Urteilsgründe fehlen...mal in der Rechtsbeschwerde, mal beim Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 19.12.2011
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtKündigungFahrverbotVerkehrsrecht2|6017 Aufrufe

Auf den ersten Blick kaum zu verstehen: Ein Gericht setzt keine regulären Urteilsgründe ab - in einem Fall führt das zur Urteilsaufhebung und im anderen bleibt es folgenlos. In OWi-Sachen durchaus möglich, wie zwei Entscheidungen des OLG Brandenburg zeigen.

 

Nr.1: Fehlende Gründe und Rechtsbeschwerde

 

Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist gem. § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthaft und gem. § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg; sie ist begründet und führt zu Aufhebung der angefochtenen Entscheidung insgesamt.

Die von der Staatsanwaltschaft Neuruppin erklärte Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch greift nicht durch.

Die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf bestimmte Beschwerdepunkte gem. § 344 Abs. 1 StPO, 79 Abs. 3 OWiG ist nach der so genannten Trennbarkeitsformel nur insoweit wirksam, als sie dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit eröffnet, den angefochtenen Teil des Urteils losgelöst vom nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach dem inneren Zusammenhang rechtlich und tatsächlich zu beurteilen, ohne die Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen. Die den Rechtsmittelberechtigten in § 344 Abs. 1 StPO, 79 Abs. 3 OWiG eingeräumte „Macht zum unmittelbaren Eingriff in die Gestaltung des Rechtsmittels“ (RGSt 69, 110, 111; vgl. BGHSt 14, 30, 36) gebietet es, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck gekommenen Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Das Rechtsmittelgericht kann und darf diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird, wenn und soweit der angegriffene Entscheidungsteil trennbar ist, also losgelöst vom übrigen Urteilsgehalt selbstständig geprüft und beurteilt werden kann (RGSt 65, 296; RGSt 69, 110, 111; BGHSt 19, 46, 48; BGHSt 24, 185, 187; BGH NJW 1981, S. 589, 590, jeweils m. w. N.). Die grundlegende und unerlässliche Voraussetzung der Trennbarkeit von Schuld- und Rechtsfolgenfrage steht in engstem Zusammenhang mit dem Postulat der inneren Einheit bzw. Widerspruchsfreiheit der das Verfahren stufenweise abschließende Urteile, die als ein einheitliches Ganzes anzusehen, und dem Ziel des Verfahrens verhaftet sind, zu einer insgesamt gesetzesmäßigen Entscheidung zu gelangen (vgl. BGHSt 10, 71, 72; BGHSt 24, 185, 188; BGHSt 25, 72, 75 f.; BGH NJW1981, 589, 590).

Ein solcher Fall der Zulässigen Beschränkung des Rechtsmittels liegt hier schon deswegen vor, weil das Urteil keine Gründe enthält.

Da das dem Betroffenen zugestellte Urteil entgegen § 71 Abs. 1 OWiG, § 267 Abs. 1 StPO keine Gründe enthält, ist dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung dieser Entscheidung zur Gänze nicht möglich, und damit auch nicht hinsichtlich des Zusammenhangs von Schuld- und Rechtfolgenfrage. Daher unterliegt dieses Urteil insgesamt der Aufhebung. Ein Urteil ohne Urteilsgründe entfaltet Rechtswirksamkeit (vgl. BGH NJW 2004, 3643) und kann folglich mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden.

Gründe, die es dem Tatgericht ermöglichen, von der Begründung eines Urteils abzusehen, liegen nicht vor; insbesondere ist ein Fall des § 77b Abs. 1 OWiG nicht gegeben. Von einer schriftlichen Begründung des Urteils kann nach dieser Vorschrift nur abgesehen werden, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung des Rechtsmittels verzichten oder innerhalb der Frist des § 341 StPO i. V. m.. § 79 Abs. 3 OWiG die Rechtsbeschwerde nicht eingelegt wird oder wenn die Verzichtserklärungen entbehrlich sind. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben, so dass die Voraussetzungen für das Absehen von Urteilsgründen nach § 77b Abs. 1 OWiG nicht vorlagen. Im vorliegenden Fall hätte das mit Gründen versehene Urteil zugestellt werden müssen, um rechtkräftig werden zu können.

