Angeborener Herzfehler = Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.04.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht2|1608 Aufrufe

Verkehrsverwaltungsrecht wirkt oftmals "kalt". So auch hier, obgleich die Entscheidung sicher vollkommen richtig ist. Der Betroffene hat einen recht schweren angeborenen Herzfehler. Und laut Gutachten mangelt es ihm an Krankheitseinsicht und Compliance. Verwaltungsbehörde, VG und VGH halten den Betroffenen nachvollziehbar für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen: 

 

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

 II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

 Gründe: 

 I.

 Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B (einschließlich Unterklassen) und der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins.

 Der am … … 1989 geborene Antragsteller leidet einem ärztlichen Fahreignungsgutachten der … GmbH vom 21. September 2017 zufolge an einem angeborenen Herzfehler, bei dem die Haupt- und die Lungenschlagader aus der rechten Pumpkammer entspringen (double inlet right ventricle – DORV). Er sei deswegen im Kleinkindalter operiert worden. 2015 seien Herzrhythmusstörungen aufgetreten, die erfolgreich therapiert worden seien. Ärztlich seien Bisoprolol zur Senkung des Blutdrucks und der Herzfrequenz sowie Marcumar zur Hemmung der Blutgerinnung verordnet worden. Das Gutachten empfahl eine Nachuntersuchung nach zwei Jahren.

 Mit Schreiben vom 14. Oktober 2021 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Vorlage eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens innerhalb von drei Monaten auf. Das vom Antragsteller nach Fristverlängerung vorgelegte Gutachten der … GmbH vom 3. März 2022 (Versandtag) kommt zu dem Ergebnis, der Antragsteller sei aufgrund einer instabilen Herzleistungsschwäche mit Symptomen eines chronischen Sauerstoffmangels, niedrigen Herzzeitvolumens und deutlichen Rückflusses bei Rechtsherzbelastung schon bei leichter körperlicher Betätigung (NYHA III) mit der Komplikation einer stauungsbedingten Leberfibrose/-insuffizienz dauerhaft nicht in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 gerecht zu werden. Das Gutachten begründet das für den Antragsteller negative Ergebnis mit einer unzureichenden Krankheitseinsicht und Compliance in die ärztlichen Behandlungsempfehlungen. Er sei in der regelmäßigen Einnahme des Beta-Blockers nicht zuverlässig und habe die empfohlene Dosiserhöhung nicht durchgeführt, obwohl im Juli 2021 notarztbedürftige tachykarde Herzrhythmusstörungen aufgetreten seien und er auch aktuell wöchentlich Phasen schnelleren Herzschlags bemerke, die das Risiko für eine kardiale Dekompensation (instabile Herzinsuffizienz) deutlich erhöhten. Einem Arztbrief des Deutschen Herzzentrums vom 20. Januar 2022 zufolge bemerke der Antragsteller wöchentlich mehrfach für kurze Zeit einen beschleunigten Herzschlag, vor allem wenn er die Einnahme von Bisoprolol vergessen habe. Die vorgeschlagene Steigerung von Bisoprolol und die Umstellung von Marcumar auf ein nicht orales Antikoagulanz habe er nicht vorgenommen.

 Nach Anhörung, in deren Rahmen der Antragsteller einen hausärztlichen Befundbericht vorlegen ließ, entzog ihm die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 12. April 2022 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn zur Abgabe des Führerscheins. Das ärztliche Fahreignungsgutachten begegne keinen Bedenken; das Ergebnis sei nachvollziehbar und schlüssig begründet worden.

 Über die gegen den Bescheid (mit Ausnahme der Entziehung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung) erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 29. November 2022 abgelehnt. Die Entziehung der Fahrerlaubnis stelle sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig dar. Es bestünden keine durchgreifenden Bedenken gegen die Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit des Fahreignungsgutachtens, das sich hinsichtlich der kardiologischen Befundlage im Wesentlichen auf den Arztbrief des Deutschen Herzzentrums vom 20. Januar 2022 stütze. Auch die weitere Beurteilung der Krankheitseinsicht und Therapietreue sei nachvollziehbar. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus dem vorgelegten Attest der behandelnden Hausärztin vom 28. März 2022 und dem nachträglichen Vorbringen des Antragstellers, über die Weckfunktion seines Handys eine Medikamenteneinnahme zu gewährleisten.

 Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt, lässt der Antragsteller ausführen, die „lebenslängliche“ Entziehung der Fahrerlaubnis sei rechtswidrig. Die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht hätten die Tatsachenlage nicht eigenständig bewertet, sondern die „medizinische Vorstellung“ der Gutachterin, die für die juristische Bewertung nicht zuständig sei, unreflektiert übernommen. Das Gutachten sei nur eine Momentaufnahme und stelle keinen inneren Zusammenhang zwischen den allgemeinen Anforderungen und dem Fall des Antragstellers her. Der Erstrichter habe die Gutachterin fernmündlich unter Ausschluss der Parteien befragt, nicht aber die den Antragsteller behandelnde Ärztin, die bestätigt habe, dass er kardiopulmonal stabil sei. Der Antragsteller werde medizinisch sachgerecht betreut, sei über seine Beeinträchtigung aufgeklärt und habe diese verstanden. Auf die Pflicht zur Einnahme von Bisoprolol werde er zweimal täglich durch die Weckfunktion seines Handys aufmerksam gemacht. Für seine Therapietreue sprächen auch sein geregelter Lebensrhythmus und seine gewissenhafte Berufstätigkeit als Buchhalter. Im Vergleich zur Allgemeinheit bestehe auch unter Berücksichtigung des einmaligen Vorfalls im Jahr 2021, bei dem der Antragsteller in seinem Auto ein Unwohlsein empfunden und nach Abstellen des Fahrzeugs die Sitzlehne so weit zurückgestellt habe, dass er zum Liegen gekommen sei, kein relevant gesteigertes Risiko. Er habe dabei keinen Kontrollverlust erlitten und sich immer einwandfrei im Straßenverkehr verhalten. Eine Umstellung der Medikation oder gar eine Transplantation kämen nicht in Betracht.

 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

 II.

 Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Aus den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.

 1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310, 919), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch das zum 1. Januar 2022 in Kraft getretene Gesetz vom 7. Mai 2021 (BGBl I S. 850), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch das zum 1. März 2022 in Kraft getretene Gesetz vom 16. März 2020 (BGBl I S. 497), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Bei Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung, insbesondere bei Hinweisen auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV, kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 2 FeV die Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens anordnen.

 Das von der Antragsgegnerin angeordnete und vom Antragsteller vorgelegte ärztliche Fahreignungsgutachten kommt schlüssig und nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass die Fahreignung des Antragstellers jedenfalls im Zeitpunkt der Untersuchung nicht gegeben war.

 Zwar weist der Bevollmächtigte des Antragstellers zutreffend darauf hin, dass es Sache der Fahrerlaubnisbehörde ist, mit Außenwirkung gegenüber dem Betroffenen darüber zu entscheiden, ob er den Anforderungen an die Fahreignung genügt oder nicht. Mangels medizinischer Fachkompetenz hat sie hierzu jedoch in Zweifelsfragen die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens anzuordnen, das Grundlage der im Rahmen der §§ 11, 13 oder 14 FeV vorzunehmenden Beurteilung ist, ob im Einzelfall Eignung oder bedingte Eignung vorliegt (Vorbemerkung Nr. 2 der Anlage 4 zur FeV).

