von ihnen publiziert im Internet unter dem Namen Fjordman, eigentlich heißt er Peder Jensen. Richterin Arntzen erwähnt ihn persönlich, brandmarkt ihn als Lieferant für Breiviks tödliche Überzeugungen. "

 

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/breivik-urteil-richterin-arntzen-warnt-vor-hass-a-851980.html

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Ich finde der Gesetzgeber und Verfassungschutz sollten bei uns mehr gegen Hetzer in unserem  Staat  vorgehen, dann hätten radikale Islamisten , kriminelle Neo Nazies weniger Unheil ( inklusive Morde ) anrichten können. 

 

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Die größte Zeitung Übertreibt sehr häufig.

 

Wenn die Behauptung  stimmt , hat die Richterin recht mit ihrem Urteil.

 

Ein Gefängnis-Sprecher in Ila bestätigte, dass „Breivik mehr als 600 Briefe erhielt und in einem intensiven Briefwechsel mit Extremisten in Norwegen und im Ausland steht.

Die Nutzung des Internets ist Breivik zwar verboten – doch hat die Gefängnisleitung eine Offline-Version des offenen Lexikons Wikipedia auf seinen Computer installieren lassen, in der er lesen darf.

Zudem ist es Breivik erlaubt, auf dem Postweg zu kommunizieren, auch mit gleichgesinnten Radikalen, die seine Ansichten auf ihren rechtsextremistischen Seiten online stellen können – und dies auch bereits tun!

 

Warum wird so etwas zugelassen ?

 

http://www.bild.de/news/ausland/norwegen-massaker/breivik-hass-briefe-aus-dem-gefaengnis-25876586.bild.html

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JBY.bernd.heintschel-heinegg schrieb:
Schließlich: Wie kann es einen „homegrown terrorism“ in einer der offensten und liberalsten Gesellschaften wie Norwegen geben?
Ich fürchte, man darf sich über die menschliche Natur nicht zu viele "Gutmenschen-Illusionen" machen.

Wenn ein Land, das von großen Umwälzungen verschont blieb und eine sehr homogene einheimische Bevölkerung aufweist, "plötzlich" Einwanderer aus anderen Kulturkreisen, insbesondere solche mit fremdem Aussehen und fremden Bräuchen aufnimmt und diese wegen der liberalen Gesellschaft keinem Assimilierungsdruck ausgesetzt sind, entsteht mMn grundsätzlich Konfliktpotenzial.

Das - nicht zuletzt Sicherheit stiftende - Streben nach Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe und die Bereitschaft, dies durch Anpassen des Äußeren zu dokumentieren, sind natürliche menschliche Verhaltensweisen (Tracht, Mode, Kleidungsstil, Frisur etc.). Vorbehalte gegenüber anderen - insbesondere anders Aussehenden - sind ebenfalls natürlich ("der gehört nicht zu uns"). Ob eine sich fremd gebende und/oder kleidende eingewanderte Gruppe bei der "Urbevölkerung" zwangsläufig Fremdenfeindlichkeit erzeugt, ist umstritten; da entsprechende Ideologien nun aber bereits seit längerem in der Welt sind (auch im besetzen Norwegen gab es Freiwillige, die sich zur SS meldeten) und in Norwegen wie im Rest Skandinaviens eugenisch motivierte Zwangssterilisationen bis in die 1970er Jahre durchgeführt wurden (zur Erhaltung der "Volksgesundheit" sozusagen), gibt es dort sicher eine Minderheit, die Einwanderer anderen Glaubens oder Aussehens nicht akzeptiert.

Der Jugoslawienkrieg hat leider demonstriert, dass nicht einmal persönliche Bekanntschaft vor einer Abgrenzung nach Pseudokriterien und gegenseitigem Massakrieren schützt, wenn nur die Indoktrination wirksam genug ist. Eine Radikalisierung bis zum Terrorismus ist in Zeiten des Internet viel einfacher als früher, da man die zur eigenen Ideologie passenden "Informationen" sowie noch extremere Ansichten leichter findet als noch vor 15 Jahren.

