Fall Peggy – Neue Hauptverhandlung gegen Ulvi K.

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 10.04.2014

Nach dem Fall Mollath, der im vergangenen Jahr die Öffentlichkeit beschäftigt hat, findet nun mit dem Fall Peggy erneut ein Strafverfahren bundesweit Beachtung, das geeignet ist, das  Vertrauen in die bayerischen  Ermittlungsbehörden und die Justiz auf eine harte Probe zu stellen.

Seit heute findet die neue Hauptverhandlung vor dem LG Bayreuth statt.

Soll in einem Mordfall ohne Leiche verurteilt werden, dann stellt dies an die Strafverfolgungsbehörden, an Sachverständige und das Gericht besonders hohe Anforderungen: Die Beweislage muss eindeutig sein, objektiv begründete Zweifel schon daran, dass überhaupt das angeklagte Tötungsdelikt stattgefunden hat, dürfen nicht verbleiben. Im Fall Peggy, dem vor 13 Jahren verschwundenen Mädchen, und dem Strafverfahren gegen Ulvi K., waren die Beteiligten den an sie gestellten Anforderungen nicht gewachsen. Ganz gleich, ob der Fall Peggy jemals aufgeklärt werden kann: Polizei, Staatsanwaltschaft, Gutachter, Gerichten ist multiples Versagen vorzuwerfen.

Das Geständnis von Ulvi K., praktisch das einzige Indiz für die Tat, ist unter derart fragwürdigen Umständen zustande gekommen, dass erhebliche Zweifel verbleiben [im urspr. Text anders formuliert]. Während der Vernehmung haben die Ermittler offenbar den Beschuldigten darüber getäuscht , man habe Blutspuren von Peggy an seiner Kleidung gefunden. Eine Lüge ist nach § 136a StPO eine verbotene Vernehmungsmethode, was zur Unverwertbarkeit des Geständnisses geführt hätte - nach gerichtlicher Wertung sei aber nur fahrlässig getäuscht worden. Das angebliche Geständnis enthielt kein Täterwissen, Ulvi K. konnte die Ermittler nicht zur Leiche führen oder zu sonstigen Spuren oder Indizien, die seine Tat plausibel gemacht hätten.

Wichtige Teile der sich tage- ja wochenlang hinziehenden  Beschuldigtenvernehmung wurden ohne den bestellten Verteidiger durchgeführt, der durch eine Intelligenzminderung behinderte Beschuldigte wurde mit Freundschaftsangeboten (ein Polizist war als vertrauter "Henningvadder" aufgebaut worden), mit Schokolade und damit gelockt, er brauche nicht ins Gefängnis, wenn er gestehe. Man hatte einen Spitzel in der Anstalt, der dann auch über ein angeblich "ausgehorchtes" Geständnis Ulvis sprach - dass dieser Spitzel später seine eigene Aussage widerrief, war einer der Wiederaufnahmegründe. Und am entscheidenden Tag, an dem Ulvi K. gegenüber den Ermittlern sein Geständnis abgab, soll „zufällig“ die Tonaufnahme technisch versagt haben, so dass das angebliche Geständnis nur als Gedächtnisprotokoll der Beamten existiert und, wie sich nun herausstellte, im Wesentlichen mit einer zuvor erstellten Tathergangshypothese übereinstimmt. Man versuchte dann noch seitens der Polizei Entlastungszeugen zum Rückzug ihrer Aussagen zu bewegen, damit der Tatverdacht gegen K. nicht gestört würde. Es fällt wirklich schwer, hier nicht an absichtliche Manipulationen zu Lasten des Beschuldigten zu denken.

Die juristische Kontrolle dieser polizeilichen Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft hat versagt: Entgegen ihrer Verpflichtung, objektiv zu ermitteln und die Beweislage objektiv zu beurteilen, hat die Staatsanwaltschaft die mageren Ermittlungsergebnisse der Polizei offenbar ohne kritische Prüfung zur Anklage gebracht.

Die Strafkammer des LG Hof hat sich mit einer fragwürdigen Beweislage zufrieden gegeben ("ohne jeden Zweifel"). Es hat, um die Glaubhaftigkeit des Geständnisses zu belegen, einen Psychiater beauftragt, der über keine Expertise zur aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsuntersuchung verfügte. Sein Gutachten leidet unter Kardinalfehlern (vgl. dazu die Analyse von Eisenberg in JA 2013, S. 860 ff.; sowie von Sponsel auf seiner Website), wurde aber trotzdem zur entscheidenden Stütze des einzigen Beweismittels.

Schließlich hat auch der erste Senat des BGH seine Kontrollfunktion nicht wahrgenommen und das schwach begründete Mordurteil in der Revision „gehalten“.

Ulvi K. war bei alledem ein leichtes Opfer der ihm übermächtigen Polizeiermittler, die sich offenbar nicht Recht und Gesetz, sondern fragwürdige Kriminalfilme zum Vorbild genommen haben, um ein Ergebnis um jeden Preis zu erzielen.

Erschütternd ist es anzusehen, dass fast alle Fehler, die nach wissenschaftlicher Analyse in der Vergangenheit (in anderen Fällen) zu Falschgeständnissen und Fehlverurteilungen geführt haben, in diesem Fall gemacht wurden.

Zu verdanken ist die bislang erfolgreiche Wiederaufnahme RA Euler und einer rührigen Bürgerinititaive, die es vermochte, auch Journalisten von der Fragwürdigkeit der Verurteilung zu überzeugen.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer: Immerhin hat die Staatsanwaltschaft schon im vergangenen Jahr signalisiert, dass sie sich einem Wiederaufnahmeverfahren nicht entgegenstellen werde und hat die Ermittlungen zur Suche nach Peggy schon 2012 wieder aufgenommen. Offenbar will man nun die Wahrheit finden. Und nicht mehr nur auf dem einfachsten Weg einen Schwachen mit der schwersten Beschuldigung verurteilen.

Die Frage, die sich (insbesondere, aber nicht nur) die bayerische Justiz stellen sollte, ist, wie solche Verfahrensweisen künftig vermieden werden können. Eine Forderung liegt seit langem auf dem Tisch: Beschuldigtenvernehmungen und Explorationen - jedenfalls bei schweren Vorwürfen - nur mit kompletter Video- und Tonaufzeichnung als Beweismittel zuzulassen. Eine andere Forderung ist diejenige, auch in solchen Fällen professionell Beteiligte ggf. haften zu lassen, zumindest, wenn eklatante Fehler vorliegen. Bislang ist es wohl eher so, dass Polizeibeamte gelobt werden, wenn der Fall "gelöst" wurde, sogar dann, wenn ein Unschuldiger verurteilt wurde. 

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Sie schreiben: "Das angebliche Geständnis von Ulvi K., praktisch das einzige Indiz für die Tat, ist unter derart fragwürdigen Umständen zustande gekommen, dass man daran zweifeln kann, ob es überhaupt ein solches Geständnis gab."

In der "Süddeutschen" von heute steht aber, K. habe das Geständnis mehrmals wiederholt, auch gegenüber seinem Anwalt und seiner Schwester.

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@Gerd:
Wenn Sie zitieren :" dass man daran zweifeln kann, ob es überhaupt ein solches Geständnis gab."

Das schreibt Prof. Müller nicht, sondern "dass erhebliche Zweifel verbleiben". Das ist etwas deutlich anderes, denn Ihr Zitat würde u.a. bedeuten, dass Prof. Müller den Polizeibeamten implizit Falschaussagen vorwirft.

 

Bei aller berechtigter Kritik an dem Verfahren muss man aber mE nicht zwingend auf eine Seite von Herrn Sponsel verlinken, auf der sich neben der vermeintlich objektiven wissenschaftlichen Analyse dann wieder Tiraden finden wie die von der "Staatskriminalität", Filz etc....

So hat  Herr Sponsel bei aller Wissenschaftshuberei und Austeilfähigkeit z.B. die BGH-Entscheidung zu den Mindestanforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten offenbar  nicht richtig gelesen, von zwingender Audio- und Videoaufzeichnung bei der Dokumentation der Exploration steht nämlich nichts darin, sondern nur von "in der Regel zu erstellenden Audio- und ggf. Videoaufnahmen" ... "weil jedenfalls die Durchführung der Aussageanalyse bei komplexen Sachverhalten ohne verwendbare Aufzeichnung des Ablaufs der Exploration als nicht möglich erscheint". Gestützt auf diese Fehlinterpretation mutmaßt dann Herr Sponsel fröhlich, wie er interpretieren kann, weshalb nur die 4. Exploration aufgezeichnet wurde. Mit Wissenschaft hat das nicht viel zu tun.

Gibt es  irgendwo einen Beleg dafür, dass - wie Herr Sponsel behauptet - bei K. die REID-Methode tatsächlich angewandt wurde? Bislang habe ich nur belegbar gefunden, dass diese Methode zeitweise in einzelnen Bundesländern, u.a. in Bayern, bis längstens  2004 gelehrt wurde (wobei REID offenbar durch ein US-Unternehmen verbreitet wurde, das diese Kurse anbietet, also eher als externe Fortbildung).

