BVerwG zur Radwegbenutzungspflicht

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 05.01.2011
Rechtsgebiete: RadwegRadwegbenutzungspflichtVerkehrsrecht23|11658 Aufrufe

Zwei Blogleser (Herr Dr. Bokelmann und Herr Müller) haben mich aufmerksam gemacht auf die Seite www.u-r.de, auf der über die Radwegbenutzungspflicht eines Zweirichtungs-Radwegs (kombiniert mit Fußweg und freigegeben für Mofas) zwischen den Stadtteilen Graß und Leoprechting sowie zwischen Leoprechting und Oberisling ausführlich berichtet wird. Der Radweg (besser gesagt natürlich der Kläger) hat es jetzt sogar (erfolgreich) bis zum BVerwG gebracht, vgl. die pdf-Datei des Urteils des BVerwG (BVerwG, Urt. v. 18.11.2010 - 3 C 42.09).

 

 

 

An dieser Stelle einmal ausnahmsweise Werbung für ein Buch des Bloglesers Dr. Kettler, siehe oben.

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23 Kommentare

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Oh ja, dieses Urteil war längst überfällig. Erst dreizehn Jahre nach der Gesetzesänderung hat es ein Kläger geschafft, eine Sache nach Leipzig zu tragen. Dass wirft auch ein bezeichnendes Licht auf das Prozessrecht, das anderen Klägern bisher den Weg in die dritte Instanz versperrt hat, obwohl es immer noch Verwaltungsgerichte gibt, die mit abenteuerlichster Begründung die Nichtanwendung des 1997 geschaffenen Rechts praktizieren. Nur zum Teil ist diese späte BVerwG-Entscheidung ja darauf zurückzuführen, dass die Beklagten das durch Erledigung der Hauptsache vereitelt haben. Wieviele Tote und Verletzte hätte man also einsparen können, wenn diese letztinstanzliche Entscheidung um einige Jahre eher gekommen wäre!?

In der Tat sind so ziemlich alle Benutzungspflichten deutschlandweit rechtswidrig. Das habe ich auch schon in der Fachpresse publiziert. In etwas diplomatischeren Worten hatte sich der BayVGH in der Regensburger Sache dem angeschlossen. Und genau dieses Urteil ist nun wiederum vom BVerwG bestätigt worden.

Legt man den Maßstab der bekanntgewordenen rechtskräftig gewordenen Urteile an, soweit der jeweilige Kläger obsiegte (und dieser Maßstab ist nun durch die BVerwG-Entscheidung als der richtige bestätigt!), müssten in der Tat (nahezu) sämtliche blauen Lollis deutschlandweit abgeschraubt werden. Bleibt zu hoffen, dass das von den Behörden jetzt auch getan wird -  wenn schon nicht vor dreizehn Jahren, nicht vor zwölf Jahren, nicht vor elf Jahren, nicht vor zehn Jahren, nicht vor neun Jahren, nicht vor acht Jahren, nicht vor sieben Jahren, nicht vor sechs Jahren, nicht vor fünf Jahren, nicht vor vier Jahren, nicht vor drei Jahren, nicht vor zwei Jahren, nicht vor einem Jahr und bis heute nicht. Wie viele Tote und Verletzte hätte man vermeiden können, wenn die Behördenmitarbeiter (auch ohne letztinstanzliche Entscheidung) das geltende Recht umgesetzt hätten?!

Aber der Skandal für den Bund der Steuerzahler liegt nicht am Abschrauben der Schilder (das ist aus Gründen der Verkehrssicherheit einfach nötig), sondern im Anschrauben der Schilder noch nach 1997 (oder: erst recht nach 1997). Bis 1997 waren ja viele Radwege ohne ein solches Zeichen, die allgemeine RWBPfl galt auch ohne. Die Schilderwald-lichten-Novelle von 1997 haben die Behörden dann ja erst zum Anlass genommen, zahllose Z 237, 240 und 240 zu ordern und anzuschrauben, um die als gefährlich erkannten, vom Gesetzgeber nicht mehr gewollten Zustände der neuen Gesetzeslage zuwider zu perpetuieren.

Über eine gesetzliche Änderung der Bedeutung des VZ kann man diskutieren. Aber das würde wohl ewig dauern, bis es soweit ist; die 2002 angekündigte StVO-Novelle zugunsten der Radfahrer kam ja auch erst 2009. Und wie wichtig Radverkehr dem Verkehrsministerium ist, zeigt es gerade ganz deutlich, dass es den seit Mitte April 2010 behaupteten Zitierfehler bei der StVO-Novelle vom Herbst 2009 mit seiner angeblichen Nichtigkeitsfolge bis heute nicht behebt. Es wäre nur ein Federstrich, aber es ist nicht gewollt. Mit der Folge, dass niemand weiß, welche StVO nun gilt und BMVBS und BMJ unterschiedliche StVOen als gültig auf ihren Webseiten stehen haben. Auf eine solche Novelle gebe ich also nicht viel: Bis die käme, gibt es zu viele Tote und Verletzte, als dass man darauf warten könnte. Heute gibt es auch gute Gründe, die blauen Lollis NICHT einfach hängen zu lassen: Radfahrer berichten mir immer wieder von oberlehrerhaftem Verhalten von ahnungslosen Kraftfahrern, die sie auffordern, irgendwelche Wegelchen im Seitenraum zu benutzen, weil sie glauben, Radfahrer müssten dort fahren. Selbst ein VZ 239 "Fußgänger" mit weißem Zusatzzeichen "Radfahrer frei" reicht, manchmal sogar einfache Gehwege ohne alles. Desto blauer das Schild, desto oberlehrerhafter das Verhalten, wird mir berichtet. Schon das spricht dafür, sie jetzt sofort endlich ersatzlos zu entfernen. Auch und selbst dann, wenn sie noch letzte Woche bestellt worden sind.

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Es ist bedauerlich, daß 13 Jahre ins Land gingen, ohne daß Aufklärungsarbeit geschah. Erst dieses Urteil brachte Bewegung. Ich möchte nicht wissen, wieviele verletzte oder gar tote Radfahrer uns erspart geblieben wären, wenn rechtzeitig seit 1997 Aufklärungsarbeit geleistet wordenwäre. Noch nicht einmal diePolizei scheint vieler Orts über die Rechtslage aufgeklärt zu sein. Darin liegt der Skandal!

Es gibt Kommunen, die blicken nicht in die VwV-StVO, sondern warten auf die Ausführungsbestimmungen des Landes. Schlägt seit neuestem Landesrecht Bundesrecht? Wo leben wir eigentlich?

