Überraschender Griff nach einem Joint durch einen Jugendlichen: OLG Zweibrücken zur Strafbarkeit des "Besitzers"

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 08.11.2020

Das Amtsgericht hat einen Angeklagten wegen unerlaubten Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch an einer Person unter 18 Jahren gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt. 

Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte saß nach der Arbeit mit mehreren Kollegen zusammen. Er packte ein Tütchen mit Marihuana aus und baute einen Joint mit einem Marihuana-Tabak-Gemisch. Diesen rauchte er gemeinsam mit einem der Kollegen, wobei der Joint abwechselnd zwischen dem Angeklagten sowie dem Kollegen hin und her ging und zwischenzeitlich in einen Aschenbecher gelegt wurde. Als der Joint in dem Aschenbecher abgelegt war, griff ein minderjähriger Kollege in Anwesenheit des Angeklagten, der dies hätte verhindern können, nach dem Joint, zog einmal daran und legte ihn hiernach wieder in den Aschenbecher. 

Das Amtsgericht hat das festgestellte Verhalten als „unerlaubtes Überlassen von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG“ gewertet und die Strafe dem gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG entnommen.

Hier stellt sich mir schon die Frage, wie das Amtsgericht auf eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen kommen konnte. Bei Annahme eines minder schweren Falles sieht § 29a Abs. 2 BtMG einen Strafrahmen zwischen 3 Monaten und 5 Jahren Freiheitsstrafe vor. Vertypte Milderungsgründe sind offensichtlich nicht gegeben, womit eine weitere Strafrahmenverschiebung über § 49 StGB nicht in Betracht kommt. Damit hätte das Amtsgericht über § 47 Abs. 2 StGB m.E. nur auf eine Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen kommen können. 

Das OLG Zweibrücken hat das Urteil auf die Sprungrevision des Angeklagten indes wegen anderer Gründe aufgehoben, wie sich aus den folgenden Entscheidungsgründen ergibt (Beschl. v. 6.10.2020 – 2 Ss 38/20, BeckRS 2020, 26388):

„Diese Feststellungen vermögen den Schuldspruch wegen (vorsätzlich begangenen) unerlaubten Überlassens von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren zum unmittelbaren Verbrauch (vgl. zur Fassung des Schuldspruchs: BGH, Beschluss vom 14.04.2015 - 5 StR 109/15 sowie Urteil vom 22.11.2016 - 1 StR 329/16, jew. juris) nicht zu tragen.

1. Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch i.S.d. § 29a Abs. 1 Nr. 1, 3. Alt. BtMG ist die Aushändigung des Betäubungsmittel an einen anderen (hier an einen Minderjährigen) zur sofortigen Verwendung, ohne dass dieser die freie Verfügungsgewalt daran erlangt (Oğlakcıoğlu in MünchKomm-StGB, 3. Aufl. 2018, BtMG § 29a Rn. 19; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, § 29a Rn. 14, jew. m.w.N.). Ein Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch setzt schon nach dem Wortlaut eine ,Hingabe‘ des Stoffes durch den Täter an den Konsumenten zum Verbrauch voraus (vgl. Kotz/Oğlakcıoğlu, MünchKomm-StGB, 3. Aufl. 2018, BtMG § 29 Rn. 1272). Eine solche Hingabe des Stoffes muss zwar nicht in der Weise geschehen, dass das Betäubungsmittel unmittelbar vom Täter an den Konsumenten übergeben, diesem mithin quasi ,in die Hand‘ gegeben wird. Denkbar und von Sinn und Wortlaut der Norm umfasst sind auch Fälle, in denen der Täter eine Zugriffsmöglichkeit auf den Stoff in der Weise schafft, dass dies bereits nach dem äußeren Erscheinungsbild wenn nicht gar als Aufforderung zum Konsum, so doch jedenfalls als Einverständnis hinsichtlich des Zugriffs durch einen Dritten verstanden werden kann. Mithin bedarf es - auch in Abgrenzung zum lediglich als Vergehen nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 BtMG strafbaren Verschaffen einer Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch (hierzu: Patzak aaO. § 29 Rn. 13) - eines Verhaltens, durch das der Täter zum Ausdruck bringt, mit dem (Mit-)Konsum des Betäubungsmittels durch den Minderjährigen zumindest einverstanden zu sein. Hierfür reicht es nicht aus, wenn derjenige, der die Verfügungsgewalt über den Stoff inne hat, den Zugriff durch den Minderjährigen ,hätte verhindern können‘ (UA S. 3). Dass der Angeklagte zumindest damit gerechnet hat, dass der Zeuge L nach dem Joint greifen und daran ziehen würde, und dies auch gebilligt hat, versteht sich nach den festgestellten Gesamtumständen nicht von selbst. Einer solchen Annahme kann bereits entgegen stehen, dass der Joint zuvor ausschließlich zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen T abwechselnd geraucht wurde, die ebenfalls anwesenden Zeugen B und K an dem Konsum jedoch nicht teilnahmen. Das Amtsgericht hätte sich daher näher als bislang geschehen damit auseinandersetzen müssen, aus welchen Umständen eine vorsätzlich begangene Hingabe des Joints (auch) an den Minderjährigen gefolgert werden kann.

2. Das angefochtene Urteil unterliegt daher insgesamt der Aufhebung. Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird zu beachten haben, dass der Angeklagte sich bereits durch das Überlassen des Joints an den Zeugen T wegen eines Vergehens nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 lit. b BtMG (vgl. Patzak aaO. § 29 Rn. 97) und nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG (vgl. wegen der Konkurrenzen: Weber, BtMG, § 29, Rn. 1392 f., 1399) strafbar gemacht haben kann.“

 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

[ironie]Zweifel an der Schuld? Zweifel an der Subsumtion? Eine Senkung des Strafmaßes erlaubt es, trotzdem zu einer Verurteilung zu kommen.[/ironie]

0

Kommentar hinzufügen