"Whatsapp" muss weg

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 21.08.2016
Rechtsgebiete: Familienrecht17|7319 Aufrufe

Ein Schulfreund des Vaters (Herr V) belästigt die Töchter S und T (15 und 10 Jahre alt) mit eindeutig zweideutigen Texten (sex-texting) über „Whatsapp“.

Das AG Bad Hersfeld macht dem Vater, dem das Aufenthaltsbestimmunrecht zusteht, in einem lesenswerten Beschluss die folgenden Auflagen:

1. Dem Kindesvater wird aufgegeben, jeglichen Kontakt der Kinder S., geb. --.08.2000, und T., geb. --.10.2005, mit Herrn V., geb. --.--.1977, zu verhindern, bzw. falls ein Kontakt zufällig zu Stande kommt, diesen umgehend zu unterbinden.

2. Dem Kindesvater wird aufgegeben, den Kindern S. und T. jeweils nur ein internetfähiges mobiles Smart-Gerät (Smartphone oder Tablet bis maximal 12,9 Zoll Bildschirmdiagonale) zur Verfügung zu stellen. Bereits vorhandene Zweitexemplare sind vom Kindesvater zurückzunehmen; sie können noch als mögliche Reserve-Geräte im Falle eines möglichen Verlusts des Erstgeräts dienen.

3. Dem Kindesvater wird aufgegeben die Messenger-App "WhatsApp" von den Smart-Geräten der Kinder zu entfernen. Sofern von den Töchtern gewünscht, kann ein vorheriges Backup sowie ggf. ein Ausdruck der bisherigen Chat-Verläufe zuvor durchgeführt werden.

4. Dem Kindesvater wird aufgegeben, jegliche Messenger-Apps, welche eine zwangsweise automatische Vernetzung des Nutzers mittels der eigenen sowie fremder im Gerät hinterlegter Mobiltelefonnummern zwingend vorsehen oder vorschreiben, von den Smart-Geräten der Kinder stetig fernzuhalten, und zwar:

- bei der Tochter S. bis einschließlich zum --.08.2018 (= 1 Tag vor dem 18. Geburtstag),

- bei der Tochter T. bis einschließlich zum --.10.2021 (= 1 Tag vor dem 16. Geburtstag).

5. Dem Kindesvater wird aufgegeben, mit den Töchtern S. und T. an dem ersten Wochenende jedes Monats, welches kein Umgangswochenende bei der Kindesmutter ist, jeweils ein Gespräch über den aktuellen Stand der Nutzung der Smart-Geräte zu führen und gegebenenfalls aufgekommene Fragen der Töchter, oder am Gerät aufgetretene Besonderheiten oder Vorfälle zu besprechen.

Jeweils im März, Juni, September und Dezember jedes Jahres ist anlässlich dieser Gespräche zudem das betreffende Gerät jedes Kindes durch den Kindesvater in Augenschein zu nehmen und bezüglich dort installierter Apps sowie auf eventuell auftretende Ungereimtheiten und etwaige kindes-/jugendgefährdende Inhalte gemeinsam mit dem jeweiligen Kind durchzusehen.

Diese Auflage ist zeitlich beschränkt:

- bei der Tochter S. bis einschließlich zum --.08.2018 (= 1 Tag vor dem 18. Geburtstag),

- bei der Tochter T. bis einschließlich zum --.10.2021 (= 1 Tag vor dem 16. Geburtstag).

6. Bis spätestens zum 15.09.2016 ist

a) die Erledigung der vorgenannten abschließenden Auflagen (Ziff. 2. Satz 2 und Ziff. 3.)

sowie

b) die bis dahin bereits bewirkte Erfüllung der laufenden Auflagen (Ziffer 2. Satz 1 und Ziffern 1., 4. und 5.)

gegenüber dem Gericht nachzuweisen.