 

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Reid-Methode (#1, nochsoeingast der keine Ahnung hat):

Vielleicht sollten Sie einmal in das das Buch von Jung & Lemmer hineinschauen und das, was heute vom Anwalt thematisiert wurde mit der Reid-Methode vergleichen.

 

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Die BGH Regel zur Dokumentation

nochsoeingast schrieb:

@Gerd: "Wenn Sie zitieren : 'dass man daran zweifeln kann, ob es überhaupt ein solches Geständnis gab.'

.... So hat  Herr Sponsel bei aller Wissenschaftshuberei und Austeilfähigkeit z.B. die BGH-Entscheidung zu den Mindestanforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten offenbar  nicht richtig gelesen, von zwingender Audio- und Videoaufzeichnung bei der Dokumentation der Exploration steht nämlich nichts darin, sondern nur von "in der Regel zu erstellenden Audio- und ggf. Videoaufnahmen" ... "weil jedenfalls die Durchführung der Aussageanalyse bei komplexen Sachverhalten ohne verwendbare Aufzeichnung des Ablaufs der Exploration als nicht möglich erscheint". Gestützt auf diese Fehlinterpretation mutmaßt dann Herr Sponsel fröhlich, wie er interpretieren kann, weshalb nur die 4. Exploration aufgezeichnet wurde. Mit Wissenschaft hat das nicht viel zu tun."

Sie sind also offenbar nicht in der Lage, eine komplexe Aussage zu erfassen, für die der BGH diese Regel aufgestellt hat und alle Standardwerke der Aussagepsychologie, von denen Sie keines zu kennen scheinen, auch so interpretieren, jüngst auch erst wieder Prof. Köhnken in seinem Interview beim mdr.

Es gibt mindestens vier Geständnisversionen, einen Geständniswiderruf, einen geistig behinderten Probanden, extreme Vernehmungspraktiken, Probleme über Probleme ...  und offensichtlich Explorationen an vier verschiedenen Tagen. Das gehört, wenn ich Sie richtig verstehe, zu den einfachen Sachverhalten, die der BGH nicht meint.

Aber, da wir schon dabei sind, das ist es nicht allein. Das es keinerlei sonstigen Beweise gab - nicht einmal eine Leiche - und die Verurteilung einzig und allein auf dem "Sachverständigen Gutachten" beruhte, kommt der Aussage und ihrer gründlichen Validierung und Evaluation natürlich ganz besondere Bedeutung zu. Das ist nur möglich, wenn einwandfrei (wenigstens) audiodokumentiert und die relevanten Wortprotokolle nachvollziehbar ausgewertet und dargestellt werden. Auch das konnte oder wollte Kröber nicht. Darauf trifft Ihr Schlusssatz zu: "Mit Wissenschaft hat das nicht viel zu tun."

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"Die juristische Kontrolle dieser polizeilichen Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft hat versagt: Entgegen ihrer Verpflichtung, objektiv zu ermitteln und die Beweislage objektiv zu beurteilen, hat die Staatsanwaltschaft die mageren Ermittlungsergebnisse der Polizei offenbar ohne kritische Prüfung zur Anklage gebracht."

Sehr passiv war die Rolle der Staatsanwaltschaft auch bei den Ermittlungen zu den NSU-Morden – das war ein zentrales Ergebnis des NSU-Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtags, was auf ein gewisses Konkurrieren mit einer dominanten SoKo zurückgeführt wurde. Ähnlich dominant war ja auch die SoKo II  bei den Ermittlungen zum Fall Peggy und auch der Chefermittler war da derselbe.

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"....Und am entscheidenden Tag, an dem Ulvi K. gegenüber den RErmittlern sein Geständnis abgab, soll „zufällig“ die Tonaufnahme technisch versagt haben, so dass das angebliche Geständnis nur als Gedächtnisprotokoll der Beamten existiert..."

 

...aber etwas später hat man eine Videokamera bereit, damit man filmen kann, wie Ulvi die Tat "nachstellt"....natürlich nur in Auszügen, ein minutenlanges Hinterherrennen war da doch nicht möglich.

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@nochsoeingast (#3): Mein o.a. Zitat (#2) wurde per copy&paste dem Beitrag von Herrn Müller entnommen. Herr Müller hat seinen Beitrag also im Nachhinein still und heimlich geändert.

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Das mit dem "Gedächtnisprotokoll" wurde übrigens bei Debbie Milke gemacht.

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@Gerd (#2/#4): Sorry, Ihr Zitat war richtig. Ich habe selbst meine Annahme als zu weit gehend empfunden und korrigiert.  Ich will aber gar nicht still und heimlich ändern und habe jetzt meine Korrektur auch oben angezeigt.

@nochsongast: Richtig, "man muss nicht zwingend auf die Seite von Herrn Sponsel verlinken", ich habe es aber trotzdem getan, weil ich denke, dass er zutreffend die Suggestivfragen des Gutachters benennt.

wg. REID-Methode: Ob diese zur Anwendung kam, weiß ich nicht. Aber es ist m.E. naheliegend, dass Elemente aus dieser Methode, die generell dazu dient, mit Druck und Suggestivfragen ein Geständnis zu erfragen, zur Anwendung gekommen sind, ohne die - insbesondere bei Beschuldigten mit reduzierter Abwehr auftretenden - bekannten Gefahren von Falschgeständnissen zu beachten.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

 

@ H. E. Müller (#8): Bleibt aber doch die Frage, warum es so unvertretbar gewesen sein soll, die Verurteilung auf einem Geständnis aufzubauen, das irgendwann mal unter womöglich suspekten Umständen abgelegt, später aber mehrfach unter keineswegs suspekten Umständen wiederholt worden ist.

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 "..später aber mehrfach unter keineswegs suspekten Umständen wiederholt worden ist. "

 

Wie man es nimmt: die eine Wiederholung gabs gleich nach dem ersten Geständnis, da holte man nämlich den Verteidiger zurück, und Ulvi "bestätigte" das grad gesagte.... dann gabs die weiteren Geständnisse (anderer Tatort, andere Hilfen bei der Beseitigung der Leiche usw)

Ich würde das auch suspekt nennen.

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Ich halte die verlinkte Analyse von Herrn Sponsel nicht für hilfreich, weil er Neutralität als Grundvoraussetzung seriösen Arbeitens vermissen lässt. Wie so oft hat man zudem den Eindruck, dass er sich in ein Thema verbeißt mit dem Anspruch, der Objektivität zu dienen, tatsächlich vermitteln seine Ausführungen aber den Eindruck von Pseudo-Objektivität, was für Laien nicht leicht zu durchschauen ist. Er scheint hier eine Binnen-Anerkennung zu genießen.

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@Professor Müller:

Das mit der REID-Methode behauptet Herr Sponsel  als Fakt. Und die Suggestivfragen belegt er eigentlich nicht,allenfalls anhand eines Beispiels, sondern behauptet einfach mal eine Quote von 68%, ohne die Befragung zu veröffentlichen (Fragen und Antworten, denn ggf. nur anhand der vorherigen Antworten kann man  auch beurteilen, ob es eine echte Suggestivfrage oder eine präzisierende Nachfrage ist).

 

Was die Aufzeichnung der Vernehmungen angeht, stimme ich Ihnen zum Teil zu. In Großbritannien wurde mit PACE schon vor langer Zeit aus gutem Grund die Audio-Aufzeichnung eingeführt. Nur zwei kleine Aspekte: 

-Laut Geipel, Handbuch der Beweiswürdigung (mit vielen Verweisen auf Gudjonsson) soll in GB die Geständnisquote auch unter PACE nahezu konstant geblieben sein. Und immer noch  höher  als in den USA, wo Täuschung und REID nach wie vor verbreitet sein sollen.

- Es wird vermutlich immer auch Geständnisse oder zu verwertende Aussagen außerhalb von Beschuldigtenvernehmungen geben. Ein Beispiel: wenn  eine "Landpolizei" (die ja häufig als erste an Tatorten eintreffen) oder ein SEK z.B. bei einer Festnahme die Beschuldigten weiterreicht an die eigentlichen Sachbearbeiter kann es sowohl in der Festnahmesituation als auch beim Weitertransport zu den eigentlichen Vernehmungsbeamten oft zu spontanen Äußerungen kommen. Das bringt zwar jeden Verteidiger auf die Palme und man wird entsprechende Angaben ggf. auch hinterfragen können, es ist aber Fakt, dass manche Täter sich durchaus etwas von der Seele reden wollen. Da kann sich ein Polizist nun schlecht die Ohren zuhalten und einen Grund, nur wegen der Deliktschwere mangels Aufzeichnung auf Audio oder Video das alles als unverwertbar anzusehen. Übrigens argumentieren Sie da ja konträr zur wohl überwiegenden Rechtsprechung, wenn Sie gerade bei schwereren Delikten ein BVVmangels Audio/Videoaufzeichung der Vernehmung  fordern, denn meist heißt es ja beim BGH (und auch beim BVerfG), gerade bei schweren Straftaten komme der Aufklärung dieser Straftat großes Gewicht im Rahmen der Abwägung, ob ein BVV anzunehmen sei, zu. 

