Wenn Gesetzgeber und Justizminister-in Fehler machen, dann gibt es kein Pardon (Besitz von Kinderpornographie)

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 30.08.2023

Lehrerin angeklagt wegen Besitz von Kinderpornographie - muss sie ein Jahr Mindeststrafe befürchten?

1. Vorgeschichte

Im Jahr 2021 hat der Bundestag eine (weitere) Verschärfung des Sexualstrafrechts beschlossen. Man wollte wohl irgendetwas tun, um auf scheußliche Verbrechen zu reagieren, die unter Ortsnamen wie "Lügde" oder "Bergisch Gladbach" bekannt geworden waren. Auch wenn in diesen Fällen eine erhöhte Bestrafung ohnehin unproblematisch möglich war, meinten einige Politiker, man solle der (berechtigten) Empörung der Bevölkerung nachgeben, um vermeintlich bisher unerfüllbare Strafbedürfnisse auch mit irrationalen Mitteln zu befriedigen.

Neben anderen Regelungen wurde § 184 b StGB (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte) in der Strafdrohung erheblich verschärft. Die Mindeststrafe wurde von 3 Monaten Freiheitsstrafe auf 1 Jahr Freiheitsstrafe erhöht und damit der Tatbestand zum Verbrechenstatbestand hochgestuft. Auch die unternehmensdeliktischen Anteile des Tatbestands (beim Unternehmensdelikt führt schon der bloße Versuch zur Vollendung, Rücktritt ist ausgeschlossen) sind seither mit Verbrechensstrafe belegt. Eine Differenzierung unterhalb dieser Strafe ist nicht vorgesehen.  Die Anhebung zum Verbrechenstatbestand (ohne Regelung eines minder schweren Falls) bedeutet zugleich, dass keine Einstellung im Ermittlungsverfahren mehr möglich ist und auch kein Strafbefehlsverfahren.

Aus der Begründung des Regierungsentwurfs (BT Drs 19/23707, S. 2):

„Auch wer Videos und Fotos verbreitet oder besitzt, die sexualisierte Gewalt gegen Kinder zeigen, macht sich mitschuldig an schlimmsten Misshandlungen von Kindern. Die Verbreitung, der Besitz und die Besitzverschaffung von Kinderpornographie sollen daher ebenfalls als Verbrechen eingestuft werden. Mit einer Anhebung der Strafrahmen der Straftatbestände der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und der Kinderpornographie soll darüber hinaus die Bewertung solcher Taten als schweres Unrecht deutlicher im Strafrahmengefüge herausgestellt und den Gerichten ein ausreichender Handlungsspielraum zur tatangemessenen Ahndung solcher Taten eröffnet werden.“

 

Es gab  – auch zu den anderen Regelungen des Regierungsentwurfs – damals hektisch eingeholte Stellungnahmen, die zum Teil auf die hier schon angedeutete Kritik eingingen (alle Stellungnahmen sind HIER verlinkt).

Hier ein paar Auszüge:

„Exemplarisch zeigt der Entwurf, wie man seit geraumer Zeit populistischen Strömungen und Argumentationen erliegt; sie sind leider auch in manchen anderen westlichen Ländern zu beobachten; tendenziell vertieft sich dort wie hier die Kluft zwischen Kriminalpolitik und Wissenschaften. (…) Diese Lücke in der Rechtsfolgenbestimmung führt zu dem bekannten Dilemma, in welches der Gesetzgeber offenbar wissentlich die Rechtsanwender führt: Entweder müssen sie in konkreten Fällen weitaus geringerer Schwere unverhältnismäßige Übermaßstrafen verhängen; dann werden absehbar Verfassungsbeschwerden das Bundesverfassungsgericht zu Korrekturen veranlassen wie schon bei den §§ 211, 217 StGB und § 29 BtMG. Oder sie wählen Ausweich- bzw. Umgehungsstrategien, an denen der Ruch von Rechtsbeugung haftet; solches wurde von uns früher etwa nachgewiesen, als das „Lebenslang“ noch gesetzlich unausweichlich war. (…) Die international geführte kritische Debatte um „Besitzbestrafung“ scheint den Entwurfsverfassern unbekannt oder unbeachtlich. Dieser Fehlkonstruktion wird noch eine Krone aufgesetzt: Auch für das „Verbrechen“ des § 184b Abs. 3 wird kein „minder schwerer Fall“ vorgesehen, so dass bereits bloß versuchte Besitzverschaffung – also z.B. das genannte Eingeben eines Links zu einem pornografischen Inhalt – als Verbrechen eine Mindeststrafe von einem Jahr nach sich zieht und eine Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit ausschließt. (Prof. Dr. Arthur Kreuzer, Stellungnahme)

 

„Der erhoffte präventive Effekt der Neuregelung wird nicht erreicht werden, sondern im Gegenteil jetzige präventive Instrumente noch gefährden. Ganz allgemein zählt zu den wenigen gesicherten kriminologischen Erkenntnissen, dass Abschreckung durch härtere Strafen nicht wirkt.“ (aus Stellungnahme der DVJJ)

„Auch die unterschiedslose Erhebung jedweden Umgangs mit kinderpornographischen Inhalten zu Verbrechenstatbeständen (§ 184b StGB-E) verhindert nicht nur eine den Umständen des Einzelfalls entsprechende angemessene Bestrafung, sondern wird auch hier zu einer erheblichen Mehrbelastung der Justiz durch Hauptverhandlungen führen.“ (Stellungnahme BRAK)

 

„Auch bzgl. der beabsichtigten Strafschärfung der Straftatbestände der Kinderpornographie sind erhebliche Bedenken angezeigt. Auch hier gibt es eine breite Palette von Vorwürfen, was Qualität und Quantität betrifft, insbesondere in Zusammenhang mit der Handlungsvariante des Besitzes. Schwerwiegende, den Grundtatbestand ohnehin übersteigende Fälle, eignen sich nicht, um schon den Grundtatbestand derart hochzustufen, dass keine Variabilität und Flexibilität mehr für Staatsanwaltschaften und Gerichte gegeben ist, angemessen auf geringfügige Delikte zu reagieren. Dass auf das einmalige Herunterladen einer vereinzelten kinderpornographischen Datei mit einer Mindeststrafe von einem Jahr reagiert werden muss, erscheint nicht nachvollziehbar und nicht sachgerecht.“ (DAV Stellungnahme).

