Bundeskanzlerin Merkel hat sich nicht strafbar gemacht

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 13.10.2015

Mein Kollege Prof. Dr. Holm Putzke von der Uni Passau vertritt die Ansicht, die Bundeskanzlerin habe sich strafbar gemacht, als sie sich Anfang September mit Österreich darauf geeinigt habe, unter Umgehung des eigentlich vorgesehenen Grenzregimes in Europa/Schengenstaaten, Flüchtlinge in Deutschland in großer Zahl aufzunehmen. (Link: Holm Putzke, Ist die Bundeskanzlerin eine Schleuserin?)

Wie nicht anders zu erwarten hat er Beifall (teilweise von zweifelhafter Seite) und auch  Kritik für seine Beurteilung geerntet.

Zwei Dinge vorangestellt:

1. Ich stimme Putzke zu, dass die Frage der Strafbarkeit nach §§ 95, 96 AufenthaltsG nur einhellig beantwortet werden kann: Nur wenn eine Person den Tatbestand der unerlaubten Einreise erfüllt, dann können  diejenigen strafbar sein, die dieser Person bei der illegalen Einreise Hilfe leisten. Dies ist wohl auch die eigentliche Stoßrichtung der Analyse von Putzke: Er will klarstellen, dass es nicht angeht, immer noch "Schleuser" zu bestrafen (selbst solche, die dies aus rein humanitären Gründen  tun), zugleich aber die Handlungen Merkels als strafrechtlich irrelevant anzusehen.

2. Ich stimme Putzkes Antwort, Frau Merkel habe sich wohl strafbar gemacht, nicht zu.  Putzke hat das Pferd von der falschen Seite her aufgezäumt und dabei die Akzessorietätslehre missachtet. Die Strafbarkeit nach § 96 AufenthaltsG steht entgegen seiner Annahme in entscheidenden Punkten ("Passpflicht") eben doch zur Disposition der Exekutive, die von der Bundeskanzlerin angeführt wird. Um die Straflosigkeit zu begründen ist m.E. auch keine Änderung des AufenthaltsG erforderlich, wie Putzke annimmt.

Die Erfüllung des § 96 AufenthaltsG  ist – wie ja auch Putzke betont – akzessorisch orientiert an der tatbestandlichen, vorsätzlichen und rechtswidrigen Erfüllung der „Haupttat“ des § 95 AufenthaltsG.

Dazu gehört die  unerlaubte Einreise eines Ausländers nach § 14 Abs.1 Nr.1 AufenthaltsG. Dies setzt wiederum voraus, dass der Ausländer einen nach § 3 AufenthaltsG „erforderlichen Pass“ nicht besitzt.

Putzke prüft nicht, ob eine unerlaubte Einreise vorliegt – es genügt ihm vielmehr, dass Polizei und Staatsanwaltschaften einen Anfangsverdacht  routinemäßig bejahen, ohne dass dabei die besondere Lage seit Anfang September überhaupt berückichtigt wird. Putzke verkennt dabei, dass das Aufenthaltsgesetz mit seiner Bestimmung der unerlaubten Einreise selbst wieder akzessorisch ist zu dem Pass- und Grenzregime, welches von der Exekutive gestaltet werden kann und wird.

Meines Erachtens spricht alles dafür, dass die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland infolge der von Merkel initiierten humanitären Handlungen gegenüber den in oder bei Ungarn bzw. auf dem Westbalkan feststeckenden Flüchtlingen schon objektiv tatbestandlich (ausnahmsweise) erlaubt war und ist. Aus dem Gesamtverhalten der Exekutive der Bundesrepublik ist erkennbar, dass in dieser gesonderten Situation auf Einreisedokumente verzichtet wurde, also § 3 AufenthaltsG („Passpflicht“) realiter ausgesetzt ist. Der objektive Tatbestand der unerlaubten Einreise hängt direkt an dieser Passpflicht. Diese ist etwa auch § 14 AufenthaltsVO ("Befreiung von der Passpflicht in Rettungsfällen") in Unglücks- und Katastrophenfällen ausgesetzt. Es handelt sich nach ganz verbreiteter Meinung derzeit in und um die Kriegsgebiete in Syrien, Irak und Afghanistan um Flüchtlingskatastrophen, die m. E. durchaus unter  § 14 AufenthaltsVO subsumierbar sind, und bis an die deutsche Außengrenze reichen. Ob bei einer jedenfalls faktischen Aussetzung der Passpflicht die interpretatorischen  Grenzen dieser Verordnung eingehalten wurden, kann einem Ausländer aber strafrechtlich ohnehin nicht vorgeworfen werden, wenn jedenfalls faktisch erkennbar beim Grenzübertritt seitens der deutschen Behörden auf  Pässe bzw. andere Reisedokumente verzichtet wurde.

