Anarchie in Bussen und Bahnen? "Ich fahre schwarz!"

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 04.03.2015

Das Erschleichen von Leistungen, umgangssprachlich "Schwarzfahren", stellt mit weit über 200.000 Fällen jährlich einen erheblichen Anteil an allen statistisch erfassten Straftaten und bringt in der Praxis – bis hin zum Strafvollzug – als Bagatellstraftat einen unverhältnismäßig hohen Verfolgungsaufwand mit sich, siehe schon hier.

Die früher flächendeckend existierenden technischen oder personellen Zugangskontrollen an Bussen, Straßen- und U-Bahnen sind mittlerweile überall ersetzt worden durch betriebswirtschaftlich weitaus günstigere nachgelagerte Kontrollen. Der Abschreckungseffekt solcher Kontrollen wird durch die Strafandrohung verstärkt, denn schon zwei- oder dreimalige Auffälligkeit während eines Jahres kann zur Strafanzeige führen, so dass sich das ständige Schwarzfahren nicht "lohnt". So kann man durchaus folgern, ein Teil der Kontrollkosten wird von den Transportunternehmen an Polizei und Strafjustiz ausgelagert.

In der Strafrechtslehre wird seit Langem verbreitet vertreten, das bloße unauffällige Mitfahren in einem öffentlichen Nahverkehrsmittel stelle noch kein „Erschleichen“ dar und sei deshalb vom Tatbestand des § 265a StGB nicht erfasst. Die herrschende Ansicht in der Rechtsprechung hält allerdings, seit 2009 gestützt durch den BGH (4 StR 117/08), daran fest, dass auch ohne aktive Täuschungskomponente ein Erschleichen vorliegen könne.

Die jetzt entfachte neue Diskussion über das Schwarzfahren setzt an einem Verhalten an, das mit der Einsparung des Beförderungsentgelts kriminalpolitisch orientierten Protest verknüpft und dabei  die Auffassung des BGH zugleich aufnimmt und konterkariert. Die Leistung wird nicht durch „unauffälliges“ Verhalten erschlichen, vielmehr wird mit auffälligen Schildern oder selbstgemachten „Umsonst-Fahrausweisen“ ganz offen bekundet, dass man kein Entgelt entrichtet habe und dies auch nicht zu tun gedenke (so berichtet in: Gießener Allgemeine; Süddeutsche Zeitung).

Natürlich wird die zivilrechtliche Entgeltpflicht und ggf. auch das erhöhte Beförderungsgeld davon nicht berührt, aber die Strafgerichte haben nun größte Mühe, unter Verweis auf Gesetzeswortlaut und BGH-Entscheidung noch eine strafrechtliche Verurteilung zu begründen. Das LG München II stellte jüngst ein Verfahren ein, nachdem noch das AG eine Geldstrafe verhängt hatte. 40 Euro an die Klinikclowns war der Preis für die Einstellung.

Nun mag man, wie Christian Rath in der taz, entgegnen, dieser offene Protest bringe politisch nichts:

„Was aber ist damit gewonnen? Selbst wer strafrechtlich freigesprochen wird, muss trotzdem für die Fahrt das „erhöhte Beförderungsentgelt“ von 40 bis 60 Euro zahlen. (…) Und selbst wenn einzelne Amtsgerichte den Aktivisten Recht geben, so kann das Urteil in der Berufung korrigiert werden. Und sollte am Ende sogar der Bundesgerichtshof eine strafrechtliche Lücke feststellen, wird der Bundestag sie eben alsbald schließen.“

Aber stimmt das? Meines Erachtens kann der Protest gegen die strafrechtliche Erfassung eines primär zivilrechtlichen Vertragsbruchs durchaus legitim sein – und zum erneuten Nachdenken über eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens ohne aktives Täuschungsmoment anregen, auch wenn dieser egoistisch daherkommende Protest kaum geeignet sein mag, die Einführung eines Nulltarifs zu beschleunigen. Aber wenn das offene und dreiste Schwarzfahren nicht strafbar ist, dann lässt sich auch die Strafbarkeit des unauffälligen passiven Schwarzfahrens kaum mehr rechtfertigen.

Und dass der Bundestag angesichts der Folgekosten für die Strafjustiz die Lücke so einfach schließen wird, steht auch nicht bereits vorab fest.

Was meinen Sie?

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

48 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Ich bin auch der Ansicht, dass der Wortlaut des "erschleichens" aus den genannten Gründen problematisch ist.

Was ich nicht ganz nachvollziehen kann ist das Argument, ein Teil der Kontrollkosten würde an Polizei und Strafjustiz ausgelagert. Ist das nicht beim normalen Diebstahl im Supermarkt ganz genau so? Die allermeisten Diebstähle bleiben ja auch unentdeckt, und der Schaden im Einzelfall ist meist ähnlich gering wie beim Schwarzfahren.

4

Oft denke ich mit ein bischen Wehmut daran zurück, wie preiswert die Nutzung der Straßenbahnen in Ost-Berlin, Prag und Budapest früher war.

Für Geringverdiener ist der ÖPNV hierzulande heutzutage relativ teuer (jedenfalls beim Lösen von Einzeltickets).

Für ausländische Touristen sind unsere Ticketsysteme und Automaten oft unverständlich.

In Belgien gibt es Versuche verschiedener Kommunen, den örtlichen ÖPNV kostenlos anzubieten.

Die Piratenpartei hat angeregt, solche Versuche auch hierzulande zu starten.

Die von PKWs völlig überlasteten Parkplätze und Straßen der Innenstädte würden dann vielleicht erträglicher.

Es gäbe weniger Staus, weniger Stress, weniger Unfälle, weniger Lärm, weniger Luftverschmutzung, weniger Öl- bzw. Energieverbrauch.

Andererseits bestünde bei einem völlig kostenlosen und völlig unkontrollierten ÖPNV vielleicht die Gefahr, daß dann Obdachlose die Straßenbahn nutzen als ob es ihre "Wohnung" wäre, und sich dort ganztäglich breitmachen, und "normale" Fahrgäste abschrecken, vergämen, vertreiben ...

Wie dem auch sei, daß Strafrecht bietet meiner Meinung nach keine Lösung des Problems.

Eine Herabstufung zu einer Ordnungswidrigkeit würde vielleicht den Justizaufwand etwas reduzieren, aber im Großen und Ganzen wohl auch nicht viel ändern.

Wenn man alle Vor- und Nachteile aller Alternativen abwägt, dann ist eine Einräumung einer kostenlosen Benutzungsmöglichkeit des ÖPNV vielleicht doch die vergleichsweise vernünftigste Lösung.

 

 

4

"Steuersenkungsparteien" werden wohl gegen einen kostenlosen ÖPNV sein.

Ein kostenloser ÖPNV stünde außerdem wohl ein wenig im Ruch von "Kommunismus" oder "Anarchismus", und würde wohl wahrscheinlich allein deswegen schon wohl von vielen Konservativen abgelehnt.

Außerdem wären die Parkhausbetreiber sowie die Tankstellenberteiber und die Mineralölgesellschaften sowie die Taxi-Innungen und die Automobilhersteller sowie die Automobilclubs wahrscheinlich allesamt keine Freunde von kostenlosem ÖPNV, und die alle zusammen könnten wahrscheinlich schon einiges an Lobby-Arbeit bewirken.

Politik und Gesetzgebung folgen fast überall auf der Welt weniger dem "objektiven" Gemeinwohl oder "objektiven" Vernunftgedanken, sondern mehr den Einflüssen, denen die Politiker (in der Regel oder zumindest im Idealfall gegen ihren Willen) ausgesetzt sind.

Also wird es bei uns wahrscheinlich wohl beim kostenpflichtigen ÖPNV bleiben, und damit wohl automatisch auch bei der Verfolgung von Schwarzfahrern.

