Die große Kronzeugenregelung - eine beschlossene Sache?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 25.05.2009

In dieser Woche noch soll der Bundestag (zusammen mit dem Gesetzentwurf zum "Deal") über die  weitestgehende Kronzeugenregelung beschließen, die das deutsche Strafrecht und Strafverfahrensrecht bisher kannte. Die "kleinen" Regelungen betrafen bisher nur OK, Terrorismus und - praktisch sehr bedeutsam - das Betäubungsmittelstrafrecht. Nun soll in § 46b StGB eine ganz umfassende Regelung eingeführt werden.

Zunächst die geplante Gesetzesfassung (sie wird ergänzt durch spezifisch höhere Strafdrohungen in § 145d und 164 StGB für den Fall, dass der Kronzeuge lügt, um Strafmilderungen zu erhalten); im Anschluss habe ich die jeweilige Kernaussage der im Bundestag angehörten Sachverständigen zitiert. Die gesamten Stellungnahmen sind hier abrufbar.

Gesetzentwurf

§ 46b StGB
Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten
(1) Wenn der Täter einer Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe
oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist,
1. durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat,
dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung aufgedeckt werden
konnte oder
2. freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, dass eine Tat
nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung, von deren Planung er weiß, noch
verhindert werden kann,
kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern, wobei an die Stelle ausschließlich
angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe nicht unter zehn
Jahren tritt. Für die Einordnung als Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten
Freiheitsstrafe bedroht ist, werden nur Schärfungen für besonders schwere Fälle und
keine Milderungen berücksichtigt. War der Täter an der Tat beteiligt, muss sich sein
Beitrag zur Aufklärung nach Satz 1 Nr. 1 über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken.
Anstelle einer Milderung kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die Straftat
ausschließlich mit zeitiger Freiheitsstrafe bedroht ist und der Täter keine Freiheitsstrafe
von mehr als drei Jahren verwirkt hat.
(2) Bei der Entscheidung nach Absatz 1 hat das Gericht insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und den Umfang der offenbarten Tatsachen und deren Bedeutung für die
Aufklärung oder Verhinderung der Tat, den Zeitpunkt der Offenbarung, das Ausmaß
der Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden durch den Täter und die
Schwere der Tat, auf die sich seine Angaben beziehen, sowie
2. das Verhältnis der in Nummer 1 genannten Umstände zur Schwere der Straftat
und Schuld des Täters.
(3) Eine Milderung sowie das Absehen von Strafe nach Absatz 1 sind ausgeschlossen,
wenn der Täter sein Wissen erst offenbart, nachdem die Eröffnung des
Hauptverfahrens (§ 207 der Strafprozessordnung) gegen ihn beschlossen worden
ist."

Stellungnahmen der Sachverständigen im Bundestag:

Prof. Dr. Peter-Alexis Albrecht (Universität Frankfurt a.M.):
"Es gibt auf der Pro-Ebene kaum überzeugende Argumente. Es läuft alles auf ein erodierendes Abschleifen rechtsstaatlicher Prinzipien hinaus, woran das rechtsstaatliche Strafrecht über kurz oder lang zerbrechen wird. Der Tausch „Ermittlungs- oder Präventionshilfe" gegen Strafmilderung im Hauptverfahren ist ein schwerer Verstoß gegen das Schuldprinzip und verkehrt auch das Prinzip der Generalprävention in sein Gegenteil: Wer viele Verbrechen begeht, hat viel Verhandlungsmasse als Kronzeuge. Derartige „Aufklärungsmöglichkeiten" produzieren im kriminellen Milieu mehr Abschottung und Absicherung gegen Verrat. Der Zuwachs an Wahrheitsfindung wird überlagert durch eine Grundtendenz dauerhafter Fremdbezichtigung und führt zu Erschwernissen  gerichtlicher Nachprüfung solcher vorteilsintendierter Aussagen."

OStA Christoph Frank (Deutscher Richterbund):
"Privilegiert wird also nicht nur der Aussteiger aus einer kriminellen Organisation oder zumindest aus einem kriminellen Umfeld, sondern jeder
Täter, der Wissen über irgendwelche fremde Taten hat. Es steht zu befürchten, dass Beschuldigte solches Wissen für den Fall der Entdeckung ihrer eigenen Taten vorhalten, um eine dann nicht mehr schuld- und tatangemessene gemilderte Strafe zu erhalten. Dies widerspräche den Grundsätzen einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Strafzumessung."

RA Dr. Alfred Dierlamm (Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer):
"Die vorgeschlagenen Regelungen greifen schwerwiegend in das Legalitäts- und Öffentlichkeitsprinzip des Strafverfahrens sowie den Gleichheits- und Schuldgrundsatz im Strafzumessungsrecht ein.
Sie fördern die polizeilichen Einflussmöglichkeiten auf die Freiheit der Willensbetätigung des Beschuldigten durch das Lockmittel erheblicher Strafmilderung.
Sie provozieren Falschbelastungen und Fehlurteile, da der „Kronzeuge" um in den Genuss der Strafmilderung zu kommen, „ohne Not" Dritte mit angeblichen Taten belasten kann, an denen er selbst gar nicht beteiligt war.
Sie führen zu einer gegen das Beschleunigungsgebot verstoßenden Aufblähung und Verlängerung der Hauptverhandlung und damit zu einer unabsehbaren Mehrbelastung der Justiz, da das Gericht für seine Überzeugungsbildung vom Eintritt des Aufklärungserfolges die Beweisaufnahme auf das Verfahren gegen den Belasteten erstrecken muss, mithin Beweiserhebungen vornehmen muss, die mit den dem Angeklagten gemachten Vorwürfen in keinerlei Zusammenhang stehen.
Sie begünstigen Bespitzelung und Denunziantentum."