 

@Ralf Epple

Wobei für Zeichen 254 natürlich auch wieder § 45 IX StVO gilt. Das werden die Kommunen, die das Zeichen 254 jetzt häufiger aufstellen werden, leider erst kapieren, wenn sie verklagt wurden.

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Schon gleich nach der Verkündung des Urteils des BVerwG hatte sich der Städte und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen (StGB NRW) mit einer durchaus sachlichen Mitteilung an seine Mitglieder gewandt:

http://www.kommunen-in-nrw.de/mitgliederbereich/mitteilungen/detailansic...

(StGB NRW-Mitteilung vom 02.12.2010)

"...

Aus kommunaler Sicht ist nach dem Urteil mit vermehrten Initiativen oder sogar Klagen zur Aufhebung der Benutzungspflicht zu rechnen. Dem können die Straßenverkehrsbehörden vorbeugen, indem sie die Benutzungspflicht prüfen und gegebenenfalls statt Radwege Radfahrstreifen oder Schutzstreifen gemäß VwV-StVO zu § 2 StVO anlegen.

Az.: III 151-20"

Dietmar Kettlers Ausführungen zum Prozessrecht ist nichts hinzuzufügen. Ein Blick in Abs. 13 der Entscheidung zeigt aber auch, daß die Anfechtungsfristen durch die sogenannte rügelose Einlassung zur Sache ausgehebelt werden können. Und dazu sind die Straßenverkehrsbehörden durch die VwV-StVO m.E. auch verpflichtet. Die inhaltliche Prüfung von Benutzungspflichten sollte im Interesse der Sache (und der Verkehrssicherheit) die Regel sein, das Verschanzen hinter irgendwelchen Fristen bringt ja auch nicht viel, wie u.a. das Urteil des VG Berlin vom 12.11.2003 - 11 A 606.03, NZV 2004, 486 zeigt.

Nach einigen Kapriolen beim OVG Hamburg (dieses hatte im zweiten Rechtszug nach der Zurückverweisung durch das BVerwG (3 C 15.03) u.a. erwogen, § 45 Abs. 9 StVO "wegen Unbestimmtheit" für Verfassungswidrig zu erklären) hat sich die Stadt Hamburg durchgerungen, zunächst einmal (fast) alle Radwegebenutzungspflichten neben zweistreifigen Fahrbahnen aufzuheben - und zwar auch bei DTVw-Werten weit oberhalb der Empfehlungen für den Mischverkehr auf der Fahrbahn lt. ERA 95 (inzwischen überholt), d.h. z.T. selbst in engen Bundesstraßen, sofern die Radwege nicht den Mindestvorgaben der VwV-StVO  entsprachen. Damit hat es keine Probleme gegeben. Das beruhte z.T. auch darauf, daß relativ viele Radwege überwiegend freiwillig benutzt werden. Jetzt sollen nach mir vorliegenden Informationen die Radwegbenutzungspflichten in Straßen mit vier Fahrstreifen geprüft werden. Dabei werden aber nicht alle Benutzungspflichten fallen. Das ist insoweit erstaunlich, weil nahezu alle der entsprechend beschilderten Radwege im Jahr 2010 mehr als drei Monate wegen Schnee und Eis komplett unbenutzbar waren und weitere drei bis vier Monate - wie so oft in Hamburg - im tiefsten Dickicht eingewachsen, weitere bis zu vier Wochen mit bis zu 10 cm dicken Laubschichten bedeckt. Erst gestern habe ich einen benutzungspflichtigen Radweg entdeckt, auf den von der Fahrbahn und dem Gehweg aus (jeweils von der Stadtreinigung) Schnee abgelagert worden war, welcher durch wechselnde Temperaturen zu einer bis zu 30 cm(!!) hohen Eisschicht gefror - der benutzungspflichtige Radweg als kleiner Glubbeleis-Gletscher. Ich habe daher im Winter (und mancherorts auch das ganze Jahr durch) schon immer unter Berufung auf die BGH-Rechtsprechung (z.B. Beschluß des BGH vom 20.10.1994 - III ZR 60/94, NZV 1995, 144) zum Thema die Fahrbahnen befahren - und habe nicht festgestellt, daß dies zu größeren Problemen führte, als daß ich in den Staus feststeckte, die der Kfz-Verkehr insbesondere im Berufsverkehr mit sich bringt. Im Mai und Juni 2006 führte diese Praxis, mit welcher ich mich nach dem Schneewinter 2005/06 auch bei der Behörde für Inneres in Hamburg (BfI) berühmt hatte, zu einem netten Schlagabtausch in den NVZ zwischen dem Behördenmitarbeiter Schubert und Herrn Kettler. Zu einer Änderung meiner Fahrpraxis führte dies nicht. Und ich verstehe nicht, warum ich bei Eisregen, Schneesturm und tiefster Winternacht Fahrbahnen problemlos befahren kann, deren Benutzung im Sommer bei Licht und Trockenheit so gefährlich sein soll, daß es mir verboten ist.

@Ralf Eppler

Z 254(Verbot für Radfahrer) würde ich mir nicht wünschen - insbesondere, wenn es keine Radwege gibt, auf die Radfahrer ausweichen könnten (dann könnten sie sogar als Ausschluß des widmungsgerechten Verkehrs rechtswidrig sein). Sie unterliegen zum Glück aber auch dem § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO.


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Ich tu's ja nicht gerne (weil es wie Nachtreten wirken könnte), aber hier zeigt besonders schön, womit Radfahrer es auch nach der Verabschiedung der Fahrradnovelle der StVO vor rund 13 Jahren zu tun hatten:

<< Laut Innenbehörde ist rund die Hälfte der 1800 Radweg-Kilometer benutzungspflichtig. Sie hat in den letzten Monaten für 600 000 Mark neue Radweg-Schilder aufgestellt. "Wir haben in jedem Einzelfall vor Ort geprüft, ob eine Benutzungspflicht angebracht ist", versichert der Sprecher der Innenbehörde, Christoph Holstein. "Die Sicherheit der Radfahrer hat für uns mehr Gewicht als die sture bürokratische Erfüllung von Kriterien. Wenn ein Radfahrer auf einem holprigen, zu schmalen oder kurvigen Radweg sicherer aufgehoben ist, ordnen wir auch da die Benutzungspflicht an.">>

(Quelle: Hamburger Abendblatt vom 30.09.1998 "Radler kontra Autos - Es geht vors Gericht" Untertitel "ADFC fordert Freigabe der Straßen" zum Inkrafttreten der Fahrradnovelle am 01.10.1998)

Und das haben die Behördenmitarbeiter sogar geglaubt und sich nicht einmal gefragt, woher die ganzen Unfälle auf Radwegen kamen - z.B. an Kreuzungen, neben Parkplätzen wegen unvorsichtig aufgestoßener Türen oder mit Fußgängern). Es wurde seither wenig gemacht - außer Schilder für die Benutzungspflichten aufzustellen und - viel später - wieder abzubauen, nachdem aufgefallen war, daß Straßen ganz ohne Radwege auch funktionieren, wie z.B. die Elbchaussee (mein damaliger Arbeitsweg) mit bis zu 25.000 Kfz/Tag auf zwei schmalen Fahrstreifen in den westlichen Abschnitten (rund 5 km) und bis zu 39.000 Kfz auf zwei überbreiten Fahrstreifen in den östlichen Abschnitten (ebenfalls rund 5 km).