3

Ich stimme Ihnen vollkommen zu. ÖPNV Fahren ohne Fahrausweis sollte nicht bestraft werden, bzw. der Schwarzfahrende sollte nichts bezahlen müssen. Desgleichen bin ich dafür, daß Leute die ihren Rechtsanwalt nicht bezahlen ebenfalls nicht zur Kasse gebeten werden. Wo kommen wir den dahin, wenn man für eine erhaltene Leistung auch noch was bezahlen sollte. Das ist Kapitalismus in Reinkultur!

4

Wer z.B mit dem ICE von Hamburg nach München fährt ohne zu bezahlen (womöglich auch noch 1. Klasse), der hat wohl schon eine gewisse kriminelle Energie, und da erscheint es wohl auch angemessen, sein Verhalten als Straftat zu verfolgen.

Wer dagegen abends angetrunken aus der Kneipe kommt, und, weil es in Strömen regnet, mal drei Haltestellen mit der Straßenbahn nach Hause fährt, ohne ein Ticket zu lösen, der hat wohl wesentlich weniger oder keine nennenswerte kriminelle Energie, und bei dem würde es sicherlich reichen, im im Wege eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens zur Rechenschaft zu ziehen.

Wo und wie man da eine Grenze ziehen soll, weiß ich aber auch nicht.

3

Hallo "Lenin",

meiner Meinung bzw. Einschätzung nach, ist angesichts von Ihrem Leserkommentar anscheinend wohl leider zu vermuten, daß es Ihnen mit Ihrem Leserkommentar wohl entweder gar nicht ernsthaft um die aufgeworfenen Sachfragen geht, sondern Sie vielmehr bloß (scheinbar ironisch aufgepeppte) Polemik betreiben wollen, oder, daß Sie die aufgeworfenen Sachfragen nicht richtig verstanden haben oder nicht richig einzuordnen vermögen (oder letzteres nicht wollen).

Vorsorglich sei für Sie hier klargestellt, daß Zivilrecht und Strafrecht zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

Wenn Sie nicht einmal das wissen, dann sollten Sie sich vielleicht eher nicht an einer juristischen oder rechtspolitischen Diskussion beteiligen.

3

Im Ausland hat es sich bewährt bei Bussen, dass die Fahrgäste

vorher eine Fahrkarte lösen müssen und sie in einem Entwertungsautomaten beim Fahrer stecken müssen. Da gibt es kein Schwarzfahren und keine extra Kontrolleure.

Drehkreutze mit Entwertungsautomaten haben sich bei Toiletten  bewährt. Warum nicht auch an Bahnhöfen dafür investieren ?

Die Politik könnte steuerliche Bonbons verteilen, wenn in solche Technik investiert würde und Kosten bei der Justiz sparen.

 

 

3

Hallo Gast#7,

bei Bussen könnte tatsächlich der Fahrer mehr Kontrolle ausüben.

Das gibt es ja jetzt schon in vielen Städten, und sehr lange Zeit aufgehalten werden die Busfahrer und Busse dadurch auch nicht (auch wenn es ein bischen zeit kostet).

Fahrer von U-Bahnen und Straßenbahnen oder S-Bahnen werden solche Funktionen aber normalerweise wohl nicht erfüllen können.

Vergitterte Bahnhöfe und U-Bahnhöfe mit Durchgangsschleusen (Drehkreuzen) im Gitter sind im Hinblick auf Sicherheitsvorschriften oft bedenklich, da sie insbesondere im Falle eines Massenandrangs (etwa nach Rock-Konzerten oder Fussballspielen) oder im Falle einer (Massen-)Panik oder (Massen-)Flucht oder eines Feuers oder einer Straftat (Schlägerei, Messerstecherei, Schiesserei, Bombenanschlag, ...) sich gefahrerhöhend auswirken können, und nicht nur eine Flucht von Fahrgästen, sondern auch die Arbeit von Rettungsdiensten und Feuerwehr usw. erschweren oder behindern können (man denke zum Beispiel etwa unter anderem das Heysel-Stadion, oder an die Duisburger Loveparade, wo weite Teile der Gelände quasi vergittert waren). 

4

Es ist ja nun nicht so, dass regelmäßig Strafanzeigen von Verkehrsbetrieben gemacht werden. Meist wird "gesammelt",bis mehrere Schwarzfahrten zusammenkommen und ganz besonders dann, wenn das erhöhte Beförderungsentgelt nicht bezahlt wird, gibt es irgendwann eine Anzeige. 

Was kostenlos ist, ist auch niemandem etwas wert.  Und die meisten ÖPNV-Gebiete bieten gerade den Transferleistungsempfängern und Niedrigverdienern sehr viele Möglichkeiten für verbilligte Fahrten. 

4

Wurde schon erwähnt, dass der Straftatbestand 1935 eingeführt wurde, zusammen mit § 134b: Beschimpfung der NSDAP?

Ich vermute trotzdem, dass der Gesetzgeber nicht den Weg der Vernunft einschlagen und im ÖPNV und anderen Bereichen, wo das "Erschleichen" keine aktive Handlung erfordert, entkriminalisieren wird, sondern der Ruf nach "Recht und Ordnung" mit dem nach Kriminalisierung missverstanden wird bzw. bleibt.

So wie in anderen Bereichen (Drogenpolitik) leider auch. Und nachdem der Gesetzgeber mit § 1631d BGB und § 226a StGB sogar gegen die Radbruch'sche Formel verstoßen hat ("Wird der Grundsatz der Gleichheit bei der Setzung des positiven Rechts überhaupt verleugnet, dann entbehrt das Gesetz der Rechtsnatur und ist überhaupt kein Recht" - BGHZ 3, 94 (107) - "dass zu den wegen ihrer Unbestimmbarkeit schwer zu handhabenden Kriterien der Radbruch'schen Formel konkretere Prüfungsmaßstäbe hinzugekommen seien, weil die internationalen Menschenrechtspakte Anhaltspunkte dafür böten, wann der Staat nach der Überzeugung der weltweiten Rechtsgemeinschaft Menschenrechte verletzt.¹ Diese Bewertung entspricht dem Grundgesetz". - BVerfGE 95, 96), ist der, der beim Gesetzgeber auf Logik und Vernunft hofft, auf verlorenem Posten.

Manche greifen ja schon auf andere Weise zur Selbsthilfe ;-)

_____________

¹ EMRK Art. 8, 9 (2) und 14; Kinderrechtskonvention Art. 2, 16, 19, 24 (3); siehe auch Artikel 7 und 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Hallo Dein Name,

danke für Deinen lesenswerten Beitrag.

Auch wenn manche Leser ihn wahrscheinlich nicht ganz verstehen werden (aber das lässt sich ja meist nicht vermeiden).

Widersprechen möchte ich aber in einem Punkt:

Wer in einer Demokratie (in der das Volk der Souverän ist) beim (parlamentarischen) Gesetzgeber nicht auf Logik und Vernunft setzt, sondern apathisch resigniert, der ist verloren.

Die parlamentarische Parteiendemokratie führt zwar oft dazu, daß der Gesetzgeber sich leider nicht vorrangig an Logik und Vernunft orientiert, aber als Bürger darf man sich mit sowas nicht resigniert oder apathisch abfinden, sondern sollte sich (auch wenn die Erfolgschancen oft gering sind) immer für vernünftige Lösungen einsetzen.

Sonst bekämen Lobbygruppen und Populisten und Ignoranten ja noch mehr Einfluss.

