"Mein Kampf" gelesen – gekündigt

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 27.09.2017
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht4|4926 Aufrufe

Seit dem Jahre 2016, also gut 70 Jahre nach Hitlers Tod, ist dessen Kampf- und Propagandaschrift „Mein Kampf“ urheberrechtsfrei. Anfang 2016 stellte das Münchener Institut für Zeitgeschichte (IfZ) seine in drei Jahren erarbeitete kommentierte Ausgabe vor. Das ist eine spannende und zugleich bedrückende Lektüre.

Welche Gedanken sich ein Mitarbeiter des Bezirksamts Berlin Reinickendorf gemacht hatte, als er während der Arbeitszeit im Pausenraum des Dienstgebäudes die Originalausgabe von „Adolf Hitler, Mein Kampf“ mit einem eingeprägten Hakenkreuz zu lesen begann, wird sich wohl kaum mehr aufklären lassen. Jedenfalls kam es infolge dieses Vorfalls zu einer Kündigung, die das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 25.09.2017, Aktenzeichen 10 Sa 899/17) jetzt bestätigt hat. Der seit neun Jahren beim Land Berlin beschäftigte Mitarbeiter verteidigte sich mit dem Hinweis, es sei ihm nicht klar gewesen, dass er etwas Verbotenes getan habe. Auch habe er das Buch ja nicht öffentlich gezeigt, sondern im Pausenraum, der letztlich nur von Mitarbeitern des Bezirksamtes genutzt werde. Er habe das Buch auf einem Flohmarkt gekauft und eher zufällig mit zur Arbeit genommen.

Das Gericht ging indes davon aus, dass der Kläger wusste, was er tat. Nicht zuletzt nach einer erfolgreichen Dienstzeit bei der Bundeswehr, in der es auch politische Schulungen gegeben habe. „Es war Ihnen bekannt, dass Hakenkreuze in der Öffentlichkeit nichts verloren haben", sagte Richter Wenning-Morgenthaler laut einem Bericht der Berliner Morgenpost. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es weiterhin: Der Mitarbeiter trete in Uniform als Repräsentant des Landes Berlin auf und sei in besonderer Weise verpflichtet, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Er habe mit dem öffentlichen Zeigen des Hakenkreuzes, einem verfassungswidrigen Symbol, in besonderer Weise gegen diese Verpflichtung verstoßen. Das beklagte Land müsse dieses schwerwiegende Verhalten nicht abmahnen, sondern könne es zum Anlass für eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses nehmen. Die Revision zum BAG wurde nicht zugelassen.

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4 Kommentare

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Ich halte das Urteil für unrichtig. Das Buch ist nicht verboten. Welcher Schund im Pausenraum privat während einer Pause gelesen wird, unterliegt der allgemeinen Handlungsfreiheit des Betroffenen, wenn dadurch nicht andere Mitarbeiter gestört oder herabgesetzt, bzw. beleidigt werden. Ene Abmahnung wäre wohl auf jeden Fall nötig gewesen. Die genaue Urteilsbegründung wird interessant, insbes. hinsichtlich des "öffentlichen Zeigen des Hakenkreuzes". Strafbar scheint das Verhalten ja wohl auch nicht gewesen sein. Ich selbst hätte, vorbehaltlich besserer Belehrung oder Abmahnung, zunächst wohl auch kein Problem damit gehabt, das auf dem Flohmarkt gekaufte Buch im Pausenraum aufzuschlagen.

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In der Kürze, in der die Entscheidung und ihre Gründe in den Medien wiedergegeben werden, kann ich sie auch nicht nachvollziehen. Wurde das Lesen des Buches als Indiz oder Beweis für eine rechtsstaatsfreindliche Gesinnung genommen? Gab es einen konkreten Kollegen oder eine konkrete Kollegin, die damit provoziert wurde, bspw. weil es zuvor Streit um seinen/ihren Migrationshintergrund gab? Geht es um Verschwendung von Arbeitszeit - hätte stattdessen etwas anderes getan werden müssen?

Die bloße Verknüpfung Lesen [auch eines bestenfalls zweifelhaften Buches] = Kündigung hingegen weckt selbst unangenehme Assoziationen.

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Ich kann mir vorstellen, dass der (eigentlich als juristisch gut beleumundete) Vorsitzende von den beiden übereifrigen Schöffen überstimmt wurde, welches Gefühl mich seit einiger Zeit bei einigen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen immer öfter beschleicht. Das beste an Schöffen ist nämlich bekanntlich, dass sie nicht stören. Wehe, wenn dieser alte Grundsatz in Bewegung kommt.

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Die FAZ bringt heute (18.10.2017) einen Artikel ("Der Schöffe, das unbeliebte Wesen"), der sich kritisch mit dem deutschen Schöffen(un)wesen auseinandersetzt. Die Justizministerin Mecklenburg- Vorpommerns, Katy Hoffmeister (CDU), will die Laien bei Wirtschaftsstrafverfahren abschaffen. Meines Erachtens sollte man das bei allen Gerichtsbarkeiten ernsthaft überlegen, besonders in der Arbeitsgerichtsbarkeit, in der Schöffen, anders als in allen anderen Gerichtsbarkeiten, bis in die obersten Instanzen hinein mitbestimmen und bis zum LAG die Berufsrichter sogar überstimmen können. Das ist im rechtlich komplexen Arbeitsrecht völliger Unsinn.  "Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof arbeiten mit guten Gründen auch nicht mit Laien zusammen".

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