Zurückverweisung nach § 69 Abs. 5 OWiG im OWi-Verfahren: Die Verwaltungsbehörde muss schon was ermitteln!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.08.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|1808 Aufrufe

Eine Entscheidung aus dem OWi-Recht, die StVZO-Probleme zum Gegenstand hat. Das AG Landstuhl hielt die Sache nicht ausermittelt und gab sie an die Verwaltungsbehörde zurück. Die schickte sie dann wieder ans AG - ohne zu ermitteln. Das AG war richtigerweise "not amused":

 

 

Die Sache wird gemäß § 69 Abs. 5 S. 2 OWiG endgültig an die Verwaltungsbehörde - Zentrale Bußgeldstelle bei dem Polizeipräsidium Rheinpfalz - zurückgegeben.

Gründe:

1. Die Verwaltungsbehörde hat die nach der (ersten) Zurückverweisung des Verfahrens durch Beschluss des hiesigen Gerichts vom 10.03.2023 gebotenen Nachermittlungen nicht vorgenommen, sondern vielmehr lediglich allgemeine Ausführungen zu ihrer Rechtsauffassung gemacht und Mutmaßungen zum Bestehen einer Gefährdungslage angestellt. Dies reicht nicht aus.

1.1 Zwar ist die Verwaltungsbehörde grundsätzlich auch nach einer (ersten) Zurückverweisung des Verfahrens aus Rechtsgründen nicht daran gehindert, die Sache sofort wieder über die Staatsanwaltschaft dem Gericht vorzulegen, jedoch hat die Vorschrift des § 69 Abs. 5 S. 2 OWiG gerade die Funktion, ein solches Vorgehen zu vermeiden (Gertler, in: BeckOK-OWiG, 38. Ed. 2023, § 69 Rn. 139). Denn es ist nicht zu erwarten, dass das Gericht den zuvor verneinten hinreichenden Tatverdacht einer Ordnungswidrigkeit anders beurteilt als zuvor, wenn ihm das Verfahren ohne weitere Aufklärung wieder vorgelegt wird. Aus diesem Grund ist es, abgesehen von Ausnahmefällen, regelmäßig aussichtslos und daher untunlich, dem Gericht - wie vorliegend - das Verfahren nach Zurückverweisung gem. § 69 Abs. 5 S. 1 OWiG sofort wieder über die Staatsanwaltschaft vorzulegen, ohne zuvor eine weitere Sachaufklärung veranlasst zu haben (Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 69 Rn. 59).

1.2
Hieran ändert es auch nichts, dass die Verwaltungsbehörde mit der erneuten Übersendung eigene, sich mit der Rechtsauffassung des Gerichts nicht deckende, Erwägungen zur Sach- und Rechtslage angestellt hat. Denn diese Erwägungen sind teilweise rechtsirrig und stehen zudem nicht im Einklang mit der hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung.

Soweit die Verwaltungsbehörde ausgeführt hat, die Betriebserlaubnis könne „nicht teilweise erlöschen“, ist ihr hierin zwar grundsätzlich zuzustimmen. Die Ausführungen lassen jedoch besorgen, dass der Beschluss des Gerichts vom 10.03.2023 von der Verwaltungsbehörde fehlverstanden worden ist. Denn in dem Beschluss wird an keiner Stelle die Behauptung aufgestellt, dass eine Betriebserlaubnis teilweise erlöschen könne. Vielmehr hat das Gericht lediglich darauf hingewiesen, dass das Fehlen einer allgemeinen Betriebserlaubnis für Teile (§ 22 StVZO), wie vorliegend die Felgen, für die auch eine Einzelbetriebserlaubnis nach §§ 21, 22 Abs. 2 S. 4 StVZO oder ein Nachtrag zur Betriebserlaubnis des Fahrzeugs (§ 22 Abs. 3, § 19 Abs. 3 Nr. 1 lit. b StVZO) nicht vorliegen, nicht im Sinne eines Automatismus dazu führt, dass gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StVZO auch die Betriebserlaubnis für das Fahrzeug erlischt. Vielmehr setzt dies voraus, dass die nachträgliche Veränderung mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer verursacht (so ausdrücklich BGH, BeckRS 2019, 35942 (Rn. 30 m.w.N.)).

Hiervon scheint auch die Verwaltungsbehörde grundsätzlich auszugehen, da sie hinsichtlich des Erlöschens der allgemeinen Betriebserlaubnis im vorliegenden Fall - im Ausgangspunkt noch zutreffend - auf die Regelung des § 19 Abs. 2 S. 2 StVZO abstellt. Indes ist die von der Verwaltungsbehörde gezogene Schlussfolgerung, aus dem Fehlen eines Zulässigkeitsnachweises für die Felgen sei auch auf das Vorliegen einer Gefährdung zu schließen, rechtsfehlerhaft.