Zu meiner in den ersten beiden Kommentaren kritisch aufgegriffenen Formulierung, der Rechtsstaat habe gewonnen, will ich erläutern, dass ich beim Schreiben dabei nur an den durchgeführten Strafprozess und nicht die Versäumnisse der Sicherheitsbehörden gedacht habe.

Leider kann ich auf den für mich überzeugenden Beitrag von Gisela Friedrichsen im aktuellen SPIEGEL Nr. 35 vom 27.8.2012 S. 98 nicht verlinken. Treffend schreibt sie: Das Gericht brach mit der gängigen Praxis, zum einen sich einfach dem psychiatrischen Gutachter anzuschließen und zum anderen Straftäter im Zweifel in die Psychiatrie einzuweisen. So gesehen hat der Rechtsstaat aus meiner Sicht gewonnen.

Noch etwas: Friedrichsen zitiert den letzten Satz im Zuge des "letzten Worts" des Angeklagten (wie ich es aus den Fernsehnachrichten kannte, aber in den Zeitungsberichten nicht zitiert fand), bevor ihn die Richterin unterbrach: "Ich möchte mich bei allen militanten Nationalisten dafür entschuldigen, dass ich nicht fähig war, mehr zu exekutieren."

 

Kann man die Morde von Breivik und Dutroux vergleichen ?

Wieviele Morde muß ein Täter tätigen , so dass er das ganze Leben im Gefängnis verweilen muß ?

 

Ist davon auszugehen, dass Breivik auch nach einigen Jahren begnadigt wird wie die Dutroux Komplizin ?

 

http://www.sueddeutsche.de/panorama/einwand-gegen-freilassung-abgelehnt-dutroux-komplizin-darf-gefaengnis-verlassen-1.1452180 

 

 

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Ich nehme an, dass bei der Freundin von Dutroux keine Sicherheitsverwahrung im Anschluss an die Haftstrafe angeordnet worden war?

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Natürlich sind die Fälle Breivik und Dutroux vergleichen. Die vorzeitige Entlassung der früheren Ehefrau und Komplizin von Marc Dutroux enthält aber auch spezifisch eigene Komplexe. Deshalb werde ich noch heute Abend einen entsprechenden Startbeitrag einstellen.

Ob wir die Parallelen hier oder im folgenden Blogbeitrag diskutieren, mag jeder für sich entscheiden.

Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) warnt vor einer Eskalation der Gewalt zwischen islamfeindlichen und salafistischen Gruppen in Deutschland. „Es ist unverantwortlich, was da passiert“, sagt Jörg Ziercke in der ZDF-Dokumentation „ZDFzeit: Deutschland in Gefahr? – Kampf gegen den Terror“, die am Dienstag, 4. September 2012, 20.15 Uhr, ausgestrahlt wird. Das BKA sehe die wachsende Islamfeindlichkeit mit großer Sorge. Durch die Provokationen von ProNRW, ProDeutschland und auch der NPD werde „die Szene weiter aufgeschaukelt“. Die Rechtsextremen wollten offenbar bewusst Gewaltaktionen von salafistischen Gruppierungen auslösen. „Hier ist das Spiel mit dem Feuer ganz eindeutig“, so Ziercke. „Wer Karikaturenwettbewerbe in Deutschland durchführt, wer Moscheen-Touren veranlasst, der weiß, was er tut.“

Auch bei den islamfeindlichen Gruppen gibt es ein zunehmendes Gewaltpotenzial, wie die ZDF-Dokumentation berichtet. Einige Anhänger werfen Regierung und Behörden „Kollaboration mit dem Islam“ vor und berufen sich mit Hinweis auf den Artikel 20 des Grundgesetzes auf ein Recht zum „bewaffneten Widerstand“. Außerdem gibt es in der Szene Sympathien für den norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik.

 

http://www.focus.de/kultur/diverses/fernsehen-islamhass-unverantwortlich-und-hoechstgefaehrlich-bka-chef-warnt-im-zdf-vor-eskalation-rechtsradikale-geben-breivik-recht_aid_812135.html   
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