Da überdies eine entsprechende Anwendung von § 77b Abs. 2 OWiG nicht in Betracht kommt, hätte das Urteil ohne Gründe nach Verlassen des inneren Dienstbereiches auch nicht mehr abgeändert werden dürfen (vgl. OLG Hamm VRS 105, 363; OLG Bamberg ZfSchR 2007, 55).

Abzustellen ist damit auf das Urteil in der Fassung vom 27. Juni 2011. Die nachträgliche Anfertigung der Urteilsgründe aufgrund der Verfügung vom 29. August 2011 war unzulässig, da zu diesem Zeitpunkt eine nicht mehr abänderbare Urteilsfassung vorlag. Denn die Amtsrichterin hat - wie oben ausgeführt - die ursprüngliche Fassung sowohl der Staatsanwaltschaft nach § 41 StPO als aus dem Betroffenen förmlich zugestellt. Die spätere Urteilsfassung ist damit unbeachtlich (Senatsbeschluss vom 21. Juli 2003, 1 Ss-OWi 123 B/03; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2007, 212 f.).

OLG Brandenburg: Beschluss vom 17.11.2011 - (1 B) 53 Ss-OWi 446/11 (244/11)    BeckRS 2011, 26749

 

 

Nr. 2: Fehlende Gründe und Zulassungsantrag

 

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg; es liegen keine Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde vor.

Die Fertigung eines Urteils ohne Gründe stellt zwar einen gravierenden Rechtsfehler dar, da kein Fall des § 77b OWiG gegeben ist. Jedoch führt allein die Tatsache, dass das Amtsgericht von einer Begründung des Urteils abgesehen hat, obwohl die Voraussetzungen des § 77b OWiG nicht vorliegen, noch nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde; erforderlich ist auch in einem solchen Fall die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen des § 80 OWiG (grundlegend BGHSt 42, 187,189 ff. = NJW 1996, 3157 = NStZ 1997, 39 = VRS 92, 135; ebenso OLG Celle NdsRpfl. 1997, 52; OLG Köln NZV 1997, S 371; Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 77b Rdnr. 8, § 80 Rdnr. 12, 13).

Die von der Verteidigung vertretene Auffassung, dass bei Fehlen der Urteilsgründe die Rechtsbeschwerde stets zuzulassen sei, beruht auf der fehlerhaften Annahme, dass die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1, 2 OWiG nur an Hand der Urteilsgründe überprüft werden könnten. Damit aber würden sachlich-rechtliche Rechtsbeschwerdegrundsätze auf das Zulassungsverfahren ausgedehnt, ohne dass dies zwingend ist. Die bei Nichtvorliegen von Urteilsgründen lediglich nicht ausschließbare Möglichkeit, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde geboten sein kann, ersetzt nicht die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1, 2 OWiG. Hierzu hat der Bundesgerichtshof hervorgehoben, dass selbst in den Fällen, in denen die Sachrüge erhoben ist, die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde häufig ohne Kenntnis von Urteilsgründen geprüft werden können. Die gelte insbesondere bei massenhaft auftretenden Bußgeldverfahren wegen einfacher Verkehrsordnungswidrigkeiten, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten aufzeigen und bei denen nach den Gesamtumständen ausgeschlossen werden kann, dass die Zulassungsvoraussetzungen nach § 80 OWiG vorliegen. Zur Prüfung der Zulassung der Rechtsbeschwerde ist es möglich, den Bußgeldbescheid (vgl. dazu auch BGHSt 23, 336; BGHSt 23, 365; BGHSt 27, 271), den Zulassungsantrag, nachgeschobene Urteilsgründe oder dienstliche Äußerungen heranzuziehen; sonstige Umstände können selbst bei Vorliegen von Urteilsgründe berücksichtigt werden, wenn beispielsweise zu erwägen ist, ob ein rechtsfehlerhaftes Urteil sich als bloße Fehlentscheidung im Einzelfall darstellt (BGHSt 42, 187,189). All dies folgt schon daraus, dass es sich bei dem Zulassungsverfahren um ein Vorschaltverfahren handelt (vgl. KK-Senge, OWiG, 3. Aufl., § 80 Rdnr. 5), bei dem ermittelt wird, ob ein Rechtsbeschwerdeverfahren durchzuführen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Januar 2009, 1 Ss-OWi 238 Z/08, abgedr. bei juris).

