Vereinbarung einer Nullgebühr für die Erstberatung zulässig?

von Dr. Hans-Jochem Mayer, veröffentlicht am 23.07.2014

Der Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalen hat sich im Urteil vom 09.05.2014 – 1 AGH 3/14  - mit der Frage befasst, ob die Vereinbarung einer Nullgebühr für die Erstberatung eine berufsrechtswidrige Gebührenunterschreitung darstellt. Das Gericht hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass aus dem Inhalt der Regelung des § 34 RVG der Schluss zu ziehen ist, dass der Bereich der Beratung mangels gesetzlicher Gebührenregelung insgesamt nicht dem Verbot der Gebührenunterschreitung unterliegt, deshalb könne es im Bereich der außergerichtlichen Beratung seit 01.07.2006 einen Verstoß gegen § 49b I BRAO nicht mehr geben, da es keine gesetzlichen Gebühren gebe, die durch eine Gebührenvereinbarung unterschritten werden könnten. Zwar ist dem Anwaltsgerichtshof zuzugeben, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung des Satzes 3 in § 4 I RVG durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskosten- und Beratungshilferechts mit Wirkung ab 01.01.2014 zu erkennen gegeben hat, dass er eine derartige Regelung, die eine pro bono Tätigkeit erlaubt, nur für den Bereich der außergerichtlichen Vertretung als erforderlich ansieht – nicht aber auch für den Bereich der Beratung – es bleibt jedoch die Frage, ob er sich der Konsequenzen für die Vergütung außergerichtlicher Beratungstätigkeit bewusst war. Eine schrankenlose Möglichkeit, für die außergerichtliche Erstberatung eine Nullgebühr zu vereinbaren, dürfte nicht ernsthaft gewollt gewesen sein. Meines Erachtens sollte de lege ferenda daran gedacht werden, eine § 4 Abs. 1 Satz 3 RVG entsprechende Regelung auch für den Bereich der außergerichtlichen Beratung einzuführen.

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5 Kommentare

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Es wäre schön, wenn sie auch eine materielle Begründung für Ihr Petitum liefern könnten, "dürfte nicht ernsthaft gewollt gewesen sein" ist zu wenig, da kann ich genauso das Gegenteil behaupten. Wenn ich eine staatliche Mindestpreisregulierung einführen will, widerspricht dies Grundsätzen unseres Wirtschaftssystems und ist deswegen zu begründen - das alte Anwaltsgebührenrecht ist gerade an seiner Unbegründbarkeit gescheitert.

Aus meiner Perspektive: Was ist denn so schlimm daran? Ich kann bei diversen Großkanzleien anrufen, um mich dort nach einer ersten (und auch über die Erstberatung hinausgehenden) Einschätzung zu erkundigen, ohne von dort eine Rechnung zu kriegen. Manchmal kommt ein Mandat für die dabei rum (und dann eine richtig hohe Rechnung ...), manchmal nicht. Offensichtlich können die mit dem Geschäftsmodell bestens leben - und zwar nicht zu schlecht.

Dies mag bei Kollegen, die vorrangig Einmalmandanten haben, wirtschaftlicher etwas kritischer sein, aber wer Erstberatung zum Nulltarif anbieten will, soll das doch tun, entweder funktioniert das Geschäftsmodell oder nicht. Oder geht es nur darum, den Markt vor Kollegen zu schützen, die aus qualitativen Gründen sonst gar keine Mandate kriegten? Da wäre die sinnvollere Lösung die Zulassung zu beschränken oder gleich das zweite Staatsexamen schwerer zu machen. Ich habe im Referandariat Anwälte gesehen, wo ich mich gefragt habe, wer vertreten kann, jemanden mit derart begrenzten Fähigkeiten auf den Rechtssuchenden loszulassen.

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Angesichts der sich immer mehr ausbreitenden "Schnäppchenjäger" und "Geiz ist geil"-Mentalität werden zukünftig dann wohl immer mehr Leute gezielt nach Gratis-Rechtsberatungen suchen.

Bei einer Gratis-Rechtsberatung wird keine Rechnung oder Quittung ausgestellt, und der Mandant dürfte dann in der Praxis im Falle einer Falschberatung Probleme haben, den Gratis-Anwalt (oder die Gratis-Anwalt-GmbH oder Gratis-Anwalt-PartGmbH) in Regress zu nehmen.

