AGG-Hopping gelangt zum EuGH

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 22.06.2015

Der Achte Senat hat die rechtliche Beurteilung einer "Scheinbewerbung" dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Im nationalen Recht sind bislang unterschiedliche Ansätze verfolgt worden, um das sog. AGG-Hopping zu unterbinden. Teilweise wurde die Auffassung vertreten, "Bewerber" i.S. von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG sei nur, wer sich objektiv und subjektiv ernsthaft um die ausgeschriebene Stelle bemüht, im Falle des Erfolgs der Bewerbung also einen Vertragsabschluss ernsthaft in Betracht zieht. Nicht "Bewerber" sei demgegenüber derjenige, dem es nur darauf ankomme, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG beanspruchen zu können (BeckOK/Roloff § 6 AGG Rn. 3). Das BAG, das diesen Ansatz früher auch bei § 611a BGB aF verfolgt hatte, argumentiert in jüngerer Zeit eher dahin, dass sich "Scheinbewerber" nicht in einer mit "echten" Bewerbern "vergleichbaren Situation" (§ 3 Abs. 1 AGG) befinden oder ihnen der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegen zu halten sei (vgl. BAG, Urt. vom 16.2.2012 − 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667, 669; Urt. vom 24.1.2013 – 8 AZR 429/11, NZA 2013, 498, 500; Urt. vom 14.11.2013 – 8 AZR 997/12, NZA 2014, 489, 490). Unionsrechtlich abgesichert ist dies bislang jedoch nicht. Dies holt das Gericht jetzt nach und fragt beim EuGH an:

Ist das Unionsrecht dahingehend auszulegen, dass auch derjenige „Zugang zur Beschäftigung oder zur abhängigen Erwerbstätigkeit“ sucht, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können?

Im Streitfall steht zur Überzeugung des BAG fest, dass der Kläger sich nur deshalb auf die ausgeschriebene Stelle beworben hatte, um im Falle seiner Ablehnung eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG beanspruchen zu können. Aufgrund der gesamten Umstände des Falles geht das Gericht nicht davon aus, dass er ernsthaft am Abschluss eines Arbeitsvertrages interessiert war:

Der Kläger hat 2001 die Ausbildung zum Volljuristen abgeschlossen und ist seither überwiegend als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Die Beklagte, die zu einem großen Versicherungskonzern gehört, schrieb ein „Trainee-Programm 2009“ aus. Dabei stellte sie als Anforderung einen nicht länger als ein Jahr zurückliegenden oder demnächst erfolgenden sehr guten Hochschulabschluss und qualifizierte berufsorientierte Praxiserfahrung durch Ausbildung, Praktika oder Werkstudententätigkeit. Bei der Fachrichtung Jura wurden zusätzlich eine arbeitsrechtliche Ausrichtung oder medizinische Kenntnisse erwünscht. Der Kläger bewarb sich hierfür. Er betonte im Bewerbungsschreiben, dass er als früherer leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung über Führungserfahrung verfüge. Derzeit besuche er einen Fachanwaltskurs für Arbeitsrecht. Weiter führte er aus, wegen des Todes seines Vaters ein umfangreiches medizinrechtliches Mandat zu betreuen und daher im Medizinrecht über einen erweiterten Erfahrungshorizont zu verfügen. Als ehemaliger leitender Angestellter und Rechtsanwalt sei er es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen und selbständig zu arbeiten. Nach der Ablehnung seiner Bewerbung verlangte der Kläger eine Entschädigung iHv. 14.000,00 Euro. Die nachfolgende Einladung zum Gespräch mit dem Personalleiter der Beklagten lehnte er ab und schlug vor, nach Erfüllung seines Entschädigungsanspruchs sehr rasch über seine Zukunft bei der Beklagten zu sprechen.

Zur Überzeugung des BAG steht das Bewerbungsschreiben einer Einstellung als „Trainee“ entgegen. Selbst die Einladung zu einem Personalgespräch habe der Kläger ausgeschlagen. Damit sei er nach nationalem Recht nicht „Bewerber“ und „Beschäftigter“ iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG anzusehen. Das Unionsrecht kenne in der RL 2000/78/EG den Begriff des „Bewerbers“ jedoch nicht, sondern schütze den „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger und selbständiger Erwerbstätigkeit“. Nicht geklärt sei, ob das Unionsrecht voraussetze, dass wirklich der Zugang zur Beschäftigung gesucht werde und eine Einstellung bei dem Arbeitgeber tatsächlich gewollt sei. Ob für das Eingreifen des unionsrechtlichen Schutzes das Vorliegen einer formalen Bewerbung genüge, sei eine allein dem EuGH überantwortete Auslegungsfrage.

Die Argumentation des BAG überrascht insofern ein wenig, als das Gericht zuletzt - wie eingangs erwähnt - selbst gar nicht mehr mit dem Begriff des "Bewerbers", sondern mit § 3 Abs. 1 AGG oder § 242 BGB argumentiert hatte. Dass ein Rechtsmissbrauch der Geltendmachung von Ansprüchen auch unionsrechtlich entgegenstehen kann, ist spätestens seit der Rechtssache "Paletta II" (EuGH, Urt. vom 2.5.1996 - C-206/94, NZA 1996, 635, 636 Rz. 24) für das Arbeitsrecht geklärt. Nachdem das BVerfG zuletzt allerdings dem BAG vorgehalten hatte, es habe mit der Nichtvorlage an den EuGH dem Kläger seinen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen (vgl. BVerfG, Beschl. vom 10.12.2014 – 2 BvR 1549/07, NZA 2015, 375), geht der Achte Senat jetzt den sichersten Weg und schickt die Akten nach Luxemburg. Damit dürften zugleich eine Reihe weiterer Revisionsverfahren, in denen ebenfalls erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bewerbung bestanden, für längere Zeit ausgesetzt werden (§ 148 ZPO).

BAG, Beschl. vom 18.6.2015 - 8 AZR 848/13 (A)

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152 Kommentare

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Die Vorlage überrascht aus mehreren Gründen:

 

1.)

 

Das BAG ist eine Revisionsinstanz und hat daher nicht die Kompetenz über tatsächliche Fragen zu entscheiden. Die Frage, ob ein Bewerber tatsächlich kein Interesse an der ausgeschriebenen Stelle hat, ist aber eindeutig eine Tatsachenfrage, so dass das BAG gar nicht befugt ist, hierüber zu befinden.

 

2.)

 

Fraglich erscheint, warum die Bewerbung nicht ernsthaft gewesen sein soll. Gesucht wurde nach einem Bewerber mit arbeitsrechtlichen und medizinrechtlichen Kenntnissen. Der Bewerber hat dargelegt, warum er diese Kenntnisse hat. Wenn ein Arbeitgeber einen Bewerber erst dann zum Vorstellungsgespräch einlädt, wenn er mit Ansprüchen nach dem AGG konfrontiert wird, dann liegt allenfalls nahe, dass die Einladung zum Vorstellungsgespräch zum Schein erfolgt ist. Es ist kaum darstellbar, dass ein Bewerber, der zuvor Ansprüche nach dem AGG geltend gemacht hat, gleichwertige Chancen auf die Stelle hat wie andere Bewerber, die diese Ansprüche nicht geltend gemacht haben.

 

3.)

 

Bisher hat das BAG immer die Auffassung vertreten, dass einer Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegen gehalten werden könne. Hierfür trage der Arbeitgeber die volle Darlegungs -und Beweislast. Jetzt plötzlich erscheint es so, als ob das BAG einen Sachverhalt selbst so hinbiegt, damit es ihn dem EuGH präsentieren kann.

 

4.)

 

Angesichts der Tatsache, dass das BAG bisher eher zurückhaltend mit Vorlagefragen war, wird diese Frage nunmehr dem EuGH vorgelegt, obwohl das BAG seit ca. 10 Jahren diese Frage schon geklärt hat. Gab es zuvor diesen Klärungsbedarf in europarechtlicher Hinsicht noch nicht?

 

5.)

 

Vielleicht sollte vorab einmal geklärt werden, wann denn genau eine Bewerbung nicht ernsthaft sein soll. Andernfalls wäre dann dem Missbrauch durch Gerichte Tür und Tor geöffnet. Die Kasuistik hierzu erscheint grenzenlos und einem Menschen einen gesetzlich verbrieften Anspruch auf Umwegen zu entziehen, müsste auf absolute Extremfälle beschränkt bleiben.

 

Man sollte den genauen Wortlaut des Vorlagebeschlusses abwarten, denn die Pressemitteilungen sind oftmals etwas ungenau.

 

Es scheint in jedem Falle eine sehr interessante Rechtsfrage zu sein, die das BAG möglicherweise bisher immer irgendwie umgangen hat und aus welchen Gründen auch immer nunmehr dem EuGH vorlegen muss.

