Was man von Jurastudenten so als Umfrage bekommt

von Prof. Dr. Thomas Hoeren, veröffentlicht am 27.05.2008

Heute morgen bekamen alle fachlich ausgewiesenen Datenschutzprofessoren der Bundesrepublik folgende Mail eines Jurastudenten. Mail und Anhang machen deutlich, wie sich die Mentalität des juristischen Nachwuchses bei der Literaturrecherche geändert hat.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin Student der Rechtswissenschaften aus XXX und verfasse gerade eine Seminararbeit mit dem Thema Grundrecht auf Gewährung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Dies bzgl. habe ich eine kleine Umfrage vorbereitet. Ich wäre ihnen sehr dankbar, wenn Sie ein klein wenig Zeit opfern könnten, um die an diese Mail angehängten Fragen zu beantworten.

Im Voraus vielen Dank

Der Anhang

Fragebogen bzgl des neuen IT-Grundrechts (BVerfGE vom 27.02.2008)

1. Bedarf es für eine lückenfüllende Gewährleistung des Persönlichkeitsschutzes, um die neuartigen Gefährdungen für die Persönlichkeit durch den technischen Fortschritt und den Wandel der Lebensverhältnisse zu bewältigen, der Erfindung eines neuen Grundrechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme?

a. Wenn ja: Wieso erfassen aus ihrer Sicht die Schutzbereiche der Art. 13 und 10 GG und die Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I und 1 I GG) in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht auch den Bereich des IT-Grundrechts?

b. Wenn nein: Welche bzw. welches Grundrecht entfaltet seinen Schutz bereits auf die Gefährdung der Persönlichkeit durch einen „heimlichen“ Zugriff auf informationstechnische Systeme und warum (skizzieren sie kurz die entscheidenden Elemente)?

2. Wie würden Sie den Grundrechtsinhalt definieren?

  • Was sind informationstechnische Systeme (reicht die sporadische Aufzählung des BVerfG aus oder bedarf es einer genauen Begriffsbestimmung)?
    • Das Internet insgesamt (Abs. 4);
    • Rechnernetzwerke (Abs. 4);
    • Personalcomputer (Abs. 172);
    • Telekommunikationsgeräte (Abs. 173), z. B. Mobiltelefone (Abs. 203);
    • elektronische Geräte in Wohnungen (Abs. 173) bzw. „Steuerungsanlagen der Haustechnik“ (Abs. 202)
    • elektronische Geräte in Kraftfahrzeugen (Abs. 173);
    • elektronische Terminkalender (Abs. 203).
  • Ist der Zugriffsbegriff ausreichend definiert(s. Abs. 201 und 205)?
  • Ist es erforderlich das der Zugriff heimlich erfolgt?
  • Wann ist aus ihrer Sicht eine Gefährdung der Persönlichkeit anzunehmen?
  • Sind der Eingriff und die Schranken durch das BVerfG aus ihrer Sicht richtig definiert wurden?
  • Sind aus ihrer Sicht die besonderen Anforderungen, die das BVerfG an die Verhältnissmäßigkeitsprüfung gestellt hat, notwendig und erforderlich?
  • Die Verhältnismäßigkeit ist besonders streng zu prüfen, wenn
    • Daten erhoben werden, die Rückschlüsse auf das Kommunikationsverhalten zulassen, da dadurch die Möglichkeit der Bürger zur „unbeobachteten Fernkommunikation“ beschränkt werde; diese Möglichkeit liege auch „im Allgemeinwohl“ (Abs. 233);
    • die Überwachung länger andauert (Abs. 234ff);
    • der Eingriff heimlich erfolgt (Abs. 238);
    • andere Rechtsgüter des Betroffenen oder Dritter, z.B. die Integrität des Rechners, gefährdet sind (Abs. 239ff).
  • Ist ein heimlicher Zugriff nach diesen Maßstäben nur dann zulässig, „wenn bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen“ (Abs. 242)? Ab wann wäre für Sie ein Zugriffgerechtfertigt?

3. Wie beurteilen Sie den Richtervorbehalt?

  • Unterscheidet sich dieser von dem Richtervorbehalt für Wohnungsdurchsuchung?
  • Wie genau sollte ein Richter prüfen?
  • Welche Begutachtungspflichten sollten vorhanden sein?

4. Wie muss die Exekutive und die Judikative reagieren, um die Vorgaben des VerfG erfüllen zu können?

Müssen die Justizorgane neues Personal berufen?

5. Wie kann gewährleistet werden, dass die Vorgaben für den Kernbereichsschutz nicht in der Zukunft vereinfacht werden?

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61 Kommentare

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Herr Hoeren,

Sie (oder ein anderer Mitarbeiter des Beck-Blogs) haben die Kommentare von 08:24 und 09:56, in denen Sie den Absender der Emails als Plagiator bezeichnet hatten, und auf die ich oben Bezug genommen hatte, gelöscht. Außerdem haben Sie einen Kommentar von "wirdnichtgenanntwirdnichterkannt" (oder ähnlich) gelöscht, der ihre Moral als Datenschutzprofessor kritisiert hatte.

Möchten Sie erklären, wieso? Möchten Sie außerdem erklären, wieso Sie nachträgliche Änderungen an Ihrem Eintrag und in fremden Kommentaren nicht selbst dokumentieren?

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An Ersatz-Bauch: Siehe meinen Kommentar 28. Mai 2008 - 22:56
An Stephan: Ich habe Ihren Kommentar nicht gelöscht. Bitte noch mal posten.

