BGH: Strafbares Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen bei Scheinselbständigkeit

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 20.06.2023

Ein Rechtsanwalt, der Kolleginnen und Kollegen als "freie Mitarbeiter" beschäftigt, deren Tätigkeit aber so steuert und kontrolliert, dass sich das Rechtsverhältnis sozialversicherungsrechtlich als Beschäftigung iSv. § 7 Abs. 1 SGB IV darstellt, macht sich wegen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (Sozialversicherungsbeiträgen) nach § 266a StGB strafbar. Dass die "freien Mitarbeiter" aus der gewährten Vergütung selbst ihre Beiträge zum Rechtsanwaltsversorgungswerk, der Kranken- und Pflegeversicherung abgeführt haben, hebt die Strafbarkeit des Arbeitgebers nicht auf, ist allerdings bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Das hat der BGH entschieden.

Zwar sahen die schriftlichen Verträge zwischen dem Angeklagten und den Rechtsanwälten vor, dass diese als "freie Mitarbeiter" tätig sein sollten. In der tatsächlichen Durchführung (vgl. § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB) aber gerierte sich der Angeklagte wie ein Arbeitgeber mit weitgehendem Direktionsrecht:

(Rn. 16:) Die festgestellte Weisungsgebundenheit der Rechtsanwälte ging deutlich über das sich aus Sachgegebenheiten und -zwängen ergebende Maß hinaus. Zutreffend hat das Landgericht insoweit in seine Wertung eingestellt, dass dem Angeklagten hinsichtlich aller zwölf Rechtsanwälte ein von ihm ausgeübtes Weisungsrecht zustand, mit dem er Arbeitszeiten, Ort sowie Art und Inhalt der Tätigkeit der Rechtsanwälte bestimmen konnte. Etwa legte der Angeklagte konkret fest, dass die Rechtsanwälte, sofern nicht durch Gerichts- oder Mandantentermine verhindert, während des Kanzleibetriebs vor Ort sein mussten, sie ihre Abwesenheiten einzutragen hatten und ihre Urlaubszeiten mit ihm abstimmen mussten. Er entschied zudem, wer welche Termine wahrzunehmen hatte (…). Zutreffend hat das Landgericht auch in den Blick genommen, dass der Angeklagte nicht nur Erwartungen äußerte, sondern an die Einhaltung der Anwesenheitspflicht anlassbezogen erinnerte und Fehlzeiten beanstandete (…) und mithin im Ergebnis Weisungen erteilte.

Das Landgericht Traunstein (Urt. vom 14.1.2022 - 6 KLs 280 Js 102098/16) hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 189 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Daneben hat es gegen den Angeklagten eine Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 200 Euro verhängt sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 118.850,58 Euro angeordnet, „soweit nicht eine Verrechnung mit den freiwillig geleisteten Krankenversicherungs-/Pflegeversicherungsbeiträgen erfolgt“.

Die Revision des Angeklagten wegen des Schuldspruchs blieb beim 1. Strafsenat des BGH erfolglos. Dagegen hatte sie, ebenso wie diejenige der Staatsanwaltschaft, hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg. Das Landgericht wird die Strafzumessung neu vornehmen müssen.

BGH, Urt. vom 8.3.2023 - 1 StR 188/22, BeckRS 2023, 10741

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