 

 

 

 

5

Laut FAZ  ("Bundesarbeitsgericht wehrt sich" vom 19.06.15) ist der Herr, um den es bei der Vorlage  geht, jemand, der auch hier im blog kommentiert und dabei gerne mal auf die Diskriminierung in finsteren Zeiten der deutschen Geschichte verweist, um sein Vorgehen zu legitimieren. Und gegen den wegen seines Bewerbungsverhaltens eine Anklageschrift  vorliegt...

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Merkwürdig! Bisher hatte das BAG, worauf Herr Professor Rolfs zutreffend hinweist, in st. Rspr. völlig zu Recht vertreten, dass für den Bewerberstatus "die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung keine Voraussetzung" ist (BAG, U. v. 23.8.2012 - 8 AZR 285/11). Das kann doch auch gar nicht anders sein, andernfalls unser ganzes Rechtssystem in den Grundfesten erschüttert würde. Müßte ein Katholik nachweisen, daß er nicht nur "scheinbar" Katholik ist, weil er sonntags nicht in die Kirche geht, sondern eigentlich nur eine Anstellung bei der Caritas will? Müßte in Zukunft jeder Käufer beweisen, daß er nicht nur "den Status" eines Käufers wollte um dann Gewährleistungsansprüche geltend zu machen? Sollen die Rechtswirkungen einer Ehe nicht gelten, weil die Ehepartner sich nicht "lieben", sondern nur wegen Ehegattensplitting und Alimenten den "Status" wollen?

Man kann doch nicht alle Ansprüche und Wohltaten unseres Rechts davon abhängig machen, daß sie aus angeblich „richtigen“ Motiven geltend gemacht werden. Eine solche ungeschriebene immanente Schranke unseres Rechts ist bisher völlig unbekannt, verfassungs- und systemwidrig. Solche Motive und innere Befindlichkeiten gelten doch bisher als völlig unwesentlich. Was soll das? Das kann doch nicht ernst gemeint sein, oder?

 

 

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@Gast:

 

Ich stimme Ihnen zu. Die Gefahr derartiger Beeinträchtigungen unserer Rechtsordnung liegt auf der Hand. Auf diese Art und Weise kann die Absolutheit des Rechts in willkürlicher Art und Weise unterlaufen werden. Ein vom Gesetzgeber garantierter Anspruch wird praktisch nicht durchsetzbar, weil ein Gericht oder ein Dritter behauptet, der Anspruchsteller hätte vorgeblich Motive, die den Anspruch zum erlöschen bringen.

 

Dies scheint aber ein Massenphänomen unserer Zeit zu sein. Anstatt die Urheberrechtsverletzer bei Online-Tauschbörsen zu verfolgen, verfolgen wir die Rechtsanwälte, die diese Urheberrechtsverletzungen in der Form von Abmahnungen aufdecken. Eine Ehe wird doch auch nicht deswegen unwirksam, weil eine Frau sich einen Millionär aus finanziellen Gründen angelt.  Ich habe auch noch nie gehört, dass beispielsweise eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht schon dann erfolglos ist, wenn der Arbeitnehmer gar nicht weiterarbeiten möchte, sondern die Zahlung einer Abfindung erstrebt.

 

Wenn wir das Bestehen von Rechten von einer Motivlage abhängig machen, dann laufen wir Gefahr, den Gewaltenteilungsgrundsatz zu unterlaufen, denn auf diese Weise könnte sich ein Gericht zum faktischen Gesetzgeber aufschwingen, indem es einfach Motive unterstellt, um einen Anspruch nicht zur Geltung zu verhelfen.

 

Zur weiteren Beurteilung der Rechtsfrage wäre auch zu hinterfragen, ob in dem hier relevanten BAG-Verfahren noch weitere Bewerber geklagt haben. Falls der Kläger der einzige war, der letztlich geklagt hat, dann wäre es mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sicherlich nicht vereinbar, dass man dem Kläger den Anspruch verweigern will, während derjenige, der elementares Unrecht in der Form einer Diskriminierung begangen hat, sanktionslos davonkommt.

 

 

5

@ Gast79:

Sie schreiben:

"Wenn ein Arbeitgeber einen Bewerber erst dann zum Vorstellungsgespräch einlädt, wenn er mit Ansprüchen nach dem AGG konfrontiert wird, dann liegt allenfalls nahe, dass die Einladung zum Vorstellungsgespräch zum Schein erfolgt ist."

Darüber hat das Landesarbeitsgericht Hamm bereits befunden (Beschluss vom 19. Mai 2011, Az. 14 Ta 519/10).

5

@Noch ein Gast

Sie haben Recht! Das LAG Hamm schreibt ausdrücklich zutreffend: "Deshalb begegnet es grundsätzlichen Zweifeln, eine danach unterbliebene erneute Bewerbung als Indiz dafür zu werten, dass eine ernsthafte Bewerbungsabsicht zum Zeitpunkt der ersten Bewerbung nicht vorlag" (LAG Hamm, Beschluss vom 19. Mai 2011, Az. 14 Ta 519/10, Rz. 28).

Das leuchtet natürlich eo ipso ein. Ein auf Entschädigung in Anspruch genommener Arbeitgeber wird natürlich den Teufel tun und den Anspruchsteller unvoreingenommen und vorurteilsfrei ernsthaft zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen! Der Beschluß des BAG wird immer sonderbarer...

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@ gaestchen (#2):

Die Wahl des Benutzernamens kann hier im blog bekanntlich frei erfolgen. Ob derjenige, der unter einem bestimmten Namen Kommentare abgibt, wirklich so heißt (und mit dem Kläger im vorliegenden Verfahren identisch ist), lässt sich nicht verifizieren.

 

 

@gaestchen:

 

Der aktuelle FAZ-Artikel kann doch nichts anderes als eine sog. "Zeitungs-Ente" sein.

 

Die Überschrift: "Das BAG wehrt sich"???? Gegen was? Gegen Klagen? Durch was? Indem es den EuGH zur Klärung einer Rechtsfrage anruft? Bisher hat es das BAG tunlichst vermieden, den EuGH zu Rate zu ziehen.

 

Welches halbwegs seröse Nachrichtenmagazin berichtet über einen Kläger mit vollem Vor -und Zunamen?

 

Falls der Kläger tatsächlich verfolgt wird, dann frage ich mich ernsthaft, wo er denn angeklagt worden ist. In Haiti? in Weißrussland, Nordkorea, Bayern oder Kärnten?

 

Falls dieser Mensch tatsächlich verfolgt wird, weil er gegen Diskriminierungen auf dem Rechtswege vorgeht, dann wären etwaig gezogene "Parallelen" zu unseren ehemaligen Unrechtsstaaten nicht ganz abwegig.

 

Soweit ich weiss, setzt der Vorwurf des Betrugs ein paar Tatbestandsmerkmale voraus. Oder ist dies in der heutigen Zeit nicht mehr erforderlich, solange die Medien schon die "Verurteilung" vornehmen?

 

 

4

@ guestcomment:

Herr Jahn von der FAZ, der gegen Herrn Kratzer meines Wissens schon vor Gericht aufgrund rechtswidriger Berichterstattung unterlegen ist (vgl. das Qualitätswerk: http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/recht-und-gehalt/berufsklaeger-1...), ist ein besonders fleißiger Verteidiger der bedauernswerten Arbeitgeber, denen man es tatsächlich untersagen möchte zu diskriminieren.

Ich zitiere aus dem Jahr 2009:

"Die Forderungen der Datenschützer waren grotesk."

Und weiter:

"Millionen von Euro mussten Unternehmen bereits für Schulungen ausgeben, seit vor drei Jahren das AGG verabschiedet wurde."

http://blogs.faz.net/wort/2009/08/16/datenschuetzer-erleichtern-klagemis...

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Wäre es nicht die FAZ, die ich auch lese, sondern die BILD würde ich mich ja gar nicht weiter wundern. Aber die FAZ sollte wenigstens wissen, daß ein Gericht nicht dazu berufen ist, sich gegen ein Gesetz zu "wehren", sondern es zu "befolgen". Kann es sein, daß dieser Herr Jahn auf einen Sprecherjob bei den Arbeitgebern schielt?

Soweit dieser Herr Jahn berichtet, daß der Kläger "angeklagt" worden sei, sei darauf hingewiesen, daß die Staatsanwaltschaften v. a. in Bayern manchmal völlig wahllos anklagen, was nachher sogar im schwarzen Bayern nicht mehr hält, wo kürzlich bandenmäßiger Betrug angeklagt war und dann Freispruch erfolgte, vgl.:

http://www.channelpartner.de/a/freispruch-fuer-facebook-abmahner,3045676

Ich sehe keinerlei Grund für irgendeine Art von Strafbarkeit.