Zudem müssten, selbst wenn man annimmt, die unerlaubte Einreise bleibe unabhängig vom konkreten Verhalten der Exekutive objektiv unerlaubt, die vielfach von der Bahn im Auftrag der Bundes- bzw. Landesregierungen über die Grenze transportierten und willkommen geheißenen Flüchtlinge auch noch  vorsätzlich und rechtswidrig unerlaubt eingereist sein. Nicht nur die objektiv tatbestandsmäßige, sondern auch die vorsätzliche Handlung ist Gegenstand der Akzessorietät.

Wer eingeladen ist, eine Wohnung zu betreten, der kann nicht wegen Hausfriedensbruch verfolgt werden. Wer vom deutschen Staat nicht nur eingeladen wird, sondern sogar von Personenbeförderungsunternehmen in dessen Auftrag über die Grenze transportiert wird, ohne dass ein Pass von ihm verlangt wird, der reist nicht unerlaubt ein, schon gar nicht tut er dies vorsätzlich. Strafanzeige und Strafverfolgung (auch wenn die Verfahren  in den allermeisten Fällen ohne weiteren Ermittlungen eingestellt werden) stellen ein venire contra factum proprium dar.

Putzke prüft schließlich nicht, ob einreisende Flüchtlinge (wenn denn vorsätzlich unerlaubt) auch „rechtswidrig“ unerlaubt eingereist sind. Putzke spricht zwar § 34 StGB (Notstand) an, jedoch wendet er die Notstandsnorm nur auf das Verhalten der Bundeskanzlerin, nicht aber auf das Verhalten der Flüchtlinge selbst an. Bei diesen ist aber eine Rechtfertigung einer unerlaubten Einreise unter den im September und Oktober 2015 bestehenden Voraussetzungen sogar recht naheliegend, denn ihnen stand nicht zu Gebote, mit Ungarn oder anderen Drittstaaten Verhandlungen aufzunehmen.

Ergebnis: Beim Grenzübertritt der Flüchtlinge in Folge der derzeitigen Politik der Bundeskanzlerin handelt es sich nicht um unerlaubte Einreise im Sinne des § 14 AufenthaltsG. Es handelt sich in den meisten Fällen wohl weder um eine objektiv tatbestandsmäßige, noch um eine vorsätzliche, noch um eine rechtswidrige Handlung nach § 95 AufenthaltsG. Infolge dessen ist auch die Hilfe zu dieser Einreise kein tatbestandliches Handeln im Sinne des § 96 AufenthaltsG. Weder die Bundeskanzlerin noch andere, die Flüchtlingen bei Einreise und Aufenthalt behilflich sind, haben sich strafbar gemacht.

Ergänzung (13.10.2015, abends):

Holm Putzke hat reagiert auf seiner Website, hier.

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Nach dem, was Sie unter 1. schreiben, dürfte also ein (beachtlicher?) Teil der in Untersuchungshaft sitzenden Schleusereiverdächtigen unrechtmäßig verfolgt werden. Am 18.09.2015 wurde die Zahl von 800 Untersuchungsgefangenen in Bayern genannt, mit exponentiell steigender Tendenz (http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bayern-fluechtlinge-800-schleuser-...).

Zu 2.: Der Ansatz von Putzke geht von der Rechtsstaatlichkeit in der Ausprägung der Gesetzesgebundenheit des Regierungshandelns aus. Er fragt: Wenn eine Regierung gegen das Gesetz verstößt, gibt es dafür im konkreten Form eine strafrechtliche Sanktionsnorm? Wenn man seiner Prämisse folgt, daß das Handeln von Merkel gegen das (Verwaltungs-)Recht verstößt (wofür einiges spricht, denn vor ihrem Handeln haben die gesetzgeberischen Körperschaften keine Gesetzesänderung beschlossen und es dürfte nicht vertretbar sein, allein ihrem politischen Gestaltungswillen eine gesetzesändernde Wirkung zuzuschreiben), stellt sich die Frage, ob und wie dieser Rechtsverstoß in einen Strafrechtsverstoß übersetzbar ist. Wenn man Ihre Argumention in diese Prämisse einfügt, dann müßte die Argumentation so lauten (es ist meine Kombination, wohlgemerkt, kein Versuch, Ihnen eine Ausage unterzuschieben): Gerade aufgrund einer unerlaubten Handlung Merkels (politische Entscheidung contra legem) wurde eine vormals unerlaubte Handlung der Einreisenden zu einer erlaubten. Aufgrund der strafrechtlichen Akzessorietätsregeln verschafft sich also der illegal Handelnde durch eben diese Handlung die Freistellung vom Strafrechtsvorwurf. Das dürfte nicht jedem gefallen, aber es läßt sich hören. Putzke hingegen spricht (jetzt) von einem Verbotsirrtum. Er schreibt dem Regierungshandeln also nur eine scheinbare Änderung der Rechtslage zu, auf die sich die Einreisenden berufen können, nicht aber die Regierungshandelnden selbst.

