Gerichtlich unüberprüfbarer Beurteilungsspielraum der KJM?
Gespeichert von Prof. Dr. Marc Liesching am
In der jüngeren Rechtsprechung und im Schrifttum ist umstritten und wird kontrovers diskutiert, ob der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) als zuständiges Aufsichtsorgan (vgl. §§ 14, 16 JMStV) bei der Bewertung von Jugendschutzfragen im Rundfunk und im Internet ein - gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer - Beurteilungsspielraum zukommt. Wollte man dies bejahen, so wären Aufsichtsentscheidungen der KJM wegen Verstößen der Anbieter gegen den Jugendschutz nur sehr eingeschränkt durch die VErwaltungsgerichte überprüfbar.
Das VG Augsburg nimmt im Beschluss vom 31.7.2008 (Au 7 S 08.659) einen Beurteilungsspielraum der KJM an. Zwar gebiete Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dass die Gerichte die Verwaltungstätigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht grundsätzlich vollständig überprüfen. Der Gesetzgeber könne jedoch der Verwaltung für bestimmte Fälle einen Beurteilungsspielraum einräumen und damit anordnen, dass sich die gerichtliche Nachprüfung auf die Einhaltung der rechtlichen Grenzen dieses Spielsraums zu beschränken habe. Dies sei der Fall,wenn der zu treffenden Entscheidung in hohem Maße wertende Elemente anhaften und das Gesetz für sie deshalb ein besonderes Verwaltungsorgan für zuständig erklärt, das weisungsfrei, mit besonderer fachlicher Legitimation und in einem besonderen Verfahren entscheidet. Dies sei bei der KJM der Fall, die als für den Jugendschutz sachverständiges Gremium tätig werde. Dies ergebe sich aus der Bindung der Entscheidung für die jeweils zuständige Landesmedienanstalt (§ 17 Abs. 1 S. 5 JMStV), der Aufgabenzuweisung der "abschließdenden Beurteilung von Angeboten" (§ 16 S. 1 JMStV) sowie der Einrichtung der KJM als Sachverständigengremium.
Demgegenüber kommt das VG Berlin im Urt. v. 28.01.2009 (VG 27 A 61.07) zu dem Ergebnis, der KJM komme bei der Prüfung von Rundfunksendungen kein (gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer) Beurteilungsspielraum zu. Bei der Anerkennung eines Beurteilungsspielraums sei nach Ansicht des Gerichts Zurückhaltung geboten, weil der Beurteilungsspielraum zu einer wegen Art. 19 Abs. 4 GG problematischen Einschränkung der Überprüfbarkeit von Verwaltungsentscheidungen führe. Ein Beurteilungsspielraums sei nur in den Fällen anzuerkennen, in denen eine wertende Prüfung eines sachverständigen Gremiums zeitgebunden und unwiederholbar ist, so dass durch die Besonderheiten der Entscheidung selbst oder durch die Art und Weise, wie sie getroffen wurden, ein eigenes Urteil einer diese Entscheidung überprüfenden Stelle ausgeschlossen ist. Diese Voraussetzungen lägen bei der Bewertung von Filmen auf ihre Jugendgefährdung jedoch schon aufgrund deren jederzeitiger Reproduzierbarkeit nicht vor. Dass eine Bewertung einen besonderen Sachverstand voraussetzt, mache die Einräumung eines Beurteilungsspielraums oder einer Entscheidungsprärogative für die erstentscheidende, sachkundig besetzte Verwaltungsbehörde ebenfalls nicht erforderlich, weil sich das Gericht bei fehlender eigener Sachkunde diese über einen Sachverständigen verschaffen kann. Es sei auch nicht so, dass die Bewertung der Einhaltung der Bestimmungen des JMStV stets besondere Sachkunde erfordern würde; vielmehr sei beispielsweise bei der Frage, ob ein Angebot nach § 4 JMStV unzulässig ist, lediglich der unbestimmte Rechtsbegriff im Tatbestandsteil der Verbotsvorschrift anhand einschlägiger weiterer Rechtsvorschriften zu subsumieren. Die Auslegung eines derartigen unbestimmten Rechtsbegriffs sei daher vom Gericht voll überprüfbar.
Was gilt nun? Der Gerichskontrolle entzogener Beurteilungsspielraum der KJM - Ja oder Nein?