Und es gibt Gemeinden, in denen die Uhren noch heute so ticken: "Radweg bauen, beschildern und gut". Der Hammer dabei: manchmal stehen die Schilder da nur, weil sich Bund und Land an den Kosten eines Gehweges beteiligt haben. In Niedersachsen gibt es daher nun viel Ärger,weil Benutzungspflichten entfielen und die Fördergelder (eigentlich) zurückgegeben werden mußten. Schlaue Gemeinden haben den Schilderabbau geräuschlos (auf die erste Anforderung hin) hinbekommen - andere sollen nun erst die Gerichtskosten und nun die Rückzahlungspflichten am Hals haben.

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DrFB schrieb:

Und es gibt Gemeinden, in denen die Uhren noch heute so ticken: "Radweg bauen, beschildern und gut". Der Hammer dabei: manchmal stehen die Schilder da nur, weil sich Bund und Land an den Kosten eines Gehweges beteiligt haben. In Niedersachsen gibt es daher nun viel Ärger,weil Benutzungspflichten entfielen und die Fördergelder (eigentlich) zurückgegeben werden mußten. Schlaue Gemeinden haben den Schilderabbau geräuschlos (auf die erste Anforderung hin) hinbekommen - andere sollen nun erst die Gerichtskosten und nun die Rückzahlungspflichten am Hals haben.

Wenn es "nur" die Fördermittel wären! Angeblich sollen einige Bundesländer seit Inkrafttreten des EntflechtG immerhin auf die Rückzahlung der Zuschüsse nach der Abschilderung verzichten, soweit Radverkehr auf dem Bürgersteig weiter zugelassen bleibt.

Viel schlimmer ist die in Niedersachsen seit Jahrzehnten praktizierte unzulässige Vermischung von Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht:

Für Bau und Unterhaltung von Gehwegen an Ortsdurchfahrten (OD) kommen nach den Straßen- und Wegegesetzen des Bundes und der Flächenländer die Gemeinden auf. Um den Gemeinden diese wohl nicht ganz unerheblichen Kosten zu ersparen, wird das Straßenrecht in Niedersachsen schon seit Jahrzehnten mehr oder weniger trickreich durch Aufstellen falscher Verkehrszeichen umgangen. Wegen des Z 240 ist der Bürgersteig eben kein Gehweg, was straßenverkehrsrechtlich geboten wäre, sondern ein gemeinsamer Geh- und Radweg mit Benutzungszwang. Letzteren kennt das Straßengesetz aber gar nicht, so dass die beteiligten Gebietskörperschaften hier lustig am Gesetz vorbei irgendwelche Vereinbarungen über die Straßenbaulast treffen können, die die Gemeinden keinen Cent kosten.

Zwar hat der Bundesrechnungshof diese schlitzohrige Verwaltungspraxis bereits vor über vier Jahren als „nicht hinnehmbar“ beanstandet (BT-Drs. 16/3200, Seite 154 f.),

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/032/1603200.pdf

geschehen ist indes – abgesehen von einer windelweichen mickrigen Änderung der Ortsdurchfahrtenrichtlinien (ODR) im Jahre 2008 – rein gar nichts. Selbst die geänderten ODR beeindrucken die Behörden kein Stück, wie das Beispiel der Stadt Syke zeigt, wo sich aktuell ein weiterer Rechtsstreit anbahnt:

http://www.adfc-diepholz.de/aktuelles/55.html

Sind diese rechtswidrigen Verkehrszeichen erst einmal aufgestellt, bekommt man sie ohne Klage kaum wieder weg. Ein Bürgersteig, an dem das Z 240 entfernt  wurde, ist noch nicht mal ein „anderer“ Radweg (insofern muss ich Herrn Dr. Kettler widersprechen), sondern schlichtweg ein Gehweg, selbst dann, wenn Radverkehr durch Zusatzschilder zugelassen wird, um die Zuschüsse zu retten. Mit dem Abschrauben des Z 240 geht also automatisch die Straßenbaulast auf die Gemeinde über – mit allen Kostenfolgen (Unterhaltung, Winterdienst, Verkehrssicherungspflicht etc.). Kein Wunder, dass die Gemeinden nun Sturm laufen gegen das beherzte Vorgehen einiger – weniger – Straßenverkehrsbehörden, welche es wagen, endlich den Abbau der seit über 13 Jahren rechtswidrigen Schilder anzuordnen; die Medien in Niedersachsen berichteten bereits von Fällen aus dem Flecken Gartow, der Gemeinde Thedinghausen und aus einigen Dörfern im Landkreis Lüneburg.

Um diesem Ärger aus dem Weg zu gehen, lassen die StVBn dann doch lieber die rechtswidrigen Schilder stehen und lassen es auf Klagen betroffener Verkehrsteilnehmer ankommen, denen man den Ärger der Gemeinderäte bequem in die Schuhe schieben kann („Wir mussten die Schilder leider abschrauben, weil Herr X/Frau Y uns verklagt hat.“). Richtig lustig wird die Sache dann, wenn die Hobbypolitiker im Gemeinderat beschließen, wegen der ungewollt geerbten Straßenbaulast ebenfalls die Verkehrsbehörde zu verklagen, mag der Rechtsstreit auch noch so aussichtslos erscheinen. Es geht eben ums Prinzip und die  Kosten eines verlorenen Gerichtsverfahrens trägt eh der Steuerzahler.

Mit dem wegweisenden BVerwG-Urteil vom 18.11.2010 wird dieses Gezerre noch zunehmen, weil die Ämter kaum noch umhin kommen werden, die unrechtmäßigen Schilder abzuschrauben.

Die von Herrn Epple vorgeschlagene aber wohl utopische Entkoppelung zumindest des Z 240 vom Nutzungszwang in der StVO würde diesen kommunalen Zwistigkeiten sicher die Schärfe nehmen, ebenso wie eine gesetzliche Zuweisung der Straßenbaulast an die Gemeinden auch für gemeinsame Geh- und Radwege an OD. Zumindest letzteres lehnt der Nds. Landtag aber entschieden ab.

