Gerichtlich unüberprüfbarer Beurteilungsspielraum der KJM?

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 08.04.2009

In der jüngeren Rechtsprechung und im Schrifttum ist umstritten und wird kontrovers diskutiert, ob der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) als zuständiges Aufsichtsorgan (vgl. §§ 14, 16 JMStV) bei der Bewertung von Jugendschutzfragen im Rundfunk und im Internet ein - gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer - Beurteilungsspielraum zukommt. Wollte man dies bejahen, so wären Aufsichtsentscheidungen der KJM wegen Verstößen der Anbieter gegen den Jugendschutz nur sehr eingeschränkt durch die VErwaltungsgerichte überprüfbar.

Das VG Augsburg nimmt im Beschluss vom 31.7.2008 (Au 7 S 08.659) einen Beurteilungsspielraum der KJM an. Zwar gebiete Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dass die Gerichte die Verwaltungstätigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht grundsätzlich vollständig überprüfen. Der Gesetzgeber könne jedoch der Verwaltung für bestimmte Fälle einen Beurteilungsspielraum einräumen und damit anordnen, dass sich die gerichtliche Nachprüfung auf die Einhaltung der rechtlichen Grenzen dieses Spielsraums zu beschränken habe. Dies sei der Fall,wenn der zu treffenden Entscheidung in hohem Maße wertende Elemente anhaften und das Gesetz für sie deshalb ein besonderes Verwaltungsorgan für zuständig erklärt, das weisungsfrei, mit besonderer fachlicher Legitimation und in einem besonderen Verfahren entscheidet. Dies sei bei der KJM der Fall, die  als für den Jugendschutz sachverständiges Gremium tätig werde. Dies ergebe sich aus der Bindung der Entscheidung für die jeweils zuständige Landesmedienanstalt (§ 17 Abs. 1 S. 5 JMStV), der Aufgabenzuweisung der "abschließdenden Beurteilung von Angeboten" (§ 16 S. 1 JMStV) sowie der Einrichtung der KJM als Sachverständigengremium.

Demgegenüber kommt das VG Berlin im Urt. v. 28.01.2009 (VG 27 A 61.07) zu dem Ergebnis, der KJM komme bei der Prüfung von Rundfunksendungen kein (gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer) Beurteilungsspielraum zu. Bei der Anerkennung eines Beurteilungsspielraums sei nach Ansicht des Gerichts Zurückhaltung geboten, weil der Beurteilungsspielraum zu einer wegen Art. 19 Abs. 4 GG problematischen Einschränkung der Überprüfbarkeit von Verwaltungsentscheidungen führe. Ein Beurteilungsspielraums sei nur in den Fällen anzuerkennen, in denen eine wertende Prüfung eines sachverständigen Gremiums zeitgebunden und unwiederholbar ist, so dass durch die Besonderheiten der Entscheidung selbst oder durch die Art und Weise, wie sie getroffen wurden, ein eigenes Urteil einer diese Entscheidung überprüfenden Stelle ausgeschlossen ist. Diese Voraussetzungen lägen bei der Bewertung von Filmen auf ihre Jugendgefährdung jedoch schon aufgrund deren jederzeitiger Reproduzierbarkeit nicht vor. Dass eine Bewertung einen besonderen Sachverstand voraussetzt, mache die Einräumung eines Beurteilungsspielraums oder einer Entscheidungsprärogative für die erstentscheidende, sachkundig besetzte Verwaltungsbehörde ebenfalls nicht erforderlich, weil sich das Gericht bei fehlender eigener Sachkunde diese über einen Sachverständigen verschaffen kann. Es sei auch nicht so, dass die Bewertung der Einhaltung der Bestimmungen des JMStV stets besondere Sachkunde erfordern würde; vielmehr sei beispielsweise bei der Frage, ob ein Angebot nach § 4 JMStV unzulässig ist, lediglich der unbestimmte Rechtsbegriff im Tatbestandsteil der Verbotsvorschrift anhand einschlägiger weiterer Rechtsvorschriften zu subsumieren. Die Auslegung eines derartigen unbestimmten Rechtsbegriffs sei daher vom Gericht voll überprüfbar.

Was gilt nun? Der Gerichskontrolle entzogener Beurteilungsspielraum der KJM - Ja oder Nein?

