BAG bestätigt neue Linie zur Fristenkontrolle bei der Anhörung des Integrationsamts

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 24.08.2021
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht1|1895 Aufrufe

Hat das Integrationsamt seine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung erteilt oder gilt sie gemäß § 174 Abs. 3 Satz 2 SGB IX als erteilt, haben die Gerichte für Arbeitssachen nicht zu prüfen, ob der Arbeitgeber die Zustimmung innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis vom Kündigungsgrund beantragt hat (§ 174 Abs. 2 SGB IX). Dies fällt in die alleinige Prüfungskompetenz der Verwaltungsgerichte.

Das hat das BAG erneut entschieden und damit seine jüngere Rechtsprechungslinie bestätigt.

Die durch das Integrationsamt erteilte Zustimmung zur Kündigung entfaltet - vorbehaltlich ihrer Nichtigkeit (§ 40 SGB X) - so lange Wirksamkeit, wie sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist. Widerspruch und Anfechtungsklage entfalten keine aufschiebende Wirkung (§ 171 Abs. 4 SGB IX). Für die Berechtigung des Arbeitgebers, auf der Grundlage des Zustimmungsbescheids die Kündigung zunächst zu erklären, ist es folglich ohne Bedeutung, ob die Zustimmung vom Widerspruchsausschuss oder einem Gericht aufgehoben wird, solange die betreffende Entscheidung nicht bestands- bzw. rechtskräftig ist.

Hat das Integrationsamt über den Antrag des Arbeitgebers in der Sache entschieden, sind die Arbeitsgerichte hieran gebunden (§ 39 SGB X), und zwar auch (und gerade) dann, wenn die Entscheidung rechtswidrig war. Diese Bindungswirkung hindert sie daran, selbständig zu prüfen, ob der Arbeitgeber den Antrag fristgerecht gestellt und damit die Frist des § 174 Abs. 2 SGB IX gewahrt hat. Die Kündigung scheitert damit nicht an der verspäteten Antragstellung, wenn das Integrationsamt die Zustimmung fälschlich erteilt hat (BAG, Urt. vom 11.6.2020 - 2 AZR 442/19, NZA 2020, 1326; bereits angedeutet in BAG, Urt. vom 27.2.2020 - 2 AZR 390/19, NZA 2020, 717; aA Sandmann RdA 2020, 309 (310 ff.) und früher auch BAG, Urt. vom 2.3.2006 - 2 AZR 46/05, NZA 2006, 1211; Urt. vom 1.2.2007 - 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744).

Diese neue Linie hat das BAG nun erneut bestätigt.

BAG, Urt. vom 22.7.2021 - 2 AZR 193/21, BeckRS 2021, 21221

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Über diese Weisheit freuen sich alle Beteiligten. Der Arbeitnehmer, der nun stets zwei Gerichtsbarkeiten ansteuern muss sowie der Arbeitgeber, der selbst nach erfolgreichem Auftritt vor dem LAG noch 5-6 Jahre auf Rechtssicherheit warten darf. Nach meiner Erfahrung fängt die Verwaltungsgerichtsbarkeit erst an, den Fall zu bearbeiten, wenn der zugehörige Fall beim LAG entschieden ist.

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