 

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Sehr geehrter OG,

ziemlich genau so sehe ich es. Nebenstrafrechtliche Normen sind häufig verwaltungsakzessorisch gestaltet, d.h. die Strafrechtsgrenze hängt von verwaltungsrechtlichen Vorentscheidungen ab. Putzke behandelt "unerlaubte Einreise" so wie andere Tatbestandsmerkmale im klassischen Strafrecht ("töten", "wegnehmen", "täuschen"). Ich dagegen sehe "unerlaubt" abhängig von jeweiligen Entscheidungen der Exekutive, was sich am "erforderlichen" Pass zeigt. Ist ein Pass nicht erforderlich, dann gibt es auch keine unerlaubte Einreise mangels Pass. Nun ist § 96 AufenthaltsG akzessorisch zur unerlaubten Einreise gestaltet. Es gibt keine spezielle Strafrechtsnorm, die dieses Handeln von Merkel unabhängig davon für strafbar erklärt, selbst wenn sie "illegal" gehandelt haben sollte.

Eine rechtswidrige Verwaltungsentscheidung ist eben nicht unmittelbar strafrechtsrelevant. Rechtswidrige Verwaltungsakte sind sogar wirksam, wenn sie Bestandskraft erlangen.  Die Grenze ist im Verwaltungsrecht die Nichtigkeit.  Eine solche sehe ich hier nicht, zumal ich eine Analogie zu § 14 Aufenthaltsverordnung erkenne.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Prof. Müller, wie schön, daß sich doch noch einer der Autoren hier - nach Wochen! - wenigstens streiflichtartig mit einem Sachverhalt befasst, der, wenn er einfach so weitergeht, den Bestand der Bundesrepublik über kurz oder lang aus den Angeln heben wird. Nachdem uns unsere herrschende Klasse der Sache nach nichts weniger als den Krieg erklärt hat, die Gewaltenteilung aufgehoben scheint und wir uns folglich auf direktem Weg in innere Unruhen und in einen Bürgerkrieg befinden, bietet es ich ja auch an, die verfassungswidrige Asylpolitik "unserer" Bundesregierung einmal zu thematisieren, von mir aus auch gerne, soweit es eine mögliche strafrechtliche Haftung betrifft. Themen wie Tagessatzhöhe, Verteidigervollmacht oder Ice-Bucket-Challenge sind zwar auch wichtig, wurden aber mittlerweile doch hinreichend erörtert...

Zur Sache: die Weltgeschichte, lieber Herr Müller, hat nicht Anfang September vor der Südgrenze Ungarns begonnen und "die besondere Lage" ist nicht vom Himmel gefallen, sie ist überhaupt erst entstanden und konnte nur entstehen, weil die Bundesregierung in den Monaten zuvor weder national noch auf europäischer Ebene irgendetwas unternahm, sie zu verhindern. Ganz im Gegenteil scheint mir eher, daß die Bundesregierung diese "besondere Lage" überhaupt erst herbeigeführt hat - aus welchen Gründen auch immer. Ich brauche dafür keine Verschwörungstheorie, sondern stütze mich allein auf Äußerungen der Regierung, die sie selber publik gemacht hat. So entsinne ich mich einer Pressekonferenz von Herrn de Maiziere Ende Mai/Anfang Juni. Zu dieser Zeit ging es hauptsächlich um noch um Leute, die auf italienischen und griechischen Inseln anlandeten oder bei dem Versuch, dorthin zu kommen, im Mittelmeer ertranken. Auf dieser PK erklärte de Maiziere, das Flüchtlingsproblem sei vorrangig ein Schleuserproblem, die Schleuser seien aber in Libyen, und dann wörtlich:"Machen Sie mal Strafverfolgung in Libyen!"

Was hat der Mann damit objektiv erklärt? 1. Die Flucht von Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika nach Europa sei so etwas wie eine Naturkatastrophe: man könne nichts dagegen machen. Das ist evident falsch. 2. Dadurch daß die Leute zwar erstversorgt, aber nicht - was die einzig richtige Maßnahme gewesen wäre - wieder zurücktransportiert wurden, zB. in sichere Lager, die die Europäer dort hätten errichten können, setzte de Maiziere den Anreiz, daß noch noch viel mehr Menschen die gefährliche Reise wagten und einige von ihnen dabei wiederum ertranken. Da deren Tod auch jedem halbwegs intelligenten  Menschen vorhersehbar war, hat Herr de Maiziere auf dieser Pressekonferenz implizit für noch mehr Tote im Mittelmeer plädiert! Ich finde, wenn es hier um die (nachrangige) Frage einer möglichen Strafbarkeit von Beteiligten geht, sollte diese Vorgeschichte doch auch berücksichtigt werden. 

Die Äußerung des Innenministers ist um so bemerkenswerter, als er nur wenige Monate zuvor, im April, noch ganz anderer Ansicht war: nachdem ein Schiff mit 700 Flüchtlingen untergegangen war, forderte er im Verein mit Gabriel und Steinbrück nämlich die gezielte Bekämpfung organisierter Schlepperbanden. "Wir dürfen und werden es nicht dulden, dass diese Verbrecher aus bloßer Profitgier massenhaft Menschenleben opfern." Aber weder er noch ein anderes Regierungsmitglied ließen dieser richtigen Einsicht irgendwelche Taten folgen, etwa die sofortige Reaktivierung des Mare-Nostrum-Seenotrettungsprogramms, das im Herbst 2014 eingestellt worden war. Was hätte die Regierung gehindert, sich an einem solchen Programm zu beteiligen, eventuell auch mit Schiffen der Bundesmarine? Und woher kam der plötzliche Sinneswandel der Regierung, die das Problem doch klar erkannt hatte, oder war es gar keiner?

