Wenn Gesetzgeber und Justizminister-in Fehler machen, dann gibt es kein Pardon (Besitz von Kinderpornographie)
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Lehrerin angeklagt wegen Besitz von Kinderpornographie - muss sie ein Jahr Mindeststrafe befürchten?
1. Vorgeschichte
Im Jahr 2021 hat der Bundestag eine (weitere) Verschärfung des Sexualstrafrechts beschlossen. Man wollte wohl irgendetwas tun, um auf scheußliche Verbrechen zu reagieren, die unter Ortsnamen wie "Lügde" oder "Bergisch Gladbach" bekannt geworden waren. Auch wenn in diesen Fällen eine erhöhte Bestrafung ohnehin unproblematisch möglich war, meinten einige Politiker, man solle der (berechtigten) Empörung der Bevölkerung nachgeben, um vermeintlich bisher unerfüllbare Strafbedürfnisse auch mit irrationalen Mitteln zu befriedigen.
Neben anderen Regelungen wurde § 184 b StGB (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte) in der Strafdrohung erheblich verschärft. Die Mindeststrafe wurde von 3 Monaten Freiheitsstrafe auf 1 Jahr Freiheitsstrafe erhöht und damit der Tatbestand zum Verbrechenstatbestand hochgestuft. Auch die unternehmensdeliktischen Anteile des Tatbestands (beim Unternehmensdelikt führt schon der bloße Versuch zur Vollendung, Rücktritt ist ausgeschlossen) sind seither mit Verbrechensstrafe belegt. Eine Differenzierung unterhalb dieser Strafe ist nicht vorgesehen. Die Anhebung zum Verbrechenstatbestand (ohne Regelung eines minder schweren Falls) bedeutet zugleich, dass keine Einstellung im Ermittlungsverfahren mehr möglich ist und auch kein Strafbefehlsverfahren.
Aus der Begründung des Regierungsentwurfs (BT Drs 19/23707, S. 2):
„Auch wer Videos und Fotos verbreitet oder besitzt, die sexualisierte Gewalt gegen Kinder zeigen, macht sich mitschuldig an schlimmsten Misshandlungen von Kindern. Die Verbreitung, der Besitz und die Besitzverschaffung von Kinderpornographie sollen daher ebenfalls als Verbrechen eingestuft werden. Mit einer Anhebung der Strafrahmen der Straftatbestände der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und der Kinderpornographie soll darüber hinaus die Bewertung solcher Taten als schweres Unrecht deutlicher im Strafrahmengefüge herausgestellt und den Gerichten ein ausreichender Handlungsspielraum zur tatangemessenen Ahndung solcher Taten eröffnet werden.“
Es gab – auch zu den anderen Regelungen des Regierungsentwurfs – damals hektisch eingeholte Stellungnahmen, die zum Teil auf die hier schon angedeutete Kritik eingingen (alle Stellungnahmen sind HIER verlinkt).