II. Das Gericht geht hierneben davon aus, dass der Kindesvater gemäß seiner erklärten Bereitschaft im Erörterungstermin an einer Hilfemaßnahme nach Befürwortung des Jugendamtes teilnimmt und die dazu nötigen Vorbereitungs- und Mitwirkungshandlungen, z.B. Antragstellung gegenüber dem Jugendamt, zeitnah bewirkt.

AG Bad HersfeldBeschluss vom 22.07.2016 - F 361/16

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17 Kommentare

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Anderweitigen Veröffentlichungen der Entscheidung habe ich entnommen, dass es möglicherweise Besonderheiten in der Entwicklung der beiden Mädchen gibt, die diese Entscheidung vielleicht rechtfertigen können. Wenn es um den Umgang normalentwickelter Minderjähriger mit Smartphone, Internet und Messengern geht, dürfte die Entscheidung atemberaubend falsch sein. Medienkompetenz wird nicht durch Abstinenz erworben. Monatliche Aufklärungsgespräche an vorgegebenen (!) Tagen werden bei normal entwickelten Jugendlichen, die bis einen Tag vor ihrem 18. Geburtstag in eine eigenartige Isolation von den Kommunikationsmedien gezwungen werden, deren sich mindestens zwei Drittel der minderjährigen und volljährigen Umwelt bedienen, nach meiner Einschätzung eher nicht die gewünschte Wirkung zeitigen. 

Auch wenn ich Ihnen unumschränkt zustimme und ebenso erhebliche Zweifel an der Geeignetheit und Verhältnismässigkeit habe, so scheint es mir fast so zu sein, als wäre nicht die Disposition der Kinder im Zentrum des Gerichtes gestanden, sondern die der Eltern. Wobei ich sagen muss, mir und Millionen Anderen ginge es wahrscheinlich nicht anders als den Eltern, wenn ein Richter streng nachfragt :"Wie gedenken Sie denn nun die Kinder vor den Gefahren des Internets nachhaltig zu schützen? Wie sichern Sie mir das zu?"

 

Weiter erbrachte jedoch das von den Eltern sonst im Erörterungstermin Geäußerte nach dem Eindruck des Gerichts, dass von ihnen ansonsten keine tunlichen Maßnahmen im Blick sind, welche durch sie daneben noch zum effektiven Schutze der Kinder vor einer ähnlichen künftigen Situation unternommen werden sollen oder eventuell noch von ihnen geplant wären.

Auch die Erörterungen über die Hintergründe und die Entstehung bzw. die Ursachen der Vorfälle, auch und vor allem in technischer Hinsicht, erbrachten von Elternseite kaum Substantielles und zeugten mehr von der Überforderung und Hilflosigkeit der Eltern. Es war deutlich die Unkenntnis der Eltern zu den vorliegend dahinter stehenden technischen Abläufen zu erkennen, sowie ebenfalls mangelndes Wissen im Hinblick auf die Möglichkeiten, wie der Schutz der Kinder künftig nicht nur in der physisch-realen Welt - in welcher richtigerweise jegliche Kontakte mit Herrn V. unterbunden werden sollen - sondern auch in der hierneben von den Kindern über ihre elektronischen Geräte ständig besuchten "digitalen Welt" optimiert werden kann.

 Meiner Ansicht nach hat sich das Gericht doch sehr vergaloppiert...

...ich hoffe doch, hier wird Berufung eingelegt?

Man kann doch nicht den Kindesvater mit Auflagen versehen und die Töchter regelrecht sozial isolieren weil diese von einem Freund des Vaters belästigt werden?!
In welchem Jahrhundert lebt denn der hier zuständige Richter?
Die Auflagen müssten sich doch eindeutig gegen den Freund des Vaters richten, oder sind beim AG Bad Hersfeld weibliche Belästigungsopfer "selbst Schuld" weil sie eben weiblich sind und es dann auch noch wagen ein Smartphone zu besitzen?
Mittelalterlich.