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@ Dr. Ruebenach: In der Überschrift und in dem Artikel steht nichts davon, dass sich das Gericht gegen ein Gesetz wehrt und es nicht befolgen will, das ist jetzt Ihre freie Interpretation. Selbst im nichtschwarzen Bayern soll es vorkommen, dass "völlig wahllose" Anklagen nicht zugelassen werden oder mit Freispruch oder Einstellung enden.... , sogar im roten Berlin oder Brandenburg, oder man trotz einer klaren BGH-Entscheidung (Mannesmann) zur Strafbarkeit  den Schwanz einzieht und einen 153a aushandelt...

Dass Jahn oder sein Redakteur vielleicht nicht die schlauesten Überschriften wählt: geschenkt. Die Fakten im Bericht nach der Überschrift sind offenbar korrekt. Den Bericht zur Anklage der Münchner Staatsanwaltschaft findet man problemlos mit einer gängigen Suchmaschine.

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p.s.:
Beim googeln findet man auch noch einen Spiegel-Artikel zum Charite-Fall. Dort wird der Kläger sinngemäß mit den Worten zitiert, das lohne sich doch alles gar nicht finanziell, also sei kein finanzielles Interesse dahinter. Wenn man die Summen ansieht, um die es bei der Anklage gehen soll, scheint der Idealismus doch eher einem finanziellen Interesse gewichen zu sein.

3

 

@gaestchen:

 

Also §15 Abs. 2 AGG sieht eine Entschädigung in Geld vor. Dass der abgelehnte Bewerber die Stelle in der Form der Naturalrestitution nicht haben soll, kann man in § 15 Abs. 6 AGG lesen.

 

Also wenn der abgelehnte Bewerber jetzt die Stelle nicht bekommen soll, dann sei es verwerflich, Geld zu verlangen? Ja, also was soll denn nun dann die Konsequenz sein? Dass niemand klagt?

 

Der Gesetzgeber blockiert eine Möglichkeit, dem abgelehnten Bewerber die Stelle zu übertragen (sog. fehlender Kontrahierungszwang). Im gleichen Atemzug soll er aber auch keine Entschädigung erhalten, wenn ein Sachverhalt über ein inneres Motiv vorliegt, das faktisch niemals herausgefunden werden kann.

 

Man kann sich irgendwie nicht des Eindrucks erwähren, dass es zahlreiche Vertreter gibt, die im Ergebnis wollen, dass eine Beanchteiligung gar keine Konsequenzen hat. Dies hätte aber zur Folge, dass es einen wirksamen  Diskriminierungsschutz überhaupt nicht gibt. Die EU verlangt diesen Diskriminierungsschutz jedoch auch von Deutschland. Man kann doch nicht auf der einen Seite den Ausschluß beispielsweise von Griechenland fordern, weil es vorgeblich bestimmte Vorgaben der EU nicht erfüllt, aber dann selbst für sich in Anspruch nehmen diese Vorgaben faktisch nicht erfüllen zu wollen.

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@gaestchen:

 

Auch im Rahmen unseres Stammtischs der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht wurde gestern der Beschluss des BAGs erläutert und hat auf große Verwunderung gestoßen.

 

Unabhängig von der tatsächlichen und rechtlichen Unschärfe des Beschlusses meinte eine Kollegin, daß die Arbeitgeberverbände schon seit gut drei Jahren erfolglos versuchen, den Kläger "auszuschalten". Das mag wie eine Räuberpistole klingen aber auf meine Nachfrage hin, was das denn bedeute, grinste die Kollegin lediglich. Sie arbeitet in einer großen Wirtschaftskanzlei und dürfte entsprechende Insider-Informationen haben. Es dürfte auch nicht das erste Mal sein, dass ein Staatsanwalt einem ehemaligen Studienfreund  einen Gefallen schuldet. Alles Spekulation, aber wenn man sich den merkwürdigen Presseartikel von Joachim Jahn in der FAZ anschaut, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß da irgend etwas nicht stimmen kann.

 

Bis der EuGH hierzu jedoch Stellung nimmt, werden noch einige Kölsch in den Diskussionsrunden die Kehlen ölen.

 

Der EuGH ist ja immer wieder für eine Überraschung gut....

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Schlimmer als dem AGG kann es einem Gesetz nicht ergehen: Es wird von der Öffentlichkeit ignoriert, von den Arbeitgebern desavoiert und von Gerichten konsequent strikt mißverstanden. Und über all dem schwebt der Hauch des neuen "griechischen" Rechtsverständnisses Varoufakis`scher Prägung, dass man einen Übeltäter nur mit möglichst weitestgehender Folgenlosigkeit und immer wieder neuem Liebesbeweisen bestrafen kann, andernfalls man sich des "AGG-Hoppings" schuldig macht und "ausgeschaltet" gehört...

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@Dr. Böhringer:

Auf Stammtischgerede und Spekulationen über Gefallen, die ein Staatsanwalt jemandem schulden könnte (das hat ja offenbar noch nicht einmal Ihre wie die Grinsekatze dahinschwebende Kollegin behauptet), gebe ich nicht so viel...

Übrigens hat der Kläger nicht nur Probleme mit Arbeitgebern, die ihn "ausschalten" wollen, sondern fühlt sich auch schon mal als Mann beim Einlass in eine Disco diskriminiert, wie man unschwer ergoogeln kann. Einige andere Interessen kann man einem googlebaren pdf der RAK München entnehmen zu den Kandidaten für die Wahl zum Kammervorstand 2010.

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Bei Herrn Jahn würde ich seinen Standpunkt eher auf eine stramme Ideologie zurückführen als auf die Verpflichtung zu Gefälligkeiten. Immerhin vertritt er die Auffassung, die Rechtspolitik solle solche Kleinigkeiten wie das grundgesetzlich normierte Diskriminierungsverbot ignorieren (S. 86): http://law-journal.de/archiv/jahrgang-2012/heft-2/streitgesprach-aktuell...

Dass jemand, der allen ernstes Sätze heraushaut wie "Ich finde, das ist gar keine Diskriminierung. Ich würde das gar nicht Diskriminierung nennen. Er ist eben anders behandelt worden, weil er älter ist." (S. 89) auf eine derartige Position bei der FAZ kommen konnte zeigt immerhin, dass dort sprachlich Minderbegabte nicht diskriminiert werden.

 

@gaestchen:

 

Scheinbar gibt es tatsächlich bei einigen Zeitgenossen in diesem Staat die Auffassung, daß man im Ergebnis überhaupt nicht wegen Diskriminierung klagen darf. Ihren Ausführungen entnehme ich den steten und latenten "Vorwurf" gegenüber Menschen, die sich gegen Diskriminierung zur Wehr setzen. Ich Frage mich jetzt ernsthaft, ob ein Mensch, der in eine Disko geht und dort, aus welchem Diskriminierungsgrund auch immer, nicht reingelassen werden soll, auch ein mutmaßlicher "AGG-Hopper" sein soll. Dann kommen wir aber genau wieder zu dem Punkt, an dem wir uns im Augenblick befinden. Wenn es darum geht, Ansprüche nach dem AGG abzubügeln, ist der "AGG-Hopper" ein willkommenes Gespenst.

 

Offenbar soll es ein Mensch in unserer Gesellschaft einfach stillschweigend hinnehmen, diskriminiert zu werden.

 

Im Rechtsraum der Europäischen Union dürfte es für derartige Auffassungen keine Kapazitäten geben.

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Gast79 schrieb:

 

@gaestchen:

 

Scheinbar gibt es tatsächlich bei einigen Zeitgenossen in diesem Staat die Auffassung, daß man im Ergebnis überhaupt nicht wegen Diskriminierung klagen darf.

 

Nicht nur "scheinbar", sondern "anscheinend"!

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Bei dem hoppenden Kläger habe ich den vagen Eindruck, dass Lebensqualität irgendwie anders aussieht. Aber jeder soll nach seiner Fasson selig werden. Wenn man die Beiträge hier liest, hat man den Eindruck, dass zur Identität und Motivlage des betreffenden Anwalts eigentlich schon alles gesagt ist - nur noch nicht von jedem.

Ein Wort von Günther Grass sel. über die SPD leicht abwandelnd zitierend, möchte ich außerdem zu einer moderaten Hebung des Niveaus in diesem Blog bitten, und zwar dahingehend, die "gute alte Tante" F. A. Z. in Gestalt ihres Dr. jur. Jahn nicht so zu beleidigen. Jahn ist weder der Depp, als den ihn die hier im Schutze der Anonymität postenden Riesensuperspitzenjuristen wohlfeil hinstellen wollen, noch ist der der Schurke, zu dem ihn die Verschwörungstheoretiker stempeln.