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Meine, zugegebnermaßen nicht übermäßige Erfahrung, mit solchen geistig eingeschränkten Personen ist, dass sie nahezu nie lügen, außer in Kleinigkeiten, aber auf keinen Fall aber in der Lage sind, Lügen, insbesondere wenn diese kompliziert  odere schwerwiegend sind, für längere Zeit aufrecht zu erhalten.

Nachdem, was ich gelesen habe, hat Ulvi K. seine Sexualdelikte, wenn diese denn wahr sind, freimütig gestanden.

Meine Frage ist nun, kann ein Mensch wie dieser Ulvi K. den Ort des Leichenverstecks überhaupt für sich behalten, insbesondere bei den gegebenen Verhörmethoden ?

Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass Ulvi K., als er anderen Personen sein Geständniss bestätigt hat, davon überzeugt war, dass er da die (übernommene) Wahrheit gesagt hat.

 

 

 

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Wann wäre Ulvi Kulac möglicherweise entlassen worden ?

Oder ist er so schwer behindert , dass er in absehbarer Zeit nicht frei gelassen wäre, wenn kein Wiederaufnahmeverfahren laufen würde ?

Wie oft kommt es vor, dass nach Selbstbeschuldigung, ein Beschuldigter verurteilt wird ?

Bei Sexualdelikten gibt es ja häufig das Umgekehrte, dass der Beschuldigte  seine Taten nicht zugibt, aber die Opfer schwerst für das restliche Leben psychisch leiden, was keinen in der Justiz interessiert. Wenn dann Opfer versuchen Selbstmord zu verüben, interessiert das auch nicht die Strafverfolgungsbehörden. Da wird nur festgestellt, dass die Opfer psychisch krank waren.

Eine verpflichtende  Ursachenforschung durch die Behörden wodurch Opfer schwerst psychisch krank wurden, gibt es nicht.

 

 

 

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Wenn in einem Verfahren "Aussage gegen Aussage" steht und der einzige Belastungszeuge ein Polizeibeamter oder Kaufhausdetektiv ist, werfe ich dem Richter gerne provokant vor, das Urteil stehe ohnehin schon fest, da Gerichte immer der Aussage eines Polizeibeamten folgten. Dieser Vorwurf wird zumeist empört zurückgewiesen, natürlich sei man völlig unvoreingenommen, höre sich die Einlassung des Angeklagten und die Aussage des Polizeibeamten an und bewerte beide ganz neutral.

 

Ich fordere dann den Richter auf, Beispiele zu nennen, in denen er der Einlassung des Angeklagten mehr Glauben geschenkt hat als der Aussage eines Polizeibeamten. Bislang mußte noch jeder Richter passen. Polizeibeamte, aber selbst Kaufhausdektektive - oftmals fragwürdige Gesellen ohne Berufsausbildung - genießen einen Glaubwürdigkeitsbonus. Diese Menschen äußern sich "dienstlich", während der Angeklagte ja nur eine "Einlassung" abgibt.

 

Die meisten Richter sind völlig unfähig, eine Position einzunehmen, die darauf hinausläuft, Polizeibeamten nicht zu glauben. Gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft herrscht oftmals vollständige Distanzlosigkeit und Naivität.

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Gutachten Kröber völlig unbrauchbar unabhängig von der Tathergangshypothese - 2. Kommentar zur Wiederaufnahme

Es ist völlig falsch, wie das Gericht und die gewogenen Medien kolportieren, dass das Gutachten von Prof. Dr. Kröber nur deshalb falsch sei, weil es von der sog. Tathergangshypothese angeblich nichts wusste. Dieses Gutachten ist völlig unabhängig von der Tathergangshypothese dermaßen fehlerbehaftet, stümperhaft und geradezu grotesk falsch in seiner Grundidee (eine falsche Geschichte, die richtig nacherzählt werden kann, muss wahr sein). Allein das Tathergangsvideo vom 30.7.2002, das dem Gutachter vorlag, muss selbst einem Anfänger, ja Laien deutlich machen, dass hier keinesfalls ein Tathergang wiederholt wurde, denn dann hätte Ulvi Kulac rennen müssen - 800 m mit 20% Steigung! - und nach wenigen Metern keine Luft mehr bekommen, er schnaufte  ja bereits beim bloßen Gehen deutlich. Wenn selbst solche simplen Dinge nicht wiederholt werden, dann kann das nur so verstanden werden, alles, was die Täterschaft in Frage stellen konnte, wurde wohlweislich nicht wiederholt und unter den Teppich gekehrt. Das passt dann gut zum falschen Zeugen kaufen, Spuren- und Zeugenmanipulationen, zu verbotenen Vernehmungsmethoden mit  Foltermerkmalen, zur Reid-Methode. Das Tollste ist aber ohne Zweifel, dass genau dann, als das Geständnis erfolgte, das Tonband kaputt gegangen sein soll und der Anwalt gerade weg war. Eine Kriminalpolizei, die sich zu so etwas hergibt, sollte wie die verantwortlichen Vorgesetzten einschließlich des Frömmlers Beckstein suspendiert werden. Solche Innenminister, Richter, Staatsanwälte, Kriminalbeamte und pseudosachverständigen forensischen Psychiater sind die eigentliche Gefahr für den  wohlverstandenen Rechtsstaat - nicht Ulvi Kulac, Mollath oder die hessischen Steuerfahnder oder die Kritiker, die diese unglaublichen Zustände von Staatsversagen auf der ganzen Linie anprangern.

Quelle:

http://www.sgipt.org/forpsy/Kulac/MKEAKroeb.htm#Gutachten%20Kr%C3%B6ber%...

 

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@R.Sponsel: "keineahnunghat"
Ihrer Seite kann man nicht gerade entnehmen, dass Sie jemals irgendwann selbst ein Glaubhaftigkeitsgutachten erstellt haben oder aber in der Thematik Vernehmungsmethoden oder Glaubhaftigkeitsbegutachtung bewandert sind; im Austeilen sind Sie dafür aber ganz gut.

 

Was "vom Anwalt thematisiert wurde" weiß ich nicht, weil ich nicht in der Verhandlung war. Er scheint sich jedenfalls unklar zu sein, was er so sagen will: Die Süddeutsche zitiert ihn mit den Worten "Man darf und kann ihm (scil: Kulac) wegen seiner geistigen Minderbegabung nicht glauben", wenn aber die Rede von"Folter" ist, offenbar schon.

Zur Reid-Methode, die auch bei Geipel dargestellt ist,  könnten Sie analysieren und darstellen, in welcher der (laut Berichten 40)  Vernehmungen welche Schritte dieser Methode angewendet wurden. Das wäre dann ein wissenschaftlicher Nachweis (auf den Sie so großen Wert legen, nachdem Sie auch Suggestivfragenquoten errechnen) und nicht nur eine Behauptung.

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Sehr geehrte Kommentatoren,

danke für Ihre z. T. kritischen Beiträge. Ich möchte schon einmal rein präventiv daran erinnern, dass nach der Moderationspraxis in diesem Forum relativ konsequente Regeln gegen persönliche Angriffe und off-topic Kommentare angewandt werden.

Zu einigen Punkten möchte ich kurz antworten:

@nochsongast, Sie schreiben:

Es wird vermutlich immer auch Geständnisse oder zu verwertende Aussagen außerhalb von Beschuldigtenvernehmungen geben. Ein Beispiel: wenn  eine "Landpolizei" (die ja häufig als erste an Tatorten eintreffen) oder ein SEK z.B. bei einer Festnahme die Beschuldigten weiterreicht an die eigentlichen Sachbearbeiter kann es sowohl in der Festnahmesituation als auch beim Weitertransport zu den eigentlichen Vernehmungsbeamten oft zu spontanen Äußerungen kommen. Das bringt zwar jeden Verteidiger auf die Palme und man wird entsprechende Angaben ggf. auch hinterfragen können, es ist aber Fakt, dass manche Täter sich durchaus etwas von der Seele reden wollen. Da kann sich ein Polizist nun schlecht die Ohren zuhalten und einen Grund, nur wegen der Deliktschwere mangels Aufzeichnung auf Audio oder Video das alles als unverwertbar anzusehen.

Was Sie schildern, sind keine Vernehmungen, sondern Spontanäußerungen, die rechtlich (jedenfalls nach Gesetzeswortlaut und "überwiegender Meinung") ohnehin anders zu behandeln sind. Allerdings kann die Möglichkeit der Verwertung von Spontanäußerungen die Ermittler zum Missbrauch verführen, möglichst Vieles schon einmal außerhalb einer Vernehmung zu erfragen.

