EuGH: Kein Auskunftsanspruch eines abgelehnten Stellenbewerbers

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 30.04.2012

Das BAG hatte über die Klage einer abgelehnten Stellenbewerberin auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu entscheiden, die sich wegen des Geschlechts, des Alters und der ethnischen Herkunft diskriminiert fühlte. Mit Beschluss vom 20.05.2010 hat das BAG den EuGH um Vorabentscheidung ersucht, ob ein abgelehnter Stellenbewerber Auskunft über die anderen Bewerbungen beanspruchen kann. Nachdem sich schon Generalanwalt Mengozzi zurückhaltend gegenüber einem solchen Anspruch gezeigt hatte (hier im BeckBlog), hat nunmehr auch der EuGH einen derartigen Anspruch im Grundsatz verneint:

Kein Auskunftsanspruch, aber ...

Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43/EG und Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG seien dahin gehend auszulegen, dass sie für einen Arbeitnehmer, dessen Bewerbung nicht berücksichtigt wurde, keinen Anspruch auf Auskunft darüber vorsehen, ob der Arbeitgeber am Ende des Einstellungsverfahrens einen anderen Bewerber eingestellt hat.

... möglicherweise Indiz für Diskriminierung

Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch einen Beklagten ein Gesichtspunkt sein kann, der im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, heranzuziehen ist. Es sei Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist. (EuGH, Urt. vom 19.04.2012 - C-415/10, "Meister")

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5 Kommentare

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Moin,

als Arbeitgeber habe ich dieses Urteil mit einem teilweisen Entsetzen gelesen. Ich empfinde es als massiven Eingriff in meine unternehmerische Entscheidungsfreiheit und der eigenen Entscheidung, wie und wer am Besten in mein Team passt. Schließlich muss das Unternehmen auch mit den Fehlentscheidungen, wenn jemand vielleicht qualifiziert ist, menschlich aber nicht in ein Unternehmen passt, leben (und finanzieren).

Wenn dann noch evtl. die Entscheidungen offenzulegen und jede Formulierung juristisch prüfen zu lassen, "da vieleicht" etwas so, oder anders ausgelegt werden kann. Die Kosten sind für - zumindest für kleinere und mittelständische - Unternehmen nicht kalkulierbar und sorgen eher dafür, ob ich überhaupt noch eine Stelle offen ausschreibe. Da ist das direkte akvieren wesentlich günstiger und nciht so risikoreich. Allerdings, dann wird dieser Umstand vermutlich auf iniativ Bewerbungen ausgedehnt und schon arbeite ich lieber mit Kräften im Ausland. Das geht vielleicht nicht immer, aber immer öfter ....

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@ Mercum

Dann hilt aber nur das Nicht-EU-Ausland, denn die Anti-Diskriminierungsrichtlinien und die dazugehörige Rechtsprechung des EuGH gelten natürlich in der ganzen EU.

Sehr geehrter Herr Rolfs,

dies habe ich vorausgesetzt, aber vielleciht nicht deutlich genug herausgestellt.

Die Kernfrage ist aber dennoch, wo solche "Diskriminierung" anfängt und wo sie aufhört. Mehr noch, wie diese 100% ausgeschlossen werden soll und immer aktiver in die menchlichen Gesellschaftsformen eingegriffen wird. Welches Grundrecht wird höher bewertet und warum wird versucht dieses auf den Rücken (Kosten) anderer auszutragen?

Für mein Gefühl wird (nicht nur in diesem Fall) in zuviele Belange des täglichen Lebens immer mehr "regulierend" eingegriffen. Weiterhin kann ein Unternehmen die Schwerpunkte auch auf nicht greifbare Kernpunkte festlegen, die zu einer Anstellung führen. Ich (z.B.) sehe ein Zeugnis nur sekundär, da es zwar über einen Leistung wiederspiegelt, aber allzuoft die Erfahrung gezeigt hat, dass es in der praxisnahen Umsetzung magelte.

 

Gruß

Mercum

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Hallo Herr Rolfs,

 

das Problem bei der Entscheidung ist doch im Grunde, dass jeder Arbeitgeber, der sich weigert, Informationen über den erfolgreichen Arbeitnehmer herauszugeben, Gefahr läuft, dass nunmehr die Beweuslastumkehr gem. § 22 AGG eingreift. Problematisch hieran ist zum einen das Datenschutzrecht, da der Arbeitgeber ja letztlich nicht anders kann, als die Daten des erfolgreichen Arbeitnehmers an den sich diskrimiert fühlenden Bewerber herauszugeben. Ein weiteres Problem ist, dass über den Umweg des § 22 AGG letztlich de facto doch das aus den USA bekannte "pre trial discovery"-Verfahren eingeführt wird.

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@ Mercum:

Nicht, dass ich Ihre Bedenken nicht nachvollziehen könnte. Aber Deutschland hat die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU im Arbeitsrecht "nur" 1:1 umgesetzt. Selbst eine politisch den Arbeitgebern wohler gesonnene Regierung als diese (welche sollte das in den nächsten Jahren sein?) könnte also nichts ändern. Es bleiben nur: 1. der Austritt Deutschlands aus der EU oder 2. die Änderung der EU-Richtlinie, was aber Einstimmigkeit aller 27 Mitgliedstaaten erfordert. Mit anderen Worten: Den Diskriminierungsschutz zurückdrehen zu wollen, ist politisch aussichtslos.

@ Gast:

Das Datenschutzrecht hat der EuGH durchaus gesehen und sowohl in diesem Urteil als auch in der ähnlich gelagerten Rechtssache "Kelly" (EuGH 21.07.2011 BeckRS 2011, 81408) ausdrücklich als widerstreitendes Interesse berücksichtigt. Das Problem ist, dass es (noch) keine EU-Datenschutz-Richtlinie und damit keine konkreten Maßstäbe gibt. An der Datenschutz-RL wird aber bekanntlich gearbeitet.

 

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