2. Der Fall

Der konkrete Fall, der derzeit diskutiert wird, erscheint gar nicht so abwegig, aber er wurde offensichtlich im Gesetzgebungsverfahren nicht vorhergesehen. Er dokumentiert indes sehr gut, wie schwer es der Justiz mit  irrationalen Gesetzesverschärfungen mitunter gemacht wird, wirklich gerechte Entscheidungen zu treffen:

Eine 13jährige soll ein Video kinderpornographischen Inhalts von sich selbst erstellt haben und ihrem Freund geschickt haben, der dieses Video in der Folge an Mitschüler weiterverbreitet haben soll. Eine Lehrerin hatte davon erfahren und sich das Video verschafft, um auf diesen Fall (pädagogisch) zu reagieren. (hier ausführliche Fallschilderung im Bericht der Tagesschau)

Sie hat sich also vorsätzlich den Besitz an einem kinderpornographischen Video verschafft. Im nun eingeleiteten Ermittlungsverfahren  kann die Staatsanwaltschaft angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts, der auf (hehre) Motive des Besitzes keine Rücksicht nimmt, nicht anders, als dieses Verbrechen anzuklagen. Und – dies wird jedenfalls in einigen Stellungnahmen so dargestellt – das Gericht wird ebenfalls nicht anders können, als zumindest ein Jahr Freiheitsstrafe zu verhängen. Daran anschließend ebenso zwingend ergäben sich die beamtenrechtlichen Folgen nach Verurteilung zu (mind.) einem Jahr Freiheitsstrafe. Die verbeamtete Lehrerin würde aus dem Dienst entfernt mit allen weiteren Folgen.

Es zeigt sich hier zweierlei:
Einerseits, dass das Gesetz seit 2021 (ohne Einschränkung) den vorsätzlichen Besitz auch nur eines einzigen kinderpornographischen Bildes oder Videos (Altersgrenze der dargestellten Person ist 14), ja schon den bloßen Versuch einer Besitzverschaffung als Verbrechen bestraft und zwar unabhängig vom Motiv zu diesem Besitz.
Andererseits ist man sich hier (aber auch in anderen Konstellationen) wohl einig: Das Gesetz in diesem Fall anzuwenden und die Lehrerin zu einem Jahr Freiheitsstrafe zu verurteilen, stellte eine (himmelschreiende) Ungerechtigkeit dar. Weder dem Sinn und Zweck des Tatbestands noch dessen Verschärfung wäre hiermit gedient.

Nun wird der Gesetzgeber wiederum aufgefordert, für Abhilfe zu sorgen. Im konkreten Fall könne man ja dann evtl. das Verfahren so lange hinauszögern, bis § 184b StGB geändert würde. Der inzwischen neu zusammengesetzte Bundestag könne ja erneut die Vorschrift ändern und z.B. einen minder schweren Fall einführen, der dann auch auf die noch nicht rechtskräftig entschiedenen Verfahren Anwendung finden könne. Die bloße Einführung eines "minder schweren Falls" würde aber noch nichts an der Verbrechensnatur ändern [zutr. Hinweis s.u.]. Erst bei Absenkung auf eine Mindeststrafe unterhalb der Verbrechensstrafe könnte auch wieder (angemessen) strafverfahrensrechtlich reagiert werden, etwa mit § 153a StPO.

Für den konkreten Fall steht allerdings noch eine andere Möglichkeit im Raum: Es liegt nahe, dass die Lehrerin das strafrechtliche Verbot des Besitzes von Kinderpornographie in ihrem Fall gar nicht für anwendbar hielt. Sie hat sich zwar vorsätzlich Besitz verschafft, aber nicht aus sexuellen Motiven, sondern um diesen Fall selbst aufzuklären bzw. einer pädagogisch angemessenen Lösung zuzuführen. Dass eine juristische Bewertung diesen Umstand nicht berücksichtigt, können sich Viele nicht vorstellen. Hier könnte also ein – wenn auch vermeidbarer – Verbotsirrtum der Lehrerin vorliegen. Damit kann aber nach §§ 17 S. 2, 49 Abs.1 StGB die Strafe auf (mind.) 3 Monate reduziert werden, nach § 47 Abs.2 StGB ergäbe sich daraus eine Mindest-Geldstrafe von 90 Tagessätzen, die etwa auch als Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) ausgesprochen werden kann. Der Schuldspruch bliebe zwar erhalten, jedoch stellte dies wohl eine angemessene Reaktion dar.

Unabhängig davon, ob diese Lösung hier ergriffen wird bzw. ob die Voraussetzungen vom Gericht als gegeben angesehen werden, soll aber noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Hätte dieselbe Lehrerin, um sich sexuell zu erregen, einen Schüler aufgefordert, sich vor ihr zu entblößen oder vor ihr zu masturbieren, oder hätte sie sich selbst vor einem Schüler entblößt oder sexuelle Handlungen vorgenommen, hätte das ganz andere strafrechtliche Folgen gehabt. Die Mindeststrafe für den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen – in der Variante des § 174 Abs.3 StGB –  ist „Geldstrafe“, nach § 174 Abs.5 StGB  kann das Gericht in einem solchen Fall sogar von Bestrafung ganz absehen, „wenn das Unrecht der Tat gering ist“.