Übrigens argumentieren Sie da ja konträr zur wohl überwiegenden Rechtsprechung, wenn Sie gerade bei schwereren Delikten ein BVVmangels Audio/Videoaufzeichung der Vernehmung  fordern, denn meist heißt es ja beim BGH (und auch beim BVerfG), gerade bei schweren Straftaten komme der Aufklärung dieser Straftat großes Gewicht im Rahmen der Abwägung, ob ein BVV anzunehmen sei, zu.

Ja, ich argumentiere so, weil ich die Rechtsprechung insofern für verfehlt halte: Zugleich mit dem Interesse an der Sachaufklärung steigt bei schwereren Taten auch das Verteidigungsinteresse. Insbesondere bei Verwertungsverboten, die die Wahrheitsfindung selbst betreffen (Umfeld §§ 136, 136a StPO) ist die Abwägung mit der Tatschwere deshalb dogmatisch verfehlt. Ja, ich darf  diese Meinung vertreten, auch wenn sie nicht der überwiegenden Rechtsprechung entspricht.

@Gerd, Sie schreiben:

Bleibt aber doch die Frage, warum es so unvertretbar gewesen sein soll, die Verurteilung auf einem Geständnis aufzubauen, das irgendwann mal unter womöglich suspekten Umständen abgelegt, später aber mehrfach unter keineswegs suspekten Umständen wiederholt worden ist.

Anders als Sie annehmen, erhöhen die Wiederholungen eines suggerierten Geständnisses nicht dessen Glaubhaftigkeit. Die zugrundeliegende Fehlvorstellung existierte in der frühen Neuzeit, als man unter Folter erzwungene Geständnisse (etwa eine Hexe zu sein) vom Beschuldigten dann ohne Folter noch einmal bestätigen ließ. Heute ist jedem klar, dass das Mumpitz ist. Im vorliegenden Fall gibt es zwar keine Anzeichen für Folter (korr.: RA Euler hat dies allerdings jetzt behauptet), dennoch wäre es falsch, die Suggestivwirkung zu unterschätzen: Sie hört nicht auf, wenn der Suggerierende nicht mehr im Raum ist. Speziell Kinder und Menschen mit geistiger Behinderung sind anfällig für Suggestionen. Bei den mit suggerierenden Vernehmungstechniken erzeugten Missbrauchsschilderungen, die den Wormser Prozessen (siehe Wikipedia) zugrundelagen, wurden diese Schilderungen auch wiederholt und erweitert. Gesagt wurde das, was der Verhörende, der zum Gegenüber eine "Beziehung" aufgebaut hatte, hören wollte. Die Beziehung existierte auch unabhängig von der Anwesenheit der Bezeihungsperson. Die genannten Prozesse waren übrigens Anlass für die BGH-Grundsatzentscheidung zur Glaubhaftigkeitsbegutachtung (BGH, 30.07.1999 - 1 StR 618/98), siehe auch meine Anmerkung dazu  in JZ 2000, 267.

Wie gesagt, die Gefahren sind eigentlich bekannt, aber hier nicht berücksichtigt worden.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

 

 

 

@ Dr. Sponsel

Ich lese das jetzt nicht zum ersten Mal bei Ihnen:

"Dieses Gutachten ist […] geradezu grotesk falsch in seiner Grundidee (eine falsche Geschichte, die richtig nacherzählt werden kann, muss wahr sein)." Damit unterstellen Sie, dass Prof. Kröber wusste, dass die Geschichte falsch ist. Können Sie das belegen?

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Suggestiv induzierte Konstanz als Argument - Kröber erfindet ein neues aussagepsychologisches Kriterium

Gast schrieb:

@ Dr. Sponsel

Ich lese das jetzt nicht zum ersten Mal bei Ihnen:

"Dieses Gutachten ist […] geradezu grotesk falsch in seiner Grundidee (eine falsche Geschichte, die richtig nacherzählt werden kann, muss wahr sein)." Damit unterstellen Sie, dass Prof. Kröber wusste, dass die Geschichte falsch ist. Können Sie das belegen?

Sie werden es auch nicht zum letzten Mal lesen. Ich unterstelle gar nichts, sondern analysiere, was Kröber gemacht hat und ziehe daraus meine Schlüsse. Kröbers Untersuchungskonzept liegt ja nicht vor und ist sein Geheimnis; auch das ist ein schwerer Gutachtenfehler. Seine Logik und Methodik muss also erschlossen werden. Aber ich gebe zu, der Sachverhalt hat seine Tücken. Daher noch einmal ausführlicher. Der hier entscheidende Punkt mit unerträglichen Mehrfachfehlern ist, Zitat Kröber (bei mir in 4.3, 4.4.1):

"Herr Kulac, ich würde gerne von Ihnen noch mal genau haarklein erzählt bekommen, was Sie der Polizei im Juli erzählt haben. Da ist ja sowohl bei der Polizei zweimal ein Gespräch gewesen oder sogar dreimal, wo Sie gesagt haben, dass Sie die Peggy an dem Montag getroffen haben."

Abgesehen davon, dass hier mehrere Geschichten - bei einem geistigen Behinderten! (Verständnis nicht einmal evaluiert) - ineinander greifen, geht es um das - später widerrufene - Geständnis. Das Geständnis soll nacherzählt werden. Gelänge  dies, so wertet Kröber dies als entscheidendes Konstanz- und Glaubhaftigkeitsmerkmal. Obwohl nur suggestiv-induziert und durch extrem viele Wiederholungen und Insistierungen im Vorfeld - in Kröbers Augen es - "gelingt", ist die grundlegende Logik: eine so gut nacherzählte, konstante, Geschichte, kann nicht falsch, also muss der Widerruf falsch sein. Es ist hierbei gleich, ob die nacherzählte Geschichte wahr oder falsch ist, sie wird als wahr bewertet, wenn sie konstant nacherzählt wird. In Ulvi Kulacs Augen war das Geständnis bei der Begutachtung falsch, also eine falsche Geschichte. Kann diese falsche Geschichte aber konstant nacherzählt werden, so muss sie nach Kröbers Logik richtig sein. Falsche Geschichte heißt an dieser Stelle: in Ulvis Augen zum Untersuchungszeitpunkt.

    Zwei ganz wichtige Sachverhalte sind hier zu berücksichtigen. Erstens ist das Erscheinen Peggys am Montag suggestiv induziert durch Kröber hereingebracht worden. Zweitens hat es extrem viele  Wiederholungen und suggestive Insistierungen im Vorfeld gegeben.

Es ist ein ungeheurerer Vorgang, wenn der Gutachter, den entscheidenden Sachverhalt, den Ulvi Kulac nicht von sich aus berichtet, nun plötzlich selber suggestiv induziert (unten 2.1). Spätestens hier hätte man sagen müssen: 6, setzen, Honorar zurückerstatten.

Nachdem Ulvi sehr lange den Tagesablauf - ohne Peggybegegnung - geschildert hat (71 Zeilen. 731 Wörter) greift Kröber gleich zu Beginn mit seiner 2.1 Einlassung ein:

"Kröber-02.1: Jetzt haben wir uns das angehört, das letzte Stückchen, und das ist soweit okay. Nun haben Sie ja eine Geschichte erzählt, die noch nicht ganz dem entspricht, was Sie bei der Polizei erzählt haben Da fehlt mittags rum ein Stück. Dieses Stück würde mich noch mal interessieren, was Sie da der Polizei erzählt haben, daß Sie der Peggy begegnet haben. Ich weiß, daß Sie jetzt sagen, Sie sind der Peggy an dem Montag nicht begegnet. Aber damals haben Sie der Polizei was anderes erzählt. Das würde ich gerne noch einmal von Ihnen hören, was Sie damals der Polizei erzählt haben, als Sie da am Henri-Marteau-Platz sitzen, auf der Rentnerbank, glaube ich." (S. 74)

Das zeigt: Kröber kann von fachgerechter aussagepsychologischer Exploration nicht die geringste Ahnung haben oder er verfolgte andere Ziele. Kröber war an Ulvi Kulacs Geschichte ganz offensichtlich gar nicht interessiert, wie bereits seine zweite (von 226) Einlassung zeigt. Er will seine Nacherzählung auf Teufel komm raus. Also, schließe ich, ist seine grundlegende Idee: Kann das falsche Geständnis richtig nacherzählt werden, kann es nicht falsch, sondern muss es richtig sein.

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@Gast, Sie schreiben:

Müßte der Verteidiger nicht zur Rechenschaft gezogen werden wegen dieser Äußerung, wenn er das nicht beweisen kann?

Wahrscheinlich denken Sie an Üble Nachrede (§ 186 StGB). Allerdings ist dann auch der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB zu beachten. Sofern RA Euler diesen Vorwurf in der Form nicht beleidigend erhoben hat, ist er danach straflos. wäre es anders, würde es kaum möglich sein, im Prozess verbotene Vernehmungsmethoden überhaupt geltend zu machen.