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Nachtrag:

Je länger ich darüber nachdenke, desto absurder wird das Ganze.
Die Töchter sind per whatsapp belästigt worden, also löscht man ihnen die App. In der Konsequenz hieße das, wenn Sie per Anruf belästigt würden, müsste man Ihnen das Telefon wegnehmen. Wenn Sie auf der Straße belästigt würden, müsste man Ihnen verbieten rauszugehen...

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Gast schrieb:

Aus dem in Bezug genommenen Kommentar.

"Beide Auflagen sind gemäß Alter und Entwicklungsstand der Kinder beschränkt, und zwar bei der Tochter T. bis zu deren 16. Geburtstag, vgl. die Ausführungen drei Absätze zuvor, und bei dem Kind S. bis zu deren 18. Geburtstag. Letzteres begründet sich damit, dass in Bezug auf S. nach den übereinstimmenden Einschätzungen von Verfahrensbeistand und Jugendamt sowie auch nach dem eigenen Eindruck des Gerichts aus der Kindesanhörung bei ihr eine deutliche Reifeverzögerung festzustellen ist. In zeitlicher Hinsicht wird diese Reifeverzögerung hier auf 2 Jahre eingestuft. Damit dürfte S. die nötige Reife zur verantwortungsvollen und widerstandsfähigen Nutzung betreffender riskanter und gefahrenlastiger Anwendungen anstatt mit durchschnittlich 16 erst mit 18 Jahren erreichen."

Man sollte hierbei berücksichtigen, dass Kind S. diesen Monat 16 Jahre alt wird.

Ohne die Unterstellung einer Reifeverzögerung wäre die Anordnung reichlich kurz ausgefallen.

Das gute "Kind" darf sich nun die nächsten zwei Jahre ihr Handy mit einer elfjährigen teilen.

Die Diskussionen möchte ich nicht erleben...der arme Vater ;-)

  

Da die Entscheidung in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ergangen ist, dürfte ein Rechtsmittel nicht geggeben sein.

Die umfangreiche Entscheidung (über 20 Seiten), die sich insbesondere mit der App "whatsapp" auseinandersetzt, findet sich im Volltext hier

Habe die Entscheidung mal gelesen.

Da die Entscheidung auf § 1666 BGB beruht, dürfte möglicherweise ein Fall von § 57 Nr. 1 FamFG vorliegen, sodass ein Rechtsmittel auch gegen die einstweilige Anordnung möglich sein kann...

Inhaltlich ist das so eine Sache. Den Fokus auf WhatsApp in der Entscheidung verstehe ich nicht so ganz. Ich kann mir aber folgende Argumentation ausdenken, die mich zu einem ähnlichen Tenor führen könnte:

- Das Kind hat unter dem Sexting gelitten, eine Vermeidung von entsprechenden weiteren Erfahrungen ist daher zur Vermeidung einer Kindeswohlgefährdung erforderlich.

- Der Belästiger umgeht nachhaltig Versuche, ihn zu blockieren (was mir tatsächlich immer wieder vorgetragen wird). Einflussmöglichkeiten des Vaters auf den Belästiger erweisen sich nicht als hinreichend effektiv, um Wiederholungen zu vermeiden.

- Damit muss der Vater letztlich beim Kind eingreifen, um dieses zu schützen; da kann das Löschen von WhattsApp noch die mildeste Möglichkeit sein.

 

Bin mir aber nicht sicher, ob das das AG so gemeint hat...

 

 

 

Torsten Obermann schrieb:

Der Belästiger umgeht nachhaltig Versuche, ihn zu blockieren (was mir tatsächlich immer wieder vorgetragen wird).