 Für die Durchführung der Untersuchung und die Erstellung des Gutachtens, das nachvollziehbar und nachprüfbar sein muss, gelten die in Anlage 4a zur FeV genannten Grundsätze (§ 11 Abs. 5 FeV). Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens. Sie erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen. Die Nachprüfbarkeit betrifft die Wissenschaftlichkeit der Begutachtung. Sie erfordert, dass die Untersuchungsverfahren, die zu den Befunden geführt haben, angegeben und, soweit die Schlussfolgerungen auf Forschungsergebnisse gestützt sind, die Quellen genannt werden (Nr. 2 der Anlage 4a Buchst. a zur FeV). Beigestellte Befunde, die bei der Fahreignungsbegutachtung berücksichtigt werden, müssen im Original vorliegen und vom Aussteller unterzeichnet sein (Nr. 6 Buchst. a der Anlage 4a zur FeV).

 Unstreitig leidet der Antragsteller an einem angeborenen Herzfehler (double inlet right ventricle – DORV). Bei einer Herzleistungsschwäche durch angeborene oder erworbene Herzfehler oder sonstige Ursachen in Form einer NYHA III (Beschwerden bei geringer körperlicher Belastung) setzt die Fahreignung nach Nr. 4.5.3 der Anlage 4 zur FeV für Fahrerlaubnisse der Gruppe 1 (u.a. Klasse B) voraus, dass die fachärztlich zu untersuchende Herzinsuffizienz als stabil einzustufen ist. Nach Nr. 3.4.8. der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Stand 1.6.2022), die nach Anlage 4a zur FeV Grundlage für die Eignungsbeurteilung sind, steht bei angeborenen Herzerkrankungen die individuelle Beurteilung im Vordergrund; auch müssen die Komplexität und die damit verbundenen Risiken (Arrhythmie, plötzlicher Herztod) der zugrunde liegenden Erkrankung berücksichtigt werden. Eine kardiologische Untersuchung ist notwendig.

 Die Antragsgegnerin hat das vom Antragsteller in Auftrag gegebene und vorgelegte ärztliche Fahreignungsgutachten nicht ungeprüft übernommen, sondern – wie in ihrem Schreiben an den Antragsteller vom 16. März 2022 ausgeführt – auf Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit geprüft. Anhaltspunkte für Zweifel am gutachterlichen Ergebnis haben sich dabei nicht ergeben. Gleiches gilt für die nochmalige Prüfung des Gutachtens durch das Ausgangsgericht. Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers beanstandet, dass der Berichterstatter und Einzelrichter telefonisch bei der Gutachterin um Erläuterung des hinsichtlich der verneinten Fahreignung verwendeten Begriffs „dauerhaft“ gebeten hat, ergeben sich daraus keine Bedenken. Vielmehr sah sich das Gericht zu dieser Nachfrage aufgrund seiner auch im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens geltenden Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und zur eigenständigen Würdigung des Gutachtens veranlasst. Dem hierzu den Beteiligten übermittelten Gesprächsvermerk ist zu entnehmen, dass der Begriff „dauerhaft“ nach dem Verständnis der Gutachterin die aktuelle Situation betreffe und nicht bedeute, dass sich das Ergebnis aufgrund zukünftiger medizinischer Maßnahmen nicht verändern könne. Das Gericht hat den Beteiligten die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen einer Woche nach Übersendung des Gesprächsvermerks eingeräumt, wovon der Bevollmächtigte des Antragstellers nach Fristablauf, aber noch vor der angefochtenen Entscheidung Gebrauch gemacht hat. Damit hat das Gericht den Beteiligten in gebotenem Umfang (Art. 103 Abs. 1 GG) rechtliches Gehör gewährt.

 Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers die Qualifikation der Gutachterin anzweifelt (ähnlich auch in seiner Stellungnahme vom 22. November 2022: „Berufsanfängerin in Aushilfstätigkeit?“), ergeben sich daraus keine durchgreifenden Bedenken gegen das Gutachten. Die Begutachtungsstelle, für die die Gutachterin tätig ist, ist nach § 66 FeV amtlich anerkannt. Voraussetzung hierfür ist unter anderem, dass die personelle Ausstattung mit einer ausreichenden Anzahl von medizinischen und psychologischen Gutachtern sichergestellt ist, wobei die medizinischen Gutachter Arzt mit mindestens zweijähriger klinischer Tätigkeit oder Facharzt (insbesondere innere Medizin, Psychiatrie, Neurologie) sein und zusätzlich über mindestens einjährige Praxis in der Begutachtung der Eignung von Kraftfahrern in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung verfügen müssen (Nr. 2 Buchst. a der Anlage 14 zur FeV). Dass die Gutachterin, die den Antragsteller untersucht und die Fremdbefunde ausgewertet hat, nicht hinreichend qualifiziert wäre, ist nicht ersichtlich. Das Gutachten beruht, wie das Ausgangsgericht zutreffend ausgeführt hat, auf einem Arztbrief des Deutschen Herzzentrums vom 20. Januar 2022, der aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Antragstellers am 13. Januar 2022 erstellt wurde. Dieser von der Gutachterin verwertete Arztbrief befindet sich zwar nicht in den Akten der Antragsgegnerin; er hat jedoch der Gutachterin vorgelegen (vgl. insoweit Nr. 6 Buchst. a der Anlage 4a zur FeV) und wird im Gutachten (S. 14 bis 16) ausführlich wiedergegeben. Danach bemerke der Antragsteller „mehrfach die Woche für kurze Zeit einen beschleunigten Herzschlag, vor allem wenn er die Einnahme von Bisoprolol vergesse. Die vorgeschlagene Steigerung von Bisoprolol habe er nicht vorgenommen, ebenso nicht die Umstellung von Marcumar auf ein NOAK (nicht orales Antikoagulanz), wie zum Beispiel Apixaban.“ Hierzu wird im Arztbrief des Deutschen Herzzentrums auf den Verdacht eines leichten, medikamentös bedingten toxischen Leberschadens (erhöhte Gamma-GT und Ferritinwerte) hingewiesen und die Empfehlung ausgesprochen, von Marcumar auf ein NOAK umzustellen und eine Lebersprechstunde aufzusuchen. Insoweit hat die Gutachterin auch die eigenen Angaben des Antragstellers über den kardialen Zwischenfall mit Herzrasen im Juli 2021 berücksichtigt, der darauf zurückzuführen sei, dass er über drei Tage die Einnahme von Bisoprolol vergessen habe (Gutachten S. 7 und 17). Auch wenn die Gutachterin den Antragsteller dahingehend missverstanden haben mag, dass der Vorfall sich in einem Park (und nicht, wie nunmehr angegeben, in seinem Fahrzeug auf einem Parkplatz) ereignet habe, trifft jedenfalls die Feststellung im Gutachten zu, dass der Antragsteller die Einnahme von Bisoprolol wiederholt vergessen oder unterlassen habe und damit zumindest einmal – wenn auch ohne Synkopen (wie im Gutachten zutreffend ausgeführt) – in eine kritische Situation geraten ist. Der Schluss der Gutachterin auf nicht ausreichende Krankheitseinsicht und fehlende Compliance in die ärztlichen Behandlungsempfehlungen (S. 18 des Gutachtens) und ein dadurch erhöhtes Risiko für eine kardiale Dekompensation (instabile Herzinsuffizienz) ist damit nachvollziehbar.