 

 

 

 

 

 

@Gast79:

Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn Diskriminierte Entschädigung erhalten, die ihnen zusteht. Aber nicht jeder, der laut "Diskriminierung" schreit, muss tatsächlich einen solchen Anspruch haben. vor allem erscheint der Bewerbungsernst dann fragwürdig, wenn man offenbar planmäßig Anzeigen auswertet, sich nicht nur (was ja die vorgebliche Legitimation ist) bei den bösen Großkanzleien umtut, die sich durchaus um korrekte Stellenanzeigen bemühen könnten,  sondern auch bei kleinen Disco-Klitschen mit vielleicht nicht ganz so sensibilisierten Türstehern (die nicht einfach sagen: geschlossene Gesellschaft statt: zu viele Männer) auf andere Art sein Glück versucht. Ob er auch mal eine Lesben-Kneipe besuchen wollte und anschließend wegen Diskriminierung ENtschädigung wollte, habe ich in den Weiten des Internet nicht herausgefunden

Man kann sich auch fragen, warum jemand, der bei seinen Qualifikationen über hundert Bewerbungen verfasst hat und ernsthaft ins Angestelltendasein wechseln will, mmer noch Einzelanwalt ist...

Sehr interessant ist auch die Seite bewerbungspartner.de, die auf der Startseite als  Berater einen Arbeitsrechts-Experten mit einem bekannt klingenden Namen nennt, aber als Tipp für Absagen bei Bewerbungen nicht etwa eine Entschädigungsklage empfiehlt, sondern schreibt:

"Natürlich, den Blick nach vorne und die nächste Bewerbung in Angriff nehmen. Eine Absage kann vielfache Gründe haben und muss nicht einmal mit Ihrer Person oder Ihrer Qualifikation zu tun haben. Machen Sie sich bewußt, dass Sie teilweise mit 150 anderen Bewerbern konkurrieren und daher die statistische Wahrscheinlichkeit , dass Sie diesen speziellen Job bekommen kleiner ist, als beim Roulette durch das setzen auf eine Zahl zu gewinnen. Setzen Sie sich aber auch kritisch mit Ihrer Bewerbung auseinander und ziehen sie beispielsweise Freunde zu Rate. "

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Das Problem ist doch nicht in erster Linie, ob ein "Scheinbewerber" Anspruch auf eine Entschädigung hat, sondern die Feststellung, ob jemand überhaupt ein "Scheinbewerber" ist oder nicht. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer, da die Rechtsprechung völlig ungeniert und unberührt von jeglicher juristischen Stringenz die merkwürdigsten Kapriolen vollzieht, die allesamt nicht überzeugen und im Übrigen auch verfahrensrechtlich höchst bedenklich zustande kommen. Es gibt keinerlei gesetzliche Anhaltspunkte, keine Definition, es gibt nicht einmal Regelbeispiele. Man kann schlichtweg jede derartige aus juristischem Vakuum geschöpfte "Feststellung" in der Luft zerpflücken. Keine einzige derartige Feststellung hält auch nur einer oberflächlichen Überprüfung stand. Man bedient sich schlechter Fantasien, aber keiner logischen Deduktion oder überzeugender Argumente, geschweige denn eines Gesetzes.

Das ist um so gefährlicher, als mit dem Verdikt "Scheinbewerber" immer auch der strafrechtliche Vorwurf des Betrugs verbunden ist, ohne daß die strafrechtlichen Massstäbe (nulla poena sine lege, Aussageverweigerungsrecht, in dubio pro reo) angelegt und/oder angewendet werden. Letztlich ist aus unwiderlegbaren Gründen niemand wirklich ein "Scheinbewerber" im Sinne dieser rechtsfreien Rechtsprechung, wenn ihm nur das richtige Angebot gemacht wird, das "er nicht ablehnen kann".

Für den Vorwurf des "AGG-Hoppers" bzw. "Scheinbewerbers" scheint mir letztlich zu gelten, dass es sich für meine Begriffe um ein klassisches "argumentum ad personam" handelt, das man immer dann anwendet, "wenn man merkt, dass der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob. Das Persönlichwerden besteht darin, dass man von dem Gegenstand des Streites (weil man da verlorenes Spiel hat) abgeht auf den Streitenden und seine Person irgend wie angreift... Man wird also kränkend, hämisch, beleidigend, grob. Es ist eine Appellation von den Kräften des Geistes an die des Leibes, oder an die Tierheit" (Schopenhauer). Manchmal lohnt es sich, wieder einmal ein wenig Argumentationstheorie zu betreiben, um zu verstehen, was da unanständiges betrieben wird. Für solche Scheinargumente sollte man sich im Rechtsstaat zu schade sein...

Schopenhauer rät, mit Personen, die so argumentieren gar nicht erst zu disputieren, „sondern allein mit solchen, die man kennt und von denen man weiß, dass sie Verstand genug besitzen, nicht gar zu Absurdes vorzubringen und dadurch beschämt werden zu müssen; und um mit Gründen zu disputieren und nicht mit Machtsprüchen, und um auf Gründe zu hören und darauf einzugehen, und endlich, dass sie die Wahrheit schätzen, gute Gründe gern hören, auch aus dem Munde des Gegners, und Billigkeit genug haben, um es ertragen zu können Unrecht zu behalten, wenn die Wahrheit auf der anderen Seite liegt...". Manchmal läßt es sich aber leider nicht vermeiden, wenn sogar deutsche Gerichte so argumentieren, deutsche Presse und Leitfiguren der Rechtswissenschaft. Eine gewisse randständige bildungsmäßige Grundlegung für das, was man tut, würde man sich dort schon wünschen...

Ich sehe gerade, dass sich die FAZ heute schon wieder gegen "AGG-Hopper" stark gemacht und dem Altvater des Hopper-Exorzismus Martin Diller ein Forum geboten hat. Diller, der bekanntlich sein Leben schon seit vielen Jahren dem Kampf gegen "AGG-Hopper" widmet und dem man seinerzeit behördlicherseits den Betrieb der AGG-Hopper-Datenbank untersagt hatte, stellt fest "Scheinbewerber agieren immer dreister... Häufig werden unvorsichtig formulierte Stellenanzeigen ausgenutzt".

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/recht-steuern/agg-hopping-scheinbe...

Das könnte man natürlich auch anders herum so ausdrücken: "Ständig verstoßen Arbeitgeber gegen das AGG". Diller argumentiert aber nach der besonders unter Straftätern bestimmter Prägung beliebten Methode: "Scheinvergewaltigte werden immer dreister. Häufig werden unvorsichtige körperliche Annäherungen ausgenutzt".

Dass die FAZ bei dieser Gelegenheit den von Diller eher vorsichtig formulierten Untertitel "Das letzte Wort hat nun der Europäische Gerichtshof" der Printausgabe in den Online-Untertitel "Dem Bundesarbeitsgericht reicht es jetzt..." umformuliert, wird man, ohne der FAZ allzu nahe zu treten, schon irgendwie als "Kampagnenjournalismus" bezeichnen dürfen, oder?

 

@ Dr. Rübenach:

Herr Jahn hat sich möglicherweise gedacht, es werde zu auffällig, wenn immer nur er leidende Diskriminierungstäter verteidigt, sondern er könne vielleicht einen bekannten Kolumnisten engagieren. Die Diktion ist sehr ähnlich, der Interessenshintergrund wohl auch.

Beiläufig erwähnt: Herrn Dillers Expertise könnte wie so oft kundiger sein. Dass Herrn Kratzers Name - dank Herrn Jahn - längst bekannt ist, wird ihm bei all seiner Wissenschaft entgangen sein.

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@ Gast79

Ihren letzten Kommentar habe ich im Hinblick auf Ihre Äußerung zu Ziffer 2 gesperrt. Bitte bleiben Sie sachlich. Persönliche Angriffe (noch dazu im Schutz eigener Anonymität) lasse ich hier nicht zu - egal, ob auf den Kläger oder diejenigen, die ihm kritisch gegenüberstehen.

 

Ich würde sehr gerne den Ansatz von Dr. Rübenach etwas tiefer durchleuchten. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, die Rechtsprechung dahingehend zu durchforsten, auf Grund welcher konkreter Umstände denn in der Vergangenheit Gerichte meinten, dass die Bewerbung subjektiv nicht ernsthaft gewesen sein soll.

 

1. Zunächst wurde versucht darauf abzustellen, wie oft der abgelehnte Bewerber in der Vergangenheit Klagen wegen einer abgelehnten Bewerbung geführt hatte.

 

Das BAG hat dem eine klare Absage erteilt und festgestellt, dass selbst bei dem Führen von mindestens 27 Entschädigungsklagen nicht davon ausgegangen werden kann, daß die Bewerbung nicht ernsthaft war. Dies ist m.E. auch sachgerecht, denn wenn ein Bewerber tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt Nachteile wegen eines bestimmten Merkmals hat, dann wird er diesen Nachteil gewöhnlicherweise auch in anderen Bewerbungsverfahren haben. Ferner sieht keine Rechtsordnung der Welt eine "Regel" dahingehend vor, dass ein bestehendes Recht nur einmal ausgeübt werden kann.