Der eklatante Wertungswiderspruch – Mindeststrafe ein Jahr schon bei der bloß versuchten Besitzverschaffung von Kinderpornographie ohne Rücksicht auf das Motiv – einerseits,
Absehen von Strafe möglich bei realem sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen mit sexueller Motivation andererseits, erscheint mir jedenfalls jenseits jeder Rationalität.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

20 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Vielen Dank für Ihre Ausführungen, zu denen ich nur einen Punkt anfügen möchte:

Auch bei der Einführung eines minderschweren Falles wäre eine Einstellung nach § 153 StPO oder § 153a StPO nicht möglich. Beide Normen sind nur bei Vergehen anwendbar. Die Rechtsnatur eines Deliktes, ob es sich um ein Verbrechen oder ein Vergehen handelt, wird durch Schärfungen oder Milderungen nicht berührt, § 12 Abs. 3 StPO. 

Um für Fälle einer (ggf. verfehlten, jedenfalls aber ungeschickten) erzierischen Intervention, der - wie im geschilderten Fall - keinerlei kriminelles Unrecht innewohnt, eine Möglichkeit der Einstellung zu eröffnen, müsste der Gesetzgeber die Mindesstrafe wieder unter ein Jahr senken.

0

Schutzzweck des § 184b StGB ist die Verhinderung von Kindesmissbrauch und sexueller Gewalt an Kindern. Der Besitz der Lehrerin liegt offensichtlich völlig außerhalb des verfolgten Schutzzwecks der Norm. Ich kann nicht erkennen, aus welchem Grund eine teleologische Auslegung nicht dahingehend möglich sein soll, dass diese Art von Besitz nicht zu dem strafbaren Besitz gehört.

Auch kommt niemand auf den Gedanken, den Besitz an kinderpornografischem Material als strafbaren Besitz zu sehen, wenn es sich in den Verfahrensakten oder in der Verteidigerakte befindet.

0

Sehr geehrter Herr Kolos,

die von Ihnen geschilderten Besitzsachverhalte sind nach § 184b Abs.5 StGB von der Strafbarkeit ausgeschlossen. Das Ansinnen der Lehrerin, nach Anschauen des Videos durch Information der Eltern  pädagogisch tätig werden zu wollen, ist -ganz abgesehen von der Sinnhaftigkeit dieser Absicht - jedenfalls keine "berufliche Pflicht" der Lehrerin.

Aus der Regelung des Abs.5 lässt sich im Rückschluss erkennen, dass der Gesetzgeber offenbar daneben keine (ähnlich gearteten) Ausnahmen gelten lassen wollte. Eine richterliche teleologische Reduktion des (erst vor Kurzem nach intensiver Diskussion geänderten) Tatbestands halte ich daher für äußerst heikel.

Offenbar soll die Motivation für den Besitz gerade keine Rolle für dessen Verbrechenstrafbarkeit spielen. Auch ist - angesichts der unternehmensdeliktischen Elemente - der Tatbestand als Gefährdungsdelikt einzustufen, d.h. bei der Verurteilung wegen Besitzes muss nicht nachgewiesen werden, dass damit Kindesmissbrauch und/oder sexuelle Gewalt gefördert werden, was übrigens ohnehin kaum einmal gelingen wird. Im hiesigen Fall lag ja auch von vornherein weder Missbrauch noch Gewalt vor - das Mädchen hat sich selbst ohne äußeren Druck gefilmt. Dennoch ist die Verbreitung dieses Videos (wohl zu Recht) generell als Verbreitung von kinderpornographischen Inhalten strafbar.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Sehr geehrter Herr Professor Müller.

Bei dem Amtsgericht Buchen ist ein Strafverfahren wegen vorsätzlich aufrechterhaltenen Besitzes von 3 Bilddateien („Stickern“) mit kinderpornografischen Inhalten und eines Videos mit kinderpornografischen Inhalten in einer Länge von 11 Sekunden anhängig. Nach Feststellungen des Gerichts hat die Angeklagte keine pädophile Neigungen und hat die Dateien als Mitglied einer What´sApp - Gruppe unfreiwillig erlangt. Sie waren von vier unterschiedlichen Nutzern in diesen Chats eingestellt und automatisch abgespeichert worden. Die Angeklagte hatte dies beim Lesen der Chats bemerkt. Sie erkannte den Inhalt der Dateien. Sie wollte die Dateien irgendwann später einmal löschen. Dies tat sie aus Nachlässigkeit nicht, so dass sie bis zur Übergabe des Mobiltelefons an die Polizei am 10.05.2022 von ihr hätten angesehen werden können. Getan hat sie dies aber nicht. Der letzte „Zugriff“ auf die Dateien ist in allen 5 Fällen identisch mit dem Datum der Abspeicherung.

Das Amtsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und die Akte gem. Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht (2 BvL 3/23) vorgelegt zur Prüfung, ob § 184b Abs. 3 StGB in der seit 1. Juli 2021 geltenden Fassung mit dem Schuldprinzip (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) vereinbar ist (AG Buchen Vorlagebeschluss vom 01.02.2023 – 1 Ls 1 Js 6298/21 - im Volltext veröffentlicht bei https://www.burhoff.de/asp_weitere_beschluesse/inhalte/7644.htm). Die Bundesrechtsanwaltskammer hält den Vorlagebeschluss des Amtsgerichts Buchen für begründet. Ausführliche Stellungnahme unter:

https://www.brak.de/fileadmin/05_zur_rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/st...