Hier ein paar Auszüge:
„Exemplarisch zeigt der Entwurf, wie man seit geraumer Zeit populistischen Strömungen und Argumentationen erliegt; sie sind leider auch in manchen anderen westlichen Ländern zu beobachten; tendenziell vertieft sich dort wie hier die Kluft zwischen Kriminalpolitik und Wissenschaften. (…) Diese Lücke in der Rechtsfolgenbestimmung führt zu dem bekannten Dilemma, in welches der Gesetzgeber offenbar wissentlich die Rechtsanwender führt: Entweder müssen sie in konkreten Fällen weitaus geringerer Schwere unverhältnismäßige Übermaßstrafen verhängen; dann werden absehbar Verfassungsbeschwerden das Bundesverfassungsgericht zu Korrekturen veranlassen wie schon bei den §§ 211, 217 StGB und § 29 BtMG. Oder sie wählen Ausweich- bzw. Umgehungsstrategien, an denen der Ruch von Rechtsbeugung haftet; solches wurde von uns früher etwa nachgewiesen, als das „Lebenslang“ noch gesetzlich unausweichlich war. (…) Die international geführte kritische Debatte um „Besitzbestrafung“ scheint den Entwurfsverfassern unbekannt oder unbeachtlich. Dieser Fehlkonstruktion wird noch eine Krone aufgesetzt: Auch für das „Verbrechen“ des § 184b Abs. 3 wird kein „minder schwerer Fall“ vorgesehen, so dass bereits bloß versuchte Besitzverschaffung – also z.B. das genannte Eingeben eines Links zu einem pornografischen Inhalt – als Verbrechen eine Mindeststrafe von einem Jahr nach sich zieht und eine Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit ausschließt. (Prof. Dr. Arthur Kreuzer, Stellungnahme)
„Der erhoffte präventive Effekt der Neuregelung wird nicht erreicht werden, sondern im Gegenteil jetzige präventive Instrumente noch gefährden. Ganz allgemein zählt zu den wenigen gesicherten kriminologischen Erkenntnissen, dass Abschreckung durch härtere Strafen nicht wirkt.“ (aus Stellungnahme der DVJJ)
„Auch die unterschiedslose Erhebung jedweden Umgangs mit kinderpornographischen Inhalten zu Verbrechenstatbeständen (§ 184b StGB-E) verhindert nicht nur eine den Umständen des Einzelfalls entsprechende angemessene Bestrafung, sondern wird auch hier zu einer erheblichen Mehrbelastung der Justiz durch Hauptverhandlungen führen.“ (Stellungnahme BRAK)
„Auch bzgl. der beabsichtigten Strafschärfung der Straftatbestände der Kinderpornographie sind erhebliche Bedenken angezeigt. Auch hier gibt es eine breite Palette von Vorwürfen, was Qualität und Quantität betrifft, insbesondere in Zusammenhang mit der Handlungsvariante des Besitzes. Schwerwiegende, den Grundtatbestand ohnehin übersteigende Fälle, eignen sich nicht, um schon den Grundtatbestand derart hochzustufen, dass keine Variabilität und Flexibilität mehr für Staatsanwaltschaften und Gerichte gegeben ist, angemessen auf geringfügige Delikte zu reagieren. Dass auf das einmalige Herunterladen einer vereinzelten kinderpornographischen Datei mit einer Mindeststrafe von einem Jahr reagiert werden muss, erscheint nicht nachvollziehbar und nicht sachgerecht.“ (DAV Stellungnahme).
2. Der Fall
Der konkrete Fall, der derzeit diskutiert wird, erscheint gar nicht so abwegig, aber er wurde offensichtlich im Gesetzgebungsverfahren nicht vorhergesehen. Er dokumentiert indes sehr gut, wie schwer es der Justiz mit irrationalen Gesetzesverschärfungen mitunter gemacht wird, wirklich gerechte Entscheidungen zu treffen:
Eine 13jährige soll ein Video kinderpornographischen Inhalts von sich selbst erstellt haben und ihrem Freund geschickt haben, der dieses Video in der Folge an Mitschüler weiterverbreitet haben soll. Eine Lehrerin hatte davon erfahren und sich das Video verschafft, um auf diesen Fall (pädagogisch) zu reagieren. (hier ausführliche Fallschilderung im Bericht der Tagesschau)
Sie hat sich also vorsätzlich den Besitz an einem kinderpornographischen Video verschafft. Im nun eingeleiteten Ermittlungsverfahren kann die Staatsanwaltschaft angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts, der auf (hehre) Motive des Besitzes keine Rücksicht nimmt, nicht anders, als dieses Verbrechen anzuklagen. Und – dies wird jedenfalls in einigen Stellungnahmen so dargestellt – das Gericht wird ebenfalls nicht anders können, als zumindest ein Jahr Freiheitsstrafe zu verhängen. Daran anschließend ebenso zwingend ergäben sich die beamtenrechtlichen Folgen nach Verurteilung zu (mind.) einem Jahr Freiheitsstrafe. Die verbeamtete Lehrerin würde aus dem Dienst entfernt mit allen weiteren Folgen.