Im Übrigen ist der Vorwurf ja auch konkretisiert worden - es ging um den schmerzhaften Druck in den Rücken des Beschuldigten, den RA Euler als Folter bezeichnet.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Ulvi K. hat ja schon mehrfach sehr detailreich und konsistent geschildert, welche Schmerzen ihm wo und auf welche Weise zugefügt wurden, auch ein Richter hatte seine Angaben zu diesem Vorgang als glaubhaft eingeschätzt. Es spricht vieles dafür, dass verbotene Vernehmungsmethoden angewendet wurden – aber kann und sollte man da von "Folter" sprechen? Das Problem ist doch, dass die meisten Menschen, darunter auch gutwillige und engagierte, wenn sie in den Medien von "Folter" lesen, diesen Begriff als unzutreffend oder zumindest als zu drastisch empfinden mit der Folge, dass sie automatisch auf Distanz gehen. Insofern ist  die Wortwahl schon sehr unglücklich. Schwer vorstellbar, dass ein besonnener und ansonsten sehr zurückhaltend agierender Anwalt bewusst einen Kampfbegriff gewählt haben sollte. Sollte sich hier die im Kontext des Mollath-Skandals inflationär gewordene Verwendung des Begriffs bereits ausgewirkt haben?

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Hintergrund und Entstehung der methodenkritischen Erst-Analyse - warum nicht alles im Netz steht

Ich lernte Gudrun Rödel und ihren Ehemann anläßlich meines ersten Besuches mit Gerhard Dörner bei Gustl F. Mollath am 12.04.2012 in Bayreuth kennen. Gudrun Rödel wurde dann auch Mitglied im Unterstützerkreis Gustl F. Mollath und die beiden Unterstützerkreise arbeiteten gelegentlich zusammen. Aufgrund der Veröffentlichungen war mir als Aussagepsychologe klar, dass Ulvi Kulac, die Bürgerinitiative und seine Rechtsvertretungen dem Gutachtern von Prof. Dr. Kröber ziemlich hilflos ausgeliefert waren. Dabei war es als einziges Beweismittel von großer, ja entscheidenter Bedeutung für die Verurteilung. Aber ich wusste damals nicht, wie seine qualitative Güte einzuschätzen war. Ich bot dann am

6.9.2013 an, das Gutachten Prof. Kröber methodenkritisch zu untersuchen und stellte mein Erstergebnis RA Euler und der Bürgerinitiative am 02.10.2013 zur Verfügung. Die Analyse umfasste mit den Anlagen 1, 2, 3 insgesamt 31 Seiten (Inhaltsverzeichnis hier). Die Originalversion enthält in Anlage 2 die durchnumerierten und aussagepsychologisch kommentierten 226 Fragen und Aussagen sowie Anlage 3, die 23 Handlungssequenzen der Kerngeschichte der Nacherzählung, die Ulvi Kulac der Polizei berichtet hat. Eine vollständige Veröffentlichung meiner Erstanalyse erschien mir zum damaligen Zeitpunkt vorgreifend nicht vertretbar und hätte natürlich auch erst der Genehmigung durch den Rechtsanwalt und die Bürgerinitiative bedurft. Ich erstellte daher eine in meinen Augen vertretbare Internetversion, die ich am 15.10.2013 fertig hatte. Die Freigabe hat RA Euler am 3.11.2013 erteilt, so dass die Seite am selben Abend noch ins Netz ging. Zwischenzeitlich hatte ich noch durch RA Euler erfahren, dass er meine methodenkritische Analyse an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet habe. Auf der Homepage Ulvi Kulac findet sich auch eine (der ersten) PDF-Versionen.

Quelle:

http://www.sgipt.org/forpsy/Kulac/MKEAKroeb.htm#Hintergrund%20und%20Ents...

 

 

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@Gast(#23), Sie schreiben:

Es spricht vieles dafür, dass verbotene Vernehmungsmethoden angewendet wurden – aber kann und sollte man da von "Folter" sprechen? Das Problem ist doch, dass die meisten Menschen, darunter auch gutwillige und engagierte, wenn sie in den Medien von "Folter" lesen, diesen Begriff als unzutreffend oder zumindest als zu drastisch empfinden mit der Folge, dass sie automatisch auf Distanz gehen. Insofern ist  die Wortwahl schon sehr unglücklich. Schwer vorstellbar, dass ein besonnener und ansonsten sehr zurückhaltend agierender Anwalt bewusst einen Kampfbegriff gewählt haben sollte.

Ob es aus verteidugungstaktischen Gründen "klug" oder "unklug" war, den Begriff Folter zu verwenden, darüber kann man trefflich streiten. Um die Diskussion zu vereinfachen, hier die Definition der UN-Antifolterkonvention. Die Subsumtion überlasse ich Ihnen:

 „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.“

Sie schreiben außerdem:

Sollte sich hier die im Kontext des Mollath-Skandals inflationär gewordene Verwendung des Begriffs bereits ausgewirkt haben?

Obwohl ich sehr viel zum Fall Mollath gelesen habe, ist mir eine inflationäre Verwendung des Folter-Begriffs nicht aufgefallen. Aber vielleicht haben Sie auch andere Quellen gelesen als ich.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

@R. Sponsel:

Sie schreiben von sich als "mir als Aussagepsychologe". So kann sich nun jeder bezeichnen.  In Ihrer sehr sehr ausführlichen Biografie liest man viel über viele Dinge, zu Ihrer Praxis und Qualifikation als "Aussagepsychologe" findet man nach 2004/2005 nur den dürren Satz "Weiterentwicklung der Prüfung aussagepsychologischer Vernehmungen und Explorationen" und danach Ihre eher fachfremde, aber offenbar zeitaufwändige  Beschäftigung mit Schulden-Porträts. Die Veröffentlichungsliste ist ebenfalls unergiebig.

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Sponsels Qualifikation als Aussagepsychologe

nochsoeingast schrieb:

@R. Sponsel:

Sie schreiben von sich als "mir als Aussagepsychologe". So kann sich nun jeder bezeichnen.  In Ihrer sehr sehr ausführlichen Biografie liest man viel über viele Dinge, zu Ihrer Praxis und Qualifikation als "Aussagepsychologe" findet man nach 2004/2005 nur den dürren Satz "Weiterentwicklung der Prüfung aussagepsychologischer Vernehmungen und Explorationen" und danach Ihre eher fachfremde, aber offenbar zeitaufwändige  Beschäftigung mit Schulden-Porträts. Die Veröffentlichungsliste ist ebenfalls unergiebig.

Schön, dass Sie die Qualifikationsfrage ansprechen, zu der Sie eigene Angaben interessanterweise nicht machen, was allerdings bei anonymen Postern auch nichts bedeuten würde.  Offensichtlich haben Sie die "sehr sehr ausführliche" Berufsbiographie nur sehr selektiv gelesen, sonst hätten Sie folgendes mitbekommen:

Bestallungsurkunde als Forensischer Sachverständiger mit den Schwerpunkten Familien- und vormundschaftsgerichtliche Fragestellungen, Glaubhaftigkeitsbegutachtungen. Öffentlich vereidigt am 2. August 1993 von der Regierung von Mittelfranken.

http://www.sgipt.org/org/bbiogr/rs.htm#Bestallungsurkunde%20Forensischer...

Was befähigt nun Sie? Ich schätze, es ist einzig Ihre Anonymität.

 

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Ich denke das Gast #23 auf GM selber verweisen möchte, da GM öfter gesagt hat, dass in Psychiatrien gefoltert würde.

Das "Problem" für Gast scheint zu sein, dass er/sie mit Folter erst mal nur die körperliche Folter verbindet.

Das die seelischen Grausamkeiten wie fixiert zu sein, oder Schreie hören zu müssen, oder Nachts alle 2-3 Stunden geweckt zu werden, auch Folter sind, sehen manche nicht - oder wollen es nicht sehen.

Das die ganze Vernehmung, auch ohne den Finger im Schulterblatt, für einen U.K. möglicherweise seelische Folter war, weil er sich zwischen Lüge und Verlust des "Freundes" entscheiden musste?

Aber die meisten "Gäste" suchen doch eh wieder nur die Krümmel auf der Gegenseite - am liebsten den Anwalt wegen Verleumdung verhaften und verurteilen, und gleichzeitig die Polizisten, Richter und Gutachter freisprechen (was eh passiert) - komisches Weltbild haben manche...

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Bei der Durchführung von MPUs sollen zukünftig Audio-Mitschnitte gemacht werden:

 

"Dritter zentraler Aspekt der MPU-Reform sei die Einführung von Audio-Mitschnitten während der MPU, um "Unstimmigkeiten bezüglich der im Gutachten wiedergegebenen Gesprächsinhalte“ aufklären zu können. Sören Bartol, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, sagte diesbezüglich der "Bild": "Wir werden die schwarzen Schafe, die nur Geld verdienen wollen, aussortieren und die Qualität der Seminare besser überwachen."

 

Quelle:

http://www.auto-service.de/aktuell/news/29264-mpu-reform-bundesregierung-plant-offenbar-tiefgreifende-aenderungen.html

 

Dann müsste das doch auch möglich sein, wenn diese Kröbers und Leipzigers Gespräche im Zusammenhang mit dem § 63 StGB führen?