 

2. Dann wurde versucht, darauf abzustellen, ob der Bewerber für die Stelle deutlich überqualifiziert war.

 

Hier stellt sich m.E. schon die Frage, ab wann jemand für eine Stelle deutlich überqualifiziert ist. Ferner muss es einem Bewerber doch möglich sein, das ihm durch Art. 12 GG gewährte Recht der freien Berufswahl auch tatsächlich auszuüben. Nur weil ein Bewerber sich anderweitig beruflich betätigen will, heißt dies doch nicht, dass er kein ernsthaftes Interesse an der Bewerbung hatte. Es gibt viele Gründe, sich beruflich anderweitig zu betätigen und sei es nur das nachvollziehbare Interesse im Beruf eine "ruhigere Kugel" zu schieben.

 

3. Nunmehr hatte man wohl den umgekehrten Weg gewählt und kam auf die Idee, daß eine Bewerbung nicht ernsthaft sei, wenn man sich auf eine Stelle beworben hatte, für die man sichtbar nicht ausreichend qualifiziert war, was genau der Kehrtwende in die andere Richtung entspricht. Die Praxis dürfte leider dergstalt aussehen, daß die subjektive Vorstellung von der eigenen Leistungsfähigkeit in der Praxis sicherlich sehr unterschiedlich ist. Ferner ist in der Praxis nie so ganz klar, welche Anforderungen an die Stelle tatsächlich gestellt werden. Potentielle Arbeitgeber neigen in der Praxis sehr gerne dazu, nach der sprichwörtlichen "eierlegende Wollmichsau" zu suchen, die es aber in de Praxis kaum gibt.

 

4. Manche Gerichte meinen, dass die Bewerbung in einer anderes Bundesland dafür spreche, dass man kein ernsthaftes Bewerbungsinteresse habe. Dies ist angesichts der Tatsache, dass von Bewerbern im modernen Arbeitsmarkt gerade eine besondere örtliche Flexibilität gefordert wird und diese Flexibilität in der Praxis tatsächlich auch ausgelebt wird, geradezu skurril.

 

5. Irgendwann kam man mal auf die Idee, daß die Bewerbung nicht ernsthaft gewesen sei, weil sich "Tippfehler", "Rechtschreibfehler" oder "Komma-Fehler" im Bewerbungsanschreiben befanden. Jeder der regelmäßig Schriftstücke abfasst, weiß, daß es kaum möglich ist, Schriftstücke völlig fehlerfrei anzufertigen. Das gilt gerade für Bewerbungen in Branchen, in denen mehrere hundert Bewerbungen üblich sind, um überhaupt nur ein Vorstellungsgespräch zu erhalten. Zwischen "Sorglosigkeit" und dem fehlenden Interesse an der Stelle ist ein meilenweiter Unterschied.

 

6. Bemerkenswert fand ich die Argumentation, die mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung ergebe sich aus der Tatsache, daß der Bewerber sehr viele Bewerbungen abgefasst hat. Ich würde sagen, daß sich aus diesem Umstand gerade ergibt, daß er ernsthaft nach einer Stelle gesucht hatte.

 

7. Dann wurde vertreten, daß eine Bewerbung dann nicht ernsthaft sei, wenn sich der Bewerber ausschließlich nur auf diskriminierende Stellenausschreibungen beworben hat.

 

Man möge mich ergänzen, falls es weitere "Indizien" gäbe, aber das einzige Kriterium, das einigermaßen überzeugt, wäre die Nummer 7. Aber auch hier hat beispielsweise das LAG Hamm in einem Verfahren die Revision zugelassen und möchte genau diese Frage vom BAG beantwortet haben. Ferner stelle ich mir die Frage, wie denn in der Praxis herausgefunden werden soll, ob sich der Bewerber ausschließlich nur auf diskriminierende Stellenausschreibungen beworben hat?

Ferner wäre auch zu berücksichtigen, daß ein Bewerber, der sich ausschließlich auf diskriminierende Stellenausschreibungen beworben hat, im Ergebnis einen erweiterten "Chancenhorizont" hat. War seine Bewerbung erfolgreich, bekommt er eine Stelle. Falls nicht, hat er zumindest noch die Option eine Entschädigungsklage zu führen. Angesichts dieser erweiterten Optionen, dürfte auch eine derartige Konstellation nicht geeignet sein, eine subjektiv nicht ernsthafte Bewerbung zu begründen.

 

Das BAG hatte ursprünglich den richtigen Ansatz. "Rechtsmissbrauch" ist grundsätzlich denkbar. Aber: volle Darlegungs -und Beweislast beim Arbeitgeber und sehr restriktive Auslegung. Auch der BGH hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass der Entzug eines Rechts wegen Rechtsmissbrauchs auf absolute Ausnahmefälle beschränkt bleiben muss.

 

Jetzt auf einmal wirft das BAG alles über den Haufen. Es stellt als Revisionsinstanz selbst fest, dass eine "Scheinbewerbung" vorliegt ( was ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sein dürfte) und läßt völlig offen, warum dies so ist und warum ein solcher extremer Ausnahmefall vorliegen sollte.

 

Der Vorschlag von Dr. Rübenach ist zu begrüßen, zumindest Regelbeispiele für eine nicht ernsthafte Bewerbung gesetzlich festzulegen. Hier wäre der Gesetzgeber gefragt.

 

Geschieht das nicht, so müssen wir uns damit abfinden, daß unser Diskriminierungsschutz der Willkür ausgesetzt ist oder "Hardliner" wie Jahn und Diller das Oberwasser behalten.

 

 

 

 

5

Ich lese gerade das dem Beschluß des BAG zugrundeliegende Urteil des Hessischen LAG vom 18. März 2013 (7 Sa 1257/12). Dort ist an keiner Stelle, wirklich nirgends nirgendwo irgendwie von "AGG-Hopper" die Rede oder von "Scheinbewerber" etc. Das LAG hat seinerzeit die Klage vielmehr deshalb abgewiesen, weil die dem Kläger zuteil gewordene Diskriminierung angeblich durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt war, vgl.:

"Wie sich aus den Feststellungen zur vom Kläger reklamierten Diskriminierung wegen des Alters ergibt, durfte die Beklagte den Kläger in zulässiger Weise bereits deshalb aus dem Kreis der aussichtsreichen Bewerber ausnehmen, weil er eine Grundvoraussetzung - den zeitlich nahen Studienabschluss - nicht erfüllte" (Rz. 34)

http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/s15/page/bslare...

Das ist zwar m. E. eine völlig falsche Begründung, da eine Diskriminierung natürlich nicht dadurch gerechtfertigt werden kann, dass diskriminierend ausgeschrieben wurde und der Bewerber das ignoriert hat. Da beißt sich die Katze natürlich in den Schwanz. Diese Begründung verfemt aber den Kläger immerhin nicht als dreisten "AGG-Hopper" oder geldgierigen "Scheinbewerber". Das Urteil des LAG ist also zwar falsch, aber immerhin sachlich. Wie aber kann der Achte Senat als Revisionsinstanz dann davon "ausgehen, dass sich der Kläger nicht mit dem Ziel einer Einstellung beworben hat" und diese Annahme seiner Anfrage beim EuGH zugrunde legen, wenn das LAG dazu kein Wort gesagt geschweige denn eine solche Feststellung getroffen hat? Und dabei kommt es auf die (kaum nachvollziehbaren) Begründung dieser Annahme nicht einmal an...

Da arbeiten sich in wunderschöner Einigkeit alle an einem völlig unschuldigen Kläger ab, und die FAZ schreibt vor lauter Empörung wild aufgewühlte Artikel über einen Kläger, dem das LAG in zwei Entscheidungen niemals AGG-Hopping etc. vorgeworfen hat. Ich verstehe das nicht und bin verwirrt. Kann mir vielleicht bitte jemand helfen und mich aufklären? Ich habe nämlich den Eindruck, daß man wild auf den Kläger im Sack einschlägt, aber eigentlich den Esel AGG meint, dessen ganze Richtung bestimmten Interessengruppen einfach immer noch nicht passt und nie passen wird, wenn der EuGH kein deutliches Machtwort spricht.

 

PS @Dr.Böhringer

Ich stimme mit Ihnen weitestgehend überein. Vielen Dank für Ihren Beitrag! Ich unterscheide mich nur darin, daß ich dem "Rechtsmißbrauch" auch nichts abgewinnen kann...

 

@Prof.Dr.Rolfs:

 

vielen Dank für Ihren Hinweis. Der zweite Teil meines Beitrags war auch eher mit einem "Augenzwinkern" zu verstehen.

 

Ich bleibe jedoch dabei, dass die neuerliche Berichterstattung der FAZ "entlarvend" ist.

 

Zum einen zeigt sie, daß es der FAZ in erster Linie um eine mediale Diskreditierung des Klägers geht.

 

Zum anderen zeigt sie auf, daß nach Auffassung der Autoren im Prinzip jeder ein "AGG-Hopper" ist, der sich auf das AGG beruft.

