Sehr praxisrelevant: BGH zur Einziehung – Teil 7 (Einziehung von Wertersatz in Jugendsachen zwingend?)

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 09.02.2020

Eine Entscheidung des 2. Strafsenats des BGH in dieser Woche hat mich daran erinnert, meine Serie zur Einziehung fortzusetzen. Der 2. Strafsenat hat eine Revision als unbegründet verworfen und dabei ausgeführt, seinem Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung stehe ein Anfragebeschluss des 1. Strafsenats nicht entgegen (BGH, Beschl. v. 15.1.2020, 2 StR 555/19, so auch schon der 5. Strafsenat mit Beschl. v. 26.11.2019, 5 StR 570/19 = BeckRS 2019, 31926).

Der 2. Strafsenat spricht auf den Anfragebeschluss des 1. Strafsenats vom 11.7.2019 an. Hierin teilt der 1. Strafsenat mit, er vertrete - anders als andere Senate - die Auffassung, dass im Jugendverfahren die Einziehung von Taterträgen nicht zwingend sei, sondern im Ermessen des Tatrichters stehe (1 StR 467/18, NStZ 2019, 682):

Nach altem Recht konnten erzieherische Interessen nach Maßgabe von § 73 c StGB aF berücksichtigt werden. Da dies nach neuem Recht so nicht möglich ist, ist für die Fälle der Wertersatzeinziehung nach einer Korrekturmöglichkeit zu suchen. Ausgangspunkt ist die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG; sie räumt dem Jugendrichter bei der Einziehungsanordnung ein Ermessen ein. Für ein dahingehendes Ermessen streitet aus systematischen Erwägungen auch § 15 Abs. 2 JGG. Danach dürfen ,erdrückende Geldauflagen‘ nicht angeordnet werden. Die Bestimmung des § 459 g StPO reicht nicht aus, um den Erziehungsgedanken bei der Einziehung im Jugendstrafrecht ausreichend zu wahren. Zivilrechtliche Erwägungen zum Schadensersatz stehen der Einräumung von Ermessen nicht entgegen, zumal da hierfür auch der Erziehungsgedanke in Feld zu führen ist.“

Es geht also um die Frage, ob Jugendliche/Heranwachsende durch eine zwingende Einziehungsanordnung teilweise mit enormen Schulden aus dem Verfahren gehen müssen oder ob das Tatgericht hiervon nach eigenem Ermessen absehen kann.

Der 2. Strafsenat (Urt. v. 21.11.2018, 2 StR 262/18 = NStZ 2019, 221) und der 5. Strafsenat (Urt. v. 8.5.2019, 5 StR 95/19 = BeckRS 2019, 9584) halten die Einziehung des Wertes von Taterträgen auch im Jugendstrafrecht für eine zwingende Rechtsfolge der §§ 73 Abs. 1, 73c StGB, die Vermeidung unbilliger Härten müsse im Vollstreckungsverfahren vorgenommen werden (§ 459g Abs. 5 Satz 1 StGB). Dies hat der 5. Strafsenat beispielsweise wie folgt begründet (BGH, Urt. v. 8.5.2019, 5 StR 95/19 = BeckRS 2019, 9584:

„Entgegen der Auffassung der Jugendkammer gibt die umfassende Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung mit dem Wegfall der Härtefallklausel des § 73c StGB aF keinen Anlass zu einer Neubewertung … . Die gesetzliche Neuregelung hat den Rechtscharakter der Maßnahme nicht verändert … . Anstelle einer Berücksichtigung der finanziellen Situation des Täters oder Teilnehmers bereits im Erkenntnisverfahren ist zur Vermeidung unbilliger Härte nunmehr im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO die Möglichkeit getreten, von einer Vollstreckung der Einziehungsentscheidung abzusehen. Die vollstreckungsrechtliche Härteklausel schützt den Betroffenen ebenso wirkungsvoll vor übermäßigen Eingriffen wie § 73c StGB aF … . Bei einer Entreicherung oder sonstigen Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung stellt sich die Neuregelung für den Angeklagten sogar günstiger dar, weil nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO eine Vollstreckung der Einziehungsanordnung zwingend zu unterbleiben … .

Im Rahmen der Neuregelung der Vermögensabschöpfung hat der Gesetzgeber keinen Anlass gesehen, Sonderregelungen für das Jugendstrafverfahren zu treffen (vgl. Korte, NZWiSt 2018, 231, 232 f.) und Maßnahmen der Einziehung etwa den nach der Ausnahmevorschrift des § 6 Abs. 1 JGG unzulässigen Nebenfolgen zuzuordnen. Vielmehr hat er die Anwendbarkeit des Instituts der Einziehung bzw. der Wertersatzeinziehung auch weiterhin für das gesamte Strafrecht angeordnet, was sich für das Jugendstrafrecht mittelbar daraus ergibt, dass er an der Regelung des § 76 Satz 1 JGG über die Voraussetzungen des vereinfachten Jugendverfahrens festgehalten und sie lediglich redaktionell (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 104) angepasst hat. Im Rahmen der nunmehr im Vollstreckungsverfahren vorzunehmenden Härtefallprüfung, die bei Jugendlichen in der Zuständigkeit des Jugendgerichts liegt (§ 82 Abs. 1 JGG), sind sowohl der Umstand der Entreicherung als auch sonstige für die Verhältnismäßigkeit maßgeblichen Aspekte und damit im Jugendstrafrecht insbesondere auch erzieherische Erwägungen zu berücksichtigen, wobei ohnehin die Abschöpfung der Erträge aus Straftaten dem Erziehungsgedanken regelmäßig entsprechen wird (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, aaO, S. 179 Rn. 13; Korte, aaO, S. 233).“

Der 2. und 5. Strafsenat haben auf die Anfrage noch nicht geantwortet. Es bleibt spannend, wie dieses sehr praxisrelevante Rechtsproblem gelöst wird.  

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