Darf eine Fernsehsendung potentielle Straftäter in eine Falle locken, ohne dann die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten?

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 18.10.2010

Kaum schaffen es die "fabelhaften Guttenbergs" vor dem "Paarlauf ins Kanzleramt" auf die Titelseite des SPIEGEL, da steht - wie sueddeutsche.de ebenfalls heute titelt - "Stephanie zu Guttenberg selbst am Pranger". Es geht um Kindesmissbrauch und speziell dabei um die von ihr (von mir noch nie gesehene) co-moderierte Fernsehsendung "Tatort Internet" bei RTL 2.

Der SZ-Autor Andrian Kreye wirft die interessante Frage auf, ob eine Fernsehproduktionsfirma potentielle Kinderschänder durch Herbeiführen einer verlockenden Situation in die Falle locken darf, ohne die Strafverfolgungsbehörden dann einzuschalten.

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18 Kommentare

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Man sollte RTL2 generell zu einem Pre-Crime-TV umbauen. Nächste Woche: Steffi und Udo bieten Oregano oder Backpulver in kleinen "szenetypischen" Päckchen in Berlin-Neukölln an, filmen die Käufer, ermitteln die Autonummern, und melden dann die Daten an die Polizei, an die Arbeitgeber, und nach Flensburg.

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übernächste Woche: Quecksilber-II-Iodid wird in Tablettenform gepresst und in der Ulmer Islamistenszene als "Red Mercury" angeboten...

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Hat das Ganze, was RTL II da betreibt nicht einen kleinen Hauch von Selbstjustiz? Oder Sogar den Anschein einer Anstiftung? Man könnte diesen Journalismus ja noch verstehen, wenn die Kamera bei judikativ oder exekutiv legitimen Ermittlungen dabei wäre, so wie es jetzt ist aber nicht. Sämtliche Gesetze zur Bekämpfung sind doch da. Man sollte eher daran arbeiten, Exekutive und Judikative aufzustocken. Aber das ist halt auch Politik live. Da läuft in letzter Zeit zu vieles verkehrt.

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Aus dem SZ-Artikel:

"Rechtlich ist das nicht ganz so einfach. Anstiftung zum Missbrauch wäre eine Straftat. Nach der gängigen Auslegung deutscher Strafgesetze reicht schon die bloße Herbeiführung einer verlockenden Situation, um sich strafbar zu machen."

Na ja, soweit ich die Auslegung der Strafgesetze überblicke, dürfte noch Vorsatz zur Haupttat erforderlich sein.

Das ist aber nicht der einzige Gedanke, den der Autor nicht zu Ende führt. Dass die angeblich falsch laufende Debatte polarisiert, zwingt keineswegs dazu, sich für oder gegen die Verfolgung von Verbrechen auszusprechen. Ihr Gegenstand ist nicht Kriminalitätsbekämpfung an sich, sondern die Frage, ob diese sich zum Volkssport oder als society-typisches "Anliegen" eignet, für das man sich einfach mal "engagiert" ohne die geringste kriminologische Qualifikation erkennen zu lassen. Den "hochgradig nervösen Zustand" kann man in diesem Zusammenhang auch als Sensibilität auffassen, die ich schon fast verloren geglaubt hatte. Herr Krey selbst hat das Phänomen Aktenzeichen XY schließlich soweit absorbiert, dass er das Format von RTL2 gleich auf seine Qualität als zeitgemäßer Nachfolger hin untersucht.

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Da die Schauspielerin, die Kontakt zu den "Tätern" (wie sie Frau zG gerne bezeichnet, ohne dass es zu Taten kommt oder irgendwelche Vortaten bekannt sind....) aufnimmt, handelt es sich immer um untaugliche Versuche (auch in der recht "vollendungsnahen" Situation des § 176 IV Nr. 4 Einwirken durch Reden).