Noch ein paar Fragen: seit Jahren herrscht in Syrien Krieg, warum kommen alle erst jetzt? Warum kommen 80 % der Menschen aus Eritrea, Afghanistan, dem Balkan und wer weiß noch woher, nur eben nicht aus Syrien? Wieso wird deren Einreise aus sicheren Drittstaaten, entgegen der Regelung in Art. 16a Abs. 2 GG, hingenommen? Und warum kommen sie auch alle jetzt und, wie es scheint, alle auf einmal? Und vor allem: sind das denn überhaupt alles Flüchtlinge?

Spätestens seit "Mutti" von "Willkommenskultur" faselte, einseitig mit geltendem Verfassungs- und EU-Recht brach, das Asylrecht für unbegrenzt und unbegrenzbar erklärte, es zudem auch auf Bürgerkriegsflüchtlinge erweiterte und Herr Gauck zwischendurch feststellte, die Homogenität des Staatsvolks sei für den Bestand einer Republik entbehrlich (was noch kein Mensch seit Aristoteles je vertreten hat), sind alle Dämme gebrochen. Sich jetzt hinzustellen (Herr Gauck rudert ja schon zurück) und sich auf einen von niemandem vorhersehbaren Notstand zu berufen, den man selbst erst herbeigeführt hat, ist geradezu abwegig. Und da es ja hier um Strafrecht geht: erfüllt das permanente Wiederholen verfassungsfeindlicher Statements durch die höchsten Repräsentanten des Staates denn nicht auch Straftatbestände? Ihre Argumentation, Herr Müller, läuft darauf hinaus, daß eine Bundesregierung mit geltendem Recht - auch geltendem Verfassungsrecht - nach Belieben verfahren kann, wenn sie eine Situation kreiert, die nach Notstandsmaßnahmen ruft. Das kann beim besten Willen nicht richtig sein. Was sich vor unseren Augen abspielt, ist nicht nur eine Katastrophe, sondern ein Verbrechen: gegen die Freiheit, gegen die Republik und gegen uns, das Volk. Ob aus edlen Motiven oder aufgrund eines geheimen strategischen Kalküls, ist mir dabei vollkommen gleichgültig. Ich erwarte von einer Regierung, daß sie sich ans Recht hält!

Das ganze Ausmaß der Rechtlosigkeit, in welche sich die Bundesregierung begeben hat (und immer weiter begibt), ist schlicht atemberaubend. Unterdessen haben wir eine Opposition im Bundestag, die nach wie vor nicht opponiert und eine Presse, die bis auf wenige Ausnahmen sich bislang eher als PR-Filiale der Regierung denn als kritische "4. Gewalt" geriert. Das beginnt sich nun langsam zu ändern, freilich viel zu spät und ohne die Entschiedenheit, die hier längst fällig wäre. Ob sich der Rechtsstaat und alles, was sich mit diesem Begriff verbindet, von diesem konzertierten Angriff erholen wird, ist völlig offen. Einstweilen gilt es, den Staat als solchen zu retten, nachdem Frau Merkel die Souveränität Deutschlands effektiv preisgegeben hat. Daß im Grundgesetz aber eine Befugnis für wen auch immer enthalten sei, "Deutschland bis zur Unkenntlichkeit zu verändern" (Zitat Merkel) bzw. eine Masseneinreise von Menschen aus aller Welt zu ermöglichen und damit vollendete Tatsachen zu schaffen (und diese auch noch für irreversibel zu erklären), vermag ich wirklich nicht zu erkennen. Und übrigens: angeblich sollen sich ja inzwischen knapp 300.000 unregistrierte Personen in Deutschland aufhalten, darunter Terroristen des IS. Sollten hier Anschläge stattfinden, wird das geringste Problem der amtierenden Regierungsmitglieder eine mögliche Strafbarkeit nach den Tatbeständen sein, die Sie, verehrter Herr Prof. Müller, heute schon mal vorsorglich für nicht einschlägig erklärt haben: denn dann wird es um ganz andere Delikte gehen.

Abschließend erlaube ich mir noch den Hinweis auf Schachtschneiders Aufsatz, der Ihnen aber vermutlich ohnehin bereits bekannt ist: http://www.bff-frankfurt.de/artikel/index.php?id=909

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Liegt die wesentliche Ursache der Flüchtlingsströme nicht schon im (ordnungs-)politischen Versagen wie z.B. der Einmischung (regime change) in anderen Ländern, interessengeleiteter "Landesverteidigung am Hindukusch", Waffenexporte in Krisenregionen, Kriege aller Art? Kurz: Wer Fluchtursachen sät, erntet der keine Flüchtlingsströme?