 

Derjenige, der sich auf eine altersdiskriminierende Stellenausschreibung bewirbt, ist ein "AGG-Hopper". Die Damen, die eine Frauenquote fordern, sind "AGG-Hopper". Schwerbehinderte, die sich auf Vorschriften berufen, die ihren Status als Behinderte schützen sollen, gelten als "AGG-Hopper". Selbst diejenige Bewerberin, die trotz hoher Qualifikation ständig Bewerbungsabsagen bekommt, ist eine AGG-Hopperin, wenn sie den Grund hierfür in ihrem Alter oder ihrer Herkunft sieht.

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@ Gast79:

Gerade Frau Meister als "AGG-Hopperin" zu apostrophieren, halte ich für eine offensichtliche Verleumdung. Führt man sich all die Urteile zu Gemüte, stellt man fest, dass sie verzweifelt versucht, eine Arbeitsstelle zu erhalten. Ob sie tatsächlich diskriminiert wird oder das zu Unrecht vermutet, kann ich nicht beurteilen. Aber jeder Sachverhalt, der ihren Fällen zugrunde liegt, ist von dem erkennbaren Wunsch getragen, endlich Arbeit zu haben.

Man kann über alles reden, was Diller so von sich gibt, aber der Umstand, dass er selbst Frau Meister als "AGG-Hopperin" darstellt, ist zutiefst verachtenswert.

5

 

Ich sage es nochmals: Für Herrn Diller sind alle, die Ansprüche nach dem AGG geltend machen "AGG-Hopper".... und viele Gerichte ziehen da einfach mit

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@Dr. Rübenach: 
Wenn Sie die Entscheidung des LAG komplett lesen (Rdn. 19) und auch die darin genannte vorangegangene Entscheidung des LAG (7 Sa 615/11, ebenfalls bei lareda) , in letzterer dann unter Rdn 9 nachsehen, dann werden Sie finden, dass die "Scheinbewerbung" auch ein Thema war, jedoch das Arbeitsgericht dies offenließ und die Klageabweisung auf andere Gründe stützte. Offenbar hält das BAG die Klageabweisung also nicht für ausreichend begründet und die Frage der Scheinbewerbung anders als die Vorinstanzen für entscheidungserheblich. 

Interessant finde ich Ihre Ausführungen zu Schopenhauer und dem argumentum ad personam.  Wobei Sie offenbar kein Problem damit haben, selbst zum argumentum ad personam zu greifen, wenn es um Diller ("Exorzismus") und Jahn geht. Aber auch für derartige Scheren im Kopf gibt es ja einen passenden Schopenhauer-Aphorismus : Der Moralphilosoph ist wie ein Wegweiser, er zeigt den Weg, er geht ihn nicht selbst. 

Dass übrigens die Motive einer Person nicht sicher festgestellt werden können, ist zwar erkenntnistheoretisch richtig, es ändert aber nichts daran, dass Motivforschung in diversen Rechtsgebieten eine Rolle spielt und Juristen sich u.a. damit befassen müssen, ob ein Motiv vorliegt oder nicht. Z.B. aus dem bunten Strauß: im Steuerrecht die Einkünfteerzielungsabsicht, im Zivilrecht bei der Testamentsanfechtung oder bei der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, im Strafrecht bei den niederen Beweggründen. Auch im Rahmen des AGG wird ja letztlich die Benachteiligung "wegen" verboten, somit auf ein Motiv des Benachteiligenden abgestellt, dem (vermeintlich) Benachteiligten mit  der Beweislastregel des 22 über die Hürde der Motivfeststellung  etwas hinweggeholfen. 

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@gaestchen:

Solange in einem Gesetz keine innere Befindlichkeit gefordert wird, kommt es darauf auch nicht an. Der gelernte Jurist prüft nur den Tatbestand des Gesetzes und nicht ob Rumpelstilzchen darüber hinaus zu Recht oder rechtsmissbräuchlich die Müllerstochter bekommt. Wo kämen wir hin, wenn man wie bei jeder Bewerbung angeblich die Bewerbungsabsicht auch bei jedem Kaufvertrag die Kaufabsicht, bei jedem Mietvertrag die Mietabsicht und bei jedem Beherbergungsvertrag die Schlafabsicht eigens zu prüfen hätte? Ich sehe schon die Banker, die sich gegen Zinsen mit dem Argument wehren, der Anleger habe keine Zinserzielungsabsicht, denn er habe schon genügend Geld, noch mehr Zins sei rechtsmissbräuchlich. Ich sehe die Fluglinie, die mit dem Argument keine Verspätunsentschädigung zahlen will, der Reisende habe sich doch schließlich stundenlang eingehend einschlägig mit seiner Freundin vergnügt, wobei er doch viel mehr Geld gespart habe als die Entschädigung ausmacht; das sei rechtsmißbräuchlich, er habe schließlich in dieser Zeit überhaupt keine Reiseabsicht gehabt. Das ist doch alles völliger Unsinn und lächerlich. Nur beim AGG soll das anders sein. Natürlich hat jeder, der sich bewirbt auch eine Bewerbungsabsicht.

Im EStG wird  vom Gesetzeswortlaut her auch keine innere Befindlichkeit gefordert, dennoch ist eine Einkünfteerzielungsabsicht erforderlich und ohne sie man kann sich nicht beliebig Verluste bei einer Einkunftsart verschaffen, um die Steuerlast zu drücken, sei es durch Anlage in Medienfonds, Autokauf oder Kreditzinsen bei Vermietung.
Dass die Kaufabsicht und Schlafabsicht nicht "zu prüfen"  ist, lernt man im 1. Semester Zivilrecht  bei einem Blick auf § 116 S. 1 BGB.

Ihre Vergleiche mit der Zinserzielungsabsicht und der Entschädigung liegen ebenfalls neben der Sache, sie sind in der Tat "Unsinn und lächerlich", wie Sie selbst schreiben, da auf den Zins bei einem Anlageprodukt idR ein vertraglicher Anspruch besteht und der Einwand, sich während der Wartezeit anderweitig vergnügt zu haben, nichts daran ändert, dass man einen vertraglichen Anspruch auf die Reiseleistung hatte und den idR durch Reiseantritt auch einforderte.

Bei der Frage der Bewerbung (bzw. der tat sächlichen Absicht, die Stelle auch zu erhalten) geht es darum, ob und unter welchen Voraussetzungen ein gesetzlicher Anspruch überhaupt entsteht, wenn vorher keinerlei Rechtsbeziehungen zwischen Bewerber und Arbeitgeber bestanden.

 

 

4

@gaestchen

Ich verstehe nicht, was meine Beispiele vom "AGG-Hopper" unterscheidet. Soweit der Gesetzgeber eine innere Befindlichkeit fordert tut er das in der Regel ausdrücklich und vor allem nur in Fällen, in denen diese innere Befindlichkeit nach Einschätzung des Gesetzgebers auch einigermassen sinnvoll objektiv nachgewiesen werden kann, andernfalls so ein Gesetz das Parlament samt Fachausschüssen, Opposition und Beratungsgremien etc. niemals passieren würde. Beides trifft für die "ernsthafte Bewerbungsabsicht" nicht zu. Diese ist vom Gesetzgeber aus guten Gründen trotz aller seinerzeitigen Unkenrufe der Wirtschaft ausdrücklich nicht gefordert und schlechthin auch gar nicht sinnvoll nachweisbar oder widerlegbar, weshalb "ernsthaft" als juristisches Tatbestandsmerkmal schlichtweg ungeeignet ist, ähnlich wie "schön", "häßlich", "gläubig", "dumm", "grossartig" etc.

Insoweit Sie zur Unterscheidung Ihrer Beispiele von meinen Beispielen immer auf den "vertraglichen Anspruch" hinweisen, darf ich meinerseits darauf hinweisen, daß eine Benachteiligung nach § 7 Abs. 1 AGG ausdrücklich auch die Verletzung eines "vertraglichen Anspruchs" ist (§ 7 Abs. 3 AGG), weshalb Ihre ohnehin künstlichen Unterscheidungen jegliche restliche Tragfähigkeit verlieren.

Im übrigen würde ich es begrüßen, daß Sie sich mit Namen etc. vorstellen, da ich mit einem Phantömchen, der vielleicht nur ein unernster Meinungs-Hopper ist, nicht subjektiv ernsthaft ernste Fragen diskutieren kann und will. Wer solche Ansichten äußert, sollte auch sagen, wer er ist und dazu stehen.

 

Wenn man hier die Diskussion verfolgt und insbesondere die "Pressearbeit" der FAZ beobachtet, dann könnte man meinen, es ginge bei dieser Problematik um Leben und Tod.

 

Das Problem ist ganz einfach auf einen Punkt gebracht. Wir müssen uns nicht den Kopf darüber zerbrechen, welche Motive der Kläger verfolgte oder wann eine "ernsthafte Bewerbung" vorliegt, wenn wir uns die Zielsetzung des Gesetzes und die ihm zugrundeliegenden europäischen Richtlinien anschauen.