Da also eine vollendete Tat nicht herbeigeführt werden soll, dürften die auf Seiten von RTL II Beteiligten nach Maßgabe der "agent provocateur"-Rechtsprechung straflos sein; dass hier wieder einmal ein unglaublicher Privatsenderdreck produziert wird, steht auf einem anderen Blatt.

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Jerczy Montag über den Grooming-Tatbestand (unter rot-grün verabschiedet), aus Anlass der RTL2-Darstellung, dass Grooming derzeit straflos wäre. Er kommt zur Einschätzung, dass die Chats, die in den Sendungen gezeigt werden, bereits verfolgbar sind:

Kurz-Gutachten PDF:

http://jerzy-montag.de/userspace/BV/jerzy_montag/Dokumente/Rechtspolitik...

Zugehöriger Blog-Artikel:

http://gruen-digital.de/2010/10/tatort-internet-konsequente-strafverfolg...

 

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Dass es sich bei Texten, die in Internet-Chats durch den Täter eingegeben werden, um "Schriften" i.S.d. § 176 IV  4, 11 III handelt, wie Herr Montag meint, ist aber  streitig. Ob der mögliche Wortsinn des Begriffs "Schriften" (als Datenspeicher) dies hergibt, ist unklar (dagegen wohl  Fischer, StGB § 176 Rdnr. 13; anders Hörnle u.a. NJW 2004,1065: da im Arbeitsspeicher des Täter-Computers eine Datenspeicherung der eingegebenen Daten erfolgt, die dann übermittelt werden).

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Zur Rechtsfrage:

Die angebliche 13jährige war, soweit berichtet wurde, tatsächlich nicht Minderjährig. Es hätte daher wohl allenfalls zu untauglichen Versuchen bezüglich des Kindesmissbrauchs kommen können. Eine sexuelle Nötigung anderer Art an der Volljährigen Schauspielerin (Berühren von Geschlechtsorganen o. ä.) wäre aber wohl möglich gewesen. Ein solches Geschehen vor laufender Kamera wäre dem offenbar auf Sensation ausgelegten Format entgegengekommen. Dass bei den Programmverantwortlichen ein entsprechender (Eventual)Vorsatz bestand, ist daher nicht fernliegend. Ob die Schauspielerin eine entsprechend weitereichende Einwilligung erteilt hat? Fraglich, aber wohl eher zu verneinen.

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Zum Geschehen:

Dass die Mitarbeiter eines Fernsehsenders, dass eine Politikergattin, dass angeblich wohltätige Vereine sich in einen Bereich begeben, der auch nur möglicherweise strafbar ist, erscheint bereits bedenklich.

Das Anliegen mag ihnen ja wichtig und politisch zeitlos opportun sein (schließlich geht es um Kinder), aber sich sehenden Auges gesetzliche Regelungen zu übertreten oder jedenfalls bis an die Belastungsgrenze zu biegen, erscheint unangebracht.

Frau von der Leyen wollte gesetzlich gegen Websites mit Minderjährigenpornographie vorgehen, weil das ansonsten unbescholtene Menschen erst zum Konsum und zum Missbrauch verführe. Der gute Herr von Guttenberg stellte gleich alle Internetnutzer und Kritiker dieses Gesetzes unter Generalverdacht. Und seine werte Frau Gemahlin unterstützt nun die direkte Anstiftung, die möglicherweise (!) allein wegen eines zweifelhaften Vorsatzdefizits nicht strafbar ist.

Die Beteiligten entlarven sich selbst als quotenhungrige, umsatzversessene, publicitysüchtige Parodien dessen, wie sich ein Mensch benehmen sollte.

In der Presse lesen wir, dass die Verbote gegen pornographische Websites von der Musik- und Filmindustrie lanciert wurden, um dann Sperren zum Schutz ihrer eigenen Interessen aufzusatteln. Von der Politik, jetzt bei RTL2 sehen wir, welche Politiker(gattinnen) unbedarft genug sind, sich vor diesen Karren spannen zu lassen.

Wie schön doch eine Demokratie wäre, in der nicht das smarteste Lächeln, sondern der smarteste Kopf gewählt würde.