Zur Auslegungserwägungen des Amtsgerichts; Auszug aus dem Vorlagebeschluss:

"Das Gericht hat erwogen, ob die beiden Tatbestände dahingehend einschränkend ausgelegt werden können, dass der Tatbestand dann nicht erfüllt ist, wenn der Täter die Verfügungsgewalt über die unfreiwillig erlangten kinder- bzw. jugendpornografischen Inhalte zwar wissentlich aufrechterhält, er aber nicht beabsichtigt, die entsprechenden Inhalte zu einem späteren Zeitpunkt jemals wieder zu betrachten oder sie gar weiterzuleiten. Diese Auslegung würde den Motiven des Gesetzgebers im Rahmen der Begründung zu § 184b Abs. 3 StGB nicht entgegenstehen. Die Ausgestaltung des Tatbestandes des § 184b Abs. 3 StGB als Verbrechen wurde deshalb für erforderlich gehalten, weil „der Täter, der kinderpornographische Inhalte besitzt oder sich einen solchen Besitz verschafft, durch seine Nachfrage den Markt für Kinderpornographie befeuert und er sich damit letztlich mitschuldig macht an dem Missbrauch kindlicher Opfer“ (Drs 19/23707, 19. Wahlperiode S. 41, zu Nummer 13 (§ 184b StGB-E)). Erlangt der Täter den Besitz unfreiwillig, dann hat er den Markt hierfür auch nicht durch seine Nachfrage „befeuert“. Allerdings ist das Gericht der Auffassung, dass diese einschränkende Auslegung nicht sachgerecht wäre. Sie liefe in diesem Fällen auf die Straflosigkeit des Besitzes hinaus. Die ursprünglich kindlichen Opfer leiden aber jahrelang und auch noch als Erwachsene darunter, dass die viele Jahre zuvor angefertigten Aufnahmen immer noch zahlreich auf diversen Festplatten und Servern gespeichert sind und eine Vielzahl von Menschen die Möglichkeit hat, sie aufzurufen und zu betrachten."

Die Lehrerin im hiesigen Fall hatte das Video vorsätzlich erlangt mit der Absicht, das an die Mutter des Mädchens weiterzuleiten. Gleichwohl dürfte eine einschränkende Auslegung des Besitzes "den Motiven des Gesetzgebers im Rahmen der Begründung zu § 184b Abs. 3 StGB nicht entgegenstehen". Durch Herunterladen des Videos in der Absicht die Mutter des Mädchens zu informieren, hat die Lehrerin den Markt für Kinderpornographie nicht "befeuert" und sich damit nicht mitschuldig gemacht an dem Missbrauch kindlicher Opfer. Im Gegenteil, sie wollte den Schaden, der durch Verbreitung des Videos entstanden ist und noch bevorstand, von dem Mädchen, das ihn mitverursacht hat, mit Unterstützung der Mutter von dem Mädchen abwenden. Diese Art von Besitz ist völlig anders gelagert, als der Besitz, den der Gesetzgeber im Auge hatte. Ich vermute, das Amtsgericht Buchen hätte eine einschränkende Auslegung in diesem Fall für sachgerecht gehalten.

Im Fall der Lehrerin kommt aber auch eine extensive Auslegung für Erfüllung staatlicher Aufgaben in § 184b Abs. 5 Nr. 1 StGB in Betracht. Öffentliche Schulen erfüllen den staatlichen Erziehungsauftrag:

Dienstordnung für Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schulleiter an öffentlichen Schulen (DO-Schulen Rhlpf)

1.5.1 Die Lehrkraft nimmt die Fürsorgepflicht gegenüber den Schülerinnen und Schülern wahr.

1.5.2 Die Lehrkraft unterstützt die Klassenleitung und die Schulleitung insbesondere ... in Fragen ... des Jugendschutzes und des Schutzes vor Kindeswohlgefährdung.

Die Lehrkraft ist verpflichtet, besondere Aufgaben zu übernehmen. Zu diesen Aufgaben gehören insbesondere:

Führen von Gesprächen mit Eltern und Schülerinnen und Schülern über das Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten ...

Schulgesetz (SchulG Rhlpf) § 1 Auftrag der Schule:

Abs. 3: Zum Auftrag der Schule gehört auch die Sexualerziehung.

Abs. 5: Das Schulverhältnis ist als besonderes Obhutsverhältnis zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern geprägt ...

Es dürfte wohl nicht so schwierig sein, das Herunterladen des Videos durch die Lehrerin und die damit verbundenen Absichten unter die Erfüllung der staatlichen Aufgabe der Schule zu subsumieren.

"Der Bericht weist zudem auf das Problem der Erstellung eines enumerativ gefassten Ausnahmekataloges hin, weshalb der heutige § 184b Absatz 5 StGB eine abschließende Aufzählung von Personen oder Berufsgruppen vermeidet. Zugleich erscheint die bisherige Formulierung, die auf „Pflichten“ abstellt, jedoch für bestimmte Konstellationen nicht hinreichend rechtssicher und normenklar." (BT Drucksache 18/2601, Seite 31) Gemeint ist der Bericht des Rechtsausschusses des BT.

Besten Gruß

Waldemar Robert Kolos

Sehr geehrter Herr Professor Müller.

Aus der Entwurfsbegründung zur Einführung der Besitzstrafbarkeit vor etwa dreißig Jahren kann man entnehmen, dass der Besitz bei Wahrnehmung staatlicher Aufgaben z.B. Strafverfolgung oder Prüfung auf jugendgefährdenden Inhalt von der Strafbarkeit ausgenommen werden sollte. Auch Verteidiger, Sachverständiger und auch Ärzte sollten von der Strafbarkeit ausgenommen werden, wenn der Besitz ausschließlich rechtmäßiger Erfüllung dienstlicher oder beruflicher Pflichten dient. Gleichwohl hatte der Gesetzgeber davon abgesehen Behörden und Berufe, die er dabei im Auge hatte, enumerativ zu benennen. Bewusst wurde Raum noch für die Erfüllung staatlicher Aufgaben und beruflicher Pflichten offen gelassen, die man seinerzeit noch nicht im Blick hatte. An Schulen hat damals noch niemand gedacht. Dass Schulkinder Dateien strafbaren Inhalts von sich selbst anfertigen könnten, die unter den Schülern und Schülerinnen die Runde machen, daran war damals noch nicht zu denken. Nach dreißig Jahren ist das aber der Fall. Und der Vorfall an der Westerwälder Schule ist wahrscheinlich kein Einzelfall. Vielen Schülern und Schülerinnen sind vermutlich die Folgen ihres Verhaltens gar nicht bewusst. Sie werden vermutlich nicht ahnen, dass die von ihnen in Umlauf gebrachten Dateien geeignet sein können, sich mit dem kriminellen Material zu vermischen und den kriminellen Markt zu befeuern, den staatlich zu bekämpfen zu ihrem eigenen und ihres Gleichen Schutzes dient. Wer kann ihnen das altersgerecht und ihrer sexuellen Entwicklung entsprechend vermitteln, wenn nicht die Schule in Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags mit Zustimmung und Unterstützung der Erziehungsberechtigten. Einer Subsumption unter der Erfüllung staatlicher Aufgaben steht der Wortlaut des Gesetzes nicht entgegen. Diese Auslegung steht auch den Motiven des Gesetzgebers nicht entgegen. Dass der Gesetzgeber die Schulen vor dreißig Jahren noch nicht im Sinn hatte, als er den Ausnahmetatbestand formulierte, das ist kein überzeugendes Gegenargument.