Es ist durchaus sinnvoll, daß der Gesetzgeber in bestimmten Bereichen, wie etwa bei Honoraren von Kassenärzten oder bei apothekenpflichtigen Medikamenten oder bei Leistungen von Notaren, Statik-Ingenieuren, TÜV-Prüfern, öffentlich bestellten Vermessungsingenieure, bestimmte Mindestpreise festlegt, und einem Dumping-Wettberwerb, der letzendlich auf Kosten der Qualität der an den Verbraucher gehenden Leistung gehen würde, verhindert.

Außerdem wäre zu befürchten, daß die Gratis-Anwälte auch den Verbraucherberatungen, Haus-und Grundbesitzervereinen, Mietervereinen, Gewerkschaften, Lohnsteuerhilfevereinen, Rechtsschutzversicherungen,  und so weiter, die Kundschaft abwerben - und die Schnäppchenjäger und die Leute mit Geiz-ist-geil-Mentalität, die heute gratis beraten werden wollen, wollen dann morgen auch außergerichtlich gratis vertreten werden, und übermogen dann gratis auch gerichtlich vertreten werden.

Außerdem verlieren die Menschen die Wertschätzung sowohl für eine Leistung als auch für einen Dienstleister, wenn die Leistung gratis angeboten wird.

Schon heute benehmen sich die Kunden, die mit einem Beratungshilfeschein ankommen, oft am schlechtesten, arbeiten nicht richtig mit, lassen Anfragen des Rechtsanwalts unbeantwortet, lassen ihren eigenen Rechtsanwalt der ihre Interessen vertritt im Regen stehen, und torbedieren durch Nachlässigkeit und Desinteresse dessen Arbeit - denn weil sie selber für die Arbeit des Anwalts nichts bezahlen entwickeln sie auch keine Wertschätzung für dessen Arbeit.

Auch junge Anwälte und Berufsanfänger wären gut beraten, wenn sie keine Gratis-Angebote an Schäppchen-Jäger und Geiz-ist-Geil-Typen machen - denn diese Mandantschaft torpediert oft durch Desinteresse und Nachlässigkeit grobfahrlässig bis mutwillig die Arbeit des eigenen Anwalts, und beschwert sich dann am Ende lauthals, wenn die Sache wegen der mangelnden Mitarbeit der Mandanten nicht so gelaufen ist wie diese Leute es sich vorgestellt haben.

 

 

 

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Rat an Junganwälte schrieb:
Bei einer Gratis-Rechtsberatung wird keine Rechnung oder Quittung ausgestellt, und der Mandant dürfte dann in der Praxis im Falle einer Falschberatung Probleme haben, den Gratis-Anwalt (oder die Gratis-Anwalt-GmbH oder Gratis-Anwalt-PartGmbH) in Regress zu nehmen.
Richtig. Und was spricht dagegen, die Entscheidung darüber, ob man das Risiko eingehen will, dem Verbraucher zu überlassen so wie sonst überall auch? Bei Bank- und Finanzdienstleistungen, wo "kostenlose" Beratung die Regel ist, sieht der Gesetzgeber auch keinen Bedarf für eine Beratungsgebühr und die Beratungs- bzw. Haftungsdokumentation ist ein Witz - organisierte, dauerhaft tolerierte Rechtsverstöße sind dort die Regel.

Rat an Junganwälte schrieb:
Es ist durchaus sinnvoll, daß der Gesetzgeber in bestimmten Bereichen, wie etwa bei Honoraren von Kassenärzten oder bei apothekenpflichtigen Medikamenten oder bei Leistungen von Notaren, Statik-Ingenieuren, TÜV-Prüfern, öffentlich bestellten Vermessungsingenieure, bestimmte Mindestpreise festlegt, und einem Dumping-Wettberwerb, der letzendlich auf Kosten der Qualität der an den Verbraucher gehenden Leistung gehen würde, verhindert.
Sie irren, wenn Sie glauben, dass Mindestpreise Qualität garantieren. Zur Einstimmung empfehle ich die WDR-Reportage "Die Autoprüfer" - wenn es nur 30 Kontrolleure für 60.000 Prüfer gibt, ist das staatlich gewollter und organisierter rechts- und qualitätsfreier Raum. Trotz Mindestgebühren.