4

Ich möchte wissen, was daran so schwer zu verstehen ist, dass die Höhe des Regelsatzes in keinem Verhältnis zur Höhe des Fahrpreises steht. Was ist daran so schwer zu verstehen, wenn jemand 5.- Euro pro Tag für Nahrungsmittel aus dem Regelsatz zur Verfügung hat und davon 2,80 Euro für eine Hinfahrkarte bezahlen soll, ihm danach noch 2,20 Euro für Nahrungsmittel pro Tag übrig bleiben, er schwarzfahen muß, weil ihm garnichts anderes übrig bleibt, wenn er nicht an diesem Tag hungern will, mit 2,20 Euro. Dazu muß niemand Aktivist sein.

3

@ noname

Wer sagt denn, dass dies schwer zu verstehen sei? Wer aus dem Regelsatz für Nahrung mehr als die Hälfte zweckentfremdet ausgibt ist doch selber schuld. Wer ohnehin den lieben langen Tag nichts zu tun hat, der kann auch mal laufen.

4

Hallo "Privatier",

Dein bzw. ihr ironisches Statement "Wer ohnehin den lieben langen Tag nichts zu tun hat, der kann auch mal laufen." wird sicherlich bei vielen Leuten spontan Zustimmung finden, aber zugleich vielen Leuten als nicht politisch korrekt erscheinen.

Zu unterstellen und zu behaupten und zu statuieren, daß jemand, der nicht in Vollzeit normalbezahlt berufstätig ist,  "den lieben langen Tag nichts zu tun hat", bedeutet ja wohl letzendlich doch wohl indirekt beinahe soviel, wie diesen Mitmenschen das Recht auf Aktivitäten weitgehend abzusprechen.

Selbstverständlich haben auch Schüler in den Schulferien, oder Studenten in den Semesterferien, oder Doktoranden oder Assistenten oder Hiwis oder referendare oder Auszubildende oder Amateursportler, oder Amateurmusiker, oder Amateurtheaterschauspieler, oder andere Künstler, oder alleinerziehende halbstags-arbeitende Mütter, oder Arbeitslose, oder ein freiwilliges soziales Jahr leistende, oder 1-Euro-Jobber, oder zum Mindestlohn beschäftigte, oder Rentner, oder Frührentner, oder arbeitsunfähige Behinderte, oder Grundsicherung im Alter beziehende Menschen, etwas zu tun - sei es in Kontakt und in Gesellschaft mit Eltern, Großeltern, Kindern, Einkelkindern, sonstigen Verwandten, Sport- oder Vereinskameraden, oder anderen Freunden, Bekannten und anderen Menschen zu treten, oder einfach mal zu einer religiösen Veranstaltung (Gottesdienst, Beichte, Andacht, Gebetskreis, Bibellesekreis, Bibelauslegungsgesprächskreis, Prozession, Kirchenchor, ...) oder zu einer Sportveranstaltung oder zu einer kulturellen oder politischen Diskussion, oder zu einer Demonstration, oder ins Theater oder Museum oder Kino, oder schlicht und einfach in Innenstadt oder zu einem See oder in eine Grünanlage zu fahren, und sie haben ein Recht dazu, und zwar sowohl wenn sie gehbehindert sind wie auch wenn sie es nicht sind, und auch sowohl wenn es schneit oder regnet wie auch wenn die Sonne scheint, ...

Zu behaupten, ein Mensch, der keinen gut- oder zumindets normalbezahlten Vollzeitjob habe, der habe deswegen "den lieben lange Tag nichts zu tun", bedeutet indirekt wohl, sich anzumaßen, diesem Menschen gegenüber anordnen zu dürfen, wie er seine zeit zu gestalten habe, und worauf er Zeit verwenden dürfe, und wo er unter Umständen erheblichen Mehraufwand an Zeit in Kauf zu nehmen habe.

Vermutlich war Ihr Beitrag nicht ernsthaft und nicht zynisch gemeint, sondern sie wollten den Zynismus mancher überheblicher gutbetuchter Zeitgenossen damit wahrscheinlich anprangern und entlarven ...

Danke dafür.

Dieses bei vielen Leuten mehr oder weniger unbewußt oder unterschwellig vorhandene und letztendlich wohl mehr oder weniger zynische Vorurteil, mußte einmal ausgesprochen und niedergeschrieben werden, damit es angezweifelt und in Frage gestellt und problematisiert werden konnte, und damit dann so ein kritisches Problembewußtsein erzeugt werden konnte.

Ein Recht auf Selbstbestimmung und auf ein selbstbestimmtes Leben und auf Selbstverwirklichung und auf Menschenrechte und Menschenwürde und Bürgerrechte sollten wir allen Bürgern zugestehen, also insbesondere auch den weniger Begüterten und weniger einkommenstarken und den sozial Schwachen.

Der Umstand, daß in der DDR alle Bürger für sehr geringes und ohne weiteres bezahlbares Entgelt mit dem ÖPNV fahren konnten, war sehr fortschrittlich, auch wenn die DDR in vielen anderen Bereichen zynisch und menschenverachtend und menschenfeindlich war.

4

@Prenzlauer:
Dann sehen Sie doch mal nach, für wieviele der von Ihnen aufgezählten Personengruppen es sowieso deutlichst verbilligte Fahrkarten, Semestertickets etc .gibt bzw. bei welchen Theatern z.B. die Anfahrt mit ÖPNV im Ticketpreis drin ist.

5

Sehr geehrter Herr Professor Müller,

Ihre Auffassung, die Strafgerichte hätten bei offenen Schwarzfahrern "nun größte Mühe, unter Verweis auf Gesetzeswortlaut und BGH-Entscheidung noch eine strafrechtliche Verurteilung zu begründen" kann ich in Anbetracht der folgenden Entscheidungen nicht ganz nachvollziehen:

KG Berlin NJW 2011, 2600

LG Hannover, Urteil vom 20.08.2008 - 62 c 30/08 = BeckRS 2009, 10497

 

und ähnlich auch OLG Hamm NStZ-RR 2011, 206, 207.

0

Sehr geehrter John Doe,

was eine "größte Mühe" ist, darüber kann man sicher streiten. Die Rechtsprechung kann aber über den Einwand: "habe offen dokumentiert, dass ich schwarz fahre" jedenfalls nicht einfach hinweg gehen, sondern versucht, diesem Einwand auf verschiedenen Wegen zu begegnen, hauptsächlich dadurch, dass man im konkreten Fall ein "offenes/auffälliges  Schwarzfahren" als nicht gegeben ansieht. Die rechtsdogmatische Frage, ob  bei offenem Schwarzfahren noch von Erschleichen die Rede sein kann, wird dadurch nicht beantwortet, bzw. regelmäßig abstrakt verneint. Ich beziehe mich auf die beiden Entscheidungen, die Sie genannt haben:

1. KG Berlin, NJW 2011, 2600:

"Durch das Betreten der U-Bahn hat er in schlüssiger Weise erklärt, er komme den Beförderungsbedingungen der Berliner Verkehrsbetriebe nach. Danach ist – was allgemeinkundig ist und worauf durch entsprechende Schilder bzw. Aufkleber an den Türen der U-Bahnwagen noch einmal ausdrücklich hingewiesen wird – nur die Beförderung mit gültigem Fahrausweis erlaubt. Mit dem Betreten der U-Bahn hat der Angekl. bei normativer Betrachtung das ihm auf der Grundlage dieser Bedingungen unterbreitete Beförderungsangebot konkludent angenommen (vgl. OLG Hamburg, NStZ1991, NSTZ Jahr 1991 Seite 587). Er hat auf diese Weise den äußeren Anschein erweckt, dass er im Besitz eines gültigen Fahrscheins sei und die Beförderungsleistung nach Entrichtung des Fahrpreises in recht- und ordnungsmäßiger Weise in Anspruch nehme."

Ich halte diese Argumentation, vom Abgeben einer konkludenten Willenserklärung/Zustandekommen eines Vertrags darauf zu schließen, man erwecke zugleich den Anschein, man habe einen Fahrschein, für etwas gewagt.