Der staatliche Erziehungsauftrag der Schulen steht nicht hinter dem Ermittlungsauftrag der Polizei. Schulen, ihre Lehrer und Lehrerinnen können nicht darauf beschränkt sein, die ihnen bekannt gewordenen Vorfälle der Polizei anzuzeigen.

Besten Gruß

 

Es ist oftmals das Gleiche: Der Gesetzgeber meint Gutes, lässt sich aber nicht belehren. Ich erinnere mich an einen Fall eines Mannes (aus Kroatien?), der im Jugo-Krieg sein Haus zerstört vorfand und im Wohnzimmer eine Panzergranate, die er dann nach Deutschland mitnahm. Er stellte sie dekorativ in seinem Wohnzimmer hier auf.  Verstoß gegen das Kriegwaffenkontrollgesetz. Irgendwie war ein Jahr Freiheitsstrafe und die Bezeichnung "Verbrecher!" unpassend. Und in anderen Verbrechensfällen gibt es auch immer wieder einmal solch komische Konstellationen. Irgendwie muss da vielleicht etwas wie eine Rechtsfolgenlösung, die offensichtlich übertriebene Rechtsfolgen umwandeln kann, geschaffen werden. Vielleicht braucht es dafür ein neues prozessuales Institut - vielleicht eine Art Verständigung oder Strafrahmenverschiebung vorab im Eröffnungsbeschluss, die etwa die Zustimmung des zuständigen Revisonsgerichts bedarf....Da könnte der Gesetzgeber vielleicht etwas Phantasie gebrauchen... 

Außerhalb des Strafrechts (z. B. im Zivil- und Prozessrecht) gibt es eine solche „Rechtsfolgenlösung, die offensichtlich übertriebene Rechtsfolgen umwandeln kann“ unter dem schönen Begriff „Rechtsmissbrauch“, der die schönsten und besten richterlichen Willkürentscheidungen entsprechend dem gesunden Volksempfinden (BAG: "herrschende Verkehrsanschauung") zulässt. Ein Traum!

0

Die Strafbarkeit des Besitzes wird erstmals mit der Entwurfsfassung vom 03.07.92 (Drucksache 12/3001) eingeführt (§ 184 Abs. 5 S. 2 StGB a.F.). Zu diesem Zeitpunkt handelte es sich um strafbaren Besitz von kinderpornographischen Schriften (gemäß § 11 Abs. 3 StGB a.F. auch Ton und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen), die den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand hatten. Begründung: "regelmäßig hat derjenige, der kinderpornographische Produkte besitzt, diese selbst hergestellt oder aber von einem anderen übernommen und somit mittelbar den sexuellen Mißbrauch von Kindern gefördert" (Seite 6). Zunächst sollte das Besitzverbot "im Rahmen der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben (z.B. Strafverfolgung oder Prüfung auf jugendgefährdenden Inhalt)" nicht gelten. Auf Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 07.05.93 (Drucksache 12/4883) wurde der Ausnahmetatbestand auf den heute geltenden Stand erweitert.

An den Besitz von Lehrern in Wahrnehmung staatlicher Aufgabe ihrer Schule dachte vor dreißig Jahren noch niemand. Es war nicht daran zu denken, dass Schulkinder kinderpornographisches Material von sich selbst anfertigen und Kopien an andere Kinder oder Jugendliche während der Schulzeit verschicken können. Auch wäre der Besitz dieses Materials damals noch nicht strafbar gewesen, weil es an dem Gegenstand des sexuellen Missbrauchs gefehlt hätte.

Seit der am 05.11.2008 geltenden Fassung des § 184b StGB ist die Strafbarkeit des Besitzes erweitert worden. Es ist für die Besitzstrafbarkeit nicht mehr erforderlich, dass kinderpornographische Inhalte den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben. Es reicht, wenn sie die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben (Drucksache 16/3439). Begründung: "Dies dient zum einen der sprachlichen Vereinfachung. Zum anderen wird auf diese Weise sichergestellt, dass auch das „aufreizende Zur-Schau-Stellen der Genitalien oder der Schamgegend von Kindern“ (Artikel 1 Buchstabe b Unterbuchstabe i des Rahmenbeschlusses) nach § 184b strafbar ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt. 43, S. 366, 368) beinhaltet das Spreizen der Beine, um die unbedeckten Genitalien offen zur Schau zu stellen, eine nicht unerhebliche sexuelle Handlung des Kindes, durch die der Betrachter sexuell erregt werden soll. Dabei handelt es sich aber nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. Februar 2006 (4 StR 570/05) nicht um eine sexuelle Handlung, die das Kind an sich vornimmt, wie es § 176 Abs. 4 Nr. 2 voraussetzt" (Seite 9).