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Kommentare verschwinden im beck-blog?
http://www.blog.beck.de/2008/06/01/kommentare-verschwinden-im-beck-blog/

Wahrscheinlich wurde Stephans Posting ein Opfer dieses "Bugs". Und auch dem Kommentar von "Unbenanntwirdnichterkannt" erging es vermutlich nicht anders. Ein Grund zum Löschen bestand offensichtlich jedenfalls in beiden Fällen nicht. Denn beide Kommentare gaben keinerlei personenbezogene Daten des Betroffenen preis.

Also am besten erneut posten und schauen, was passiert bzw. wie schnell der Bug gefixt ist!

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Jetzt ist der Kommentar wieder da, steht direkt vor meiner Frage wo er hin ist, insofern brauche ich ihn nicht erneut posten. Offensichtlich ist der Kommentar wirklich dem Bug zum Opfer gefallen. Aber wie heißt es immer so schön: It's not a bug it's a feature! ;)

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Was FHler so zu fragen wagen, man kann nur hoffen, dass diese Bachelor-Modularisierungen zeitnah wieder rückgängig gemacht werden, denn die fragen leider ähnlich, auch nach ihrem sog. "Abschluss".

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Solche Umfragen sind auch ein Resultat stark zunehmend schlechterer Studienbedingungen und deren nachteiliger Rahmenkonstellationen, denn Bologna und Modularisierungen sind das größte und dümmste Miß-Bildungsprojekt seit Erfindung der Schrift.

 

Aber nach den großen Protesten in Deutschland im Sommer 2009, herrscht jetzt Ausnahmezustand an österreichischen Unis - massive Besetzungen und Demonstrationen: http://www.taz.de/1/zukunft/wissen/artikel/1/uni-brennt-weiter/
, http://www.google.de/news?q=wien%20uni .

 

Und hier habe ich bei Gogle Video einen Beitrag gefunden, der die Proteste der letzten Jahre in Deutschland zusamenfasst: http://video.google.com/videoplay?docid=5132924373219365319&ei=KDDNSob2J...

 

Leider drückt sich das sinkende Bildungsniveau heutiger deutscher (Studenten) Auszubildender an den (Unis) Berufsausbildungsstätten auch in deren reduzierter intellektueller Reflektionsfähigkeit, geistiger Unfreiheit, Unwissenschaftlichkeit und Reaktionsarmut aus.

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Bologna lässt grüßen.

 

Sehr interessant ist das Interview mit Prof. Nida-Rümelin, wobei seine Konsequenz der Reform dieser untauglichen Reform nicht sinnvoll ist. Die Zerstörung des deutschen Bildungssystems muss dringend gestoppt und rückgängig gemacht werden, das Menschenbild des Bologna-Prozesses eines irgendwie schlecht aus- aber nicht gebildeten geschweige denn studierten Modul-Menschen ist grundweg abzulehnen. Selbst schäme ich mich jedes Mal sehr fremd, wenn ich bemerke, wie pragmatische "Wissenschaftler" unwissenschaftlich den Kopf in den Sand stecken und durch Tun oder gerade Nicht-Tun den ehemals großen Bildungsstandort Deutschland innerhalb weniger Jahre in die Bedeutungslosigkeit schweigen oder manipulieren.

Viele Aussagen Nida-Rümelins sind sehr lesenswert, etwa:

"Stattdessen verkürzen wir die Schulzeit um ein Jahr, wie es in den Bundesländern gerade geschieht, um dann mit einem fragwürdigen BachelorKonzept die Schulzeit faktisch um drei Jahre zu verlängern."

"Mit 18 ist man erwachsen. Und das muss auch an der Uni gelten. Es macht doch keinen Sinn, Erwachsene noch mal in den Status von Jugendlichen zurückzuversetzen. Genau das wird aber derzeit getan."

"Die Universitäten müssen ihre Mitglieder wieder ernst nehmen. Da sieht die Situation an den meisten deutschen Universitäten dramatisch schlecht aus. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: Der Rat von Studierenden ist häufig weitaus näher an der Realität, als die Theorien von so manchen Wissenschaftsmanagern."

"Wir brauchen einen erneuten Paradigmenwechsel, weg von der Idee, dass Universitäten wie Konzerne zu führen sind, hin zu der Idee einer Verantwortung und Einbeziehung aller in die Meinungsfindung. Die Idee der europäischen Universität als Republik der Lehrenden und Studierenden, der forschenden und administrativen Mitarbeiter."

"Heute haben wir in Deutschland BachelorStudiengänge, die international nicht konkurrenzfähig sind, weil die amerikanischen Universitäten sie nicht akzeptieren. Das ist doch eine Eselei sondergleichen. Völlig absurd ist auch, dass mit der Umsetzung der Hochschulreformen die Mobilität der Studierenden gesunken ist."

"Die zentrale These Humboldts ist die Verbindung von Wissenschaft, Bildung und Ausbildung. Diese Idee ist heute aktueller als noch im 19. Jahrhundert. Dass die Konfrontation mit Wissenschaft eine Persönlichkeitsbildung ermöglicht und damit zugleich Fähigkeiten entwickelt, die außerhalb der akademischen Welt Sinn machen, das muss die zentrale Vision einer europäischen Universität sein. Beschäftigungsfähig ist heute doch gerade der kritische, eigenständige Geist."

uvm.

http://www.taz.de/1/zukunft/schwerpunkt-uni/artikel0/1/unis-sind-keine-u...

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Schlechter Stiel ist das schon Herr Professor Hoeren und von Souveränität und Grandseigneur weit entfernt. selbst wenn man sich aus einer Stimmung zu einem Beitrag wie diesem hinreißen lässt, könnte man ihn nach vielen Jahren auch mal wieder entfernen und auf jedenfall nicht durch Verlinkung in Erinnerung rufen.

 

 

 

 

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