Und wie konnte die Bundeskanzlerin dafür sorgen, dass die Menschen ungehindert einreisen können, wenn sie gar nicht dispositionsbefugt ist, wie Prof. Putzke schreibt? Gibt es Dispositionsmacht ohne Befugnis? Geht das per Teleprompter, SMS oder über den kurzen Dienstweg? Wofür kann denn ohne Dispositionsbefugnis noch so gesorgt werden? Kann Unrecht zu Recht erklärt und Recht per Selbstermächtigung informell ausgesetzt werden? Wie rechtsstaatlich und demokratisch ist dieser Rechtsstaat? Hält man sich in Politik und Justiz an das GG und die Gesetze bei Jedermann oder steht alles unter Vorbehalt der informellen Dispositionsmacht? Kurz: Wer Unrecht sät, erntet der keine Missachtung des Rechts?

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@Berger

Zu dem kaskadenartigen Komplex des "illegalen" Grenzübertrittes, ist für mich noch eine Vorfrage zu klären.

Die griechischen Insel liegen ca. 10 km vor der türkischen Küste.

Eine Überfahrt von dort mit Schlauchboot ist gefährlich, aber machbar.

In der Realität -so hört man- würden die Flüchtlinge ihr Schlauchboot aufschneiden und zum Sinken bringen, wenn die griechische Küstenwache sie entdeckt.

Damit sind sie in Seenot und das Seerecht gebietet, diese Menschen zu retten.

Meine Frage zu ihren Ausführungen ist jetzt, darf die griechische Küstenwache -rein rechtlich- die Flüchtlinge überhaupt auf türkisches Staatsgebiet zurücktransportieren, so wie Sie das andeuten? 

 

Zur Sache:

Ich bin nicht unbedingt geneigt das Vorliegen eines Notstandes -auf welchen sich die Kanzlerin ja auch explizit beruft- zu bejahen.

 

Welches Rechtsgut sollte denn für die Flüchtlinge in Ungarn in Gefahr gewesen sein?

Die wollten sich schlicht nicht registrieren lassen. Mithin hielten die sich dadurch schon unerlaubt in Ungarn auf. Fraglich ist auch, ob die Menschrechtskonvention zum Schutz von Kriegsflüchtlingen in Ungarn überhaupt greift. Nach meinem Verständnis, greift hier ebenso eine gedachte Drittstaatenregelung, wie wir sie beim Asyl im GG finden.

 

Also zumindest Rechtfertigungsgründe erkenne ich keine für die Bundeskanzlerin.

 

Sehr geehrter Herr Berger,

Sie schreiben:

wie schön, daß sich doch noch einer der Autoren hier - nach Wochen! - wenigstens streiflichtartig mit einem Sachverhalt befasst, der, wenn er einfach so weitergeht, den Bestand der Bundesrepublik über kurz oder lang aus den Angeln heben wird. Nachdem uns unsere herrschende Klasse der Sache nach nichts weniger als den Krieg erklärt hat, die Gewaltenteilung aufgehoben scheint und wir uns folglich auf direktem Weg in innere Unruhen und in einen Bürgerkrieg befinden, bietet es ich ja auch an, die verfassungswidrige Asylpolitik "unserer" Bundesregierung einmal zu thematisieren, von mir aus auch gerne, soweit es eine mögliche strafrechtliche Haftung betrifft.

Ich habe den Gesamtkomplex tatsächlich nur "gestreift", soweit hier spezifisch strafrechtliche Vorwürfe gegen Frau Merkel erhoben wurden. Das Strafrecht bezieht sich auf ganz konkrete Normen und ist daher eher fragmentarisch. Politische Fehlleistungen, sofern man diese hier sieht, oder gar verfassungswidrige Entscheidungen von Politikern sind keineswegs automatisch oder auch nur regelmäßig auch strafrechtlich bedeutsam. Das Mittel der Demokratie, Leistungen von Politikern zu beurteilen, ist primär die Wahlentscheidung, nicht das Strafrecht. Von Bürgerkrieg und Kriegserklärung zu sprechen halte ich zudem für unangebrachtes Stammtischgerede. Allgemeine politische Diskussionen, auch über den Vortrag Schachtschneiders, zu dem sich vieles, auch gegenteiliges, sagen ließe, werden anderswo (praktisch auf sämtlichen Plattformen der überregionalen Tageszeitungen) geführt. Für die Diskussion meines Blog-Beitrags, der sich mit dem Strafrecht befasst, sind solche allgemeinen Erwägungen eher off topic.

 

Sehr geehrter Herr Lippke,

Sie schreiben:

Liegt die wesentliche Ursache der Flüchtlingsströme nicht schon im (ordnungs-)politischen Versagen wie z.B. der Einmischung (regime change) in anderen Ländern, interessengeleiteter "Landesverteidigung am Hindukusch", Waffenexporte in Krisenregionen, Kriege aller Art? Kurz: Wer Fluchtursachen sät, erntet der keine Flüchtlingsströme?