"Dass der Angekl. beim Betreten des U-Bahnwagens und während der Fahrt das beschriebene Schild an seiner Kleidung trug, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn mit diesem Schild hat er den allgemeinen Anschein, sich ordnungsgemäß zu verhalten, nicht beseitigt. Für einen fiktiven Beobachter wäre bereits nicht eindeutig und zweifelsfrei erkennbar gewesen, dass sich der Angekl. in Widerspruch zu den Beförderungsbedingungen setzen wollte.

So wäre etwa für denjenigen, der den Angekl. beim Einsteigen in die U-Bahn lediglich von der Seite oder von hinten beobachtet hätte, schon äußerlich nicht erkennbar gewesen, dass dieser entgegen seinem gezeigten Verhalten zur Zahlung des Fahrpreises (doch) nicht bereit war. Aber auch anderen, möglicherweise im U-Bahnwagen befindlichen Fahrgästen wäre der Vorbehalt des Angekl. verborgen geblieben, sofern sie nicht das – schon angesichts der Größe nicht ohne Weiteres ins Auge fallende – Schild im Einzelfall wahrgenommen und darüber hinaus auch noch dessen Aufschrift registriert hätten."

Hier wird aus der Tatsituation heraus argumentiert: Das Schild war nicht groß genug, nicht deutlich genug zu erkennen etc. Das kann von Einzelfall zu Einzelfall verschieden sein, ändert aber nichts an der grds. dogmatischen Debatte.

"Es ist zudem nicht einmal festgestellt, dass – mit Ausnahme der Kontrolleure, die erst nach der Leistungserlangung aufmerksam wurden – überhaupt jemand das Schild beachtet hat. Der allgemeine Anschein der Ordnungsmäßigkeit wäre aber auch dann nicht beseitigt worden, wenn ein fiktiver Beobachter die Erklärung gelesen hätte. Denn die Aufschrift auf dem Schild war nicht eindeutig. Sie hätte auch als bloße Provokation oder als ein Eintreten für freies Fahren in Bus und Bahn im Sinne einer politischen Stellungnahme gedeutet werden können."

Auch dieses Argument bezieht sich auf den konkreten Fall. Natürlich genügt es nicht für ein offenes Schwarzfahren, wenn die Bekundung auch als ein bloßes politisches Bekenntnis zum Nulltarif interpretierbar ist.

Konsequent deshalb das KG im Weiteren, unter Anführung etlicher Entscheidungen/Kommentierungen, die genau diese Frage erörtern, eben weil sie dogmatisch nicht eindeutig ist und ihre Beantwortung deshalb mühevoll ist:

"Auf die Frage, ob auch derjenige, der bereits bei dem Betreten des Beförderungsmittels in offener und unmissverständlicher Weise nach außen zum Ausdruck bringt, er wolle sich in Widerspruch zu den Beförderungsbedingungen setzen und für die Beförderungsleistung den geschuldeten Fahrpreis nicht entrichten, eine Beförderung erschleicht (so LG Hannover, NdsRpfl2009, NDSRPFL Jahr 2009 Seite 221 = BeckRS2009, BECKRS Jahr 10497; Hauf, DRiZ1995, DRIZ Jahr 1995 Seite 15) oder den objektiven Tatbestand nicht erfüllt (so OLG Frankfurt a. M., NJW2010, NJW Jahr 2010 Seite 3107; OLG Naumburg, StraFo 2009, 343 = BeckRS2010, BECKRS Jahr 20570; OLG Düsseldorf, NStZ1992, NSTZ Jahr 1992 Seite 84; BayObLG, JR1969, JR Jahr 1969 Seite 390; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 265 a Rdnr. 5 a; Tiedemann, in: LK-StGB, 11. Aufl., § 265 a Rdnr. 45; Wohlers, in: MünchKomm-StGB, § 265 a Rdnr. 35; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 265 a Rdnr. 11; Saliger, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, § 265 a Rdnrn. 5 u. 17; Hoyer, in: SK-StGB, 115. Erg.-Lfg., § 265 a Rdnr. 6; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 265 a Rdnr. 6 a; Falkenbach, Die Leistungserschleichung, 1983, S. 89), kommt es hier nicht an. Denn ein derartiges Verhalten des Angekl. ist nicht gegeben."

2. LG Hannover, BeckRS 2009, 10497:

"Zwar besteht in der Rechtsprechung und in der Literatur Einigkeit, dass nicht schon jedes unentgeltliche Inanspruchnehmen trotz Zahlungspflichtigkeit einer Beförderung durch ein öffentliches Verkehrsmittel ein Erschleichen i. S. d. § STGB § 265 a Abs. STGB § 265A Absatz 1 StGB darstellt. (...) Anders als die herrschende Lehre ist jedoch die Kammer mit der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung der vom Bundesverfassungsgericht unbeanstandet gebliebenen Auffassung (vgl. BVerfG NJW 1998, NJW Jahr 1998 Seite 1135, zitiert nach Juris), dass auch die Inanspruchnahme der Beförderungsleistung mit einem Anschein der Ordnungsgemäßheit für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des Erschleichens ausreicht. In weiterer Konkretisierung dieser Voraussetzung ist die Kammer der Auffassung, dass entscheidend der Anschein der Ordnungsgemäßheit nicht gegenüber den übrigen Mitfahrgästen ist. Käme es hierauf an, hätte die Angeklagte sicherlich die Beförderungsleistung nicht erschlichen.

Entscheidend ist jedoch, dass für die von dem Beförderungsunternehmen eingesetzten Personen, die über die Erbringung der Beförderungsleistung an die Angeklagte zu entscheiden hätten, der Anschein des ordnungsgemäßen Betriebes nicht seitens der Angeklagten erschüttert wurde. Gerade diesen Personen gegenüber, also einem etwaigen Kontrolleur oder den Stadtbahnfahrern hat sich die Angeklagte jedoch auch ihrer eigenen Einlassung zufolge gerade nicht bereits vor Fahrtantritt als „Schwarzfahrerin“ zu erkennen gegeben. Wäre dies geschehen, so wäre sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mit der Stadtbahn gefahren, sondern ihr die Fahrt gerade nicht gestattet worden seitens dieser Personen. Die spätere Offenbarung des „Schwarzfahrens“ ändert nichts an der Tatbestandserfüllung bis zu diesem Zeitpunkt.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Ü. als Verkehrsbetrieb, dessen Leistung die Angeklagte in Anspruch nahm, höchstwahrscheinlich generell davon ausgeht, dass nicht alle Fahrgäste den Fahrpreis entrichten. Entscheidend ist, ob sie konkrete Anhaltspunkte darauf hatten, dass gerade die Angeklagte ohne Entrichtung des Fahrpreises ihre Leistung in Anspruch nimmt."

Auch hier argumentiert das Gericht m. E. nicht ohne Mühe und anhand des konkreten Falles, nachdem es sich zunächst einig erklärt hat mit der Meinung, nicht jedes unentgeltliche Inanspruchnehmen sei schon ein Erschleichen. Hierzu wird darauf abgestellt, dass sich die Angeklagte nicht gegenüber dem Personal der Verkehrsgesellschaft vorab als Schwarzfahrerin offenbart habe, also doch irgendwie "eingeschlichen" habe.  Das ist, wie oben im Fall des KG, eine Tatfrage,  die dogmatische Frage muss dann nicht beantwortet werden, bzw. wurde ja schon vorab ("Einigkeit") so entschieden, wie es die Mehrheit sieht.