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MPU Mitschriften werden schon jetzt zur Korrektur vorgelegt

Das Problem liegt in einem falschen Verständnis der Diagnostik

Gast schrieb:

Bei der Durchführung von MPUs sollen zukünftig Audio-Mitschnitte gemacht werden:

"Dritter zentraler Aspekt der MPU-Reform sei die Einführung von Audio-Mitschnitten während der MPU, um "Unstimmigkeiten bezüglich der im Gutachten wiedergegebenen Gesprächsinhalte“ aufklären zu können. Sören Bartol, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, sagte diesbezüglich der "Bild": "Wir werden die schwarzen Schafe, die nur Geld verdienen wollen, aussortieren und die Qualität der Seminare besser überwachen."

Quelle:

http://www.auto-service.de/aktuell/news/29264-mpu-reform-bundesregierung-plant-offenbar-tiefgreifende-aenderungen.html

Dann müsste das doch auch möglich sein, wenn diese Kröbers und Leipzigers Gespräche im Zusammenhang mit dem § 63 StGB führen?

Da die ProbandInnen schon jetzt die Möglichkeit haben, ihre Aussagen in der MPU zu korrigieren, was auch ausgewiesen wird, bezweifle ich, ob ein Audiomitschnitt zusätzlich viel bringt. Das MPU krankt an ganz anderen Stellen:

http://www.sgipt.org/verkehr/GK/gk_edit.htm

Extrem ist die konsequente Leugnung der Bedeutung der Normalverteilung:

http://www.sgipt.org/verkehr/ErfAus13.htm

Am schlimmsten ist natürlich, dass es sehr lange dauert bis ProbandInnen zu ihrem kommen. Der Rechtsstaat exisiert nur formal, aber nicht lebenspraktisch, weil er hier viel zu langsam ist.

Aber es wäre im Hinblick auf unser Thema hier sicher auch ein gutes Zeichen in Richtung Dokumentation. Was ich weit schlimmer finde: die forensische Psychiatrie verbirgt ihre Unfähigkeit, ihre Diagnosen mit Daten und Informationen des Erlebens und Verhaltens (Anknüpfungstatsachen) gar nicht. Sie haben nicht einmal ein Fehlerbewusstsein. Sie denken allen Ernstes tatsächlich, das gehört so, sie machten es richtig. Es ist kaum zu begreifen wie Einserabiturienten solche intellektuelle Mängel und Fehlleistungen produzieren können. Es gibt nur eine Erklärung: sie sind davon überzeugt, es richtig zu machen. Aber dieser Zahn wird ihnen derzeit gezogen.  

 H. E. Müller (#19): Was Sie zur inneren Bindung an vorausgegangene, aufgrund von Suggestion falsche Aussagen schreiben, ist richtig, soweit es eben um Suggestion geht  -  die Leute glauben dann in der Tat manchmal selbst, was ihnen als eigenes Erlebnis suggeriert worden ist. Hier geht es aber nicht darum, dass Ulvi K. derart durch die Vernehmenden suggeriert worden wäre, einen Mord begangen zu haben, dass er es irgendwann selbst geglaubt hätte. Es geht darum, dass er unter Druck dazu gebracht worden sein soll, bewusst etwas Falsches zu gestehen. Warum er das später in druckfreier Atmosphäre aufrecht gehalten haben soll, ist mit Suggestion jedenfalls nicht zu erklären.

Und dass Sie die von Ihnen gezogenen Parallele zu den unter Folter geständigen "Hexen" (die genau gewusst haben, dass die Folter wieder losgeht, wenn sie danach etwas anderes sagen) selbst im Ernst für tragfähig halten, wollen wir mal zu Ihren Gunsten bezweifeln.

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@Gerd, Sie schreiben:

Und dass Sie die von Ihnen gezogenen Parallele zu den unter Folter geständigen "Hexen" (die genau gewusst haben, dass die Folter wieder losgeht, wenn sie danach etwas anderes sagen) selbst im Ernst für tragfähig halten, wollen wir mal zu Ihren Gunsten bezweifeln.

Es ging mir darum zu erklären, dass derjenige, der unter einem gewissen Vernehmungsdruck ("gestehe, dann kein Gefängnis", "gestehe, sonst bin ich nicht mehr dein Freund") gesteht bzw. aussagt, diesem Druck immer noch ausgesetzt sein kann, wenn er die Aussage wiederholen soll. Dieser Analogieschluss ist nun wirklich nicht so fernliegend. Aber danke, dass Sie mir  im pluralis majestatis zu meinen Gunsten keine bösen Absichten unterstellen mögen. Da ich Herrn Ulvi K. nicht kenne (oder gar ihn exploriert habe), kann ich nicht beurteilen, ob er einer Suggestion oder einem Druck nachgegeben hat oder beidem; ich halte es aber nach Bekanntwerden der Entstehungsgeschichte des Geständnisses - vorsichtig formuliert - für wenig überzeugend, dies auszuschließen. 

In der Aussagepsychologie kommt es entscheidend auf den Entstehungszusammenhang  einer Aussage an. Diesen Entstehungszusammenhang zu dokumentieren ist eine so wichtige Aufgabe der Vernehmer (und hier wirkten ja  "Profis" in Vernehmungstechnik), dass ich die jetzigen Schilderungen (zB Gedächtnisprotokoll am Folgetag!) nur mit Entsetzen zur Kennntis nehmen kann. Schon dass der geständige Ulvi K. die Leichenfundorte nicht benennen konnte, hätte aufmerksame (und aufrichtige)  Ermittler doch hellhörig machen sollen: Warum sollte der Ulvi K., der ihnen gerade aufrichtig gesteht, nun  die Leichenfundorte verschweigen bzw. sie an falsche Orte führen?

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

 

 

Gibt es eigentlich die Möglichkeit, dass Peggy ins Ausland verschleppt wurde.

Ermittelt wurde anscheinend auch in der Türkei. Weshalb ?

Ihre Mutter hofft ja immer noch, dass ihre Tochter lebt.

Weshalb hat sie Ulvi die Hand gegeben ?

 

 

 

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@ Prof. Müller #26, Arne A. #28

Mir geht es in erster Linie darum, auf die Wirkung von öffentlich erhobenen Foltervorwürfen hinzuweisen. Mollath spricht in der Tat sehr oft von "Folter" oder etwas abgeschwächt von "folterähnlichen Zuständen" und wird auch so in den diversen Medien zitiert. Menschen, die sich bestenfalls oberflächlich mit Folter beschäftigt haben, zu denen ich mich nicht zähle, können dies oftmals nicht nachvollziehen. Einen unmittelbaren Eindruck konnte ich gewinnen bei und nach einer von Studenten organisierten Veranstaltung in einem Münchner Hörsaal, in deren Verlauf mehrere Aktivisten und auch Mollath selbst mehrfach Foltervorwürfe erhoben, ohne diese zu konkretisieren und überzeugend zu belegen. Die Wirkung war verheerend, sehr viele ursprünglich sehr interessierte und engagierte Studenten wurden regelrecht vor den Kopf gestoßen und die Stimmung kippte so schnell wie ich es in vielen Jahren bei vergleichbaren Veranstaltungen noch nie erlebt habe. Selbst wenn Merkmale von Folter im einen wie im anderen Fall festzustellen sind, könnte es der Sache insgesamt, der das öffentliche Interesse ja nützt, schaden, wenn der gemeinhin anders verstandene Begriff allzu selbstverständlich verwendet wird. Vielleicht lohnt es sich, darüber nachzudenken.

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@Gast #36

Ich kann den Gedankengang nachvollziehen und gebe Ihnen Recht - Ja, dass kann schlecht ankommen und falsch verstanden werden.

Solten Sie aber auch der Gast aus #20 sein, (und davon bin ich ausgegangen) dann passt die Fragestellung in der #20 aber nicht so ganz zu der sonstigen Aussage.

 

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Analyse zum Tötungsgeschehen nach dem 2. Tathergangsvideo vom 30.07.2002
http://www.sgipt.org/forpsy/Kulac/MKEAKroeb.htm#Analyse%20zum%20T%C3%B6t...

Hier würden mich juristische Meinungen sozusagen zur "differentialjuristischen Diagnose" bei dieser Tatrekonstruktion interessieren: Unfall, Körperverletzung mit Todesfolge, Tötungsabsicht, Mordabsicht und Mordmerkmale?

 

 

 

Der Fall und das Verfahren gegen Ulvi Kulac führen mich zu einer Frage, die sich mir seltsamerweise bisher so noch nicht gestellt hat: Sind Beschuldigte und Angeklagte mit geistiger Behinderung im Strafprozess ausreichend geschützt, beispielsweise vor unzulässigen Vernehmungsmethoden?