Prof. Dr. Florian Jeßberger (HU Berlin):
"Die im Entwurf vorgesehene Schaffung einer besonderen Strafzumessungsregel im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs (§ 46b StGB-E) ist - ungeachtet einiger Bedenken im Detail - der im Ansatz richtige Weg, um die Praxis der Honorierung kooperativen Verhaltens des Beschuldigten auf eine allgemeine gesetzliche Grundlage zu stellen. Insbesondere ist die Entwurfsregelung der Schaffung weiterer sog. bereichsspezifischer Kronzeugeneregelungen vorzuziehen."

Dr. Stefan König (Strafrechtsausschuss Deutscher Anwaltverein):
"Die vorgeschlagene Regelung entfernt die Strafe von ihrer Funktion, gerechter Schuldausgleich zu sein, indem sie auch demjenigen Milderung verspricht, der über Straftaten Informationen liefert, an denen er überhaupt nicht beteiligt war. Die eigentlichen Profiteure werden Mörderinnen und Mörder sein, die über ihre Mordtat hinaus in kriminelles Milieu verstrickt sind."

RiAG Dr. Jerome Lange (JuMin Saarland):
"Was die Konzeption des Entwurfs anbelangt, so halte ich sie für gelungen und gegenüber einer Vielzahl an bereichsspezifischen kleinen Kronzeugenregelungen für vorzugswürdig, zumal nur eine umfassende Regelung alle Fälle, in denen ein praktisches Bedürfnis auftreten kann, abdeckt und zugleich durch die Anknüpfung an den Katalog des § 100a StPO eine breite Palette an Delikten angesprochen wird, die nach der Wertung des Gesetzgebers schweres und schwerstes Unrecht normieren, deren Aufklärung prinzipiell schwierig ist und an dessen Aufklärung ein erhöhtes Interesse besteht."

Dr. Jens Peglau, RiOLG Hamm:
"In den in Betracht kommenden Verfahren
haben die Beschuldigten - nach meinem Eindruck - bei Offenbarung von Kronzeugenwissen häufig Gefahr für Leib oder Leben für sich bzw. für Familienmitglieder zu fürchten. Entsprechend groß müsste in diesen Fällen also der Anreiz sein, trotz der genannten Gefahren weiteres Wissen zu offenbaren. Diesen Anreiz zu schaffen, ist die vorgeschlagene Kronzeugenregelung grundsätzlich - insbesondere bei hohen Mindeststrafen oder bei im Gesetz angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe - geeignet."

Ich persönlich habe arge Bedenken - eine solche Kronzeugenregelung  bedeutet die weitgehende Aufgabe wichtiger Prinzipien und begünstigt möglicherweise gerade diejenigen, an deren harter Bestrafung die Gesellschaft am ehesten interessiert sein dürfte.

 

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5 Kommentare

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Grundsätzlich wird man zwar die Möglichkeit von Deals hinnehmen müssen, um auch Informationen aus wirklich abgeschotteten Bereichen zu erlangen. In diesem Umfang halte ich das jedoch für zu viel. Die Möglichkeit von Deals sollte zum einen nicht bei allen Tatbeständen des § 100a II StPO (der eh schon fast wie ein Inhaltsverzeichnis des StGB anmutet) gegeben sein. Zum anderen müssen die Fälle konkret auch besonders schwer wiegen bzw. ein besonderes Aufklärunginteresse beinhalten.

Wird Leib oder Leben des Kronzeugen oder seiner Familie bedroht, dürfte die Vergünstigung eh schon sinnfrei sein. Im Gefängnis wird er gerade von Personen aus dem entsprechenden Milieu umgeben sein und seine Familie erhält keinen weitergehenden Schutz.

Zumal lediglich die Möglichkeit der Strafmaßreduktion besteht - der Beschuldigte kann sich also auch nicht endgültig sicher sein. Ich wage mal zu behaupten, dass diese "Deals" maßgeblich im Bereich der Kleinkriminellen stattfinden werden und sich der Kosten/Nutzen-Faktor bestenfalls auf 0 einpendelt.

Man mag von der Kronzeugenregelung halten, was man will, aber es ist schon erstaunlich, dass die Politik hier handlungsfähig zu sein scheint und Straftätern Schutz gewährt, während Whistleblowern (vgl. http://www.whistleblower-net.de) aus Wirtschaft und Verwaltung der nötige Schutz versagt bleibt.

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Vielleicht will man ja warten, bis diese in eine Straftat verwickelt worden sind, um sie dann mit einem Deal "effektiver" zu ködern?

Wo genau sind sind denn die Stellungnahmen abrufbar. Ich versuche es schon seid Taten. Aber ich werde aus der Seite des Bundestags nicht schlau

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