Der Fall des OLG Hamm gehört nicht in diese Reihe, weil die Angeklagte lediglich vorab per Brief mitgeteilt hatte, sie wolle künftig nicht zahlen, sich aber nach den Feststellungen bei Fahrtantritt "unauffällig" verhielt und damit nach herrschender Rechtsprechung das "Erschleichen" erfüllte.

 

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Auch das offene und dreiste Schwarzfahren ist und bleibt strafbar. Eine Beförderungserschleichung zeichnet sich dadurch aus, dass der Täter darauf zählt, dass sein Schwarzfahren durch Kontrolleure oder anderes befugtes Personal nicht bemerkt wird. Und das ist gerade das Schleichen daran: darauf zu setzen, dass das eigene Verhalten von den maßgeblichen Stellen unbemerkt bleibt. Daran ändert sich nichts, wenn der Täter ein Schild um den Hals hängt, auf dem er angibt, dass er nicht zahlt. Denn bemerkbar ist das für die maßgeblichen Stellen damit noch lange nicht.

Strafloses, dreistes Schwarzfahren gelingt erst, wenn der Schwarzfahrer den Busfahrer anspricht, diesem mitteilt, dass er nicht zahlt und auch nicht dazu gewillt ist und der Busfahrer den Schwarzfahrer dann trotzdem mitnimmt.

Probleme mit dem Gesetzeswortlaut gibt es nicht.

 

4

Der "Anschein der Ordnungsgemäßheit" ist doch nur einer diese zahlreichen Beispiele im Strafrecht, bei denen die Rechtsprechung Begriffe so weit verbiegt wie eben nötig, um unerwünschte Strafbarkeitslücken zu schließen. Vergleichbar mit den fantasievollen "konkludenten Erklärungen" im Bereich des Betrugs oder der "schadensgleichen Vermögensgefährdung".

Dem staatlichen Strafwillen mit dem Wortlaut des Gesetzes entgegenzutreten ist generell nicht zu empfehlen. Schurken werden bestraft.

5

Warum sollten denn die Strafgerichte Mühe haben, die Strafbarkeit unter Zugrundelegung der 4 StR 117/08 zu begründen?

Der BGH sieht die Strafbarkeit dann, "wenn der Täter ein Verkehrsmittel unberechtigt benutzt und dabei den Anschein erweckt, er erfülle die nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers erforderlichen Voraussetzungen".

Dieser Anschein wird nun doch nicht bereits dadurch aufgehoben, dass ein Schild, ein T-Shirt oder ein sonstiges Erkennungszeichen als "Beförderungsentgeltsverweigerer" getragen wird, denn es ist schlicht niemand da, der das zur Kenntnis nimmt und darauf reagieren könnte; gesehen wird das Schild nur von anderen Fahrgästen. Wenn ich den Anschein der Ordnungsmäßigkeit meines Verhaltens aus der Welt schaffen möchte, dann ich muss ich das auch jemanden zur Kenntnis bringen, der mich dafür ggf. wieder aus dem Bus oder der Bahn schickt.

Anders wäre es ggf. wenn der Fahrgast offen mit dem Schild am Fahrer vorbeigeht, um in den Bus zu kommen oder sich in der U-Bahn zunächst einmal dem Fahrer vorstellt und sein Vorhaben so zu erkennen gibt. So wie in dem etwas angejahrten Witz: "Django zahlt heute nicht..."

5

Amtsrichter schrieb:

Dieser Anschein wird nun doch nicht bereits dadurch aufgehoben, dass ein Schild, ein T-Shirt oder ein sonstiges Erkennungszeichen als "Beförderungsentgeltsverweigerer" getragen wird, denn es ist schlicht niemand da, der das zur Kenntnis nimmt und darauf reagieren könnte; gesehen wird das Schild nur von anderen Fahrgästen.

Wenn niemand da ist, um das zur Kenntnis zu nehmen, wer soll denn dann getäuscht worden sein?

Beim Erschleichen von Leistungen nach § 265a StGB gibt es keine Täuschung. Erfolgreich geschlichen sind Sie, wenn Sie niemand wahrgenommen hat.

5

Kurz gesagt lässt sich feststellen:

 

Die Rechtsprechung verurteilt in diesen Fällen, die herrschende Lehre würde dies nicht.

3

Die meisten Verkehrsunternehmen befinden sich in öffentlicher Hand. Öffentlicher Nahverkehr ist eine wichtige und sinnvolle Infrastruktur-Einrichtung. Es macht betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich oft keinen Sinn, öffentliche Güter kommerziell zu bewirtschaften. Der ÖPNV ist dafür das beste Beispiel.

Der Kauf von Fahrkarten an meist defekten Automaten dauert. Auf meiner Strecke sind die Automaten zu 60% der Zeit defekt - die Nummer zur Störungsmeldung ist in meinem Handy fest gespeichert. Bei Kontrollen zeige ich zu 40% meinen Fahrschein vor und zu 60% gebe ich meinen Namen an, man fragt nach und bekommt bestätigt, dass derselbe defekte Automat schon wieder - und natürlich mehrfach - gemeldet wurde. Das wissen auch die Kontrolleure. Fahrgäste, die das nervige Melden der defekten Betriebsaustattung nicht auf sich nehmen, werden natürlich wissentlich falsch beschuldigt, die Beförderung erschlichen zu haben.

Die Reparatur der Automaten kostet garantiert ein Vermögen - es wird ja permanent repariert. Wenn ich sowieso 60% meiner Fahrten indirekt über Steuern subventionieren muss, weil Bezahlen unmöglich ist, dann kann ich auch den Rest über Steuern finanzieren. Das spart Arbeit, Ärger und Zeit.

Das Ganze ist kein strafrechtliches Problem, sondern ein wirtschaftliches. Die Vorteile eines steuerfinanzierten ÖPNV kämen allen zugute.

 

4

Kai Abrell schrieb:

 

Die Vorteile eines steuerfinanzierten ÖPNV kämen allen zugute.

 

 

Wie kommen Sie zu dieser Aussage? Wenn die Reparatur der Automaten (die nach meiner Erfahrung nicht ständig defekt sind) zuviel kostet, dann müssen eben bessere Automaten beschafft werden oder die Fahrpreise erhöht werden. Ich nutze den ÖPNV nie (in Augsburg); lieber laufe ich oder nehme das Fahrrad oder den Motorroller. Wie käme mir dann ein aus meinen Steuergeldern finanziertes All-Inklusive-Angebot zugute? Die Rufe nach einem Vollkasko-Staat sind kaum mehr zu ertragen.

4

Schaut man in die juristischen Fachkommentare zum Strafgesetzbuch, dann gewinnt man den Eindruck, daß die Rechtsprechung zum Thema Schwarzfahren und § 265a StGB nicht einheitlich ist  (von der rechtswissenschaftlichen Lehre ganz zu schweigen).

Unter anderem im Hinblick auf das in Artikel 103 II Grundgesetz verfassungsrechtlich verankerte strafrechtliche Bestimmtheitsgebot halte ich § 265a StGB für problematisch.

Allerdings ist beim Bundesverfassungsgericht (leider) schon seit längerer Zeit ein Trend zu beobachten, bei der Beurteilung von strafrechtlichen Normen weniger streng verfassungsrechtlich-dogmatisch heranzugehen, als vielmehr eher nach Opportunität und mehr immer rechtspolitisch und pragmatisch (wie man etwa in dem Urteil zur Strafbarkeit der Geschwisterliebe sehen konnte).

Daher glaube ich, daß derzeit eine konkrete Verfassungsbeschwerde wenig Aussicht auf Erfolg hätte, obwohl man streng genommen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Norm haben kann. 

Andererseits würde ich, wenn ein rechtssuchender Bürger dem man Schwarzfahren vorwirft mit einem Strafbehl wegen § 265a StGB zu mir in die Kanzlei kommen würde, ihm (jedenfalls je nach Lage des Einzelfalles) schon raten, sich dagegen zu wehren.

