Und Ulla lacht: Nichtanwendung des Zugangserschwerungsgesetzes

von Prof. Dr. Thomas Hoeren, veröffentlicht am 21.02.2010

"Der Bundespräsident hat das Zugangserschwerungsgesetz (ZugErschwG) ausgefertigt.Es wird am 22. Februar 2010 verkündet werden und damit am 23. Februar 2010 in Kraft treten."

So beginnt ein Schreiben aus dem BMI vom 17. Februar 2010 (Tag der Unterzeichnung des Bundespräsidenten) als Anweisung an die Strafverfolgungsbehörden, das jetzt Internet-Aktivist Alvar Freude ins Netz stellte

http://blog.odem.org/2010/02/19/Erlass-ZugErschwG.pdf

Im Klartext wird dort das BKA angewiesen, das Zugangserschwerungsgesetz nur teilweise umzusetzen: "Die Bundesregierung beabsichtigt eine Gesetzesinitiative zur Löschung kinderpornographischer Inhalte im Internet. Bis zum Inkrafttreten dieser Regelung wird sich die Bundesregierung auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes ausschließlich und intensiv für die Löschung derartiger Seiten einsetzen, Zugangssperren aber nicht vornehmen. Die damit gemachten Erfahrungen sollen in die Gesetzesinitiative einfließen."

Einen Nichtanwendungserlaß kenne ich nur aus dem Steuerrecht; gut, daß es so etwas jetzt auch im Internetrecht gibt. Der aufkommenden Kritik der Staatsrechtler sollte man aber m.E. Rechnung tragen und das unsinnige Gesetz dahin packen, wo es hingehört: in den Papierkorb.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

16 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Sehr geehrter Herr Kollege Hoeren,

ich habe gestern schon hier im Blog (etwas versteckt) dazu etwas geschrieben. Erlauben Sie, dass ich es hier noch mal tue.

Die Quelle des von Ihnen verlinkten Schriftstücks wird von Herrn Freude als das Bundesinnenministerium angegeben , der Adressat ist lt. Anschrift das BKA, hier ein Auszug:
"Im Hinblick auf die Umsetzung des ZugErschwG bitte ich daher um Beachtung der folgenden Vorgaben:

1. Vor diesem Hintergrund hat das Bundeskriminalamt den in § 1 Abs. 2 ZugErschwG eingeräumten Beurteilungsspielraum dahingehend zu nutzen, dass keine Aufnahme in Sperrlisten erfolgt und Zugangssperren unterbleiben. Als eine erfolgsversprechende Maßnahme in diesem Sinne bitte ich die Benachrichtigung des Staates anzusehen, in welchem die identifizierten kinderpornographischen Inhalte physikalisch vorgehalten werden. Die Benachrichtigung ist mit der nachdrücklichen Bitte um Löschung des Inhalts und um entsprechende Rückmeldung nach Löschung an das BKA zu versehen. Diese Verfahrensweise ist erforderlich, um insbesondere den betroffenen ausländischen Stellen die Möglichkeit zu geben, sich auf das Verfahren einzustellen und auf entsprechende Meldungen des Bundeskriminalamts zeitnah durch Löschung der Angebote zu reagieren. Aus diesem Grund sind weder Sperrlisten zu erstellen, noch Sperrlisten an die Internetserviceprovider zu übermitteln.

§ 1 Abs.2 des Zugangserschwerungsgesetzes lautet wie folgt:

"(2) Die Aufnahme in die Sperrliste erfolgt nur, soweit zulässige Maßnahmen, die auf die Löschung des Telemedienangebots abzielen, nicht oder nicht in angemessener Zeit erfolgversprechend sind. Bevor das Telemedienangebot eines Diensteanbieters, der in einem anderen Staat im Geltungsbereich der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“, ABl. L 178 vom 17. 7. 2000, S. 1) niedergelassen ist, in die Sperrliste aufgenommen wird, ist das Verfahren nach § 3 Absatz 5 Satz 2 des Telemediengesetzes durchzuführen. In Staaten ausserhalb des Geltungsbereichs dieser Richtlinie darf das Telemedienangebot sofort in die Sperrliste aufgenommen werden, wenn nach Einschätzung des Bundeskriminalamts davon auszugehen ist, dass in dem betroffenen Staat andere Maßnahmen, insbesondere Mitteilungen an die für den polizeilichen Informationsaustausch zuständigen Stellen, nicht oder nicht in angemessener Zeit zu einer Löschung des Telemedienangebots führen."

