BayObLG: Rohmessdaten sind doch nicht so wichtig

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.05.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|1944 Aufrufe

Das BayObLG hat sich gerade mit dem nicht enden wollenden Thema "Akteneinsicht in Rohmessdaten" befasst. "Braucht man doch nicht", so das BayObLG. War zu erwarten. Hier die Leitsätze:

 

1. Die unterbliebene Überlassung von nicht zu den (Gerichts-) Akten gelangten Unterlagen sowie der (digitalen) Messdaten einschließlich der sog. Rohmessdaten oder der Messreihe stellt für sich genommen weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch einen Verstoß gegen das faire Verfahren dar. Vielmehr handelt es sich bei den entsprechenden Anträgen um Beweisermittlungsanträge, deren Ablehnung nur unter Aufklärungsgesichtspunkten gerügt werden kann (Festhaltung an BayObLG, Beschluss vom 09.12.2019 - 202 ObOWi 1955/19 = DAR 2020, 145; entgegen insbesondere VerfGH des Saarlandes, Beschluss vom 27.04.2018 - Lv 1/18 = NZV 2018, 275 = DAR 2018, 557 = ZD 2018, 368).

 2. Hat sich das Tatgericht aufgrund der Beweisaufnahme rechtsfehlerfrei und ohne dass sich konkrete Anhaltspunkte für Messfehler ergeben hätten, vom Vorliegen einer Messung im standardisierten Messverfahren überzeugt, kommt eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung nach § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG insbesondere unter dem Gesichtspunkt eines - ggf. fortwirkenden - Verstoßes gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren auch dann nicht in Betracht, wenn die Verteidigung die Einsicht in die digitale Messdatei einschließlich der Rohmessdaten schon bei der Verwaltungsbehörde verlangt, sodann ei-nen entsprechenden Antrag erfolglos im Verfahren nach § 62 OWiG gestellt und ihr neuerlicher, in der Hauptverhandlung mit einem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens verbundener Antrag auf Einsichtnahme durch das Tatgericht zurückgewiesen wird (Fortführung von BayObLG, Beschluss vom 09.12.2019 - 202 ObOWi 1955/19 = DAR 2020, 145; entgegen insbe-sondere OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2019 - 1 Rb 10 Ss 291/19 = NStZ-RR 2019, 620 = DAR 2019, 582).

 3. Für die Annahme einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung i.S.v. § 338 Nr. 8 StPO genügt es nicht, dass die Beschränkung nur generell (abstrakt) geeignet ist, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen. Vielmehr muss die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht (st.Rspr.; u.a. Anschluss an vgl. BGH, Urt. v. 26.05.1981 - 1 StR 48/81 = BGHSt 30, 131 = NJW 1981, 2267 = NStZ 1981, 361 = StV 1981, 500; 23.04.1998 - 4 StR 57/98 = BGHSt 44, 82 = NJW 1998, 2296 = NStZ 1998, 584 = StV 1999, 134; 24.11.1999 - 3 StR 390/99 = NStZ 2000, 212 = BGHR StPO § 338 Nr. 8 Beschränkung 6 = wistra 2000, 146 = StV 2000, 402; Beschluss vom 11.02.2014 - 1 StR 355/13 = NStZ 2014, 347 = BGHR StPO § 338 Nr. 8 Akteneinsicht 3 = StV 2015, 10; 03.08. 2016 - 5 StR 289/16 bei juris und BayObLG, Beschluss vom 15.12.1997 - 2St RR 244/97 = BayObLGSt 1997, 165 = NJW 1998, 1655 = OLGSt StPO § 240 Nr. 1). An einem solchen konkret-kausalen Zusammenhang zwischen der unterbliebenen Zugänglichmachung der (digitalen) Messdaten einschließlich der sog. Romessdaten und dem Sachurteil fehlt es im Anwendungsbereich des standardisierten Messverfahrens.

BayObLG Beschl. v. 6.4.2020 – 201 ObOWi 291/20, BeckRS 2020, 6312

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Stimmt, war bei denen sicher nicht anders zu erwarten. Noch viel wirkungsvoller: die PTB hat - vielleicht auf Anregung ihres beim OLG Frankfurt tätigen Hausreferenten - eine Idee gehabt, wie man die Diskussion dauerhaft beenden kann.

Sie verbietet ganz einfach die Integration aller eine Messung nachvollziehbar machenden Daten in die Messdatensätze. Auf die Idee muss man erst mal kommen. Genial!

Jenoptik möchte gerne eine neue Software zulassen, die dem "Reinheitsgebot" des Saarländischen Verfassungegerichtshof entspricht und die PTB verweigert dies. Und damit Waffengleichheit zwischen den Herstellern herrscht, kommt eine Revision der Baumusterprüfbescheinigung für Poliscan FM1, mit der dann die bisherige Intergration der Daten für erste/letzte Erfassung/Messung und Fotoposition für unzulässig erklärt wird.

Aber was stört die tollen PTB-Hechte schon ein poliges Verfassungsgericht. Schließlich bekommt man ja von den OLG immer wieder die Unfehlbarkeit bescheinigt.

Wie schön für die PTB, dass man dann in Zukunft tatsächlich keine Beweise mehr für die Unfehlbarkeit findet, wie z.B. die Beeinflussbarkeit des Messergebnisses bei eso durch LED-Licht. Der Sachverhalt war zwar nicht der PTB bei ihrer Zulassung, wohl aber den dummen Gutachtern aufgefallen. Was im Übrigen nur aufgrund der Zugänglichkeit der Rohmessdaten überhaupt möglich war. Und damit das in Zukunft nicht nochmal passiert, sorgt die PTB kurzerhand selbst dafür, dass demnächst nix mehr auffallen kann. 

Zumindest aus der Sicht eines juristischen Laien erstaunlich, was in einem Rechtsstaat so alles möglich ist.

0

Kommentar hinzufügen