Natürlich kann man evtl. Ursachen für Flüchtlingsströme auch im vorherigen Verhalten oder Entscheidungen von Politikern erkennen. Aber ebenso wenig wie das von Herrn Berger angeführte politische Verhalten derzeit sind diese früheren Entscheidungen spezifisch strafrechtlich justiziabel, soweit das Völkerstrafrecht nicht betroffen ist. Zudem gibt es sicherlich auch Fluchtgründe, die nicht oder nicht maßgeblich von den Staaten mitverursacht wurden, die jetzt von der Flüchtlingskrise betroffen sind, d.h. die derzeitige Politik kann auch unabhängig vom früheren Verhalten beurteilt werden.

Und wie konnte die Bundeskanzlerin dafür sorgen, dass die Menschen ungehindert einreisen können, wenn sie gar nicht dispositionsbefugt ist, wie Prof. Putzke schreibt? Gibt es Dispositionsmacht ohne Befugnis? (...)

Hält man sich in Politik und Justiz an das GG und die Gesetze bei Jedermann oder steht alles unter Vorbehalt der informellen Dispositionsmacht?

Politiker können im allgemeinen  Strafrechtsnormen nicht außer Kraft setzen. Im speziellen Fall aber doch, denn die Einzelheiten zum Passwesen werden großteils in einer Rechtsverordnung und damit außerhalb des Parlaments geregelt. Für mich ist die erste Frage die Frage, ob eine "unerlaubte Einreise" der Flüchtlinge stattfindet. Die Frage habe ich oben beantwortet. Ob die Regierung sich hierzu eine eigene Dispositionsbefugnis zu Recht oder Unrecht angemaßt hat, ist m. E. nicht direkt relevant, weil die Strafbarkeit des Schleusers nach § 96 AufenthaltsG sich eben maßgeblich ableitet vom Begriff der unerlaubten Einreise. Auch ein Verstoß gegen das GG steht bzw. stünde nicht unter dem Vorbehalt der "informellen Dispositionsmacht", aber natürlich sollen Politiker auch in schwierigen Situationen Entscheidungen treffen, dafür sind sie gewählt. Auch ein Verstoß gegen das GG erfüllt nicht für sich einen Straftatbestand. Leider ist manchen nicht bewusst, dass ein Strafverfahren etwas anderes ist als eine Verfassungsbeschwerde oder Organklage. Daraus, dass das BVerfG gelegentlich eien parlamentarische, juristische oder politische Entscheidung als verfassungswidrig aufhebt, folgt ja auch nicht, dass diejenigen, die daran beteiligt sind, strafbare Handlungen begangen haben.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

 

@ Prof. Müller

 

Diese Sichtweise scheint mir aber nicht alle Aspekte des Sachverhalts zu berücksichtigen. Mag man auch der Auffassung sein, daß Kriegsflüchtlinge, insbesondere aus Syrien, aufgrund der "Einladung" der Bundesregierung nicht mehr illegal einreisen können, jedenfalls nicht vorsätzlich handeln, weil sie die Bundeskanzlerin so verstehen durften, das alle Menschen in Deutschland willkommen sind und ungeprüft einreisen dürfen, gilt das aber nicht für sämtliche Ausländer aller Nationalitäten, die nunmehr auf der "Flüchtlingskarte" nach Deutschland einreisen. Selbst bei großzügigster Auslegung der Worte der Bundeskanzlerin - die sie ja selbst gar nicht als allgemeine Einladung verstanden wissen will - kann man nicht jedem Einreisenden per se unterstellen, er reise nunmehr rechtmäßig ohne Paßpflicht oder hinsichtlich der Rechtswidrigkeit seines Tuns unvorsätzlich ein. Eine solche Blauäugigkeit wird sonst keinem rechtsunterworfenen Menschen strafbefreiend unterstellt.  Ihre Argumentation klingt jedoch so, als habe die Bundesregierung - rechtmäßig - wesentliche Teile des Ausländerrechts außer Kraft setzen dürfen und zwar nicht mit einer Verordnung, einem Gesetz oder sonstigen formellen Maßnahmen, sondern ausschließlich mit einem informellen Wort der Kanzlerin, das beiläufig dahingesagt war.  Ich interpretiere Art. 20 Abs. 3 GG anders.

 

Den Großteil der Flüchtlinge stellen nach den offiziellen  Zahlen immer noch junge Männer aus Albanien, dem Kosovo und Serbien, die ebenfalls weder kontrolliert noch sofort abgewiesen werden.  Solange dies geduldet wird und die Bundeskanzlerin ihre "Einladung" nicht ausdrücklich auf alle Ausländer erstreckt, halte ich die Auffassung, eine Strafbarkeit von Mitgliedern der Exekutive komme gar nicht in Betracht, für zweifelhaft. Abgesehen davon: mag auch die Einreise noch als legal angesehen werden. Das unkontrollierte und widerrechtliche Reisen innerhalb Deutschlands ist es m. E. nicht und wird dennoch von der Exekutive geduldet, die in Person der Bundeskanzlerin meint, der Grenzschutz und die Kontrolle der Flüchtlinge liege "nicht in ihrer Macht".