Der fettgesetzte Satz ist wohl derjenige, auf dessen "Beurteilungsspielraum" sich die Anweisung beziehen soll. Tatsächlich bietet die Einschätzung der "angemessenen Zeit" einen Beurteilungsspielraum. Dieser wird aber nun praktisch auf unbestimmte Zeit ausgedehnt ("dass keine Aufnahme in Sperrlisten erfolgt...") . Dies ist eine klare Überdehnung des Gesetzeswortlauts: Die angemessene Zeit soll sich nach dem Gesetz eindeutig auf den Versuch erfolgversprechender Löschversuche beziehen. Ist ein Abwarten nicht mehr sinnvoll bzw. ergibt sich, dass ein Löschversuch nicht erfolgversprechend ist, müsste die Behörde nach dem Gesetzeswortlaut das Angebot auf die Sperrliste setzen und den Zugang "sperren".

Meines Wissens handelt es sich um den in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Fall, dass ein in Kraft getretenes Gesetz per Regierungserlass von Anfnag an nicht angewendet werden soll.

Aber: Wo kein Kläger, da kein Richter.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Kollege Müller,

besten Dank für den Hinweis.

 

Es fällt derzeit allgemein auf, daß Sperrungsverpflichtungen von Access Providern zwar allgemein als "No-No" gelten, aber gerade jetzt wieder politisch hochgekocht werden. Ich verweise auf die derzeitige Diskussion rund um ACTA, dem geplanten internationalen Geheimvertrag zum Urheberrecht. In einem mir vorliegenden Papier der US-Regierung von Oktober 2009 ist unter anderem zur Durchsetzung von Urheberrechtsansprüchen im Internet auf internationaler Ebene vorgesehen, dass auch die Internet Service Provider für von ihren Kunden begangene Urheberrechtsverletzungen als Störer haftbar gemacht werden können. Dieser Verantwortung sollen sie sich nur entziehen können, wenn sie sich verpflichten, den Datenverkehr ihrer Kunden zu überwachen und ihnen gemäß dem umstrittenen Three Strikes-Prinzip den Internetzugang nach drei Verstößen gegen das Urheberrecht zu sperren. In Fußnote 6 des Dokuments heißt es: 6An example of such a policy is providing for the termination in appropriate circumstances of subscriptions and accounts on the service provider’s system or network of repeat infringers".

Insofern wird uns die Sperrungsdiskussion noch weiterverfolgen.

 

Natürlich wird es das.

Das zurückzucken der Gesetzgebenden Personen kommt nicht aus einer inneren Einsicht heraus. Das (Einsicht) wäre nahezu ein Unikum in der Politik. ACTA wird dabei wesentlich heisser sein als anderes.

Auch bei SWIFT ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen.

0

Enthält das Gesetz den auch Umsetzungsfristen wie es die Verträge taten oder müsste es theoretisch direkt losgehen mit dem Sperren?

0

Wie kann man in der Politik überhaupt auf derart abwegige Ideen einer Internetsperre kommen, dort müssen ja wirklich oftmals die Unbgabtest-inn-en tätig sein. Äquivalent wäre etwa eine Regelung im analogen Bereich, dass, wenn eine Person von seinen heimischen Büchern unrechtmäßige Kopien, etwa für Geschäftsvorträge macht, ihm verboten wird, auf Bücher zu Hause zuzugreifen und sie zu besitzen. Aber das es mit der Bildung allgemein drastisch bergab geht, sehen wir schon am geistfernen Bologna-Prozess, da wäre dann auch ein Verbot von Internetnutzung und Bücherlektüre nur konsequent. ;-(((

 

 

0

Lieber Herr Hoeren,

wie schaut es eigentlich mit der Eu-weiten Netzsperre aus? Bzw. mit dem entsprechenen  EU-Rahmenbeschluss? Kommt der bald? Wissen Sie Näheres darüber? 