In vielen Fällen wird man entweder einen Freispruch oder zumindest eine Verfahrenseinstellung erreichen können.

5

Ich denke nicht, dass der Fall Jessen, über den die SZ berichtet hatte, repräsentativ ist und ähnlich erfolgreiche Nachahmer findet. Hätte der Amtsrichter die fünf Tagessätze nicht draufgelegt, dann wäre das mit der Berufung zum Landgericht und das noch ohne anwaltlicher Hilfe auch sehr schwierig geworden. 

Wenn im Schnitt Strafbefehle mit zehn TS ergehen sollten und die Möglichkeit besteht, dass bei Einspruch und amtsgerichtlicher Entscheidung dann noch fünf draufgepackt werden, dann werden sich die Aktivisten gut überlegen müssen, ob sie weiter aktiv bleiben wollen. Auch die Justiz kann tricksen, wenn es um Kosten geht, nicht nur die Aktivisten. Und ob es für Jessen beim nächsten Mal wieder zur Einstellung kommt, das lässt sich nicht vorhersehen. 

Der BGH hatte sehr unglücklich formuliert, weil er auf den Anschein abstellte und damit einerseits die Täuschungskomponente einführte, andererseits aber sagen wollte, dass sie nicht nötig sei. Klar ist, dass beim Erschleichen mehr vorliegen muss als bloße unberechtigte Inanspruchnahme einer Leistung. Die Umgehung einer Kontroll- oder Absperrvorrichtung (Zaun) ist noch erforderlich. Ich denke, sie muss aber nicht besonders wirksam sein. Eine solche Vorrichtung könnte man auch in der Tür einer Bahn oder eines Busses sehen. Denn sie wird doch nur für diejenigen geöffnet, die ein Ticket haben. Das ist doch jedem klar. Ob mit oder ohne Schild, wer ohne Ticket durch sie geht, der schleicht sich in das Beförderungsmittel ein. Dass an der Tür kein Schaffner steht oder keine wirksame Kontrollvorrichtung da ist, ist m.E. nicht entscheidend. Wichtig ist eine allgemein deutlich erkennbare Abgrenzung. Die Täuschungskomponente, wenn man sie denn verlangt, könnte man auch in der Täuschung des Fahrers des jeweiligen Transportmittels sehen, der die Tür nur für Fahrgäste mit Ticket öffnet bzw. zum Öffnen freigibt. Wer ihn nicht täuschen will, der muss sich ihm als Unberechtigter beim Einsteigen auch zu erkennen geben.

Sehr geehrter Herr Kolos,

Busse, Straßenbahnen, U-Bahnen, Schwebebahnen, S-Bahnen, und so weiter, öffnen Ihre Türen doch wohl nicht nur, um Personen mit bereits abgestempelten Tickets den Eintritt zu erlauben bzw. zu ermöglichen, sondern öffnen die Türen doch bei lebensnaher Betrachtung normalerweise wohl zugleich auch, um den Personen im Verkehrsmittel den Ausstieg zu ermöglichen.

Außerdem ist es in vielen Verkehrsmitteln auch erlaubt, ohne abgestempeltes (entwertetes) Ticket einzusteigen - viele Verkehrsbetriebe erlauben es, erst drinnen beim Fahrer oder Schaffner ein Ticket zu kaufen, oder sie haben nicht nur draußen sondern auch drinnen Fahrscheinverkaufsautomaten, wo man Tickets kaufen kann (und wo man sich beim Zücken des Portemonnaies etwas sicherer fühlen kann, als am Bahnhof, S-Bahnhof, U-Bahnhof, ...).

Daß die Verkehrsbetriebe auf die Einnahmen nicht verzichten wollen, und daß Fahrkartenkontrolleure vielleicht fürchten, arbeitslos zu werden, wenn Schwarzfahren nicht mehr strafbar sein wird, erscheint vielleicht ein Stück weit verständlich (obwohl bei einer Änderung von § 265a StGB ja nicht das erhöhte Beförderungsentgeld entfallen würde), aber das juritisch-fachliche Niveau und die rechtswissenschaftliche Qualität der die Strafbarkeit befürwortenden Argumentation erscheint mir meiner Einschätzung nach nicht sehr hoch und juristisch-dogmatisch nicht sehr überzeugend.

0

http://www.gesetze-im-internet.de/befbedv/__9.html

Hier ist geregelt, dass ein erhöhtes Beförderungsentgelt verlangt werden kann. Trotzdem kann ein Straf- oder Bußgeldverfahren durchgeführt werden.

 

Was ist dieses erhöhte Beförderungsentgelt?

Eine Strafe?

Ein Bußgeld?

Eine Verwaltungsgebühr?

Eine Benutzungsgebühr?

 

Wo bleibt die Gleichbehandlung? Andere fahren auch schwarz ohne Gebührenerhebung ...

Erfolgt eine Doppelbestrafung? Erhöhtes Beförderungsentgelt (als Vertragsstrafe?) und dann noch Strafe vor dem Richter?

Welche Grundrechte könnten durch diese Norm verletzt werden?

 

Die politische Meinung ist ja ganz interessant, aber vielleicht steckt im Grundgesetz schon die Antwort.

 

 

0

Sehr geehrter Rhein-Ruhr-Fahrgast,

Sie schreiben

Busse, Straßenbahnen, U-Bahnen, Schwebebahnen, S-Bahnen, und so weiter, öffnen Ihre Türen doch wohl nicht nur, um Personen mit bereits abgestempelten Tickets den Eintritt zu erlauben bzw. zu ermöglichen, sondern öffnen die Türen doch bei lebensnaher Betrachtung normalerweise wohl zugleich auch, um den Personen im Verkehrsmittel den Ausstieg zu ermöglichen.

Die Tür wird selbstverständlich auch zum Aussteigen geöffnet. Aber strafrechtlich relevant ist zunächst das Einsteigen, um in die Gunst der Leistung zu gelangen. 

 

Sie schreiben:

... aber das juristisch-fachliche Niveau und die rechtswissenschaftliche Qualität der die Strafbarkeit befürwortenden Argumentation erscheint mir meiner Einschätzung nach nicht sehr hoch und juristisch-dogmatisch nicht sehr überzeugend.

Man kann durchaus etwas gnädiger bei Beurteilung des Diskussionsstands sein. Ich bin es jedenfalls schon deswegen, weil ich von mir nicht behaupten kann, alle Details der Diskussion zu kennen. Dass eine Strafnorm im konkreten Einzelfall Probleme bereiten kann, das ist nichts Neues. Einen generellen Ausschluss der Strafbarkeit für Schwarzfahren, z.B. mangels Bestimmbarkeit des Begriffs "Erschleichen", kann ich aber nicht erkennen, wenn man auch über die Auslegung trefflich streiten kann.

Ich denke, dass man bei Auslegung nach dem Wortsinn unstreitig zu dem Ergebnis kommen kann, dass im Erschleichen zwingend das Merkmal der Latenz steckt. Dieses kann sicherlich durch Täuschung, täuschungsähnliche Handlungen oder durch Erwecken eines Anscheins bewirkt werden. Das ist aber nicht zwingend. Ich sehe auch nicht in der systematischen Stellung der Vorschrift oder in deren Schutzzweck das Erfordernis für derartige Einschränkungen. Ich kann also auch den Grund für das von BGH eingebrachte Merkmal "Anschein" nicht verstehen, den sich nur die Dreistigkeit mit irgendwelchen Schildern zunutze machen will. 