Auch wird der Besitz von kinderpornographischen Schriften auf jugendpornographische Schriften erweitert (Drucksache 16/3439). Später wird der Besitztatbestand von kinderpornographischen und jugendpornographische Schriften getrennt geregelt.

Seit dem 05.11.2008 ist auch der Besitz kinderpornographischer Inhalte strafbar, die das Kind auch ohne äußeren Druck von sich selbst angefertigt hat, ohne Rücksicht auf den beabsichtigten Verwendungszweck. Das aus gutem Grund. Denn der Betrachter wird durch bloße Anschauung den äußeren Druck, Missbrauch und Gewalt nicht ausschließen können. Dieses Material ist auch geeignet am Markt für Kinderpornographie teilzunehmen und es damit zu "befeuern".

Die Entwicklung der digitaler Medien und der Vernetzung der sozialen Netzwerke hat inzwischen bei Kindern und bei Jugendlichen zu Veränderung ihres Sexualverhaltens und des Umgangs mit kinder- und jugendpornographischem Verhalten geführt. Der dramatische Anstieg der Kinderkriminalität ist vor allem auf Zunahme der Sexualdelikte zurückzuführen. Diese Entwicklung macht auch nicht vor den Schulen halt. Es wird niemand ernsthaft von den Lehrern verlangen wollen, dass sie davor die Augen verschließen sollen und die Kinder machen lassen, denn das ginge sie nichts an. Die Schule und ihre Lehrer sind nicht darauf beschränkt, die Polizei über die ihnen bekannten Vorfälle zu informieren. Die Schule hat einen staatlichen Erziehungsauftrag, der nicht hinter den der Polizei steht. Sie kann auf Kinder und Jugendliche in vielen Fällen erzieherisch deutlich effektiver einwirken als die Polizei und gegebenenfalls die Erziehungsmaßnahmen des Jugendstrafrechts.

Es stellt sich also die Frage, ob aus heutiger Sicht der Besitz der Lehrerin im hiesigen Fall nicht inzwischen unter rechtmäßige Erfüllung staatlicher Aufgaben fällt und der Ausnahmetatbestand dahingehend auszulegen ist. Dem steht nicht entgegen, dass vor dreißig Jahren noch niemand an den straflosen Besitz der Lehrerin in Erfüllung staatlicher Aufgaben gedacht hat. Ist irgendetwas ersichtlich, das dagegen spricht?

Vielen Dank, Herr Kolos, für Ihre ausführlichen und m.E. auch gut vertretbaren Darlegungen. Man will sie der zuständigen Staatsanwaltschaft und dem Gericht ans Herz legen, sollten diese - wie ja behauptet wird - an der rechtlichen Entlastung der Lehrerin in  diesem Fall interessiert sein. Dennoch bleibe ich auch bei meienr grundsätzlichen Kritik an der Verbrechensstrafe für den (auch geringfügigen) Besitz bzw. am Unternehmen der Besitzverschaffung, insbes. im Vergleich zu § 176 StGB.

Viele Grüße

Henning Ernst Müller

Literaturtipp:

Brodowski: "Ist der Besitz kinderpornografischer Inhalte (§ 184b Abs. 3 StGB) wirklich ein Verbrechen mit einer »Freiheitsstrafe von einem Jahr« als Mindeststrafe? Zur unmittelbaren Wirkung des unionsverfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes", StV 2023, 421–426.

0

Auf den Beitrag von Brodowski geht die Neue Richtervereinigung (NRV) in ihrer Stellungnahme vom 25.05.2023 zu der Richtervorlage des AG Buchen mit ein (Seite 4). Sie hält die Anwendung des "§ 49 Abs. 1 StGB entgegen dem Gesetzeswortlaut über den Umweg des Unionsrechts" "im Hinblick auf die Grundsätze der Gewaltenteilung" für "höchst problematisch". Im Ergebnis heißt es deshalb:

"Wir sind mit dem vorlegenden Gericht der Auffassung, dass § 184b Absatz 3 StGB in der seit dem 1. Juli 2021 geltenden Fassung die Grenzen schuldangemessener Strafe überschreitet und deshalb verfassungswidrig ist. Darüber hinaus verletzt die Vorschrift unseres Erachtens auch Art. 6 Abs. 1, 2 GG sowie Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG."

Die NRV nennt auch die vom BGH eingeführte Zulässigkeit der Strafrahmenverschiebung durch die sog. Rechtsfolgenlösung bei § 211 StGB und die Milderungsmöglichkeit in direkter Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB im Wege des Richterrechts. Eine entsprechende Anwendung auf § 184b Abs. 3 StGB lehnt sie ab im Wesentlichen mit dem Einwand, dass "im Gesetzgebungsverfahren auf diejenigen Risiken hingewiesen (vgl. hierzu Stellungnahme der Neuen Richtervereinigung zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 14.09.2020, als Anlage beigefügt)" wurde, "die sich nun im Verfahren des AG Buchen realisierten". Der Gesetzgeber wusste also genau, was er tat. Eine richterrechtliche Korrektur nach einer nur so kurzen Zeit, dürfte mit Blick auf die Gewaltenteilung auch sehr heikel sein.

Im hiesigen Fall der Lehrerin stellt sich der Fall aber so dar, dass der Lehrerin die Strafbarkeit des Besitzes bekannt war, sie aber davon ausgegangen ist, dass sie als Lehrerin durch die Inbesitznahme u.a. ihre Fürsorgepflicht erfüllt und sich damit nicht strafbar macht. Die Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB kommt also i.V.m. § 17 StGB in Betracht. Es bedarf also weder des Umwegs über Unionsrecht noch der Rechtsfolgenlösung des BGH. M.E. dürften auch die strengen Voraussetzungen für Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums vorliegen. Denn es fehlt an ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung, ob und unter welchen Voraussetzungen die Inbesitznahme durch die Lehrerin ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags und der Fürsorgepflicht der Schulen zu dienen bestimmt ist. Es fehlt also an der Rechtsprechung darüber, ob § 184b Abs. 5 StGB auf die Lehrerin anwendbar ist. Gleichwohl besteht die Möglichkeit einer vertretbaren Auslegung dahingehend. Man kann also zumindest von einer ungeklärten oder unklaren oder offenen Rechtslage sprechen, die dazu führen könnte, dass der Verbotsirrtum nicht vermeidbar war.