@johannes (#5): Jedenfalls international erscheint es in der Politik nicht so abwegig. Immerhin gibt es doch eine Reihe von Staaten, die so vorgehen; andererseits, vielleicht sind die ja alle so unbegabt ;)

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Zm Stand der europäischen Sperrungsdiskussion:

Das umstrittene französische „Gesetz zur Verbreitung und zum Schutz kreativer Inhalte im Internet“ (sog. HADOPI-Gesetz) ist am 01.01.2010 im dritten Anlauf in Frankreich in Kraft getreten. Danach werden bei Urheberrechtsverstößen zunächst zwei Verwarnungen ausgesprochen. Beim dritten Verstoß ist der Vertrag über den Internetzugang zu kündigen und ein zeitlich befristetes Verbot (max. ein Jahr) des Abschlusses eines neuen Vertrages anzuordnen (sog. Three-Strikes-Verfahren).  Gegen das Three-Strikes-Modell bestehen insbesondere verfassungs- und datenschutzrechtliche Bedenken.

In Großbritannien soll nun eine ähnliche Regelung voran gebracht werden. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag wurde bereits von der britischen Regierung präsentiert. Dieser Entwurf sieht ebenso wie das französische Gesetz die Sperrung des Internetzugangs nach zwei Warnbriefen vor.

Auch in Spanien war eine Regelung nach französischem Vorbild geplant. Nach heftigem Widerstand nahm die spanische Regierung jedoch Abstand von einem Three-Strikes-Modell und setzt nun auf eine Sperrung der Webseiten, die illegale Downloads ermöglichen. Ein entsprechend geänderter Gesetzesentwurf wurde am 08.01.10 auf den Weg gebracht. In Deutschland ist ein vergleichbares Gesetz zurzeit nicht geplant. In der Europäischen Gemeinschaft werden zwar die Rufe nach einem intensiveren Vorgehen gegen illegales Filesharing lauter, dennoch ist eine Regelung auf EU-Ebene, die dem Three-Strikes-Modell entspricht, momentan nicht geplant.

Ein derartiges Modell ließe sich auch schwerlich mit dem kürzlich novellierten Telecom-Paket der EU vereinbaren.
Explizit wird hierin betont, dass Maßnahmen, die den Nutzer vom Internetzugang abschneiden oder anderweitig die Nutzung bestimmter Dienste beeinträchtigen, mit den Grundrechten und Grundfreiheiten in Einklang stehen müssen. Auch müssen einer Reihe von Verfahrens- und Rechtsstaatsprinzipien berücksichtigt werden. So hat z. B. eine Anhörung zu erfolgen; ferner muss die Unschuldsvermutung beachtet werden. Zu gewährleisten sind eine gerichtliche Prüfung und einstweiliger Rechtsschutz zeitnah und wirksam. Der Entwurf macht aber auch deutlich, dass es prinzipell nach EU-Recht denkbar ist, Nutzer vom Internet auszuschließen, z. B. weil sie wiederholt im Internet Urheberrechtsverstöße begangen haben. Die Entscheidung hierüber liegt bei den einzelnen Mitgliedsstaaten.

 

Dazu aus eigenem Hause:

http://www.dfn.de/fileadmin/3Beratung/Recht/1infobriefearchiv/DFN_Infobr...

<i>.....die dem Three-Strikes-Modell entspricht, .... Ein derartiges Modell ließe sich auch schwerlich mit dem kürzlich novellierten Telecom-Paket der EU vereinbaren.....So hat z. B. eine Anhörung zu erfolgen; ferner muss die Unschuldsvermutung beachtet werden. Zu gewährleisten sind eine gerichtliche Prüfung und einstweiliger Rechtsschutz zeitnah und wirksam. Der Entwurf macht aber auch deutlich, dass es prinzipell nach EU-Recht denkbar ist, Nutzer vom Internet auszuschließen, z. B. weil sie wiederholt im Internet Urheberrechtsverstöße begangen haben.....</i>

 

@Prof. Hoeren

Das ist widersprüchlich und stellt mithin den Spagat, den Irrtum und den faulen Kompromniss auf EU-Ebene dar.

Es sieht so aus: das Three Strikes Modell - also die zwei Schreiben oder auch das dritte - muss lediglich etwas wie ein Anhörungsbogen bei einem Rotlicht-Verstoß im Straßenverkehr beinhalten. Dann ist es (eben) sehr wohl auch Telecom-Paket konform. Das sieht man bereits auch beim ACTA Papier in der Formulierung:

<i>ACTA should not contain measures restricting end-users’ access to the Internet that would not be appropriate, proportionate and necessary within a democratic society and without a <b>prior, fair and impartial procedure</b>.</i>

..welche nicht ohne Grund an der Formulierung des Telecom-Paketes angelehnt ist.