Es zeigt sich hier zweierlei:
Einerseits, dass das Gesetz seit 2021 (ohne Einschränkung) den vorsätzlichen Besitz auch nur eines einzigen kinderpornographischen Bildes oder Videos (Altersgrenze der dargestellten Person ist 14), ja schon den bloßen Versuch einer Besitzverschaffung als Verbrechen bestraft und zwar unabhängig vom Motiv zu diesem Besitz.
Andererseits ist man sich hier (aber auch in anderen Konstellationen) wohl einig: Das Gesetz in diesem Fall anzuwenden und die Lehrerin zu einem Jahr Freiheitsstrafe zu verurteilen, stellte eine (himmelschreiende) Ungerechtigkeit dar. Weder dem Sinn und Zweck des Tatbestands noch dessen Verschärfung wäre hiermit gedient.
Nun wird der Gesetzgeber wiederum aufgefordert, für Abhilfe zu sorgen. Im konkreten Fall könne man ja dann evtl. das Verfahren so lange hinauszögern, bis § 184b StGB geändert würde. Der inzwischen neu zusammengesetzte Bundestag könne ja erneut die Vorschrift ändern und z.B. einen minder schweren Fall einführen, der dann auch auf die noch nicht rechtskräftig entschiedenen Verfahren Anwendung finden könne. Die bloße Einführung eines "minder schweren Falls" würde aber noch nichts an der Verbrechensnatur ändern [zutr. Hinweis s.u.]. Erst bei Absenkung auf eine Mindeststrafe unterhalb der Verbrechensstrafe könnte auch wieder (angemessen) strafverfahrensrechtlich reagiert werden, etwa mit § 153a StPO.
Für den konkreten Fall steht allerdings noch eine andere Möglichkeit im Raum: Es liegt nahe, dass die Lehrerin das strafrechtliche Verbot des Besitzes von Kinderpornographie in ihrem Fall gar nicht für anwendbar hielt. Sie hat sich zwar vorsätzlich Besitz verschafft, aber nicht aus sexuellen Motiven, sondern um diesen Fall selbst aufzuklären bzw. einer pädagogisch angemessenen Lösung zuzuführen. Dass eine juristische Bewertung diesen Umstand nicht berücksichtigt, können sich Viele nicht vorstellen. Hier könnte also ein – wenn auch vermeidbarer – Verbotsirrtum der Lehrerin vorliegen. Damit kann aber nach §§ 17 S. 2, 49 Abs.1 StGB die Strafe auf (mind.) 3 Monate reduziert werden, nach § 47 Abs.2 StGB ergäbe sich daraus eine Mindest-Geldstrafe von 90 Tagessätzen, die etwa auch als Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) ausgesprochen werden kann. Der Schuldspruch bliebe zwar erhalten, jedoch stellte dies wohl eine angemessene Reaktion dar.
Unabhängig davon, ob diese Lösung hier ergriffen wird bzw. ob die Voraussetzungen vom Gericht als gegeben angesehen werden, soll aber noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Hätte dieselbe Lehrerin, um sich sexuell zu erregen, einen Schüler aufgefordert, sich vor ihr zu entblößen oder vor ihr zu masturbieren, oder hätte sie sich selbst vor einem Schüler entblößt oder sexuelle Handlungen vorgenommen, hätte das ganz andere strafrechtliche Folgen gehabt. Die Mindeststrafe für den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen – in der Variante des § 174 Abs.3 StGB – ist „Geldstrafe“, nach § 174 Abs.5 StGB kann das Gericht in einem solchen Fall sogar von Bestrafung ganz absehen, „wenn das Unrecht der Tat gering ist“.
Der eklatante Wertungswiderspruch – Mindeststrafe ein Jahr schon bei der bloß versuchten Besitzverschaffung von Kinderpornographie ohne Rücksicht auf das Motiv – einerseits,
Absehen von Strafe möglich bei realem sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen mit sexueller Motivation andererseits, erscheint mir jedenfalls jenseits jeder Rationalität.