Ein Kassenarzt bekommt für eine Ganzkörperuntersuchung 15,15 Euro, für Wiederbelebungsmaßnahmen 23,31 Euro (auch wenn sie eine Stunde oder länger dauern) und für eine eingehende Beratung 8,74 Euro. Da ist der Unterschied zur Gratisberatung und -behandlung nicht mehr groß.

Rat an Junganwälte schrieb:
Auch junge Anwälte und Berufsanfänger wären gut beraten, wenn sie keine Gratis-Angebote an Schäppchen-Jäger und Geiz-ist-Geil-Typen machen - denn diese Mandantschaft torpediert oft durch Desinteresse und Nachlässigkeit grobfahrlässig bis mutwillig die Arbeit des eigenen Anwalts, und beschwert sich dann am Ende lauthals, wenn die Sache wegen der mangelnden Mitarbeit der Mandanten nicht so gelaufen ist wie diese Leute es sich vorgestellt haben.
Dennoch sollte es dem Einzelnen vorbehalten sein, ob er solche Angebote macht und unter welchen Bedingungen.

Wenn Rechtsanwälte Rechtsberatungen kostenlos anbieten, dann müssen sie damit rechnen, daß ihnen dann Schnorrer die Bude einrennen, und sie einen Großteil ihrer Arbeit nicht bezahlt bekommen, aber dennoch Haftungsrisiken zu tragen haben.

Wenn es üblich wird, Rechtsberatungen kostenlos zu erteilen, werden viele Schnorrer sicher auch ein "Anwalts-Hopping" praktizieren, und sich bezüglich eines Falles nacheinander von vielen verschiedenen Rechtsanwaltskanzleien kostenlos beraten lassen.

Falls die vielen verschiedenen Rechtsanwaltskanzleien dann nicht alle den gleichen Rat erteilt haben, werden die Schnorrer dann allen Anwälten mißtrauen und über alle Anwälte schimpfen, und mit Anwalt Nr. 1 möglicherweise die Meinungen der Anwälte 2, 3, und 4 durchdiskutieren wollen - die Zerrüttung des Mandatsverhältnisses dürfte dann also so gut wie vorprogrammiert sein.

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"Meines Erachtens sollte de lege ferenda daran gedacht werden, eine § 4 Abs. 1 Satz 3 RVG entsprechende Regelung auch für den Bereich der außergerichtlichen Beratung einzuführen."

 

Warum? Der Zug ist schon lange abgefahren. Da wird sich nicht das Gesetz ändern. Nein - wir Rechtsanwälte werden umdenken müssen.

Anders als bei den angeführten Beispielen ist die Erstberatung nur ein "Durchgangsgeschäft". Die eigentliche Tätigkeit ist und bleibt die Vertretung des Mandanten. Man kann im Alltag die Beratung und die nachfolgende Vertretung nicht einfach trennen.

Wenn ich einen Mandanten zunächst berate und dann vertrete, werden in der Regel die Kosten der Beratung auf das Honorar der Vertretung angerechnet. In der Summe habe ich bei solchen Mandaten die Beratung auch ohne Bezahlung erledigt.

Es gibt schon seit einiger Zeit Angebote im Internet, die Mandanten ohne Geld nutzen können. In juristischen Foren bekommt man kostenlose Hilfe und über Onlineplattformen schätzen Rechtsanwälte die Lage des potenziellen Mandanten ein und erklären, wie sie ihm helfen können. Der Mandant sucht sich aus den zahlreichen Antworten das passende Angebot heraus. Auch diese Vorleistungen werden von den Rechtsanwälten ohne Honorar erledigt.

Es gibt also reichlich kostenlose Hilfen für einen potenziellen Mandanten. Die Rechtsanwälte wären schlecht beraten, wenn sie sich nun gegenseitig mit dem Messer an den Hals gingen und darauf pochten, dass eine Erstberatung nur gegen Honorar erteilt werden darf.

Die Rechtsanwälte sollten die Möglichkeit einer kostenlosen Erstberatung als Chance begreifen. Auch da wird sich letztlich die Qualität durchsetzen und es werden bezahlte Mandate entstehen.

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