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7 Kommentare

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Tja, gute Frage!

Das mit der eingeschränkten Überprüfbarkeit kennt man doch sonst nur im Prüfungsrecht. Oder gibts noch mehr Anwendungsfälle? Es gilt doch sonst, was man im Studium lernt: Ermessen ist OK, wenn es keine Ermessensfehler gibt, aber unbestimmte Rechtsbegriffe wie Verhältnismäßigkeit etc. legt das Gericht aus.

 

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Aus dem Studium meine ich mich an 4 Fallgruppen mit eingeschränkter Überprüfbarkeit zu erinnern:

1. Situative Prüfungsentscheidungen (also vor allem Bewertungen in mündlicher Prüfung)

2. Beurteilungen von Beamten durch ihre Dienstvorgesetzten

3. Erlass von normausfüllenden Verwaltungsvorschriften auf sachverständiger Grundlage (vor allem TA Lärm und Luft)

4. Wertungsentscheidungen von pluralistisch zusammengesetzten Gremien

Unter Nr. 4 wurde immer die BPJS gepackt. Anscheinend scheint dies jetzt für ihre Nachfolgerin KJM umstritten zu sein. Ich weiß nicht, inwieweit sich die pluralistische Zusammensetzung oder der konkreten Staatsvertragstext hier geändert hat, aber grundsätzlich wäre eigentlich davon auszugehen, dass hier keine Veränderung eintritt.

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@Rufer: Dein Studium ist wohl schon ne Weile her und die Rechtsentwicklung seitdem auch nicht ganz korrekt in Deiner Wüste angekommen. ;-)

Die BPjS heißt seit 2003 BPjM und ist neben Trägermedien wie Filme und Computerspiele auch für die Indizierung von Telemedien zuständig. Die KJM ist nicht ihre "Nachfolgerin", sondern ein gemeinsames Organ der Landesmedienanstalten, die den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien überwacht.

Da Du in der Wüste offenbar Internet hast, kannst Du Dir ja mal auf http://www.bundespruefstelle.de und http://www.kjm-online.de anschauen, wer genau was macht.

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Ehrlich gesagt ist das ein Bereich, der mich überhaupt nicht interessiert. Ich gucke keine Pornos und spiele keine Ballerspiele. Jugendlich bin ich auch nicht mehr. Da allerdings dieser Teil meines Studiums noch nach 2003 lag, stelle ich fest, dass auch veritable Professoren des öffentlichen Rechts das Geschehen nicht verfolgt haben und immer noch von dem Begriff BPjS weitergegeben haben. Immerhin habe ich jetzt etwas gelernt.

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das lustige an diesem fall ist ja, dass ausnahmsweise im gesetz explizit ein beurteilungsspielraum erwähnt wird. das ist sonst eigentlich nicht der fall, nicht mal in fällen, wo wirklich einer existiert.

sonst sehe ich aber keine notwendigkeit, einen beschränkt überprüfbaren beurteilungsspielraum anzunehmen. hier handelt es sich nicht um irgendwelche wertungsspielräume sondern um begriffsauslegung (pornographisch, gewaltdarstellungen). und gerade der begriff der pornographie steht ja schon lange im stgb drin und wird dort trotz unschärfe für verfassungsmäßig gehalten. da ist es ein wenig widersprüchlich, zu sagen, dass richter die wertung im strafrecht überprüfen können, aber im verwaltungsrecht nicht.

im übrigen ist die kjm selbst auch nicht pluralistisch zusammengesetzt, allenfalls ihre prüfkammern können es sein. deren zusammensetzung ist aber nicht im jmstv festgeschrieben. insofern fehlt es auch an den personellen voraussetzungen eines beurteilungsspielraums.

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Hier geht in der Tat einiges drunter und drüber - vielleicht der richtige Moment für den Beck-Blog-"Experten" einzuschreiten?

 

BPjS und wer die KJM ist, ist ja schon geklärt.

 

Dann aber: Pluralistisch zusammengesetzte "Prüfkammern" der KJM? Gesetzlich explizit erwähnter Beurteilungsspielraum? Da ist hoffentlich nicht § 20 Abs. 3 JMStV gemeint, oder?

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