Eine andere Frage ist, ob man an der strafrechtlichen Sanktionierung des Schwarzfahrens unbedingt festhalten muss. Das ist aber eine politische Frage, die der Gesetzgeber entscheiden muss. Jedenfalls denke ich, dass rechtlich nichts dagegen einzuwenden ist, wenn der Gesetzgeber sich dazu entschlossen hat, bestimmte Leistungen unter dem strafrechtlichen Schutz zu stellen, ähnlich einer Sache bzw. des Gewahrsams an ihr. 

Sie schreiben:

Außerdem ist es in vielen Verkehrsmitteln auch erlaubt, ohne abgestempeltes (entwertetes) Ticket einzusteigen - viele Verkehrsbetriebe erlauben es, erst drinnen beim Fahrer oder Schaffner ein Ticket zu kaufen, oder sie haben nicht nur draußen sondern auch drinnen Fahrscheinverkaufsautomaten, wo man Tickets kaufen kann (und wo man sich beim Zücken des Portemonnaies etwas sicherer fühlen kann, als am Bahnhof, S-Bahnhof, U-Bahnhof, ...).

Selbstverständlich ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig, ob eine Leistungserschleichung vorliegt. Die Möglichkeit, das Ticket beim Schaffner oder am Automaten im Fahrzeug zu erwerben, beseitigt aber nicht den objektiven Tatbestand des Erschleichens. Je nachdem wie der Fahrgast sich verhält, kann dadurch nur der erforderliche Nachweis einer Absicht, das Beförderungsentgelt nicht zu entrichten, schwierig sein. 

@Gast #31

Zunächst weiß ich nicht, ob die Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen die Anforderungen erfüllt, um die darin enthaltenen Beförderungsbedingungen - ähnlich den AGB - zum Vertragsinhalt werden zu lassen. Das unterstelle ich aber mal. Anderenfalls könnte man sich mit den AGB helfen. Danach käme dem erhöhten Beförderungsentgelt die Bedeutung einer Vertragsstrafe zu.

WR Kolos schrieb:

Zunächst weiß ich nicht, ob die Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen die Anforderungen erfüllt, um die darin enthaltenen Beförderungsbedingungen - ähnlich den AGB - zum Vertragsinhalt werden zu lassen. Das unterstelle ich aber mal. Anderenfalls könnte man sich mit den AGB helfen. Danach käme dem erhöhten Beförderungsentgelt die Bedeutung einer Vertragsstrafe zu.

 

Die Verordnung enthält die Ermächtigung zur Erhebung der Gebühr.

 

Wie kann bei einem zivilrechtlichen Vertrag über z. B. 2,50 Euro eine Vertragsstrafe den Betrag von 40 Euro betragen? Das 16-fache des vereinbarten Preises? Wäre das angemessen?

Bei höheren Fahrtkosten mag es gerechtfertigt sein, aber eine Einzelfahrt im Öffentlichen Personennahverkehr?

Der Vertrag müsste doch nichtig sein.

Angenommen, jemand bezahlt 40 Euro für eine Schwarzfahrt zum Wert von 2,50 (vielleicht auch einige Male) und landet dann vor dem Richter. Liegt Doppelbestrafung vor? Zwei Mal für dieselbe Sache?

0

Lieber Herr Prof. Müller,

mir möchte es nicht so recht einleuchten, weshalb im Falle des offenkundigen 'Schwarzfahrens' eine Strafbarkeitslücke droht. Immerhin können diese Fälle zwanglos unter § 123 I Var. 1 StGB subsumiert werden: dem öffentlichen Verkehr bestimmt sind nämlich auch solche Räume, die öffentlich oder privat betrieben werden und dem Personenverkehr dienen, also auch die Waggons der Züge. Außerdem kann ohne Weiteres als Zutrittsbedingung angesehen werden, dass die generelle Zustimmung nur zahlende Kundschaft einschließt. Wer nun den "äußeren Anschein der Ordnungsgemäßheit" durch gut sichtbare Umhängeschilder zerstört (und so § 265a StGB vermeidet), schließt sich zugleich äußerlich erkennbar von der zugelassenen Besuchergruppe aus. An sich ja eine klassische Lehrbuch-Konstellation, nicht?

Beste Grüße

@Gast #34

Vorsicht! Das erhöhte Beförderungsentgelt kann keine Gebühr sein. Gebühren können nur für öffentlich-rechtliche "Leistungen" verlangt werden. Beförderungsunternehmer und Schwarzfahrer schließen aber einen zivilrechtlichen Beförderungsvertrag, in dem sie sich über Leistung und Gegenleistung einig sein müssen (problematisch daher u.U. bei minderjährigen Schwarzfahrern). Auch das erhöhte Beförderungsentgelt muss vereinbart werden (§§ 339, 145 ff. BGB).

Im Transportrecht z.B. sind Vereinbarungen über Vertragsstrafen (Standgelder) keine Seltenheit, die in den AGB des Frachtführers enthalten sind. Das nur zur Erläuterung eines möglichen Zustandekommens solcher Vereinbarungen und der dahinter steckenden Interessen. Es kommt nicht selten vor, dass der Frachtführer mehrere Stunden oder gar Tage an der Abladestelle warten muss, bis der LKW abgeladen wird. Er verdient aber nur, wenn der LKW rollt. Er erleidet damit wegen des Annahmeverzugs einen wirtschaftlichen Schaden, den als konkreten Schaden nachzuweisen für ihn in der Regel sehr schwierig ist. Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe oder eines pauschalen Verzugsschadens nehmen ihm die Beweislast. Dennoch müssen mögliche Schadenshöhe und Schadenspauschale selbstverständlich in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Gleiches bzw. Ähnliches (da keine AGB, sondern ABB) gilt für die Vereinbarung des erhöhten Beförderungsentgelts.

Ich stimme Ihnen zu, dass bei einem regulären Beförderungsentgelt von 2,50 nicht ohne Weiteres von einem möglichen Schaden i.H.v. 40 EURO ausgegangen werden kann. Ich gebe aber zu bedenken, dass die Bestimmung des regulären Beförderungsentgelts häufig eben mit Schwierigkeiten verbunden sein dürfte. Denn der Beförderungsunternehmer wird in der Regel nicht wissen können, wo der Schwarzfahrer eingestiegen ist und wie viel Beförderungsleistung er in Anspruch genommen hatte. 

Doppelbestrafung kann ich nicht erkennen. Denn die zivilrechtliche Vertragsstrafe hat eine Sicherungs- und Ausgleichsfunktion, der Strafrichter aber sanktioniert das schuldhafte Unrecht. 

@ Walter Serner:

Weder öffentlich zugängliche Bahnanlagen noch Bahnwagen oder Autobusse dürften das Kriterium "abgeschlossener Raum" in § 123 StGB erfüllen.

@Mein Name

Das sehe ich nicht so, denn ein abgeschlossener Raum verlangt nur ein Einfriedung, welche ein Hindernis gegen beliebiges Betreten darstellt. Das ist sowohl bei Bahnanlagen wie Waggons der Fall: beide Räume lassen sich nur durch eine festgelegte Öffnung betreten, d.h. gerade nicht beliebig.

Dazu noch entsprechende Belegstellen:

LK/Lilie, § 123, Rn. 23: "Zum öffentlichen Verkehr bestimmt sind Flächen, die der Allgemeinheit zugänglich sind und dem Transportverkehr dienen. Auch Räume, wie die Abteile in der Bahn, Straßenbahnwagen und Omnibusse, die nur den Beförderungsbedürfnissen des Publikums dienen und keine Diensträume sind, genießen den strafrechtlichen Schutz des § 123."