Ich denke, es bedarf keiner psychologischen Fachkenntnis, um sich vorzustellen, dass mitunter je nach Umständen des Einzelfalls auch grundsätzlich zulässige Vernehmungsmethoden auf einen geistig Behinderten so einwirken können wie verbotene Vernehmungsmethoden auf einen geistig gesunden Beschuldigten. Mit anderen Worten: Was an Vernehmungsmethoden zulässig oder verboten ist, kann nicht unabhängig von dem geistigen Zustand des Beschuldigten sein. So knüpft das Gesetz (136a StPO) an die Beeinträchtigung der Willensentschließung, der Willensbetätigung, des Erinnerungsvermögens und der Einsichtsfähigkeit. Zu den verbotenen Mitteln gehören u.a. Ermüdung, Quälerei, Täuschung, Zwang und Drohung. Diese können bei geistiger Behinderung durchaus anders aussehen als bei Gesunden. 

Wie es aussieht, ist es sehr wohl möglich, durch gebotene Auslegung des Gesetzes bei geistiger Behinderung bestimmte Vernehmungsmethoden für verboten anzusehen, die ansonsten bei geistig gesunden Beschuldigten in der Regel zulässig sein können. Ich fürchte nur, dass diesem Aspekt in der Prozesspraxis kaum Rechnung getragen wird. Jedenfalls ist es mir nicht bekannt. Vielmehr scheint mir die Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem undifferenziert und statisch zu verlaufen.

Deswegen kommt es m.E. nicht darauf an, ob tatsächlich alle Kriterien z.B. der Reid-Methode in der Vernehmung erfüllt waren, sondern darauf, dass die tatsächlich angewandte Vernehmungsmethode auf den geistig behinderten Beschuldigten offensichtlich ähnlich eingewirkt haben kann. 

So ähnlich auch Prof. Müller:

wg. REID-Methode: Ob diese zur Anwendung kam, weiß ich nicht. Aber es ist m.E. naheliegend, dass Elemente aus dieser Methode, die generell dazu dient, mit Druck und Suggestivfragen ein Geständnis zu erfragen, zur Anwendung gekommen sind, ohne die - insbesondere bei Beschuldigten mit reduzierter Abwehr auftretenden - bekannten Gefahren von Falschgeständnissen zu beachten.

Die Suggestivwirkung kann durchaus soweit gehen wie O. Prantl schrieb:

 

Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass Ulvi K., als er anderen Personen sein Geständniss bestätigt hat, davon überzeugt war, dass er da die (übernommene) Wahrheit gesagt hat.

Denkbar. Dieses Phänomen ist auch regelmäßig in besonders streitigen Sorgerechts- und Umgangsverfahren bekannt und nach Richard Gardner ein Indiz für massive Manipulation des Kindeswillens und als Kindeswohlgefährdung anzusehen. Dazu ein Beispiel:

 

Der Vater bringt seinen 8-jährigen Sohn nach seinem Besuch der Mutter nicht zurück und geht mit ihm zur Polizei, wo das Kind erklärt, die Mutter habe ihm die Hand umgedreht. Eine Strafanzeige gegen die Mutter wird erstattet. Später ergeben die Ermittlungen der Polizei, dass der Junge sich die Hand am Klettergerüst auf dem Schulhof verletzt hat und der Vater dem Schulleiter deswegen bereits Vorwürfe gemacht hatte. Trotzdem: nach fünf Jahren begründet das Kind aber immer noch und immer wieder seine Kontaktverweigerung zu seiner Mutter damit, dass sie ihm damals die Hand umgedreht habe. Auch hier besteht der Verdacht, dass er den nachweislich frei erfundenen Vorwurf möglicherweise für wahr hält.

Glücklicherweise hat die Suggestivwirkung bei Ulvi Kulac nicht so lange gehalten. Die Einwirkung eines sich als Freund ausgebenden Polizisten ist verständlicherweise nicht so nachhaltig bei einem geistig behinderten Beschuldigten wie die eines die Betreuung übernehmenden Vaters auf sein geistig gesundes Kind.

Besonderer Schutz geistig Behinderter bei Vernehmungen

WR Kolos schrieb:

Der Fall und das Verfahren gegen Ulvi Kulac führen mich zu einer Frage, die sich mir seltsamerweise bisher so noch nicht gestellt hat: Sind Beschuldigte und Angeklagte mit geistiger Behinderung im Strafprozess ausreichend geschützt, beispielsweise vor unzulässigen Vernehmungsmethoden?

Das ist eine interessante Frage. Für die Haupt-Verhandlung selbst war Ulvi Kulac durch das Gutachten Nedopil zur Verhandlungsfähigkeit geschützt - dessen Empfehlungen im Gegensatz zu Kröbers Explorationsstil stehen.

Ansonsten sollten Behinderte durch den allgemeinen Schutz durch § 136a StPO und durch den § 136 (3) besonders geschützt sein, wenn der auch nur sehr allgemein und wahrscheinlich mehrdeutig ausführt: "(3) Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen."

Im Falle Ulvi Kulac hätte die Kripo einen speziell mit geistige Behinderten bewanderten Vernehmer hinzuziehen oder sich wenigstens entsprechend beraten lassen müssen. Hierzu kann vielleicht Prof. Müller mehr sagen.

Betr: "Im Falle Ulvi Kulac hätte die Kripo einen speziell mit geistige Behinderten bewanderten Vernehmer hinzuziehen"

 

Wurde ja anscheinend auch getan, nur eben nicht im Sinne des Beschuldigten: Laut Presse hat der gesagt "Wenn Du nicht gestehst, bin ich nicht mehr Dein Freund".

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@Rudolf Sponsel

Ich denke auch, dass es nicht am Gesetz liegt, wenn Beschuldigte und Angeklagte mit geistiger Behinderung zum Objekt des Strafverfahrens gemacht werden. 

Gegen meine (vielleicht etwas zu dick aufgetragene) Kritik an der Praxis könnte folgende Entscheidung des 1. Strafsenats sprechen:

BGH 1 StR 475/93 - Urteil vom 12. Oktober 1993 (LG München II)

http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/93/1-475-93.php

"Im übrigen - bei Widerspruch des Beschuldigten - ein Verwertungsverbot anzunehmen, wenn feststeht, daß der Beschuldigte den Hinweis auf sein Schweigerecht nicht verstanden hat, ist trotz des aufgezeigten Unterschieds zu den Fällen unterbliebenen Hinweises deshalb gerechtfertigt, weil sonst ein geistig-seelischer Mangel des Beschuldigten dazu führen würde, sein Schweigerecht - dessen er sich wegen dieses Mangels nicht bewußt ist - wirkungslos zu machen. Auch das würde das Gebot fairen Verfahrens verletzen (vgl. auch LG Verden StV 1986, 97)."

 

Hat sich im Verfahren gegen Ulvi Kulac - damals wie heute - jemand wenigstens schon gefragt, ob Ulvi Kulac belehrt worden war und er in der Lage war, die Belehrung auch zu verstehen?

 

Frage der angemessenen Belehrung und Aufklärung - Die Antwort des Staatsministeriums an Florian Streibl

WR Kolos schrieb:

@Rudolf Sponsel

Gegen meine (vielleicht etwas zu dick aufgetragene) Kritik an der Praxis könnte folgende Entscheidung des 1. Strafsenats sprechen ...

Hat sich im Verfahren gegen Ulvi Kulac - damals wie heute - jemand wenigstens schon gefragt, ob Ulvi Kulac belehrt worden war und er in der Lage war, die Belehrung auch zu verstehen?

Wieder eine interessante Frage, die ich allerdings nicht beantworten kann, da mir nur word-aufbereitete Protokolle vorliegen und keine PDF-Originale. 

Florian Streibl hat am 27.8.2012 eine Anfrage gestellt und am 27.9.2012 auch eine Antwort erhalten, deren Güte und Präzision aber - wie meist, wenn Ministerien oder Regierungen antworten - nicht sehr erhellend ist (Tenor: alles ist richtig gelaufen, wie immer in Bayern), aber immerhin:

http://www.florian-streibl.de/new/images/anfragen/wahlperiode_1/frage226...

Hier wird ausgeführt S.2 f:

"Die Vernehmung von geistig behinderten Beschuldigten richtet sich - ebenso wie die Vernehmung anderer Beschuldigter - nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) und den Richtlinien für das Straf- und das Bußgeldverfahren (RiStBV). Darüber hinausgehende Handlungsanweisungen für den Bereich der Justiz oder der Polizei bestehen nicht, allerdings sind zum Teil Besonderheiten zu beachten. Im Einzelnen sind folgende gesetzliche Regelungen hervorzuheben:

Die Belehrung des Beschuldigten über die Aussagefreiheit erfolgt nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO (im Ermittlungsverfahren in Verbindung mit § 163a StPO). Die Belehrung ist dabei mit Blick auf den einzelnen Beschuldigten so zu erteilen, dass er ihren Sinn erfassen kann und seine Rechte eindeutig klargestellt werden. Bei geistig Behinderten kann dabei häufig schon im Vorverfahren (§ 141 Abs. 3 StPO) die Bestellung eines Verteidigers in Betracht kommen, insbesondere wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann (§ 140 Abs. 2 StPO).