 

Um Mißverständnisse zu vermeiden: natürlich ist es unsere moralische und rechtliche Pflicht alle Kriegsflüchtlinge und sonstigen Asylberechtigten aufzunehmen. Aber doch bitte nicht unter Mißachtung unserer eigenen Rechtsordnung. Es ist doch ein Treppenwitz, daß jeder Bürger sich am Flughafen bis auf die Unterhose filzen lassen muß, wenn er 'mal drei Tage nach Mallorca fliegen möchte oder auch nur von München nach Hamburg, gleichzeitig aber hunderttausende Menschen, deretwegen diese Sicherheitsgesetze geschaffen wurden (wegen angeblich von ihnen ausgehender Terrorgefahr), unregistriert durch das Land laufen.

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@ Prof. Müller

"Leider ist manchen nicht bewusst, dass ein Strafverfahren etwas anderes ist als eine Verfassungsbeschwerde oder Organklage."

Doch - das ist mir sehr bewußt, deshalb halte ich ich die Frage nach einer eventuellen Strafbarkeit auch für nachrangig.

"Politiker können im allgemeinen  Strafrechtsnormen nicht außer Kraft setzen. Im speziellen Fall aber doch, denn die Einzelheiten zum Passwesen werden großteils in einer Rechtsverordnung und damit außerhalb des Parlaments geregelt."

Seit wann kann eine Exekutive grundrechtsrelevante Maßnahmen beschließen, ohne dazu durch ein formelles Gesetz ermächtigt zu sein? Das Grundrecht, um das es hier geht, ist die Freiheit aller Bürger, die sich kollektiv wiederspiegelt in der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland als Ganzes. Diese wird beschränkt durch die einseitige Außerkraftsetzung geltenden Rechts durch die Bundesregierung. Für die Anordnung, das Dublin-Abkommen für Asylbewerber mit syrischem Pass auszusetzen, hätte die Regierung eine verfassungsändernde Mehrheit sowohl im Bundestag und Bundesrat gebraucht, denn dieses hat als völkerrechtlicher Vertrag iSv. Art. 16a Abs. 5 GG Verfassungsrang. Der Umstand, dass die Regelungen zum Passwesen einfachgesetzlich, noch dazu in Form einer RVO geregelt sind, entbindet die Regierung doch nicht von der Notwendigkeit, diese Regelungen gefälligst einzuhalten statt sie außer Kraft zu setzen. Schon gar nicht, wenn es sich nicht um Einzelfälle, sondern um einen unüberschaubaren Zustrom von Menschen handelt. Aber ich weiß: Stammtischgerede.

@ Max Mustermann

"Meine Frage zu ihren Ausführungen ist jetzt, darf die griechische Küstenwache -rein rechtlich- die Flüchtlinge überhaupt auf türkisches Staatsgebiet zurücktransportieren, so wie Sie das andeuten?"

Das weiß ich nicht, fragen Sie einen Völkerrechtler, allerdings verhandelt die Bundesregierung gerade mit der Türkei (mit anderen Worten, sie versucht, die Türkei zu bestechen), daß diese ihre Grenzen in Richtung Europa effizienter kontrolliert. Herr Erdogan ist faktisch zum  Entscheider darüber geworden, wie viele Migranten nach Europa kommen und wird sich sein Entgegenkommen sicher honorieren lassen. Eines solche zwischenstaatliche Vereinbarung zu treffen wäre gewiß auch möglich gewesen, als es noch um Gestrandete auf griechischen Inseln ging. Wenn man sie denn gewollt hätte.

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Schon im Mittellater wußten die Angelsachsen: "The King can do no wrong!".

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@ Berger

 

Nach Ihrem kraftvollen Vortrag über die überbordende Rechtlosigkeit des Regierungshandelns in Deutschland hoffte ich eigentlich mit meiner Frage, Sie auf eine systemtheoretische Konfliktstelle hinzuweisen.

 

Die Problematik der Grenzsicherung, resp. der nun angestrebten Verhandlungslösung mit der Türkei - auf die Sie ja auch hinweisen - liegt darin, dass Grenzsicherung regelhaft nach aussen stattfindet und eben nicht nach innen.

 

Auf welche Rechtsgrundlage gestützt sollte die Türkei Flüchtlinge an der Ausreise nach Europa hindern können?

Um Ihnen meinen Kenntnisstand auf meine Frage mitzuteilen:

Nach türkischer Rechtslage (soweit mir bekannt) wäre eine Rückführung von Flüchtlingen der Länder möglich, zu denen die Türkei eigene Staatsgrenzen unterhält.

Diese Regel macht auch Sinn (aus türkischer Sicht).

Frivol ist natürlich die Konsequenz, dass Europa in Einklang mit der Bundeskanzlerin Syrer - zu denen die Türkei eine Grenzanbindung hat- gerade nicht zurückschickt, sondern u.a. die Pakistaner im Blick hat, welche aber nicht  zurückgenommen werden.