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde bei Fehlen von Urteilsgründen ist auch nicht aus Gründen der Verfassung (Rechtsstaatsprinzip, Gewährung rechtlichen Gehörs) geboten. Denn durch den Verfahrensverstoß ist der Betroffene nicht gehindert, die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu beantragen und Umstände vorzutragen, die zu einer Zulassung führen können (BGHSt a. a. O., 190 f.). Da zudem die Zulassung der Rechtsbeschwerde einer einheitlichen und sachgerechten Rechtsprechung und nicht in erster Linie der Entscheidung des Einzelfalls dient, ist es von Verfassung wegen nicht geboten, allein aus dem Umstand, dass Urteilsgründe fehlen, eine Zulassungsgrund herzuleiten.

Dies heißt freilich nicht, dass das Fehlen von Urteilsgründen im Einzelfall nicht zur Begründetheit des Zulassungsantrags führen kann. Bei tatsächlich und rechtlich schwierigen Ordnungswidrigkeitsverfahren mag dies in Einzelfällen anders liegen. Kann ohne Kenntnis der Urteilsgründe nicht ohne weiteres beurteilt werden, ob die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen, und können solche Zweifel weder durch das abgekürzte Urteil, den Bußgeldbescheid, den Zulassungsantrag noch mit den nachgeschobenen Gründen, den dienstlichen Äußerungen oder sonstigen Umständen ausgeräumt werden, so führt in einem solchen Einzelfall das Fehlen von Urteilsgründen zur Begründetheit des Zulassungsantrags.

OLG Brandenburg: Beschluss vom 21.11.2011 - (1 Z) 53 Ss-OWi 450/11 (246/11)    BeckRS 2011, 26750

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2 Kommentare

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Setzt der Beck-Verlag nicht genau dafür  -  nämlich einen zweiten Blick darauf zu werfen und es dem Leser anschließend zu erklären  -  "Experten" als Blogger ein?? Für ein wenig copy&paste braucht man keine "Experten".

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aber klar! Ich mache das mal hier in etwas vereinfachter Form.

 

Also: In der Rechtsbeschwerde werden Rechtsfehler geprüft. Gibt es keine Urteilsgründe,  so kann keine Prüfung stattfinden, so dass das Urteil aufzuheben ist (=Fall1)

 

Beim Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde (der  das statthafte Rechtsmittel gegen Urteile mit bis weniger als 250 Euro Geldbuße und ohne Fahrverbot ist) gibt es nur eine eingeschränkte Prüfung. Sie erschöpft sich zunächst darin, Zulassungsgründe zu prüfen. Der "einfache" Rechtsfehler ist aber noch kein Zulassungsgrund. Auch für das Fehlen der Urteilsgründe gilt dies. Normalerweise prüft man den Zulassungsgrund nun aber anhand der Urteilsgründe (oder im Rahmen einer erhobenen Verfahrensrüge). Man könnte da auf die Idee kommen, zu sagen: "Ohne Gründe kann ich den Zulassungsgrund ja gar nicht prüfen!" So ist`s aber nicht: Der Zulassungsgrund muss sich dann aus dem sonstigen Material in der Akte ergeben und anhand dessen geprüft werden, vgl. Fall 2, letzter Absatz.

 

 

 

 

zur Rechtsbeschwerde in Fahrverbotsfällen: Fahrverbot in Bußgeldsachen, 2. Aufl. 2010, § 19

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