 Diese Bewertung hat der Antragsteller durch den Befund seiner Hausärztin vom 28. März 2022 nicht entkräftet. Zwar kann der Fahrerlaubnisinhaber Eignungszweifel bei medizinischen Fragen unter Umständen durch andere aussagekräftige Beweismittel ausräumen (BayVGH, B.v. 4.9.2019 – 11 ZB 19.1178 – juris Rn. 18; B.v. 18.3.2019 – 11 CS 19.387 – juris Rn. 13; B.v. 24.3.2016 – 11 CS 16.260 – ZfSch 2016, 295 = juris Rn. 13). Das setzt allerdings voraus, dass keinerlei Restzweifel hinsichtlich der Fahreignung mehr verbleiben, weil aus den hierzu vorgelegten Unterlagen eindeutig auch für den medizinisch und psychologisch nicht geschulten Laien nachvollziehbar hervorgeht, dass die ursprünglichen Bedenken unbegründet sind (BayVGH, B.v. 20.3.2020 – 11 ZB 20.145 – ZfSch 2020, 295 = juris Rn. 12; B.v. 1.2.2023 – 11 CS 22.2141 – juris Rn. 19). Hierfür ist jedoch das vorgelegte hausärztliche Attest nicht ausreichend. Abgesehen davon, dass Befunde des den Betroffenen behandelnden Arztes zwar in die Begutachtung und Beurteilung der Fahreignung einfließen können, der behandelnde Arzt jedoch kein Fahreignungsgutachten erstellen soll (§ 11 Abs. 2 Satz 5 FeV), bestätigt die Hausärztin des Antragstellers lediglich eine behandlungsrelevante Dauerdiagnose (Herzinsuffizienz NYHA II-III, Zustand nach Pulmonalstenose, Antikoagulation mit NOAK); ferner, dass der Antragsteller regelmäßig und zuverlässig die Termine wahrnehme, kardiopulmonal stabil sei und dass es zu keinem Notarzteinsatz in der Praxis gekommen sei. Allein damit ist jedoch die auf dem Befund des Deutschen Herzzentrums beruhende Einschätzung der Gutachterin, zu der sich die Hausärztin des Antragstellers nicht äußert, nicht widerlegt.

 Auch der Einwand, bisher seien noch keine krankheitsbedingten Auffälligkeiten des Antragstellers im Straßenverkehr festgestellt worden, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Zum einen gibt der Antragsteller selbst an, dass er bei dem Zwischenfall im Juli 2021 in seinem Fahrzeug gesessen habe, wodurch auch bei einem nicht bewegten Fahrzeug ein Zusammenhang mit dem Straßenverkehr besteht. Außerdem hat er offenbar noch während der Fahrt ein Herzrasen bemerkt und konnte das Fahrzeug noch anhalten, den Notarzt alarmieren und sich in Liegeposition begeben (so jedenfalls die Darstellung seines Bevollmächtigten). Zum anderen sind sämtliche in Anlage 4 zur FeV aufgeführten Herz- und Gefäßkrankheiten (Nr. 4) hinsichtlich der Fahreignung unabhängig davon fahreignungsrelevant, ob es bereits zu Auffälligkeiten des Betroffenen im Straßenverkehr gekommen ist oder nicht.

 Schließlich führt auch die Angabe des Antragstellers, die Einnahme von Bisoprolol nunmehr über die Erinnerungsfunktion seines Smartphones sicherzustellen, nicht dazu, dass das gutachterliche Ergebnis nicht nachvollziehbar oder aus anderen Gründen zu beanstanden wäre. Gleiches gilt für seine Berufstätigkeit als Buchhalter. Etwaige Änderungen im Lebenswandel des Antragstellers oder in der Therapie einschließlich der Zuverlässigkeit der Medikamenteneinnahme können allenfalls im Rahmen einer erneuten fachärztlichen Fahreignungsbegutachtung anlässlich eines Verfahrens zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis berücksichtigt werden.

VGH München Beschl. v. 15.2.2023 – 11 CS 22.2573, BeckRS 2023, 2743 

 

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2 Kommentare

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Richtige Entscheidung! Ich hatte einmal einen Fall, in dem meine Mandantin durch einen Epileptiker bei einem Autounfall allerschwerst geschädigt wurde und dann damals nicht einmal Schmerzensgeld bekam, weil der Unfall durch den Epileptiker nach den Feststellungen nicht verschuldet war. Am Straßenverkehr sollten nur gesunde oder ganz sicher therapierte Personen teilnehmen, so schwer das für die betreffende Person auch sein mag.

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Zu Ihren Fall, Nein. In Ihren Beitrag ist vermerkt, dass die Person nach den Feststellungen nicht schuldig war. Es kann außerdem nicht sein, dass sich Unfallverursacher dann über Gesundheitsbeschreibungen der Gegenseite beschweren. Es gibt keine völlig gesunden Menschen. 

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