 

Grüße

ALOA

 

0

Das nenne ich ein feines Gespür für Ironie seitens unseres Bundespräsidenten:

CDU/CSU und SPD verabschieden gegen jede Warnung und wider alle Vernunft ein "Internetsperrengesetz", das auf Betreiben von Zensursula von der Leyen Stoppschilder für Kinderpornoseiten vorsieht.

Zwischenzeitlich hat man sich mit dem neuen Koalitionspartner darauf verständigt, die Seiten, die illegale Inhalte anbieten nicht nur zu kennzeichnen, sondern zu sperren.

Und was macht der Bundespräsident?

Er setzt den Willen des Gesetzgebers um und ein Gesetz tritt in Kraft, das keiner braucht und vor allem niemand mehr haben will.

Ein Tritt in den Allerwertesten des Parlaments, meine ich.

Herr, vergib' Ihnen, denn sie wissen offenbar nicht, was sie tun.

0

Ich habe mir heute die Life-Übertragung des Petitionsausschusses mit Frau Heine angesehen.

Sie war sehr bemüht, hat ihre bekannten Argumente vorgebracht, allerdings viel zu lieb und war doch den Politprofis unterlegen, die die Gelegenheit zu einem vorparlamentarischen Schlagabtausch kräftig nutzten.

Von der Politikseite sind mir 2 Personen unangenehm aufgefallen:

H. Dörmann (SPD) versuchte mühsam, die Opferrolle der SPD im ganzen Gesetztesverfahren darzustellen ("Wir haben ja Bedenken einbringen können.") und Reue einzubringen.

H. Stadler (FDP) hat m.E. die schlechteste Figur abgegeben. Mühsame Wortklauberei zugunsten eine von ihm in der Oposition bekämpften Gesetzes und Ankündigung eines Löschungsgesetzes (das keiner braucht, weil entsprechende Gesetze eh' existieren), damit auch die um Aufrechterhaltung des Gesetzes kämpfende CDU/CSU noch schützernd.

Danke an BP Köhler, der (hoffentlich nur) in diesem Fall von dem Parteiengezänk die Nase voll hatte (und sicherlich die rechtlichen Schwächen erkannte) und die Veranwortlichkeit richtigerweise an das Parlament abgegeben hat. Damit haben wir nach dem Wechsel der Verantworlichkleit als Bürger die Möglichkeit, anschaulich zu sehen, wie alte - zeitweise - Macht vergeht (SPD), neue Macht hinzukommt (FDP) und bestehende Macht (CDU/CSU) weiter arbeitet. Schade nur, dass sow viele Bürger das Thema ansich und vor allem den Hintergrund überhaupt nicht kennen.

Soweit mir bekannt ist, wollen alle Oppositionsparteien einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des Gesetzes einbringen. Nach den heutigen Darlegungen von H. Stadler ist davon auszugehen, dass diese Initiativen ins Leere stossen, weil die FDP ihre Koaltionspartner nicht hängen lassen wird. Die FDP muss sich aber bewusst sein, dass sie in der Öffentlichkeit (hoffentlich berichten die Medien auch entsprechend) als Umfaller wahrgenommen wird.

Das Gesetz tritt also morgen in Kraft und wird Möglichkeiten zu Klagen ergeben.

 

0

Die heutige Diskussion im Bundestag hat zumindest nach meiner Einschätzung eine Erkenntnis gebracht: Die CDU/CSU wollte das Gesetz und will es noch. Die FDP münzt ihr entschiedenes Nein in der Opposition zu einem JEin in der Regierungsveranwortung um. Experten fragen sich bereits, was soll ein FDP angekündigtes Löschgesetz bringen?

Jedenfalls, das Gesetz ist in Kraft getreten und wie und wann etwas angewendet wird, bleibt im Grunde verborgen. Über die Modalitäten braucht die Öffentlichkeit ja nicht unterjährig informiert werden. Die Rechtmässigkeit der Providerverträge und des Gesetzes selbst stehen damit wieder im Zentrum. Für mich stellt sich unter juristischen Gesichtspunkten nur die Frage, wer kann überhaupt klagen?

0

Kommentar hinzufügen