OWi-Klassiker: Antrag auf gerichtliche Entscheidung bringt Verfolgungsverjährung

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.09.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht2|3172 Aufrufe

Die Verteidigung hatte einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, nachdem die Verwaltungsbehörde den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid als verspätet verworfen hatte. Danach wurde im Verfahren so langsam gearbeitet, dass die (nicht verlängerte Verjährungsfrist von 3 Monaten) gerissen wurde. Glück für den Betroffenen.

 

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. Februar 2023 aufgehoben.

 2. Das Verfahren wird eingestellt.

 3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

 Gründe:

 I.

 Die Polizei B. hat gegen den Betroffenen am 14. Dezember 2021 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 1500,00 Euro und ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt. Auf den am 6. Januar 2022 zugestellten Bußgeldbescheid reagierte der Betroffene mit einem am 7. Januar 2022 bei der Polizei eingegangenen Antrag auf Ratenzahlung und „Umwandlung des Fahrverbotes“. Die Polizei hat ihm Ratenzahlung gewährt und ihn am 11. April 2022 schriftlich aufgefordert, seinen Führerschein abzugeben, weil sie meinte, der Bußgeldbescheid sei insoweit rechtskräftig geworden. Mit Schriftsatz vom 31. März 2022 hat seine Verteidigerin Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt, den die Polizei mit Bescheid vom 26. April 2022 als unzulässig, weil verspätet, verworfen hat. Mit bei der Polizei am 5. Mai 2022 eingegangenen anwaltlichen Schreiben hat die Verteidigerin einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Zwecks Entscheidung darüber waren die Akten am 17. Mai 2022 beim Amtsgericht eingegangen. Das Gericht hat mit Beschluss vom 25. Juli 2022 den Bescheid der Polizei vom 26. April 2022 nur hinsichtlich der Rechtsfolge aufgehoben und i.Ü. den Antrag verworfen, weil es bereits das Schreiben des Betroffenen als ein auf die Rechtsfolge beschränkten Einspruch gegen den Bußgeldbescheid bewertet hat. Anschließend hat es die Akten zurückgesandt.

 Die Amtsanwaltschaft hat am 4. Oktober 2022 dem Amtsgericht die Akten vorgelegt, das den Betroffenen am 23. Februar 2023 auf der Grundlage des im Übrigen rechtskräftigen Bußgeldbescheides zu einer Geldbuße von 1270,00 Euro unter Gewährung von Ratenzahlung und einem Fahrverbot von zwei Monaten verurteilt hat. Zugleich hat es eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.

 Gegen das Urteil hat die Verteidigerin für den Betroffenen rechtzeitig die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsbeschwerde eingelegt, die auf die vollständige Aufhebung des Urteils und die Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung gerichtet ist.

 II.

 Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a Abs. 1 StPO.

 1. Auf die Sachrüge ist bereits v.A.w. zu prüfen, ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen (vgl. BGHSt 21, 242). Diese ergibt, dass Verfolgungsverjährung bereits eingetreten war, als die Amtsanwaltschaft die Akten am 4. Oktober 2022 dem Gericht nach § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG vorgelegt hat.

 a) Ausweislich des dem Senat im Wege des Freibeweises zugänglichen Akteninhalts hat der Betroffene die verfahrensgegenständliche Handlung am 13. August 2021 begangen. Da sein Aufenthalt nicht ermittelt werden konnte, hat die Polizei am 22. Oktober 2021 das Verfahren vorläufig eingestellt, wodurch der Lauf der dreimonatigen Verfolgungsverjährung unterbrochen wurde (§ 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG). Am 11. November 2021 hat sie die Anhörung des Betroffenen veranlasst, so dass bei Zustellung des Bußgeldbescheides vom 14. Dezember 2021 am 6. Januar 2022 die dreimonatige Verjährungsfrist nach §§ 31 Abs. 1 Nr. 9 OWiG, 26 Abs. 3 StVG noch nicht abgelaufen war. Die durch die Zustellung bewirkte Unterbrechung hatte nach § 26 Abs. 3 StVG zugleich die Verlängerung der Frist der Verfolgungsverjährung von drei auf sechs Monate zur Folge. Diese am 5. Juli 2022 abgelaufene Frist ist nicht erneut unterbrochen worden.

 b) Weder der Eingang der Akten beim Gericht am 17. Mai 2022 zwecks Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Betroffenen (§§ 69, 62 OWiG) noch die Rückgabe der Akten nach Erlass des Beschlusses haben zu einer weiteren Unterbrechung der Verfolgungsverjährung nach § 31 Abs. 1 Nr. 10 OWiG geführt. Denn die Übersendung der Akten hat keine Aktenübersendung i.S.v. § 69 Abs. 3 OWiG dargestellt, weil die hiesige Vorlage auf anderen als den in diesen Regelungen genannten Gründen beruhte (vgl. Gürtler/Thoma in Göhler OWiG 18 Aufl., § 33 Rn 33a f m.w.N.). Auch deren Rücksendung hat nicht der weiteren Aufklärung des Sachverhalts gedient, wie es § 69 Abs. 5 Satz 1 OWiG erfordert.