Ich stimme mit Herrn Dr. Kettler darin überein, dass durchgreifende Rechtsänderungen zugunsten der Verkehrssicherheit wohl ins Reich der Utopie gehören. Auch in den kommenden Jahrzehnten dürften Radfahrer wegen Sachzwängen, die rein gar nichts mit der Verkehrssicherheit zu tun haben, gezwungen werden, einen hohen Blutzoll zu entrichten. Schade eigentlich.

"Wobei für Zeichen 254 natürlich auch wieder § 45 IX StVO gilt. Das werden die Kommunen, die das Zeichen 254 jetzt häufiger aufstellen werden, leider erst kapieren, wenn sie verklagt wurden."

Eine solche Klage, in der es nur (noch) um Zeichen 254 geht, läuft ja bereits. Am 10. Februar um 11 Uhr ist mündliche Verhandlung.

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@Ralf Epple: Natürlich ist die Radwegebenutzungspflicht "völlig überflüssig", weil es auch andere Schilder gibt, mit denen man soetwas Ähnliches erreichen kann. Dass sie überflüssig ist, sieht man ja schon an den Regelungen zu den anderen Sonderwegen: Zeichen 239 Gehweg: keine Benutzungspflicht, Zeichen 245 Bussonderstreifen: keine Benutzungspflicht. Sonderwege sind es jeweils trotzdem.

Die Z254 werden in der Tat schon heute inflationär aufgestellt und in der Tat lassen die Behörden sich dabei in der Regel auch nicht von § 45 IX StVO ablenken. Wozu geltendes Recht einhalten, solange man Verbote anordnen kann und die Schilderhersteller liefern? "Desto mehr Verbot, desto besser", heißt die Devise allzu oft.

Richtig ist, dass man theoretisch einfach den Radwegebenutzungspflicht-Schildern die ihnen heute anhaftende Benutzungspflichts-Rechtswirkung nehmen könnte und eine Aufklärungskampagne starten könnte. Nur bin ich da nicht so optimistisch, was den zeitlichen Horizont angeht. Wie langsam die Gesetzesmühlen mahlen, habe ich oben schon geschrieben. Aber seit 1997 gibt es nicht einmal eine Aufklärungskampagne des BMV an die Länderverkehrsministerien und keine von dort an die Unteren Straßenverkehrsbehörden über das seit 1997 geltende Recht. Wenn das in 14 Jahren nicht geht, wie soll dann binnen kurzem eine Aufklärungskampagne _an die Verkehrsteilnehmer_ gestartet werden? Die Gesetzenovelle von 1997 ist erst nach 12 Jahren evaluiert worden (spät genug!) und es steht in der abschließenden Veröffentlichung ausdrücklich drin, dass vermehrt vor der Benutzung von (benutzungspflichtigen) Radwegen gewarnt werden solle (BASt-Studie V184, Bremerhaven Juni 2009, Seite 121) und es ist bis heute - anderthalb Jahre später - soweit ersichtlich noch nicht mal eine einfache Pressemitteilung dieses Inhalts vom BMV rausgegangen. Von einer millionenschweren Plakat-, Kinospot- und Infobroschüren-Kampagne an alle Bürger ganz zu schweigen.

Kurzfristig lässt sich das bisherige Gemetzel nur verringern, wenn man die Schilder wegnimmt und dadurch immerhin erreicht, dass sich die verkehrsgewandteren, sichereren Radfahrer endlich rechtstreu auf der allgemeinen Fahrbahn fortbewegen können.Schon wenn nur ein kleiner Anteil der Radfahrer die dadurch gewonnenen Freiheiten nutzt (und es tut ausweislich der eben genannten BASt-Studie ein nennenswerter Anteil sofort), gibt es einen positiven Verkehrssicherheitseffekt (s. BASt-Studie).

Auf den Sankt-Nimmerleins-Tag möchte ich ungern vertröstet werden.

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#10: Zu der einen oder anderen Ansage muss ich doch Widerspruch erheben:

Es fehlen ohne die VZ 237, 240, 241 keineswegs "Schilder, die besagen "hier darf man Rad fahren"". Man könnte statt dessen VZ 442 nehmen. Man könnte Fahrbahnmarkierungen mit Fahrradpiktogramm (mit oder ohne rundem Rand, aber jedenfalls ohne blauen Hintergrund) nehmen. Man könnte die Radwege auch ganz ohne Schild Radweg sein lassen. Der sogenannte "andere Radweg" ist sehr wohl eindeutig. Er ist heute genauso eindeutig, wie er es vor 1997 war, wo auch jeder Radfahrer, der einen (damals üblicherweise unbeschilderten) Radweg nicht benutzt hat, ein Knöllchen bekam, und wo auch Autofahrer, die darauf parkten, ein Knöllchen bekommen konnten. Woran man einen Radweg ohne Radwegschild als Radweg erkennt, war in der Rechtsprechung bis 1997 gut genug herausgearbeitet worden (durch bauliche Anlage und Erscheinungsbild). Warum soll das plötzlich nach 1997 nicht mehr gelten? Ich habe seit 1997 auch schon hunderte und tausende "andere Radwege" gesehen, die man recht eindeutig erkennen kann. Wenn Autofahrer drauf parken, ist das kein Hinweis darauf, dass die wirklich blind sind, sondern dreist, eilig, rücksichtslos, bar jeder Rechtskenntnis oder sonstwas. Es gibt in der Tat auch ein paar wenige "andere Radwege", die so unsichtbar angelegt sind, dass sie nur sehr schwer zu erkennen sind. Aber da hilft auch kein Schild gegen die eigentlichen Probleme (nämlich: auf dem Radweg herumlaufende Fußgänger und darauf herumfahrende und parkende Autofahrer). Es stimmt also schlicht nicht, dass ein Radweg, "ohne weitere Maßnahmen relativ eindeutig ein Gehweg, zumindest innerorts" sei, sobald die Schilder weg sind. Sowas Abwegiges glauben aufgebrachte Bürger, die im Tiefbauamt anrufen und nach solchen Schildern verlangen, weil sie sonst ihren Kindern nicht erklären könnten, wo sie denn fahren sollen, aber mit der Rechtsordnung hat so ein Glaube nichts zu tun.

