Begründung des BVerfG zur Ablehnung einstweiliger Anordnungen gegen Teile des Arbeitsschutzkontrollgesetzes liegt vor

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 11.01.2021
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht3|4028 Aufrufe

Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat – wie bereits berichtet (vgl. Beitrag vom 6.1.2021) - am 29. Dezember 2020 mehrere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit denen verhindert werden sollte, dass Teile des am 30. Dezember 2020 verkündeten Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz (Arbeitsschutzkontrollgesetz) zum 1. Januar 2021 in Kraft treten. Nunmehr liegt auch die Begründung vor. Danach sind die Anträge auf Eilrechtsschutz teilweise bereits unzulässig, weil nicht hinreichend dargelegt wurde, dass durch ein Abwarten bis zum Abschluss der Verfahren über die noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerden die geforderten schweren, kaum oder nicht reversiblen Nachteile entstehen. Soweit gravierende Nachteile dargelegt wurden, haben die Anträge in der Sache keinen Erfolg, da die Interessen der Antragstellenden gegenüber den Zielen des Gesetzgebers nicht eindeutig überwiegen. Teils wären noch zu erhebende Verfassungsbeschwerden auch von vornherein unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen an die Subsidiarität genügten, denn die Frage, ob die neuen Verbote auf Tätigkeiten im Umfeld des Kernbereichs der Fleischwirtschaft überhaupt Anwendung finden, ist zunächst fachgerichtlich zu klären.

Interessant sind die Ausführungen zur (mangelnden) Begründetheit der Anträge. Diese lauten im Wortlaut wie folgt:

„2. (…) Die Interessen der Antragstellenden überwiegen nicht eindeutig gegenüber den Zielen des Gesetzgebers.

a) Tatsächlich trifft die Antragstellenden mit der Neuregelung ein sektorales Tätigkeitsverbot im Kernbereich der Fleischwirtschaft. Es ist plausibel dargelegt, dass eine Rückkehr in das Geschäft der Werkvertragsunternehmen schwer möglich sein wird, sollten sich die Neuregelungen als verfassungswidrig erweisen. Doch ist insbesondere eine drohende Existenzgefährdung nicht in der gebotenen nachvollziehbaren, individualisierten und konkreten Weise dargelegt. Allgemeine oder nur mit Gesamtbeträgen bezifferte Verweise auf laufende Kosten aus Mietverträgen zur Unterbringung der Arbeitskräfte, aus Leasingverträgen für Fahrzeuge für ihren Transport und aus Arbeitsverträgen tragen insoweit nicht.

b) Auch im Übrigen haben die Anträge in der Sache jedoch keinen Erfolg. Es ist nicht erkennbar, dass die Interessen der Antragstellenden gegenüber den Zielen des Gesetzgebers und weiteren schützenswerten Belangen so eindeutig überwiegen, dass sie bis zu einer Klärung der Verfassungsgemäßheit der angegriffenen Regelungen von deren Wirkungen verschont werden müssten.

aa) Erginge die einstweilige Anordnung und hätte die Verfassungsbeschwerde letztlich keinen Erfolg, würden die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele in diesem Zeitraum nicht verwirklicht. Im Kernbereich der Fleischwirtschaft wäre weiter Fremdpersonal tätig. Dort, wo Werkvertragsunternehmen weiter eingesetzt würden, wäre die arbeitsschutzrechtliche Verantwortung vor Ort weiterhin aufgespalten. Der Gesetzgeber geht nachvollziehbar davon aus, dass dies den Arbeitsschutzbehörden Kontrollen erschwert. Es liegt auch nahe, dass die gespaltene Verantwortung vor Ort den Beschäftigten selbst die Durchsetzung ihrer Schutzansprüche und fairer Arbeitsbedingungen erschwert. Weiter wären Beschäftigte im Rahmen von Werkverträgen und Leiharbeitskräfte nebeneinander tätig, was in der Praxis zu unübersichtlichen Verhältnissen und Verantwortlichkeitsdefiziten führt wie auch, aufgrund der Konkurrenz bei sehr hohem Arbeitsdruck, ungesicherter Fachqualifikation und Einarbeitung, zu Verstößen gegen arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen und zu den in diesem Sektor überdurchschnittlich häufigen Arbeitsunfällen.

bb) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, entstünden den Werkvertragsunternehmen durchaus gewichtige Nachteile. Ihnen wird ihre Tätigkeit nicht verboten, aber doch sektoral beschränkt, denn sie dürfen im Kernbereich der Fleischwirtschaft nicht mehr in der bisherigen Form tätig werden. Doch haben die Ziele des Gesetzgebers, insbesondere für mehr Arbeitsschutz in der Fleischwirtschaft, für klare Verantwortlichkeiten vor Ort und für transparente Vertragsgestaltungen mit den Beschäftigten zu sorgen, mehr Gewicht. In die Abwägung ist einzubeziehen, dass die bislang über Werkvertragsunternehmen in der Fleischwirtschaft Beschäftigten durch das sektorale Fremdpersonalverbot nicht nachteilig betroffen werden, sondern realistische Aussichten auf ein Arbeitsverhältnis nun direkt mit den Unternehmen der Fleischwirtschaft bestehen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass den Antragstellenden in diesen Verfahren nicht ihr Beruf verboten wird, sondern nur eine bestimmte rechtliche Gestaltung in einem Marktsegment künftig unzulässig ist."

Wie das BVerfG im Hauptsacheverfahren entscheiden wird, dürfte nach den Beschlüssen vom 29.12.2020 weiterhin offen sein, da sich das BVerfG einer Stellungnahme in der Sache enthalten hat. 

 

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3 Kommentare

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Es wäre interessant zu erfahren, ob eine Regelung zum sofortigen Stopp der  Gehaltsauszahlungen an BVerfG-Richter ebenso keinerlei Eilbedarf eröffnet. Geht ja   nur um existentielle Fragen!

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Nicht verstanden? In beiden  Varianten ginge es um existenzbedeutsame Regelungen. Und ob man so einfach alles nachholen kann? Die Verfassungsrichtergehälter könnten  auch definitiv unterbleiben, - so wie die Gewerbebetriebe für konkrete Zeiträume ja definitiv nicht Freiheit zum Vertragsregime haben.Das alles soll ja hinnehmbar sein.

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