Der Bundesgerichtshof hat hierzu ausgeführt (BGH, BeckRS 2019, 35942 (Rn. 31 f.), Hervorhebung durch das Gericht):

„Ausweislich der Gesetzesmaterialien ist weder die Veränderung von Fahrzeugteilen, deren Beschaffenheit vorgeschrieben ist, noch die bloße Möglichkeit einer Gefährdung ausreichend, um die Betriebserlaubnis gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StVZO erlöschen zu lassen (BR-Drucks. 629/93, S. 17; VGH Baden-Württemberg, a.a.O. [Anm. des Gerichts: Urteil vom 31. Mai 2011 - 10 S 1857/09, juris] Rn. 31; vgl. auch KG, a.a.O [Anm des Gerichts.: Beschluss vom 27. März 1998 - 2 Ss 341/97 - 3 Ws (B) 76/98, juris Rn. 7, 9]). Dem steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen (BR-Drucks. a.a.O.). Erforderlich ist daher, dass durch die nachträgliche Veränderung mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer geschaffen wird (VGH Baden-Württemberg, a.a.O.; OLG Köln, NZV 1997, 283, 284; KG, a.a.O. Rn. 9; OLG Düsseldorf, NZV 1996, 40, 41). Dabei lässt sich das Maß der für ein Erlöschen der Betriebserlaubnis erforderlichen Gefahr nicht abstrakt und absolut bestimmen. Denn der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad hängt von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter und dem Ausmaß des möglichen Schadens ab (VGH Baden-Württemberg, a.a.O. Rn. 32). Behörden und Gerichte haben daher für jeden konkreten Einzelfall zu ermitteln, ob die betreffende Veränderung - sei es durch unsachgemäßen Anbau eines an sich ungefährlichen Fahrzeugteils, sei es durch den Betrieb eines sachgerecht angebauten, aber gefährlichen Teils - eine Gefährdung von Verkehrsteilnehmern nicht nur für möglich erscheinen, sondern erwarten lässt (VGH Baden-Württemberg, a.a.O. Rn. 31, 32; OLG Köln, a.a.O.).

Die vereinzelt von Zivilgerichten vertretene Auffassung, die Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StVZO seien regelmäßig erfüllt, wenn Änderungen vorgenommen würden, die das Fahrverhalten beeinflussten, was bei Änderungen an Reifen, Felgen und Fahrzeugwerk ohne weiteres der Fall sei (OLG Bamberg, DAR 2005, 619), trifft daher nicht zu. Es mag zwar sein, dass bei Veränderungen an den Rädern eines Fahrzeugs ein Indiz für eine zu erwartende Gefährdung von Verkehrsteilnehmern besteht, weil sie für die Verkehrssicherheit von besonderer Bedeutung sind (KG, a.a.O. Rn. 9). Gleichwohl setzt die erforderliche Prognose der Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der Verkehrsteilnehmer Feststellungen zu Art und Typ der geänderten Bereifung, zu Art und Umfang der Abweichung vom Originalzustand und zu dem Einfluss der Abweichung auf die Verkehrssicherheit voraus (KG, a.a.O.).“

Ausreichend für eine Gefährdung im Sinne des § 19 Abs. 2 StVZO ist nicht bereits das Vorliegen einer abstrakten Gefährdung. Zum Erlöschen der allgemeinen Betriebserlaubnis reicht es daher nicht aus, wenn Änderungen vorgenommen wurden, aus denen eine Gefährdung von Verkehrsteilnehmern lediglich resultieren kann. Erforderlich ist vielmehr, dass durch die vorgenommenen Änderungen eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer mit einem gewissen Maß an Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies setzt allerdings umgekehrt auch nicht die Feststellung einer konkreten Gefährdung voraus, sondern lediglich ein gewisses Maß an Wahrscheinlichkeit (BGH, NJW 2020, 1287 (1288); OLG Düsseldorf, NZV 1995, 329 f.; OLG Koblenz, NStZ 2020, 430; VGH Mannheim, NJOZ 2012, 904 (905, Rn. 30 ff.); Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 47. Aufl. 2023, § 19 StVZO Rn. 8; jurisPK-StVR/Neu, 2. Aufl. 2022 (Werksstand), Aktualisierung 2/2023, § 19 StVZO Rn. 37).

Das Vorliegen des hiernach erforderlichen gewissen Maßes an Wahrscheinlichkeit für eine von den verwendeten Felgen ausgehende Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer hat die Verwaltungsbehörde vorliegend nicht zureichend ermittelt. Insbesondere ersetzen die von der Verwaltungsbehörde angestellten allgemeinen Erwägungen zur Gefährlichkeit nicht die gebotene Sachverhaltsaufklärung im Einzelfall.