Wie ich dann "verfahre", wenn ich auf so einen "anderen Radweg"  treffe? Na, ich nutze ihn allenfalls dann, wenn er mir an dem Tag in der Situation trotz der damit einhergehenden Gefährdung vorteilhaft erscheint. Normalerweise also: ungenutzt rechts liegen lassen und stattdessen auf der Fahrbahn sicher, zügig und entspannt fahren. Die m.E. wichtigere Frage wäre, wie man verfährt, wenn es einen benutzungspflichtigen Radweg gibt. Da muss man differenzieren: Im Normalfall einfach die ganze Straße vermeiden und woanders fahren. Straßen mit solchen Radwegen sind grundsätzlich für Radfahrer denkbar unattraktiv, weil man da unnütz und in hohem Maße gefährdet wird. Im Winter bei Eis und Schnee auf dem Radweg kann man auf solchen Straßen hingegen prima fahren, weil man da auf der allgemeinen Fahrbahn sicher und rechtssicher unterwegs ist. Ähnliches gilt bei erfahrungsgemäß ganzjährig zugeparkten benutzungspflichtigen Radwegen ganzjährig. Und wenn man mit einem mehrspurigen Rad (Lastenrad o.ä) unterwegs ist oder mit Anhänger, sind solche Straßen auch sicher und rechtssicher entspannt zu fahren. Es "lohnt" sich dort also, mit unnützen, großen (ggf.: leeren) Kisten durch die Gegend zu fahren.

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Hallo Ralf Epple,

ob das "sicher nicht gewollt" ist, nochmals mehr Geld für nochmals neue Schilder auszugeben, wäre erst noch zu klären. Ich würde das nicht wollen. Aber es sind mir zahllose Gemeinden bekannt, wo man genau das macht. Statt die alten, illegalen Schilder einfach ersatzlos abzuschrauben, schraubt man neue Gehweg-, Radfahrerer-frei- und Sonstwas-Schilder an und markiert und macht Tüdelüt, Hauptsache Umsatz. Manchmal hat man den Eindruck, es geht allein darum, die eigene Daseinsberechtigung und den eigenen Job zu sichern; jedenfalls kann man sich so erst mal wichtig fühlen. Und es erspart die Diskussion mit den Bürgern, die nach Schildern verlangen und sich nicht so ohne weiteres mit der Aussage abspeisen lassen, das Gesetz sehe aber keine vor.

Ja, das Stehenlassen der Blauschilder wäre "- nach Abschaffung der RWBP - einfach, billig, verständlich und rechtssicher". Nur glaube ich nicht an eine zeitnahe Umsetzung der Idee, und dass es bis zu ihrer Umsetzung in 50 oder 100 Jahren weiter so ein Gemetzel gibt, kann doch nicht gewollt sein. Oder? Und ohne Belehrungskampagne bleibt bei dieser Lösung auch das Oberlehrer-Problem, das wir oben schon besprochen hatten.

Zu den Anderen Radwegen: Es würde hier wohl zu weit führen, jeden von Ihnen benannten Radweg zu prüfen und zu beurteilen. Wenn Sie trotz Ihrer Aufmerksamkeit im Großraum Stuttgart bis heute - 13 Jahre nach der Rechtsänderung - immer noch keinen Anderen Radweg gefunden haben, dann bieten Ihnen die VGH-Mannheim-, BayVGH- und BVerwG-Urteile Steilvorlagen, endlich Entschilderungen zu erstreiten. Dann gibt es künftig (auch dort) mehr Andere Radwege. Dass man extra "da hin fahren" müsste, ist ja nicht im Sinne des Gesetzes: Es ist der gesetzlich gewollte Normalfall. Schon die 100%-Beschilderung ist (wenn es sie gibt) ein klares Anzeichen dafür, dass die Behörde das Recht ignoriert. Eine 100%-Beschilderung stellt das gesetzlich normierte Regel-Ausnahme-Verhältnis auf den Kopf und läuft - wie der VGH Mannheim so schön formulierte - "auf eine Wiederherstellung der vor Inkrafttreten der Fahrradnovelle 1997 maßgeblichen Rechtslage, insbesondere eine Nichtanwendung des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO hinaus".

Dass Sie in irgendeinem Internet-Forum irgendetwas gelesen haben, bedeutet gar nichts. Internet ist schon mal "quick-dirty-wrong". Ein Radweg und auch ein Anderer Radweg kann in der Regel nicht mit einem Gehweg verwechselt werden. Für eine Radweg ist aber keine "rote Farbe, Abgrenzungsstreifen oder Radfahrerpiktogramme" nötig. Anderes Pflaster als der Gehweg reicht zumeist, Asphalt auf dem Radweg statt Pflaster auf dem Gehweg reicht zumeist, eine Steinkante zwischen beidem reicht zumeist. In den Gemeinden, wo die Gehwegbordsteine an Kreuzungen noch nicht zugunsten von Rollifahrern, Rollatornutzern und Kinderwagenschiebenden abgesenkt sind (und das ist die breite Masse!) reicht auch, dass der eine Weg an den Kreuzungen Bordsteinabsenkungen hat und der andere nicht. Vielleicht hat eine Ampel auf so einer unbeschilderten Wegefläche auch noch ein Streuglas mit Radfahrer- und Fußgängersymbol, dann ist der Weg grundstückseitig der Ampel zumeist Gehweg und der Weg fahrbahnseitig der Ampel zumeist Radweg. Das hat doch bis 1997 jeder verstanden und es war gar bußgeldbewehrt; wenn man nicht in eine Schildersucht verfällt, dann ist das heute noch genau so verständlich.

Etwas verwundert bin ich über Ihre Formulierung: "müsste man doch alle Radfahrer ab 10 Jahren auf die Fahrbahn schicken". Der Gesetzgeber tut das. Seit 1997. Das tun nicht Sie, wenn Sie Entschilderung fordern. Das tut nicht der Sachbearbeiter im Ordnungsamt, wenn er (endlich) das geltende Recht umsetzt. Die Schilderbewahrer tönen mit genau mit diesem Argument immer, dass man das dann ja tun müsse, wenn...! Der Gesetzgeber hat es längst so angeordnet. Es ist auch sicherer als das Gehwegfahren, das Ihre Z240 erzwingen. Man "schickt" dann also nicht "Radfahrer ab 10" auf die Fahrbahn, sondern man lässt sie dann endlich da hin, wo es für sie sicherer ist. Aber in der Tat gibt es viele Untere Straßenverkehrsbehörden, die es sich nicht nehmen lassen, weiteres Geld für weitere Schilder auszugeben, Z239 + Radfahrer-frei aufstellen, damit Fußgänger weiterhin auf ihren Wegen von Radfahrern gefährdet werden (dürfen) und um genau dieses von ihnen bar jeder Sachkunde und bar jeder Rechtskunde befürchtete "Schicken" zu vermeiden. "Das können wir nicht verantworten!" heißt es da allzu oft in Bezug auf das, was aus Verkehrssicherheitsgründen seit über einem Jahrzehnt Gesetzeslage ist. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Man kann es "nicht verantworten", dass das gesetzlich Gewollte gilt! Man kann es "nicht verantworten", dass Verkehrssicherheit einkehrt! Glücklicherweise betont der VGH Mannheim in diesem Zusammenhang die Gesetzesbindung der Verwaltung.