 

§1 AGG:

 

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

 

Das BAG selbst hat mehrmals geklärt, daß die Entschädigungsnorm spezialpräventive Wirkung haben müsse. Der BGH geht sogar von einer generalpräventiven Wirkung aus. Auch den Richtlinien der Europäischen Union ist zu entnehmen, daß der "Sanktionscharakter" vorherrschen soll.

 

Wenn sich jetzt also ein Mitgliedsland dazu entschließt, die Verfolgung von Diskriminierung ausschließlich den Privaten zu überlassen, dann ist doch aber auch klar, daß diese Verfolgungsmöglichkeit durch Private nicht wieder eingeschränkt werden kann. Wie soll denn dann gewährleistet sein, daß der diskriminierungsfreie Zugang zum Erwerbsleben innerhalb der gesamten EU tatsächlich vollzogen werden kann?

 

Die "Kampagne" der FAZ verstehe ich so, dass damit entweder der Kläger oder aber Dritte davon abgehalten werden sollen, ihre Rechte zu verfolgen. Deswegen erscheint nicht ganz abwegig, daß Arbeitgeberverbände hierbei die Fäden ziehen.

 

Zwar weiß man noch nicht, welcher konkrete Versicherer hier eine diskriminierende Einstellungspolitik hat, aber gegebenenfalls kann derartige "publicity" für ein großes Wirtschaftsunternehmen weitreichende Folgen über die Grenzen Europas hinaus haben.

 

 

4

@ DR. R.
Ein Punkt geht an Sie. Der Entschädigungsanspruch ist tatsächlich ein vertraglicher, wobei dies durch die beiden Kunstgriffe ermöglicht wird, zunächst den bloßen Bewerber einem Beschäftigten gleichzustellen (6 Abs. 1 S. 2), obwohl er dies offensichtlich noch nicht ist, und dann alle Ansprüche wegen Pflichtverletzungen als vertragliche zu definieren (7 Abs. 3). Nach herkömmlicher Systematik wäre der Anspruch wohl der c.i.c. wegen Abbruchs von Vertragsverhandlungen /Pflichtverletzung bei Vertragsverhandlungen zuzuordnen gewesen.

 

@Gastomat:
Da in den beiden Entscheidungen des LAG in der hessischen Lareda der  Versicherer nicht überall anonymisiert ist, kann man es recht problemlos herausfinden. 4 Frauen wurden von dem Versicherer jedenfalls nicht diskriminiert, sondern eingestellt ( der Kläger fühlte sich ja auch wegen seines Geschlechts diskriminiert).

4

 

 

@gaestchen:

 

Vielen Dank für die Fundstelle. Bei dem Diskriminierer handelt es sich wohl um die R+V-Versicherung. Diese ist doch in der Vergangenheit schon mehrmals wegen diskriminierender Einstellungsproblematik aufgefallen. Jedenfalls scheint dieses Unternehmen eine beachtliche Prozesshistorie zu haben, was das AGG angeht.

 

Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch, ob dies personelle Konsequenzen innerhalb des Unternehmens hatte, denn offensichtlich liegt dort ein grundlegendes strukturelles Phänomen vor. Es geht ja wohl nicht nur um das Massenphänomen der Altersdiskriminierung sondern gleichfalls um die altbekannte Problematik der Geschlechtsdsikriminierung. Daß Frauen dort offensichtlich nicht diskriminiert worden sind, ändert nichts daran, daß nunmehr wohl Männer diskriminiert wurden. Das macht die Sache m.E. nicht besser und schließt nicht aus, daß Frauen in Bewerbungsverfahren für andere Positionen dort gleichfalls benachteiligt werden.

 

Es wäre durchaus interessant, die Führungsetagen der R+V Versicherung hinsichtlich der Geschlechterverteilung zu untersuchen.

5

 

@gaestchen:

 

vielen Dank, daß Sie uns die Prozesshistorie zugänglich gemacht haben.  Diese ist durchaus erhellend bezüglich der genaueren Hintergründe. Bisher liegt ja leider nur eine Pressemitteilung vor und diese sind manchmal etwas ungenau.

 

Es sieht so aus, als ob das Vefahren zweimal (!!!!) im Nichzulassungsbeschwerdeverfahren war. Angesichts der Tatsache, daß die statistischen Erfolgsaussichten einer NZB wohl bei ca. 5% liegen, wirft das einige Fragen auf.

 

1.

 

Warum haben die Richter beim LAG zweimal die Revision nicht zugelassen und den Parteien den Rechtsweg abgeschnitten, wenn es doch laut BAG um eine europarechtliche Kernfrage geht?

 

2.

 

Musste es überhaupt zu solch einer "Ausartung" des Verfahrens kommen? Jeder gut vertretene Arbeitgeber verhindert doch schon im Vorfeld ein solches Verfahren im Vergleichswege, um die "Kollateralschäden" gering zu halten.

 

3.

 

Es scheint hier nicht nur der Verdacht der Altersdiskriminierung, sondern vielmehr auch der Verdacht der Geschlechtsdiskriminierung im Raum zu stehen.

 

4.

 

Völlig ausgeklammert wurde bisher, dass der Kläger wohl auch Unterlassungsansprüche geltend gemacht hatte.

 

 

 

 

5

@ Prof. Rolfs:

Sie haben im Interview mit dem MDR (http://www.mdr.de/mdr-info/audio1201652.html) darüber nachgedacht, ob nicht ernstliche Bewerbungen ein Betrug seien und dies im Hinblick auf die Nachweisprobleme eher verneint. Ist es aber auch nicht so, dass angesichts der offenen Rechtsfrage, ob eine ernstliche Bewerbung überhaupt Voraussetzung eines Entschädigungsanspruchs ist, der erlangte Vermögensvorteil eben ohnehin nicht rechtswidrig wäre?

5

Es ist höchste Zeit, den Zweck, den Hintergrund und die Sanktionsmethoden des AGG der Öffentlichkeit zu vermitteln. Die Gesetzesbegründung vom Juni 2006 gilt nach wie vor: "In Deutschland gibt es bisher keine Kultur der Antidiskriminierung... In Deutschland sind hingegen die rechtlichen Möglichkeiten, gegen Diskriminierungen vorzugehen, wie auch die hierzu ergangene Rechtsprechung wenig bekannt... Die Richtlinien sollen die gesellschaftliche Wirklichkeit in den Mitgliedstaaten verändern, d. h. sie sollen Diskriminierungen nicht nur verbieten, sondern wirksam beseitigen... Das Gesetz ist Ausdruck des politischen Willens, eine Kultur der Vielfalt und gegen Diskriminierung in Deutschland zu schaffen. Dazu gehört, für die Problematik der unbeabsichtigten, aber auch der strukturellen Diskriminierung zu sensibilisieren" (BT-Drucksache 16/1780).

Diese mutige europäische Modernität des Gesetzes ist für den deutschen Normalbürger anscheinend ebenso unvorstellbar wie vor 70 Jahren die Gleichberechtigung der Frau. Der Deutsche ist einfach noch nicht so weit. Hatte man damals fassungslos den Kopf geschüttelt, dass eine Ehefrau ohne Erlaubnis des Gatten selbstständig eine Beschäftigung suchen können sollte, redet man heute verständnislos von "Betrug", wenn sich ein älterer Bewerber auf die Stelle für einen "jungen" Bewerber bewirbt und im Ablehnungsfall die gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Sanktion verlangt. Und niemand versucht, die Öffentlichkeit aufzuklären, kein Gericht, keine Presse, keine Medien, keine Schulen und keine Universitäten. Alle halten in schöner Eintracht die Öffentlichkeit in dieser so zähflüssigen wie vom deutschen Michel schon immer innigst geliebten Unmündigkeit, an der 68 Millionen Deutsche schon immer leiden. In Deutschland hat man sich viel zu sehr daran gewöhnt, Beschäftigte ab einem gewissen Alter auszusortieren. Nun ist es Zeit umzudenken. Bis es dazu kommt, wird es aber wohl noch einige Gerichtsurteile brauchen (so Rieble, http://goo.gl/loMpYd).

 

 

 

Das überrascht, denn zumindest von Burkhard Göpfert würde man erwarten, dass er nicht einen solchen "Anfängerfehler" begeht und das Verfahren so ausarten lässt.

 

Als absoluter AGG-Spezialist hat sich ihm doch zumindest aufdrängen müssen, dass das Verfahren das Potential für den EuGH hat.

0

 

@Prof.Dr.Rolfs:

 

Ich habe mir gerade den Hörbeitrag im MDR angesehen/angehört. Dort wurden Sie ja um Ihre rechtliche Einschätzung gebeten.