Indem die Verwaltungsbehörde darauf abhebt, der Betroffene habe den ordnungsgemäßen Anbau zu keiner Zeit nachgewiesen, verkennt sie zudem die Beweislastverteilung im Bußgeldverfahren. Hier gilt (in gleicher Weise wie im Strafverfahren) nicht der Beibringungs-, sondern der Untersuchungsgrundsatz. Für eine Verurteilung ist es daher erforderlich, dass die Erwartbarkeit einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nachgewiesen ist; es ist hingegen nicht die Aufgabe des Betroffenen, das Nichtvorliegen einer erwartbaren Gefährdung zu beweisen. Die hierzu erforderliche Tatsachengrundlage zu ermitteln, ist (schon vor Erlass eines Bußgeldbescheids, da dieser anderenfalls gar nicht erst erlassen werden darf) Aufgabe der Verwaltungsbehörde. Sie ist, wie § 69 Abs. 5 OWiG zeigt, auch nach Abgabe des Verfahrens über die Staatsanwaltschaft an das Gericht nicht von der Durchführung erforderlicher (Nach-) Ermittlungen befreit. Das Gericht ist zwar berechtigt, erforderlich werdende weitere Ermittlungen im Einzelfall auch selbst durchzuführen; eine Verpflichtung hierzu besteht jedoch nicht. Die grundlegende Aufklärung des Sachverhalts ist Aufgabe der Verwaltungsbehörde, die sie nicht auf das Gericht abwälzen kann.

Dieser Aufklärungspflicht ist die Verwaltungsbehörde vorliegend, trotz Zurückverweisung des Verfahrens an sie gem. § 69 Abs. 5. S. 1 OWiG wegen offensichtlich ungenügender Aufklärung des Sachverhalts durch Beschluss des hiesigen Gerichts vom 10.03.2023, nicht nachgekommen. Es wäre vielmehr geboten gewesen, entweder die mit der Fahrzeugkontrolle befassten Polizeibeamten ergänzend zu befragen oder notfalls sogar sachverständige Hilfe zum Vorliegen einer erwartbaren Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer in Anspruch zu nehmen. Sofern die Verwaltungsbehörde der Auffassung gewesen wäre, dass der Tatnachweis mit zumutbarem Ermittlungsaufwand nicht zu führen gewesen wäre, hätte es ihr auch freigestanden, das Verfahren (ggf. unter Opportunitätsgesichtspunkten) einzustellen, da sie nach der (ersten) Zurückverweisung des Verfahrens nach § 69 Abs. 5 S. 1 OWiG wieder zur Herrin des Verfahrens geworden ist. Eine erneute Übersendung an das Gericht hätte dann unterbleiben können.

Ein hinreichender Tatverdacht besteht jedenfalls nach wie vor nicht. Die Sache ist daher gem. § 69 Abs. 5 S. 2 OWiG endgültig an die Verwaltungsbehörde zurückzugeben.

2. Für die weitere Bearbeitung weist das Gericht darauf hin, dass die Verwaltungsbehörde an die endgültige Rückgabe des Verfahrens gebunden ist. Dies hat zur Folge, dass die mutmaßliche Tat nicht mehr unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Insbesondere ist es der Verwaltungsbehörde verwehrt, den Bußgeldbescheid zurückzunehmen und wegen derselben prozessualen Tat einen neuen Bußgeldbescheid, ggf. auch unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt, gegen den Betroffenen zu erlassen (vgl. etwa Gertler, in: BeckOK-OWiG, 38. Ed. 2023, § 69 Rn. 145).

3. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 69 Abs. 5 S. 3 OWiG).

 

AG Landstuhl, Beschl. v. 10.07.2023 - 1 OWi 4396 Js 6726_23 jug

 

 

 

Ach so. Es geht um diese natürlich zu gendernde Norm (§ 69 Abs. 5 OWiG):

Bei offensichtlich ungenügender Aufklärung des Sachverhalts kann d. Richter*in beim Amtsgericht die Sache unter Angabe der Gründe mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft an die Verwaltungsbehörde zurückverweisen; diese wird mit dem Eingang der Akten wieder für die Verfolgung und Ahndung zuständig. Verneint d. Richter*in beim Amtsgericht bei erneuter Übersendung den hinreichenden Tatverdacht einer Ordnungswidrigkeit, so kann er die Sache durch Beschluß endgültig an die Verwaltungsbehörde zurückgeben. Der Beschluß ist unanfechtbar.

 

 

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