Für geistig behinderte Beschuldigte gilt außerdem die generelle Vorgabe in Nr. 21 Abs. 1 RiStBV, wonach behinderten Menschen mit besonderer Rücksichtnahme auf ihre Belange zu begegnen ist. In Strafverfahren gegen Hirnverletzte sieht Nr. 63 RiStBV die Beiziehung eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie der Kranken- und Versorgungsakten vor. Darüber hinaus wird die Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten, die im Strafverfahren sicher gegeben sein muss und bei Fehlen zur Einstellung des Verfahrens führt, bei Zweifeln vom Gericht im Freibeweisverfahren unter Hinzuziehung eines Sachverständigen zu klären sein. [>3]

Neben den gesetzlichen Regelungen sind Grundsätze der Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten durch die Polizei in entsprechenden Dienstvorschriften geregelt, die allerdings keine gesonderten Anweisungen für den Umgang mit geistig behinderten Menschen enthalten. Aufgrund der Vielfalt geistiger Behinderungen ist der Umgang mit einer Person mit geistiger Behinderung immer einzelfallabhängig, je nach dem Grad der Behinderung bzw. der gegenwärtigen Verfassung der Person. Im Ermittlungsverfahren sind sowohl be- als auch entlastende Beweise zu erheben. Die Ermittlungen erschöpfen sich dabei nicht in der Sachverhaltsfeststellung, sondern zielen auch darauf ab, Anhaltspunkte für den Grad von sittlicher und geistigen Reife sowie der Glaubwürdigkeit und somit eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit sowohl von Tatverdächtigen als auch von Zeugen zu gewinnen. Im Bedarfsfall werden die polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen mit der sachleitenden Staatsanwaltschaft abgestimmt."

Mutmaßung: es sollte mich wundern, wenn Ulvi im obigen wohlverstandenen Sinne korrekt belehrt und vernommen wurde.

Ich habe mich aber um die rechtliche Seite der Vernehmungen nicht gekümmert, nur um die aussagepsychologische. Und was hier an Vernehmungsfehlern offenbar wurde, reicht  mir vollkommen.

 

Zur Frage der (Beschuldigten-) Vernehmung geistig behinderter bzw. intelligenzgeminderter Personen hat Herr Kolos ja schon ein einschlägiges Urteil beigesteuert. Es ist selbstverständlich so, dass eine Belehrung verständlich erfolgen muss - sonst sind die Angaben unverwertbar. Aber das für das Verfahren gegen Ulvi K.  entscheidende Wort heißt "Widerspruch". Der BGH hat in seiner Revisionsrechtsprechung die so genannte Widerspruchslösung entwickelt mit der Folge, dass anerkannte Verwertungsverbote in der Revision nur noch geltend gemacht werden können, wenn die Verteidigung in der Hauptverhandlung der Verwertung widersprochen hat. D.h. im Gegenschluss: Wenn die Verteidigung in diesem Punkt versagt, kann ggf. eine unterbliebene oder nicht verstandene Belehrung nicht mehr in der Revision gerügt werden - das Verwertungsverbot entsteht gar nicht erst (vgl. zum Fall eines fehlerhaft belehrten Behinderten, bei dem die Staatsanwaltschaft (!) in Revision gegangen war, die Verteidigung aber der Verwertung nicht widersprochen hatte: BGHSt 39, 349, 350 - openjur-Link).

Für Ulvi K. bedeutet das: Wenn die Belehrung fehlerhaft/unvollständig/für Ulvi K. unverständlich erfolgt ist, dann hat das keinen Einfluss auf die Verwertbarkeit seines Geständnisses, wenn der Fehler in der Hauptverhandlung nicht gerügt wurde und auch nicht in der Revision. In diesem Fall war weder das Gericht noch die Staatsanaltschaft verantwortlich, sondern die Verteidigung. Wie auch schon im Fall Mollath zeigt sich: Schlechte Verteidigung kann großes Verderben über ihre Mandanten bringen.

Wenn die Angaben der Ermittler diesbezüglich zutreffen (Frau Friedrichsen im Spiegel unterstellt das jedenfalls): Es wäre ein Riesen-Verteidigungsfehler gewesen, den Ermittlern (wie diese sagten) offenbar "freie Hand" zu gewähren bei der Vernehmung und (wie diese sagten)  dem Mandanten zu empfehlen, alles freimütig auszusagen. Er hätte mindestens darauf bestehen müssen, dass sein Mandant nur vernommen wird, wenn er dabei ist und ggf. eingreifen kann. Und er hätte, falls er einen Belehrungsfehler erkannt hätte, gegen die Verwertung des Geständnisses Widerspruch einlegen müssen. Leider kann sich der frühere Verteidiger zu den Vorwürfen nicht äußern, da ihn die Schweigepflicht hindert.

(Text überarbeitet)

 

 

Henning Ernst Müller schrieb:

dann hat das keinen Einfluss auf die Verwertbarkeit seines Geständnisses, wenn der Fehler in der Hauptverhandlung nicht gerügt wurde und auch nicht in der Revision. In diesem Fall war weder das Gericht noch die Staatsanaltschaft verantwortlich, sondern die Verteidigung. Wie auch schon im Fall Mollath zeigt sich: Schlechte Verteidigung kann großes Verderben über ihre Mandanten bringen.

 

Was aber, lieber Herr Prof. Müller, wenn Rechtsanwälte es nicht wagen, ihre Mandanten adäquat gegen drohende Justizwillkür zu verteidigen, weil sie sich im Grunde sagen müssen: "Wenn ich beim Gericht unbeliebt mache, dann kann ich beruflich einpacken!"

 

Lieber Prof. Müller, so denken fast alle Rechtsanwälte!

 

Ich denke aber auch, dass man die Frage stellen und beantworten müsse, ob es denn rechtsstaatlich sein könne, wenn man in der Sache relevante Tatsachen für irrelevant erklärt, weil bestimmte Formalia nicht eingehalten worden sind.

Ich kann darin nichts anderes erkennen als eine Betonierung gefasster Urteile um jeden Preis - vor allem um den Preis ausbleibender Korrektur von Fehlurteilen.

 

Das Selbe betrifft die Forderung, Wiederaufnahmegründe müssten "neu" sein, mit der Wirkung, dass man selbst gegen unzweifelhafte Fehlurteile mit fortdauernder Auswirkung (im Extremfall: Lebenslang plus Sicherungsverwahrung!) vollkommen machtlos ist, wenn man keine "neuen" Gründe vorzeigen kann.

 

Lieber Prof. Müller, im Kindesalter findet man gelegentlich noch völlig unverdorbene Menschen, die über einen intakten Gerechtigkeitssinn verfügen usw.  Ich würde es mir gern ansehen, wenn Sie einem solchen Kind den rechtsstaatlichen Sinn davon erklären würden, dass man für ein Wiederaufnahmeverfahren "neue" Gründe braucht, dass es nicht reicht, zweifelsfrei darlegen zu können, dass jemand unschuldig im Gefängnis sitzt, um ihn herausholen zu können.

 

 

 

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

Wenn die Verteidigung in diesem Punkt versagt, kann ggf. eine unterbliebene oder nicht verstandene Belehrung nicht mehr in der Revision gerügt werden - das Verwertungsverbot entsteht gar nicht erst (vgl. zum Fall eines fehlerhaft belehrten Behinderten, bei dem die Staatsanwaltschaft (!) in Revision gegangen war, die Verteidigung aber der Verwertung nicht widersprochen hatte: BGHSt 39, 349, 350 - openjur-Link).

Für Ulvi K. bedeutet das: Wenn die Belehrung fehlerhaft/unvollständig/für Ulvi K. unverständlich erfolgt ist, dann hat das keinen Einfluss auf die Verwertbarkeit seines Geständnisses, wenn der Fehler in der Hauptverhandlung nicht gerügt wurde und auch nicht in der Revision. In diesem Fall war weder das Gericht noch die Staatsanaltschaft verantwortlich, sondern die Verteidigung. Wie auch schon im Fall Mollath zeigt sich: Schlechte Verteidigung kann großes Verderben über ihre Mandanten bringen.

 

Soweit ich weiß gab es einen Antrag auf Beweisverwertungsverbot infolge unzureichender Belehrung i.S.d. §§ 163a(4), 136(1) StPO, der aber abgelehnt wurde.

Mir liegen keine Unterlagen dazu vor, vielleicht kann das aber von den Kundigen hier bestätigt werden.

 

Grüße

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

es heißt, der damalige Verteidiger soll von seiner Schweigepflicht entbunden werden und die Verteidigung will seine Vernehmung als Zeuge beantragen. Vielleicht erfahren wir dann auch etwas über den fehlenden Widerspruch.

Ich denke, die Widerspruchslösung des BGH muss man nicht unbedingt teilen. Denn das Recht auf ein faires Verfahren ist nicht disponibel. Wäre es aber danach.

Unabhängig davon: Der Widerspruch dürfte im WA-Verfahren doch wieder möglich sein.

Besten Gruß

Waldemar Kolos

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