 

Es bleibt irgendwie immer noch offen, warum denn nun die Bewerbung des Klägers nicht ernsthaft gewesen sein soll. Die Pressesprecherin hat irgendwie eine andere Begründung angedeutet, als dies in der schriftlichen Presseerklärung der Fall war. In der schriftlichen Presseerklärung klang es noch so, als ob ausschlaggebend gewesen sei, daß der kläger auf seine arbeitsrechtlichen und medizinrechtlichen Kenntnisse hingewiesen hatte. Nunmehr klingt es, als ob der Hinweis, er sei es als Rechtsanwalt gewöhnt, selbständig zu arbeiten, relevant gewesen sei.

Irgendwie ist das alles nicht überzeugend für mich. Wenn man die Instanzurteile liest, dann ist dem auch zu entnehmen, daß der Kläger zum Bewerbungszeitpunkt arbeitslos war und kurz zuvor erst von einem längeren Auslandsaufenthalt zurückgekehrt ist.

 

Liegen denn die schriftlichen Gründe des Beschlusses schon vor?

 

Irgendwie bestätigt sich der Ansatz von Dr.Rübenach, daß letztlich alles herangezogen werden könnte, um eine vorgeblich "nicht ernsthafte" Bewerbung zu begründen. Am einfachsten und rechtssichersten wäre es tatsächlich, die Motivlage komplett auszuklammern.

 

Weiß man denn, warum der Kläger auch einen Unterlassungsantrag gestellt hat? Was hat er denn davon?

4

@ Dr. Böhringer:

Vorab: Das Interview wurde nicht live geführt, sondern vor der Sendung aufgezeichnet (nachmittags stand ich nämlich im Hörsaal). Das Gespräch dauerte ca. 7 bis 8 Minuten, also deutlich länger als die Ausschnitte, die gesendet wurden. So fragte der Redakteur eingangs z.B., warum der Kläger sich überhaupt diskrimniert fühle - es handele sich doch um einen mitteleuropäisch aussehenden Mann. Ich habe dann erst einmal erläutert, in welcher Weise das Gesetz auch vor Benachteiligungen wegen des Alters schützt. Diese und viele andere Antworten sind nicht gesendet worden. Die Strafbarkeit wegen Betruges war nur ein Aspekt des Telefonats - aus Sicht des MDR veständlicherweise aber der besonders interessante, der dann auch gesendet wurde. Obwohl Strafrecht nicht mein Fachgebiet ist.

Zu Ihrer Frage:

Ich gehe davon aus, dass das hier laufende arbeitsrechtliche Verfahren nicht zu denjenigen zählt, die die StA anklagen möchte. Das ändert aber nichts daran, dass die arbeitsrechtlichen Vorfragen natürlich für die Strafbarkeit von Relevanz sind.

Der mit der Entschädigung erstrebte Vermögensvorteil kann m.E. nur rechtswidrig sein, wenn

- zum Begriff des "Bewerbers" iSd. AGG auch die innere Tatsache zählt, sich nicht nur bewerben, sondern (jedenfalls grundsätzlich, vorbehaltlich natürlich einer Einigung über die konkreten Vertragskonditionen) die angebotete Stelle auch antreten zu wollen oder

- sich jemand, der sich in diesem Sinne nicht "ernsthaft" bewirbt, sich nicht in einer vergleichbaren Lage (3 Abs. 1 AGG) wie andere Interessenten befindet oder

- der Entschädigungsanspruch wegen Rechtsmissbauchs ausgeschlossen ist.

Warum das BAG sich ausweislich der Pressemitteilung jetzt allein auf den ersten Aspekt konzentriert, verstehe ich nicht ganz (siehe schon meinen Ausgangsbeitrag). 

Unter dem Aspekt der möglichen "Täuschung" davon zu trennen ist, ob jemand, der sich bewirbt, (konkludent) seine potentielle Abschlussbereitschaft erklärt - das hat aber für mein Verständnis nichts mit dem AGG-Begriff des "Bewerbers" zu tun, sondern allein damit, wie das tatsächliche Verhalten der Bewerbung vom Empfänger (Arbeitgeber) verstanden werden darf. Wenn ich Strafverteidiger wäre, würde ich das aber wohl anders sehen.

Wie Sie schon der Länge dieser Antwort entnehmen, wäre sie für das Telefoninterview viel zu kompliziert gewesen. Ich habe mich daher auf das Naheliegendste beschränkt: dass nämlich die StA wird beweisen müssen, dass es von vornherein an der inneren Bereitschaft fehlte, die Stelle im Falle des Erfolgs der Bewerbung tatsächlich anzutreten.

 

@ Gästin:

Nach den hier im blog verlinkten Informationen von juve hat die StA schon vor einigen Monaten Anklage erhoben. Diese ist aber noch nicht zugelassen worden (zur Bedeutung dieses Zwischenverfahrens finden Sie hier im BeckBlog fachkundige Informationen, wenn Sie die Beiträge zum Loveparade-Verfahren vor dem LG Duisburg lesen). Im Übrigen bin ich ein großer Freund der Unschuldsvermutung. Und die gilt solange, wie keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt.

Christian.Rolfs schrieb:

Der mit der Entschädigung erstrebte Vermögensvorteil kann m.E. nur rechtswidrig sein, wenn

- zum Begriff des "Bewerbers" iSd. AGG auch die innere Tatsache zählt, sich nicht nur bewerben, sondern (jedenfalls grundsätzlich, vorbehaltlich natürlich einer Einigung über die konkreten Vertragskonditionen) die angebotete Stelle auch antreten zu wollen oder

- sich jemand, der sich in diesem Sinne nicht "ernsthaft" bewirbt, sich nicht in einer vergleichbaren Lage (3 Abs. 1 AGG) wie andere Interessenten befindet oder

- der Entschädigungsanspruch wegen Rechtsmissbauchs ausgeschlossen ist.

Warum das BAG sich ausweislich der Pressemitteilung jetzt allein auf den ersten Aspekt konzentriert, verstehe ich nicht ganz (siehe schon meinen Ausgangsbeitrag). 

Die "vergleichbare Lage" ist doch genau so unbestimmt und für alle unmoralischen Angriffe gegen den Bewerber geeignet, wie die "Ernsthaftigkeit". Dabei ist die "objektiven Eignung" - nach der Rechtsprechung ein Ausfluss der "vergleichbaren Lage" - durch bestandene Examina und dementsprechende Zulassungen sogar objektiv nachweisbar, weshalb dann von Arbeitgeberseite mit Billigung der Arbeitsgerichte einfach weitere Voraussetzungen im Sinne von "ungeeignet" (bzw. "unschön", s. o.) hinzuerfunden werden und die Abgrenzung von "objektiv" und "subjektiv" natürlich auch keine Rolle mehr spielt, vgl.:

http://blog.beck.de/2015/02/17/agg-wann-fehlt-einem-bewerber-die-eignung...

Das gesetzlose Argument des "Rechtsmissbrauchs" hat punktgenau den gleichen Hintergrund und begegnet den gleichen Bedenken wie die jetzt seitens des BAG dem EuGH lt. Pressemitteilung gestellte Anfrage und wird ggf. sogar in ein- und derselben EuGH-Entscheidung erledigt werden.

 

Zur möglichen Betrugsstrafbarkeit: 

Christian.Rolfs schrieb:

 

Der mit der Entschädigung erstrebte Vermögensvorteil kann m.E. nur rechtswidrig sein, wenn

- zum Begriff des "Bewerbers" iSd. AGG auch die innere Tatsache zählt, sich nicht nur bewerben, sondern (jedenfalls grundsätzlich, vorbehaltlich natürlich einer Einigung über die konkreten Vertragskonditionen) die angebotete Stelle auch antreten zu wollen oder

- sich jemand, der sich in diesem Sinne nicht "ernsthaft" bewirbt, sich nicht in einer vergleichbaren Lage (3 Abs. 1 AGG) wie andere Interessenten befindet oder

- der Entschädigungsanspruch wegen Rechtsmissbauchs ausgeschlossen ist.

 

 

Dieser Aussage würde ich zwar zustimmen, allerdings kommt es auf das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit an, schließlich ist die Rechtswidrigkeit des Vorteils subjektives Tatbestandsmerkmal. Es liegt daher ein Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB (Irrtum über normatives Tatbestandsmerkmal) vor, wenn der Täter irrig annimmt, einen Anspruch auf den Vorteil zu haben. Dies wird der Täter freilich oft behaupten. Im konkreten Fall wird sich diese Einlassung m.E. aber kaum widerlegen lassen, wenn sich selbst das BAG nicht sicher ist, ob der Kläger den Anspruch hat, und zulgeich der Meinung ist, dies könne nur der EuGH klären.

Eine Betrugsstrafbarkeit halte ich nach derzeitigem Stand nur dann für möglich, wenn sich der Täter in der Weise einlässt, dass er der Ansicht war, er hätte als Scheinbewerber keinen Anspruch nach AGG (dies wird er kaum tun). Selbst wenn der Anspruch (etwa nach Entscheidung des EuGH und BAG) feststehen sollte (was ich nicht erwarte), läge in diesem (sehr theoretischen Fall) ein untauglicher Versuch vor.

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