Die bei Ihnen als "überwiegender Standard" montierten Z240 dürften zudem zum großen Teil 1. nach 1997 angeordnet worden sein (also schon am Tag des Bestellens ein Fall für den Steuerzahlerbund und den Staatsanwalt) und 2. gerade deshalb unter den drei RWBPfl-Schildern ausgewählt worden sein, weil man damit (scheinbar) die aus Verkehrssicherheitsgründen 1997 als notwendige, qualitative Mindestvoraussetzung eingeführte Breitenvorschrift umgehen kann. Hätte man die notwendigen Breiten, hätte man ja mindestens Z241 oder Z237 aufstellen können. Aber nein, man hatte und hat sie nicht und will sie auch nicht durch bauliche Veränderungen erreichen; aber man möchte trotzdem Radfahrer zuverlässig von der allgemeinen Fahrbahn weg haben. Also werden sie auf diesen untermaßigen, gefährlichen Seitenraum gezwungen, obwohl die gesetzlich geregelten Mindestbreiten nicht vorhanden sind. Was ist der Trick? Man tut so, als gebe es keine Fußgänger oder jedenfalls keine Fußgänger mit Verkehrsbedürfnissen, Breiten und Rechten und schlägt den ehemaligen Gehweg per Schild einfach den Radfahrern zu. Sollen sie sich doch kloppen um den Weg, die Fußgänger und Radfahrer. Hauptsache, man hat keinen davon vor der eigenen Windschutzscheibe!

Wenn Sie hier also sogar für das Beibehalten der "Standard"-Lösung mit Z240 werben wollen, muss ich Ihnen noch aus weiteren Gründen widersprechen. Die widerspricht nicht nur dem Gesetz iSv den Rechten der Radfahrer. Sie funktioniert verkehrlich in der Regel auch nicht. Und sie widerspricht den Rechten der Fußgänger. Genau diese Schilder müsste man also selbst dann abschrauben, wenn die VZ 237, 240 und 241 in der StVO unmittelbar jetzt sofort ihrer RWBPfl-Wirkung entkleidet würden und wenn man tatsächlich sofort eine Anti-Oberlehrer-Kampagne hinbekäme.

Ich warne auch vor der Annahme, man könnte "eine eindeutige Beschilderung belassen". Ich kenne zahllose Fälle, wo trotz umfangreicher Beschilderung völlig unklar ist, wer wo gehen oder radfahren darf. Mit dem "belassen" ist das also so eine Sache.

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@ Ralf Epple:

Ich wüsste nicht, was ich noch zu Radwegebenutzungspflichten außerorts sagen sollte. War da weiter oben eine Frage offen geblieben? Unter welchen Bedingungen eine RWBPfl angeordnet werden darf, steht in Paragraf 45 Absatz 9 StVO. Der gilt auch außerorts. Dass der auch außerorts Ernst zu nehmen ist, hat das BVerwG gerade in dem Urteil zu dem Regensburger Fall entschieden. Außer den tatbestandlichen Voraussetzungen des Paragrafen 45 Absatz 9 StVO müssen noch die notwendigen Voraussetzungen erfüllt sein, die in der VwV zu (Außerorts-) RWBPfl geregelt sind. Auch an diesen Voraussetzungen wird es in der Regel fehlen. Welche genau fehlen, kann man indessen nur von Fall zu Fall feststellen und nicht nach Süddeutschland ./. Norddeutschland oder Gefälle ./. Nichtgefälle pauschalieren. Nur dass sie in der Regel fehlen, hat der Gesetzgeber schon 1997 gesehen: Er hat - auch für außerorts - das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der Fahrbahnnutzung (Paragraf 2 Absatz 1 StVO) und der Radwegebenutzung (Paragraf 2 Absatz 4 StVO) geschaffen und in der VwV explizit gewarnt, dass linke Radverkehrsführungen (und Außerorts-RWBPfl sind zumeist auch linke) außerordentlich gefährlich sind und sie deshalb grundsätzlich verboten. Diese Gefahren der Radwegebenutzung mögen bei Gefälle in der Tat noch größer sein als bei einem Radweg im Flachen.

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@ #24:

Ja, dieses "in der Regel" in der VwV zu Außerortsradwegen ist ein Wertungswiderspruch zum Rest der VwV und vor allem zu Paragraf 45 Absatz 9 StVO. Jeder ausgebildete Jurist kann ihn mit systematischer Auslegung erkennen und jedenfalls mit der Normenhierarchie (StVO steht über der VwV) lösen.

Ja, Behörden bedienen sich mit Freuden dieser scheinbaren Rechtfertigung für ihr gefährliches Tun. Aber Nein, sie sind nicht dazu "gezwungen", wegen dieses Passus` RWBPfl anzuordnen, die nach der übrigen VwV keinesfalls angeordnet werden dürften und auch nach Paragraf 45 Absatz 9 StVO nicht.

Meiner Meinung nach gehört der Passus gestrichen. Aber Leib und Leben der Radfahrer scheinen dem Gesetzgeber nicht so wichtig zu sein; jedenfalls ist bisher nicht bekannt geworden, dass er den Passus streichen wollte, um den Behörden diese von ihnen missverstandene Steilvorlage für ihr gefährliches Tun zu nehmen.

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@ #26, dem Widerspruch gegen mich:

Ich hoffe, dass ich nirgends gesagt/geschrieben habe, "ein Bürgersteig, an dem das Z 240 entfernt  wurde", sei ein „anderer“ Radweg. Das wäre in der Tat falsch. Es ging darum, dass ein baulich erkennbarer Radweg durch Wegnahme der Zeichen 237/240/241 zu einem "anderen Radweg" wird und es entgegen der Annahme des Herrn Epple nicht einer besonderen Beschilderung bedarf, dass Radfahrer (wieder) da fahren dürfen, wo sie bis 1998 sogar ohne jedes Blauschild fahren mussten. Ich kenne auch zahlreiche Seitenräume mit baulich erkennbarem Radweg und Gehweg, die einfach deswegen seit 1998 über ihre ganz Breite mit Zeichen 240 beschildert werden, weil die zuständige Behörde erkannt hat, dass der baulich erkennbare Radweg nie und nimmer den Anforderungen der VwV-StVO genügt (etwa, weil er die typische 1-m-Breite hat). Weil man den Radweg also nicht (mehr) mit Zeichen 237/241 beschildern kann, wird einfach zu Lasten der Fußgänger (die dann keinen Schutzraum mehr haben) und zu Lasten der Radfahrer (die sich dann u.a. mit gefährlichen Längskanten zwischen Geh- und Radweg "mitten auf dem Radweg" herumärgern müssen) Zeichen 240 aufgestellt. In solchen Fällen lebt der alte (oder auch: gerade frisch nach Plänen aus den 70ern/80ern gebaute) Radweg als "anderer Radweg" wieder auf. Ein Bürgersteig, der tatsächlich baulich nur Bürgersteig ist und nur durch das Zeichen 240 zum "Radweg" gemacht wurde, wird durch die Wegnahme des Z240 tatsächlich zum reinen Gehweg. Und das ist im Interesse der Fußgänger (und im Interesse der Radfahrer) auch gut so.