Und weiter in Rn. 24: "Zum öffentlichen Verkehr bestimmt sind Straßenbahnwagen (RGSt 75, 355, 357), Omnibusse, Fährschiffe, Flughäfen, Eisenbahnzüge, Bahnhofshallen und Wartesäle der Bahnhöfe (einschließlich der Toiletten – OLG Hamburg MDR 1968, 1027), auch wenn in ihnen Wirtschaftsbetrieb stattfindet. Ohne Bedeutung ist, ob der Träger des Verkehrsbetriebs die öffentliche Hand oder ein privater Unternehmer ist. Erforderlich ist aber stets, dass der betreffende Raum zur Tatzeit zum öffentlichen Verkehr bestimmt war (KG JW 1927, 1713). Das ist z.B. nicht der Fall, wenn ein Schiff, ein Straßenbahnwagen oder Omnibus von einer geschlossenen Gesellschaft gemietet ist. Dagegen spielt es keine Rolle, ob etwa ein Straßenbahnwagen zur Tatzeit zufällig ohne Fahrgäste fährt, wie es auch bei Wohnungen nicht darauf ankommt, ob sich zur Tatzeit Bewohner in ihnen befinden."

LK/Tiedemann, § 265a, Rn. 45: "Unstreitig ist dagegen, dass die offene Beanspruchung der Leistung als unentgeltlich – z.B. unter Mitführung eines Transparentes zwecks Demonstration für den Null-Tarif – kein Erschleichen darstellt (aber § 123!) [...]."

@ Walter Serner: mit dem erhöhten Beförderungsentgelt (§ 9 BefBedV) erwirbt der Schwarzfahrer gleichzeitig einen Fahrschein zu dem Zielort, den er dem Kontrollpersonal angibt. Somit hält er sich nicht mehr widerrechtlich dort auf. Er kann zwar nach § 6 (5) BefBedV von der Beförderung ausgeschlossen werden, doch der Tatbestand des § 123 StGB ist dann erst verwirklicht, wenn er "auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt". Er hält sich ja nicht "widerrechtlich", also unter Bruch eines Gesetzes dort auf, sondern "nur" vertragswidrig. Oder?

@Mein Name: Das Nichtentfernen trotz Aufforderung betrifft die Var. 2 des Tatbestandes, nicht jedoch Var. 1 (widerrechtliches Eindringen). Ob der Fahrgast ab Kontrolle einen Fahrschein zum Zielort erhält, ist unerheblich: jedenfalls wirkt dieses tatbestandsausschließende Einverständnis nicht auf das vormalige Eindringen zurück.

@ Walter Werner: weshalb sind Sie sicher, dass das "unerheblich" sei? Mit dem Vertragsschluss "Transport zum erhöhten Berförderungsentgelt" durch den Hausherrn erklärt dieser das "Eindringen" für bestimmungsgemäß. Somit kein Tatbestand.

Sie irren. Der Hausfriedensbruch ist als Dauerdelikt mit dem widerrechtlichen Eindringen bereits vollendet (nicht aber beendet). Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis muss aber bei Begehung der Tat, d.h. vor Vollendung (und zum Ausschluss der Versuchsstrafbarkeit vor dem unmittelbaren Ansetzen) vorliegen; eine nachträgliche Genehmigung (wie etwa nach § 184 BGB) genügt nicht (LPK/Kindhäuser, Vor § 13, Rn. 213; LK/Rönnau, Vor § 32, Rn. 160).

Würde man den Thesen von Herrn Serner folgen, dann müßte man in der Konsequenz dann wohl auch bei Personen, die einen Bahnhof oder ein Kaufhaus oder ein Kinocenter betreten, obwohl sie nichts kaufen wollen, sondern sich bloß aufwärmen wollen, oder womöglich sogar stehlen wollen (dann wohl jedenfalls), als Hausfriedensbruch- Täter veruteilen.

Auch zum Beispiel Demonstranten, Wahlwerbungsverteiler, Zeitungsboten, Sternsinger, Martinszugskinderlaternensinger, spielene Kinder, Inlineskater- und Rollerblade- und Skateboardfahrer, Graffitisprayer, Spendensammler, Vertreter, Werber, Hausierer, Teppichhändler, Zeugen Jehovas, Zeitungsabonnementswerber, Landvermesser, Handwerker, Bauarbeiter, Fensterputzer und sonstiges Reinigungspersonal, Pizzaboten, Polizisten, Mitarbeiter von Wasserwerken, Stromversorgern, Telekommunikationsunternehmen, Kabelfernsehbetreiber, u.s.w., u.s.f., die ein (nicht verriegeltes) Gebäude oder (nicht ummauertes und verschlossenes) Grundstück betreten, ohne sich zuvor eine Genehmigung des Grundstückseigentümers besorgt zu haben, würden dann wohl den Tatbestand des § 123 StGB erfüllen.

Ob es rechtspolitisch und kriminalpolitisch sinnvoll wäre, die Anwendung des § 123 StGB derart auszuweiten, wage ich zu bezweifeln.

0

Wäre man Zyniker, könnte man sagen, daß, wenn jemand, der nicht bezahlt, sich bereis damit schon wegen Hausfriedensbruch strafbar machen würde, das vielleicht dann für Manchen auch "Vorteile" hätte.

Einem Mandanten, der die Anwaltsrechnung nicht (oder nicht vollständig oder nicht rechtzeitig) bezahlt, könnte man dann vorwerfen, die Kanzlei widerrechtlich betreten zu haben, und ihn mit der Androhung einer Strafanzeige unter Druck setzen.

Und einen Mieter, der die Miete nicht (oder nicht vollständig oder nicht rechtzeitig) bezahlt, könnte man dann wohl ebenfalls mit dem Androhen einer auf § 123 StGB gestützten Strafanzeige unter Druck setzen.

Solche Erwägungen erscheinen bedenklich und grenzwertig.

Dennoch würden sie wohl dann nicht mehr so fernliegen, wenn man zukünftig Fahrgäste ohne gültiges Ticket wegen § 123 StGB bestrafen würde.

0

@Konsequenzen überlegen:
Ihre Bedenken gehen an der Sache vorbei, da Sie falsche Prämissen zugrunde legen: ob der Zutritt vom generellen Einverständnis gedeckt ist, ist allein nach äußerem Anschein zu beurteilen. Innere Umstände, wie etwa die Motivation, sich nur zum Aufwärmen im Einkaufszentrum aufzuhalten, bleiben außer Betracht.

Aus dem selben Grund verfängt auch nicht ihr Beispiel mit dem Mandanten. Sobald dessen AnwaltIn ein individualisiertes Hausverbot ausgesprochen hat, kommt selbstverständlich und unbestritten eine Strafbarkeit nach § 123 I in Betracht. Ebensowenig braucht ihr säumiger Mieter den § 123 I fürchten: der/die VermieterIn ist bei bestehendem Mietvertragsverhältnis schon nicht InhaberIn des Hausrechts iSd § 123 I.

Ihre beispielhafte Aufzählung suggeriert zudem, zwischen den genannten Personengruppen bestünden keine Unterschiede. Das Betreten von Privatgrundstücken durch PolizistInnen iRd Gefahrenabwehr ist aber etwas völlig anderes als eine Demonstration im Bahnhofsgebäude (Stichwort Grundrechtsbindung staatlich kontrollierter Privatunternehmen).

 

Der oben benannte Gerichtstermin fällt wegen Krankheit aus. Die Nachricht erreichte uns leider erst sehr kurzfristig, was bei dem Grund aber ja zu warten ist.

0

Mh,

ich behaupte (~vermute) mal, dass dies ein oder zwei Mal funktioniert, sobald aber jemand dauerhaft, permanent, nachweislich mit dieser Methode kommt, wird der (Amts)Richter aufgrund der vorhergehenden Verhaltensweise sicherlich irgendwann mal *nicht* mehr zu Gunsten des "Erschleichers" urteilen. Da kommt doch das klassische Argument, jemand sei "Wiederholungstäter" oder "nicht einsicht" etc.pp.?

Grüße

0

Kommentar hinzufügen