Hm...mal blöde gefragt:

Der §240 Abs. 4 Nr. 1 StgB zieht da nicht? Denn dann wäre der Typ mindestens 6 Monate bis zu 5 Jahren von der Bildfläche verschwunden....und Sexting oder besser die Aufforderung dazu dürfte darunter fallen und sollte der Typ selber Bildchen von sich machen und an die Belästigte senden könnte noch der §184 StgB tangiert werden...

bombjack

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Lieber Herr Obermann, unzulässig soll eine Beschwerde sein, wenn auf der Grundlage von § 1666 BGB Maßnahmen ergriffen werden, die nicht auf den vollständigen oder teilweisen Entzug des Sorgerechts gerichtet sind (OLG Frankfurt FamRZ 2012, 1952)

Wenn man die Rechtsschutzmöglichkeit so beschränkt:

Vielleicht legt ja die Mutter gegen die Ablehnung ihres 1671-er Antrags Beschwerde ein und der Senat prüft inzidiert?

Ansonsten sieht es für den Papa schlecht aus, oder? Er kann natürlich ein Abänderungsverfahren anregen, welches als e.A.-Verfahren dann aber konsequent erneut nicht rechtsmittelfähig wäre. Außerdem wird ja zT eine Änderung der Sachlage gefordert, die so schnell nicht eintreten dürfte. Ein Hauptsacheverfahren dürfte er im von Amts wegen zu führenden 1666-er Bereich nicht erzwingen können,  (mit welchem Antrag auch, er sieht ja keine Gefährdung) eine Gegenseite, der die Einleitung eines solchen aufgegeben könnte, gibt es auch nicht.

was lernt man als Amtsrichter: jedesmal, wenn man von Amts wegen eine einstweilige Anordnung auf 1666 stützt gleich die Hauptsache einleiten...

Nö, nicht blöde. Natürlich sollte und kann der Papa strafrechtlich gegen den Belästiger vorgehen. Aber das dauert und das Ergebnis ist nicht immer vorherzusehen... Zumal ja auch Freiheitsstrafen auf Bewährung ausgesetzt werden können etc. Auch kann durchaus im Rahmen von Gewaltschutzverfahren oder unter den Voraussetzungen von § 1632 Abs. 2 BGB zivilrechtlich vorgegangen werden. Das ist dann die Frage der Effizienz des Vorgehens gegen den Belästiger, die mit dem Schutzbedarf abgestimmt werden muss. Glaube jedenfalls ich...

Man sollte viel mehr Besichtigungen des BER in Berlin und erhellende Beiträge zu Ursachen und Arten von solchem Schildbürgertum fördern.

Technische Lösungen: a) Telefonnummer ändern, b) Anmeldung mit unbekannter Telefonnummer A, Nutzung über WLAN oder SIM mit Telefonnummer B, c) Blocken des Kontakts

Juristische Lösungen: a) effektives Bearbeiten der Strafanzeige statt Small-Talk der STA am Telefon, b) frühzeitige Klarstellung mit dem Sorgeberechtigten statt Mauscheln bis zur Verhandlung, c) Unterlassungsaufforderung, notfalls Kontaktverbot per eA für den alten Schulfreund.

Die gewählte Lösung zeigt auf: 1. gefühlte Omnipotenz der Aktenblätterer in familliären, kinderpsychologischen und auch technischen Angelegenheiten, übrigens vollkommen unbegründet 2. Missbrauch des Wächteramtes für Macht- und Selbstdarstellung, 3. zu geringe Auslastung der Aktenblätterer mit tatsächlichen Aufgaben und Problemen

Zur Effizienz eines Vorgehens: Transparenz und Klarheit ist fast immer der effizienteste Weg und kommt meist ohne Frembestimmung und Auflagen aus. Die Einschaltung von Familiengerichten steht dem trotz unbestrittener Forderung zur Beschleunigung der Verfahren, besserer Aus- und Weiterbildung und Fokussierung auf angemessene Lösungen häufig diametral entgegen. Im Beispiel schön abzulesen, wie viele (angeblich schwer überlastete) Aktenblätterer involviert wurden, bevor der Zuständige überhaupt informiert und damit handlungsfähig wurde.   

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