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Herr Müller wies mich kürzlich auf ein weiteres Urteil zur Radwegebenutzungspflicht hin, daß ganz erhebliche Auswirkungen auf die Beschilderungspraxis haben dürfte (Urteil des VG Dresden vom 25.08.2010 - 6 K 2234/06):

http://openjur.de/u/83349.html

Während bisher bei der inhaltlichen Prüfung der Klage bisher oft auf § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO hingewiesen wurde und dann die Erforderlichkeit der Benutzungspflicht verneint wurde (etwa weil die Verkehrsbelastung gering war), wurde hier die Benutzungspflicht aufgehoben, obwohl das Gericht der Straßenverkehrsbehörde ausdrücklich darin zustimmte, daß die Benutzungspflicht erforderlich sei. Damit hebt es sich erheblich von den früheren Urteilen ab, die zuletzt vom BVerwG im Ergebnis bestätigt wurden.

In Abs. 23 steht der zentrale Satz der Begründung:

"Die nach allem vorhandene besondere Gefahrenlage stellt sich als eine Situation dar, in der die Beklagte zur Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht im fraglichen Bereich berechtigt wäre, wenn sie in der Lage wäre, die Radfahrer auf einen sicheren Radweg zu verweisen."

Damit stellt das Gericht fest, das die lt. ERA 95 gegebene Erforderlichkeit einer Benutzungspflicht eben gerade nicht zur
Benutzungspflicht führen muß oder besser darf. Ein entsprechend ungenügend angelegter oder gepflegter Radweg muß nachgebessert werden oder die Schilder müssen weg.

Selbst wenn man - wie ich - die Frage der Erforderlichkeit ganz anders beurteilt als Gericht, so kann man dieser Argumentation die Schlüssigkeit und Wirksamkeit nicht absprechen.

Schlüssig ist die Argumentation schon deshalb, weil sie die Gefahrenmomente pro und contra Benutzung des Radweges abzuwägen erlaubt. Das eine Benutzungspflicht ohne Radweg nicht funktioniert, ist dem letzten Sachbearbeiter jeder Straßenverkehrsbehörde klar (und wenn da - wie bei Elbchaussee in Hamburg - mehr 25.000 Kfz auf einer nur 6 Meter breiten Fahrbahn unterwegs sind!). Das dasselbe aber auch dann gilt, wenn der Radweg falsch geplant, gebaut oder gepflegt wurde, dürfte einen recht großen Neuigkeitswert haben. Anders kann ich mir die unendlich vielen Z 101 mit Zz. "Radwegschäden" an benutzungspflichtigen Radwegen in Schleswig- Holstein (z.T. auf einem Mast!) nicht erklären.

Aber nach der VwV-StVO darf ein unzumutbarer Radweg ebensowenig beschildert werden wie ein nicht vorhandener. Das gilt auch schon seit 13 Jahren. Immerhin hat das VG Dresden trotzdem mehr als vier Jahre gewartet, ob die Radwege baulich nachgebessert werden. Aber auch diese Gnadenfrist wurde offensichtlich nicht genutzt.

Wirksam ist die Argumentation auf jeden Fall auch. Denn wer beschildern will, muß auch bauen und pflegen (Winterdienst nicht zu vergessen)! Ich kann mir nicht vorstellen, daß die entsprechende Bautätigkeit überhaupt noch bezahlbar ist. Also müssen viele Schilder weg. Mir wäre das Recht und so dürfte es auch kommen - wenn nur genügend Druck gemacht wird.

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@ #28:

Wenn man einen Radweg haben will (und sei es einen "anderen"), dann muss man ihn bauen. Das ist aber doch seit hundert Jahren so. Daran hat sich auch 1997/98 nichts geändert. Wenn man bisher im Seitenraum nur einen Gehweg und nichts sonst gebaut hat, kann man durch Entschilderung in der Tat (auch nach 1998) keinen "anderen Radweg" erlangen. Das ist so profan, dass man sich fast scheuen muss, es hinzuschreiben: Ohne Bau existiert keine bauliche Anlage. Wenn die Damen und Herren Ratsmitglieder nun merken, dass sie einen Gehweg gebaut haben, obwohl sie glaubten, sie hätten einen Radweg gebaut, dann kann ich sie vor diesem Erkenntnisgewinn nicht bewahren. Aber es gäbe ja reichlich Möglichkeiten, den Verkehr auch ohne ("anderen") Radweg sicher abzuwickeln; die StVO hält da einen breiten Instrumentenkasten bereit. Insbesondere, wenn es - wie Sie schreiben -  in Ihren Breiten "zumeist" am "Raum für "andere Radwege" bzw. Radwege ohne Benutzungspflicht neben einem ausreichend breiten Gehweg" fehlt, böte sich ein Blick in diesen Instrumentenkasten an, statt darüber zu lamentieren, dass der Irrglaube, man hätte einen Radweg gebaut, sich als Irrglaube erwiesen hat.

Aber ich wiederhole hier noch einmal: Nicht die Verkehrsbehörde "schickt" bei der Entschilderung "definitiv alle Radfahrer ab 10 Jahren ab diesem Zeitpunkt automatisch auf die Fahrbahn", sondern der Gesetzgeber tut das seit der StVO-Novelle von 1997. Und er tut es aus Verkehrssicherheitsgründen. Wenn eine Straßenverkehrsbehörde der Gesetzeslage zuwider per Zeichen 237/240/241 definitiv alle Radfahrer in diese unzureichenden Seitenräume "schickt", dann führt das zu dem bekannten Gemetzel. Genau das kostet jedes Jahr ein paar hundert Radfahrer bundesweit ihr Leben und tausende landen alljährlich wegen dergleichen rechtswidrigem Tun im Krankenhaus. Dass im Seitenraum neben dem Gehweg kein genügender Raum für VwV-StVO-gerechte Radwege existiert, kann also unter keinem Gesichtspunkt Anlass sein, (alle) Radfahrer trotzdem dorthin zu "schicken".