Sehr interessant finde ich die Ausführungen der NRV zur Unvereinbarkeit des Besitztatbestandes in § 184b Abs. 3 StGB mit dem elterlichen Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 1, 2 GG. Es hat zwar nichts mit dem dortigen Fall beim AG Buchen zu tun. Trifft aber so ziemlich genau den Fall der Lehrerin, wenn man den Fall insoweit ergänzt, dass die Lehrerin das Video an die Mutter der Schülerin geschickt und die Mutter also auch im Besitz des Videos wäre. Denn auch dieser Besitz wäre strafbar.

https://www.neuerichter.de/fileadmin/user_upload/2023_05_25_StN_NRV_BVer...

Inzwischen wurden die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik 2022 bekannt gegeben. Ausgewählte Zahlen:

Schlüssel 143200, Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornografischer Schriften. Gute Nachricht ist, dass die Zahlen nur geringfügig gestiegen sind. Alarmierend bleibt, es sind immer noch unfassbar viele. 42.075 Fälle mit einem Anteil von 78 Prozent und sechs Mal soviel wie PKS-Schlüssel 143500 bei Jugendlichen. Anmerkung des Berichts, Seite 16: "Auch der Trend, dass vor allem Kinder und Jugendliche ohne Kenntnis eines strafrechtlichen Hintergrundes kinder- und jugendpornografische Bilder in Gruppenchats (WhatsApp, Instagram, Snapchat, Facebook usw.) teilen und somit verbreiten, spielt hier eine Rolle. Dementsprechend liegt der Anteil der Tatverdächtigen unter 18 Jahren bei 41,1 Prozent (18.738 TV von insgesamt 45.628 TV)".

https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sic...

Ursprünglich sollte die Strafbarkeit des Besitzes Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt schützen, macht sie aber inzwischen selbst zu Tätern und Förderern des kriminellen Marktes, der auf diese Weise ein wenig verharmlost wird.

Nach Mitteilung des Amtsgerichts Montabaur von heute hat das Amtsgericht - Schöffengericht - mit Beschluss vom 13.12.2013 - 2a Ls 2070 Js 44219/22 - die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Lehrerin aus rechtlichen Gründen abgelehnt.

Auszug aus der Mitteilung:

"Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft hält das Gericht die Tatbestandsverwirklichung im konkreten Fall für ausgeschlossen, da sowohl Besitzverschaffung als auch deren Weiterleitung vom Tatbestandsausschluss des § 184b Abs. 5 Nr. 3 StGB umfasst seien.

§ 184b Abs. 5 StGB lautet:

Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 3 gelten nicht für Handlungen, die ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung von Folgendem dienen:

1. staatlichen Aufgaben,
2. Aufgaben, die sich aus Vereinbarungen mit einer zuständigen staatlichen Stelle ergeben, oder
3. dienstlichen oder beruflichen Pflichten.

Auch Lehrer können nach Ansicht des Gerichts insoweit unter bestimmten, eng auszulegenden Voraussetzungen tatbestandsausschließend privilegiert sein. Die Angeschuldigte habe im konkreten Fall in pädagogischer und fürsorglicher Verantwortung aus ihrer besonderen Vertrauensstellung (§ 25 rp SchulG, Nr. 1.5 rp DO-Schulen) für die verzweifelte Schülerin bei einem höchst intimen, auch zeitlich drängenden Problem rücksichtsvoll und zielführend gehandelt. Dabei komme auch den Umstand, dass es der Angeschuldigten wie im Übrigen auch der Mutter der betroffenen Schülerin von vornherein nur auf eine von ihnen selbst ungesichtete Weiterleitung des Videos an die Polizei ankam, Bedeutung zu."

https://agmon.justiz.rlp.de/de/presse-aktuelles/detail/news/News/detail/...

 

WR Kolos schrieb:

§ 184b Abs. 5 StGB lautet:

Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 3 gelten nicht für Handlungen, die ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung von Folgendem dienen:

1. staatlichen Aufgaben,
2. Aufgaben, die sich aus Vereinbarungen mit einer zuständigen staatlichen Stelle ergeben, oder
3. dienstlichen oder beruflichen Pflichten.

Auch Lehrer können nach Ansicht des Gerichts insoweit unter bestimmten, eng auszulegenden Voraussetzungen tatbestandsausschließend privilegiert sein.

Dem Wortlaut nach scheint es zu reichen wenn die Handlungen "ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung" von beruflichen Pflichten dienen. Das scheint sehr weit gefasst. Arbeitnehmer sind i. A. verpflichtet Weisungen nachzukommen. 

0

Mit der gesetzlichen Einführung der Besitzstrafbarkeit und des Priviligierungstatbestandes hatte der Gesetzgeber "für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen" vor allem an Rechtsanwälte, Sachverständige, wissenschaftliche Forschungsbeauftragte und behandelnde Ärzte eines missbrauchten Kindes gedacht. Von einer enumerativen Katalogisierung dieser Berufe hatte der Gesetzgeber auf Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses bewusst abgesehen. Damit sollte einerseits einem Missbrauch des Priviligierungstatbestandes vorgebeugt, andererseits Lücken vermieden werden. Eine Begrenzung der Berufspflichtausübung sollte der Begriff "ausschließlich" sicherstellen. Dem lässt sich noch hinzufügen, dass zwischen der priviligierten Berufspflichausübung und Wahrnehmung staatlicher Aufgaben im Wege der Strafverfolgung oder Prüfung auf jugendgefährdenden Inhalt, ein Zusammenhang bestehen sollte. Damit lässt sich der weitgefasste Wortlaut teleologisch und nach dem historischen Gesetzgebungswillen sehr eng auslegen ohne daran gehindert zu sein, diese enge Auslegung des Priviligierungstatbestandes für bestimmte Fallkonstellationen - wie im Fall der Lehrerin - zu erweitern.