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@ #10:

"Wie schön doch eine Demokratie wäre, in der nicht das smarteste Lächeln, sondern der smarteste Kopf gewählt würde."

Dafür hätte ich durchaus Sympathien, aber in der Praxis ginge das nur, wenn die nicht-smarten Köpfe kein Wahlrecht hätten. Das ist mit dem GG in seiner aktuellen Fassung wohl schwer vereinbar ;).

 

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Gem. § 176 VI StGB ist der (untaugliche) Versuch von Straftaten nach § 176 IV Nr. 3 und 4 StGB nicht strafbar. Nach dem, was ich über die "Täter" gelesen habe, dürften sie sich daher in der Tat nicht strafbar gemacht haben. Eine "Strafbarkeitslücke" ergibt sich daraus allerdings noch lange nicht, sie folgt v.a. nicht aus dem Bedürfnis der RTL-II-"Journalisten", in ihrer Sendung echte Straftäter zu präsentieren.

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RA Stadler (internet-law) weist auf eine mögliche Tatbestandsmäßigkeit nach § 201 StGB hin: Immerhin wird hier (heimlich) das nichtöffentlich gesprochene Wort aufgezeichnet  und gesendet, ohne dass die Fernsehmacher eine polizeiliche Befugnis dazu hätten. Und ob "überragende öffentlcihe Interessen" geltend gemacht werden können (§ 201 Abs. 2 S. 3 StGB), erscheint fraglich. Man vertraut wohl eher darauf, dass der Betroffene keinen Strafantrag (§ 205 StGB) stellt.

Ein interessantes Intervew mit RA "Niklas Auffermann" auch in der Zeit "Provokation von Straftaten": http://www.zeit.de/gesellschaft/2010-10/tatort-internet

 

"Strafverfolgung und Ermittlungsarbeit haben ausschließlich in den Händen der Strafverfolgungsbehörden zu bleiben." Frau Guttenberga sollte vielleicht doch besser bei Ihren Leisten und somit Textilien und Mode bleiben. ;-)

 

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In der heutigen FAZ verteidigt Daniel Harrich, Produzent von "Tatort Internet", verteidigt die Sendung: Nirgendwo sei die Opferdebatte so überlagert von der Täterdebatte wie in Deutschland;der Gesetzgeber soll die Anbahnung sexueller Kontakte mit Minderjährigen nicht länger straffrei lassen.

Hier zum aktuellen Stand der Diskussion.

 

Ergänzend der Link zu einem Interview mit Sexualmediziner Ahlers, der eine dezidiert andere Auffassung vertritt: Die öffentliche Stigmatisierung und Dämonisierung potenzieller Täter sei es gerade, die den Therapie-Beginn für viele sehr schwer mache.

Außerdem stellt Ahlers nochmals die Fehlettikettierung und missbräuchliche Nutzung des Begriffs "Pädophilie" (im medizinischen versus juristischen Sinne) klar --und stellt sich auf die Seite derjenigen pädophilen Männer (die Mehrheit), die ihr Leben lang enthaltsam leben (müssen), aufgrund der Fehlterminologie aber, falls sie sich outen würden, in einen Topf geworfen werden mit Straftätern.

Was mich außerdem an Herrn Harrichs Äßerungen stört, ist die Terminologie vom "Täter" --als ob das Journalistische Format bereits die Täterschaft oder eine wahrscheinliche Täterschaft feststellen könnte oder dürfte -immerhin ein juristischer Begriff.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2010/1...

 

Dass eine emotionalisierte Berichterstattung nicht ohne Wirkung auf ein allgemeines "Verdächtigungs-Stimmungsbild" bleibt, schreibt Herr Sickendieck in seinem Blog aus Anlass einer anonymen e-Mail (in einem Satz: Bademeister holt Polizei, weil Kind mit bisher nicht bekannter männl. Begleitung ins Schwimmbad kommt):

http://www.fixmbr.de/tatort-internet-und-die-folgen/

 

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