Ausgangsbeschränkungen in Bayern auf dem Prüfstand

von Markus Meißner, veröffentlicht am 26.03.2020

Durften die seit 21.03.2020 in Bayern geltenden weitreichenden Ausgangsbeschränkungen durch Verwaltungsakt angeordnet werden?

Nein - sagt nunmehr das Münchner Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren gem. § 80 Abs. 5 VwGO (Beschlüsse vom 24.03.2020, Az.: 26 S 20.152 und M 26 S 20.1255).

Zwei Münchnerinnen hatten gegen mehrere Regelungen in der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020 Anfechtungsklage erhoben und zugleich im Eilrechtsschutzverfahren beantragt, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage anzuordnen. Die Anträge im einstweiligen Rechtsschutzverfahren waren überwiegend erfolgreich. Das Verwaltungsgericht stützt seine Entscheidung sowohl auf formale als auch auf materielle Gründe.

 

VG München: Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes liegen nicht vor

Soweit in Ziff. 1 der Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 jedermann angehalten wird,

die Kontakte zu anderen Menschen, ausgenommen die Angehörigen des eigenen Hausstands, auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzierien und, wo möglich, einen Mindestabstand von 1,5 m zu anderen Personen einzuhalten,

erweist sich diese Regelung nach Auffassung der Verwaltungsrichter bereits als formell rechtswidrig, da es in Bezug auf die dort getroffenen Regelungen an den gesetzlichen Voraussetzungen eines Verwaltungsakts (§ 35 VwVerfG) fehlen würde. Maßgeblich sei insoweit, dass sich diese Regelung an jedermann und damit einen unbestimmten Personenkreis richten würde. Weiterhin sei Gegenstand der entsprechenden Anordnung auch kein konkreter, abgrenzbarer Lebenssachverhalt, sondern vielmehr eine abstrakt-generelle Regelung, die den Alltag aller in Bayern lebender oder dort aufhältiger Personen betrifft und sich massiv auf alle Lebensbereiche auswirkt. Die konkrete Regelung hätte daher als Rechtsnorm ergehen müssen.

 

Bayerische Staatsregierung hat bereits nachgebessert

Noch am Tag des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses (24.03.2020) hat die Bayerische Staatsregierung umgehend die Rechtsgrundlage verändert und durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege eine – auf § 32 Satz 1 IfSG gestützte – „Bayerische Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie“ erlassen (BayMBl. 2020 Nr. 130, 24.03.2020). Diese entspricht hinsichtlich der konkreten Beschränkungen vollständig der Allgemeinverfügung vom 20.03.2020

https://www.verkuendung-bayern.de/files/baymbl/2020/130/baymbl-2020-130.pdf

Die Bayerische Staatsregierung hat – unabhängig von der Nachbesserung – gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München Rechtsmittel eingelegt.

 

Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG rechtfertigt keinen Eingriff in das Grundrecht der Freizügigkeit gem. Art. 11 Abs. 1 GG

Soweit in Ziff. 4+5 der Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt wird, stellen die Verwaltunsgsrichter zunächst klar, dass diese Ausgangsbeschränkungen neben den Grundrechten der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) sowohl in das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz zwei GG) als auch in das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) eingreifen.

Gerade im Hinblick auf das Grundrecht der Freizügigkeit sieht das Verwaltungsgericht das Problem. Zwar nennt der in der Allgemeinverfügung als Rechtsgrundlage genannte § 28 Abs. 1 S. 4 IfSG sowohl Art. 2 Abs. 2 GG als auch Art. 8 Abs. 1 GG als einschränkbare Grundrechte, nicht jedoch Art. 11 Abs. 1 GG. Insoweit liege ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG vor. In dem Beschluss des VG München vom 24.03.2020 wird hierzu ausgeführt:

Allerdings unterliegt das Grundrecht des Art. 11 GG dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Dies bedeutet, dass ein Gesetz, das zur Einschränkung des Grundrechts ermächtigt, das Grundrecht ausdrücklich nennen muss, wobei ein Hinweis allein in der Gesetzesbegründung nicht genügt (BVerfGE 113, 348/367). Das Zitiergebot hat den Zweck „sicherzustellen, dass nur wirklich gewollte Eingriffe erfolgen“ und „sich der Gesetzgeber über die Auswirkungen seiner Regelungen für die betroffenen Grundrechte Rechenschaft“ gibt (BVerfGE 64, 72/79; 85, 386/403 f; 113, 348/366). Fehlt einem Gesetz ein von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gebotenes Grundrechtszitat, ist es dahingehend auszulegen, dass es das nicht zitierte Grundrecht nicht einschränkt bzw. nicht dazu ermächtigt (Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 1 GG Rn. 47 m.w.N.).“

 

Normenkontrollanträge zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH)

Wie Legal Tribune Online (LTO) gestern Abend (24.05.2020, 19:20 Uhr) berichtete, liegen nunmehr auch bereits zwei Normenkontrollanträge gegen die „Bayerische Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie“ vom 24.03.2020 vor. Über über soll nunmehr im Eilverfahren entschieden werden . Mit einer zeitnahen Entscheidung wird gerechnet.

 

Regelungen behalten weiterhin ihre Gültigkeit

Da die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts München ausschließlich gegenüber den beiden Antragstellerinnen gelten, ändert sich für alle anderen in Bayern lebenden Menschen zunächst nichts.

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3 Kommentare

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Regelungen behalten weiterhin ihre Gültigkeit

Da die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts München ausschließlich gegenüber den beiden Antragstellerinnen gelten, ändert sich für alle anderen in Bayern lebenden Menschen zunächst nichts.

Trifft das wirklich zu? Für die übrigen Bürger ändert sich m.E. eine Menge, sie können nämlich nicht mehr für Verstöße gegen eine solche Allgemeinvefügung belangt werden, auch wenn sie nicht am Verfahren vor dem VG beteiligt waren.

Die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit nach § 73 IfSG oder die Verfolgung als Straftat nach §§ 74f. IfSG setzt doch voraus, dass die verletzte Anordnung ihrerseits selbst rechtmäßig ist. Wenn das VG München recht haben sollte mit seiner Auffassung, dann kann auch niemand wegen einer Verletzung einer solchen Allgemeinverfügung verfolgt werden. Der Owi- oder Strafrichter muss bei seiner Entscheidung eine Inzidentprüfung der Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung vornehmen.

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Für die Menschen ändert sich nichts, weil eine Verordnung erlassen wurde und auch der Verstoß gegen diese ordnungswidrig/strafbewehrt ist.

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