 c) Die Durchführung des Verfahrens nach §§ 69, 62 OWiG hat ebenfalls zu keiner weiteren Unterbrechung der Verjährung geführt. Zwar ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass auch die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (und gleiches gilt auch für die Gewährung der Wiederaufnahme eines Verfahrens) dazu führen kann, dass mit der Entscheidung über die Wiedereinsetzung die Frist der Verfolgungsverjährung erneut zu laufen beginnt (für die Wiedereinsetzung: OLG Stuttgart MDR 1986, 608; OLG Düsseldorf MDR 1988, 794; Gürtler/Thoma a.a.O., Vor § 31 Rn. 2b; Ellbogen in KK OWiG 5. Aufl., § 31 Rn. 37 – auch für die Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens). Das setzt aber jeweils voraus, dass der Bußgeldbescheid bereits vor der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und vor Eintritt der Verfolgungsverjährung tatsächlich in (Voll-)Rechtskraft erwachsen war (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. April 2019 – 1 Rb 7 Ss 39/19 –, juris m.w.N.).

 Es bedarf keiner Entscheidung, ob die hiesige Fallkonstellation der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder der Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens gleichsteht, weil jedenfalls der Bußgeldbescheid vor Eintritt der Verfolgungsverjährung am 5. Juli 2022 nicht in Rechtskraft erwachsen war. Der Betroffene hat mit dem Schreiben vom 7. Januar 2022 innerhalb der 14-tägigen Frist Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt. Infolgedessen war auch nach Auffassung der Polizei der Bußgeldbescheid nicht rechtskräftig geworden. Die Verwerfung des Einspruchs der Verteidigerin durch die Polizei am 26. April 2022 gegen den Bußgeldbescheid als unzulässig hat ebenfalls nicht zur Rechtskraft geführt, weil die Verteidigerin am 5. Mai 2022 und damit fristgerecht einen Antrag auf gerichtlichen Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt hat.

 Wegen der bereits am 5. Juli 2022 eingetretenen Verfolgungsverjährung ist offensichtlich, dass auch die Entscheidung des Gerichts über diesen Antrag am 25. Juli 2022 zu keiner weiteren Unterbrechung führen konnte.

 d) Selbst wenn das Gericht vor Ablauf des 5. Juli 2022 entschieden hätte, hätte dies zu keiner anderen Betrachtung geführt. Mit dem Beschluss hat das Gericht den Bescheid der Polizei in der Rechtsfolge aufgehoben; lediglich der Schuldspruch ist in Rechtskraft erwachsen. Denn nach den Ausführungen des Gerichts hat es das Schreiben des Betroffenen vom 7. Januar 2022 als ein auf die Rechtsfolge beschränkten Einspruch ausgelegt. Die damit eingetretene sog. horizontale Rechtskraft hat nicht die Rechtswirkung einer Vollrechtskraft und steht der Berücksichtigung von Verfahrenshindernissen nicht entgegen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Februar 1999 – 2 Ss (OWi) 14/99 – (OWi) 4/99 II –, juris m.w.N.).

 2. Da die Tat bereits vor Erlass des angefochtenen Urteils verjährt war, lag ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis im erstinstanzlichen Verfahren vor. Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil auf und stellt das Verfahren gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a StPO ein.

KG Beschl. v. 14.6.2023 – 3 ORbs 108/23 - 162 Ss 51/23, BeckRS 2023, 17447 

 

 

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2 Kommentare

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Moin Herr Krumm,

Sie betonen, dass die Verjährungsfrist (3 Monate) nicht verlängert worden sei. Das stimmt aber ausweislich des Urteils nicht. Natürlich wurde sie zweimal unterbrochen und durch den Bussgeldbescheid auf 6 Monate verlängert - immerhin bis zum 5. Juli 2022 (Tattag war der 13. August 2021).

Das Problem bestand darin, dass die Polizei das Schreiben des Betroffenen vom 7. Januar 2022 nicht als Einspruch erkannt hat und unverzüglich alles Notwendige unternommen hat, die Rechtskraft des Bescheides herbeizuführen oder durch Abweisung weitere Unterbrechungen zu provozieren, um dem Amtsgericht für ein Urteil erster Instanz Zeit verschafften. Sie hatten soviel Zeit wie immer in diesr Situation, haben diese aber wegen des Fehlers im Januar 2022 verpennt. Ein normaler Verlauf (verspäteter Einspruch und gerichtliche Entscheidung, die keine Wiedereinsetzung gewährt) wäre ja auch kein Problem gewesen, da sich danach nur noch die Frage der Vollstreckungsverjährung des bereits vor Monaten in Bestandskraft erwachsenen Bescheids gestellt haben würde. kein problem, da diese bei der Höhe der festgesetzten Geldbuße fünf Jahre beträgt (§ 34 Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

Vielleicht sollten die Beamten geschult werden, Anträge auf "Umwandlung des Fahrverbots" als Einsprüche anzusehen und zügig zu bescheiden (d.h. mit einer Einspruchsentscheidung abzulehnen). Natürlich hätte das Kammergericht Berlin untersuchen sollen, ob das Schreiben der Polizei vom 11. April 2022 als Einspruchsentscheidung (ohne Rb-Belehrung) zu werten ist, was die nötige Unterbrechung herbeigeführt hätte. Das fehlt mir ein wenig. Es gibt sicher Gründe, die gegen diese Auffassung sprechen. Aber lesen würde ich sie gerne im Beschluss.

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