Auszug aus Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) vom 7.05.93, BT Drucksache 12/4883, Seite 8 und 9:

"Der Rechtsausschuß ist der Empfehlung der mitberatenden Ausschüsse und der entsprechenden Bitte des Bundesrates (Drucksache 12/3001 S. 8 Nr. 5) nachgekommen zu prüfen, ob neben der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben weitere Fallgestaltungen von dem Besitz- und Besitzverschaffungsverbot des § 184 Abs. 5 StGB auszunehmen sind. Er ist einmütig zu der Auffassung gelangt, daß die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Ausnahme „für Behörden im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit" zu eng ist. Schon bei der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben (Strafverfolgung oder Prüfung auf jugendgefährdenden Inhalt) muß auch weiteren Personen wie Anwälten und Sachverständigen bei Erfüllung ihrer Aufgaben der Besitz gestattet sein. Auch bei der Durchführung eines konkreten wissenschaftlichen Forschungsauftrages sollte der Besitz zulässig sein. Ferner muß auch der behandelnde Arzt eines zur Herstellung eines pornographischen Produktes mißbrauchten Kindes unter Umständen auf dieses Produkt zur Diagnose oder Therapie zurückgreifen können.

Allerdings erschien es dem Ausschuß problematisch, einen detaillierten Ausnahmekatalog in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Mit einem solchen weitgefaßten Katalog wäre die auch vom Bundesrat angeführte Gefahr verbunden, daß sich jemand in mißbräuchlicher Weise auf ihn berufen könnte. Ein zu enger Katalog könnte demgegenüber zu in der Sache ebenfalls nicht gerechtfertigten Gegenschlüssen führen. Vor diesem Hintergrund hat der Rechtsausschuß „Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen", vom Tatbestand des § 184 Abs. 5 StGB ausgenommen. Diese Formulierung erlaubt nach Auffassung des Ausschusses eine klarere Abgrenzung als der in diesem Zusammenhang ebenfalls erwägenswerte Begriff „unbefugt". Sie vermeidet die ausdrückliche Aufzählung von Personen oder Berufsgruppen und die damit verbundene Gefahr der mißbräuchlichen Berufung auf einen solchen Katalog oder der Lückenhaftigkeit. Gleichzeitig erlaubt sie mit dem Abstellen auf die rechtmäßigen beruflichen oder dienstlichen Pflichten eine präzise tatbestandliche Abgrenzung. Der Begriff „ausschließlich" stellt ferner sicher, daß die Ausübung der Berufspflicht der einzige Grund für den Besitz der kinderpornographischen Darstellungen sein darf."

0

Bravo, das ist eine sehr umsichtige Anwendung des Gesetzes, die Sie, Herr Kolos, hier schon vorgeschlagen haben. Ich schließe mich an, dass eine (erweiternde) Auslegung des Abs.5 hier eine gut vertretbare Lösung darstellt.

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Koblenz durch Beschluss der Beschwerdekammer vom 31.01.2024 -  14 Qs 2/24 - den Beschluss des Amtsgerichts Montabaur aufgehoben. Auf telefonische Nachfrage zur Begründung der Beschwerdeentscheidung teilte die Pressestelle des Landgerichts heute mit, dass auch das Landgericht der Ansicht sei, Lehrer könnten von dem Privilegierungstatbestand des Absatzes 5 erfasst sein. Voraussetzung dafür aber sei die Rechtmäßigkeit der Besitzverschaffung und deren Weiterleitung. Nach Ansicht der Beschwerdekammer fehle es daran im Fall der Lehrerin. Die Verschaffung des Besitzes über den 12jährigen Schüler und die Weiterleitung durch die Lehrerin diene nicht ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung staatlicher Aufgaben und dienstlicher Pflichten nach § 25 rp SchulG, Nr. 1.5 rp DO-Schulen.

Bei telefonischer Mitteilung der Entscheidungsbegründung kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie vollständig ist. Ich hoffe, dass ich von der Pressesprecherin des Landgerichts in Strafsachen Genaueres erfahren kann, wenn sie wieder erreichbar sein wird. Vielleicht kann ich sie auch dazu bewegen, die Entscheidung im Volltext zu veröffentlichen.

Auf sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Koblenz durch Beschluss der Beschwerdekammer vom 31.01.2024 -  14 Qs 2/24 - den Beschluss des Amtsgerichts Montabaur aufgehoben. Auf telefonische Nachfrage zur Begründung der Beschwerdeentscheidung teilte die Vertretung der Pressestelle des Landgerichts heute mit, dass auch das Landgericht der Ansicht sei, Lehrer könnten von dem Privilegierungstatbestand des Absatzes 5 erfasst sein. Voraussetzung dafür aber sei die Rechtmäßigkeit der Besitzverschaffung und deren Weiterleitung. Nach Ansicht der Beschwerdekammer fehle es daran im Fall der Lehrerin. Die Verschaffung des Besitzes über den 12jährigen Schüler und die Weiterleitung durch die Lehrerin diene nicht ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung staatlicher Aufgaben und dienstlicher Pflichten nach § 25 rp SchulG, Nr. 1.5 rp DO-Schulen.

Bei telefonischer Mitteilung der Entscheidungsbegründung kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie vollständig ist. Ich hoffe, dass ich von der für Strafsachen zuständigen Pressesprecherin des Landgerichts Genaueres erfahren kann, wenn sie in wenigen Tagen wieder erreichbar sein wird. Vielleicht kann ich sie auch dazu bewegen, die Entscheidung der Beschwerdekammer im Volltext zu veröffentlichen.

Kommentar hinzufügen