@ #29:

Das genannte Urteil des VG Dresden ist in der Tat in Teilen erfreulich. Aber so neu ist die Argumentation mit der VwV ja nun auch nicht. Schon recht früh hatte das VG Berlin (VG Berlin, NZV 2001, 317-319 (318f)) dem Argumentationsstrang mit der VwV eigenständige Bedeutung beigemessen. Und auch das VG Hamburg hatte dem Argumentationsstrang mit der VwV-StVO schon früh eigenständige Bedeutung beigemessen (VG Hamburg, NZV 2002, 288-290 (289f) mit Anmerkung Kettler). Und da gibt es aus dem Jahrzehnt seither noch mehr Urteile in dieser Richtung. Dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Paragrafen 45 IX StVO vorliegen, ist notwendige Voraussetzung für eine RWBPfl, nicht aber hinreichende. Gleiches gilt für die tatbestandlichen Voraussetzungen der VwV: Auch sie sind notwendige Voraussetzung, aber nicht hinreichende für eine RWBPfl. Dass das VG Dresden sich dem nicht verschlossen hat, ist gut.

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Dietmar Kettler schrieb:

@ #29:

Das genannte Urteil des VG Dresden ist in der Tat in Teilen erfreulich. Aber so neu ist die Argumentation mit der VwV ja nun auch nicht. Schon recht früh hatte das VG Berlin (VG Berlin, NZV 2001, 317-319 (318f)) dem Argumentationsstrang mit der VwV eigenständige Bedeutung beigemessen. Und auch das VG Hamburg hatte dem Argumentationsstrang mit der VwV-StVO schon früh eigenständige Bedeutung beigemessen (VG Hamburg, NZV 2002, 288-290 (289f) mit Anmerkung Kettler). Und da gibt es aus dem Jahrzehnt seither noch mehr Urteile in dieser Richtung. Dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Paragrafen 45 IX StVO vorliegen, ist notwendige Voraussetzung für eine RWBPfl, nicht aber hinreichende. Gleiches gilt für die tatbestandlichen Voraussetzungen der VwV: Auch sie sind notwendige Voraussetzung, aber nicht hinreichende für eine RWBPfl. Dass das VG Dresden sich dem nicht verschlossen hat, ist gut.

In früheren Urteilen ist aber oft § 45 Abs. 9 StVO in den Vordergrund gestellt worden, was daran hängt, daß die Kläger selten Benutzungspflichten in Autobahnzubringern in Frage stellten. Selbst wenn das passierte, wurde eher vermieden, ausdrücklich auf die grundsätzlich Erforderlichkeit der Benutzungspflicht lt. VwV-StVO / ERA 95 hinzuweisen. Ganz im Gegenteil! Die Kläger bekamen trotzdem oft, was sie wollten. Die Urteilsbegründungen enthielten aber manche Nebelkerze. Ganz anders beim VG Dresden, das mutig zum Ausdruck bringt, das dieser Radweg trotz der Erforderlichkeit einer Benutzungspflicht nicht benutzungspflichtig sein kann.

Damit bricht es den Stab über einer üblen Verwaltungspraxis, die davon ausging, man könne bei Erforderlichkeit die letzten Schlaglochpisten ausschildern.

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"Was ist, wenn Städte z.B. eine völlig überlastete Fahrbahn mit großen Kreuzungen als Verkehrsachse haben, auf der absolut keine weitere Kapazität mehr besteht,"

 

Nun, mehr als raufpasst, passt nicht rauf. Ganz einfach. Das wird auch nicht besser, wenn man die Kapazität erhöht.

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 @ #32:

Zu dem Einwand unter 1.: Nein, da ist absolut gar nichts dran. Vielleicht sollten Sie oder der Zitierte einfach mal in eine Stadt fahren, wo es so etwas gibt. Jeder erkennt es, auch ohne aufgepinseltes Piktogramm - und schon seit Jahrzehnten.

 

Zu der Frage unter 2.: Sie haben anscheinend überhaupt noch nichts verstanden. Natürlich kann es Gemeinsame Geh- und Radwege geben: Wenn (u.a.) die Bedingungen des Paragrafen 45 Absatz 9 StVO und der VwV-StVO vorliegen. Bloß werden die kaum jemals vorliegen. Dann gibt es die gemeinsame Führung von Fußgängern und Radfahrern eben nicht mit Benutzungspflicht für Radfahrer, sondern nur auf freiwilliger Basis. Das wird verkehrlich in der Regel auch nicht funktionieren, dagegen findet sich aber so schnell kein Kläger. Außerorts gilt prinzipiell das Gleiche: Ohne die tatbestandlichen Voraussetzungen des Paragrafen 45 Absatz 9 StVO und der VwV-StVO darf keine Benutzungspflicht angeordnet werden; will eine Behörde auf einer außerorts-fahrbahnbegleitenden Verkehrsfläche Fußverkehr und (freiwilligen) Radverkehr gemeinsam abwickeln, dann wird sie eine der freiwilligen Lösungen anordnen müssen.

 

Zu der Frage unter 3: Auch für das Anordnen eines VZ 254 müssten (u.a.) die Voraussetzungen des Paragrafen 45 Absatz 9 StVO vorliegen. Daran wird es in der Regel fehlen. Im Übrigen müsste man die Behörde, die dergleichen plant, darauf hinweisen, dass geringere Geschwindigkeiten gerade kapazitätserhöhend wirken...

 

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Gegenfrage: Wie soll eine Behörde erkennen, dass ein als "Widerspruch" bezeichnetes Schreiben keinen Widerspruch, sondern nur eine form-, frist- und fruchtlose Beschwerde darstellen soll?

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Ralf Epple schrieb:
Nur wenn Fußgänger behindert werden, oder?
korrekt - 25 (2) StVO.
Und da der Gehweg dort genauso eng ist wie der unzulässig schmale Radweg, kann man von einer Behinderung ausgehen. Außerdem kann wohl kein Radfahrer gezwungen werden, einen unzulässig schmalen (72cm!) Radweg zu befahren - jeder hat das Recht, sein Rad zu schieben. Dann muss er eben an diesem Straßenabschnitt sein Rad auf der Fahrbahn schieben, wie es die StVO vorschreibt. Ob das sicherer ist als auf der Fahrbahn zu fahren?
Wie auch immer: Radfahrer Münchens, schiebt an dieser Unterführung euer Rad auf der Straße - ihr dürft und könnt nicht anders!

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