 

Ich stimme mit dem Professor nicht überein, dass die gegenwärtige Lage problemlos unter § 14 AufenthaltsVerordnung subsumierbar ist. Zumindest hege ich starke Zweifel, dass dieses Katastrophenszenario bis an die deutsche Landesgrenze heranreicht. 

 

Hier wird die Sachverhaltsdarstellung ja auch unscharf. Im Beitrag ist von "de facto Aussetzung der Passpflicht" und "konkludentem Regierungshandeln" die Rede.

 

Mir persönlich ist keine offizielle Dienstanweisung im oder an das Innenministerium bezüglich der Vorgehensweise des Bundesgrenzschutzes bekannt. Also zumindest gesehen habe ich eine solche noch nicht.

 

Ich hielte es aber für unerlässlich eine solche in Augenschein zu nehmen, um die Prüfung einer Strafbarkeit überhaupt seriös beantworten zu können. Die kolpotierte "in Abstimmung mit der Bundeskanzlerin" ist für mich noch nicht mit justiziablen hard facts unterlegt. (Vielleicht kann ja jemand hier im blog liefern?)

 

Bekanntlichh kann die Bundeskanzlerin mit einer Interviewäusserung nicht nur die Börsen in Unruhe versetzen, sondern auch -wie wir jetzt sehen- die halbe Welt ins Chaos stürzen.

 

Nur dass die "Angeklagte" Merkel irgendwo gesagt hätte, sie würde die Passpflicht aussetzen -der Dreh- und Angelpunkt der Analyse des Professors- ist wenn, dann doch ungehört verhallt.

Hat die doch nie gesagt.

Die plädoyehafte Einlassung der Bundeskanzlerin beschränkt sich auf die Feststellung, dass ein effektiver Grenzschutz gar nicht möglich sei...

Sie beruft sich auf eine objektive Unmöglichkeit. 

Ob diese Aussage kriminalpädagogisch sinnvoll ist, sei einmal dahingestellt, denn welcher Hausbesitzer schraubt in der Erwartung, dass der Einbrecher sonst zum Fenster einsteigt, seine Eingangstüre ab?

Ich gebe Ihnen recht, dass das gegenwärtige Krisenmanagment für Erheiterung sorgt.

Eine Bundeskanzlerin, die sich ausser Stande sieht, die deutsche Grenze zu kontrollieren, bietet als Lösung der Flüchtlingswelle die stärkere Sicherung der Aussengrenze der EU an.

Meine Frau kommt aus einem Land in dem seit 40 Jahren Bürgerkrieg herrscht und hat da auch in der Regierung gearbeitet. Die fragt mich nach jedem Interview von Merkel : "Ist die Frau auf Drogen?"

Vielleicht sollte bei der strafrechtlichen Bewertung des Handelns der Bundeskanzlerin, die Schuldfähigkeitsbetrachtung stärker in den Fokus rücken...

 

Sehr geehrter Mustermann,

Sie schreiben:

Ich stimme mit dem Professor nicht überein, dass die gegenwärtige Lage problemlos unter § 14 AufenthaltsVerordnung subsumierbar ist. Zumindest hege ich starke Zweifel, dass dieses Katastrophenszenario bis an die deutsche Landesgrenze heranreicht.

Ich habe dies nicht als "problemlos" bezeichnet und halte es auch nicht für problemlos. § 14 AufenthaltsVO  ist aber ein Beleg dafür, dass es tatsächlich eine gewisse Dispositionsbefugnis über die Passpflicht in Katastropehneszenarien gibt. "Unerlaubte Einreise" ist anders als andere Tatbestandsmerkmale des klassischen Strafrechts nicht gänzlich der Exekutive entzogen. Vielmehr hängen §§ 95, 96 AufenthaltsG eben an der Passpflicht. Diese Frage hat Putzke nicht mit einem Wort angesprochen. 

 

Hier wird die Sachverhaltsdarstellung ja auch unscharf. Im Beitrag ist von "de facto Aussetzung der Passpflicht" und "konkludentem Regierungshandeln" die Rede.

Beide Zitate stammen nicht aus meinem Beitrag. Mein Argument ist allerdings: Flüchtlinge ohne Pass, die faktisch eingeladen werden und sogar von der Bahn im Auftrag der Regierung über die Grenze transportiert werden (das betrifft jedenfalls diejenigen aus den Bürgerkriegsgegenden), können nicht zugleich vorsätzlich den Tatbestand der unerlaubten Einreise erfüllen.

 

Mir persönlich ist keine offizielle Dienstanweisung im oder an das Innenministerium bezüglich der Vorgehensweise des Bundesgrenzschutzes bekannt. Also zumindest gesehen habe ich eine solche noch nicht.

Ich hielte es aber für unerlässlich eine solche in Augenschein zu nehmen, um die Prüfung einer Strafbarkeit überhaupt seriös beantworten zu können. Die kolpotierte "in Abstimmung mit der Bundeskanzlerin" ist für mich noch nicht mit justiziablen hard facts unterlegt. (Vielleicht kann ja jemand hier im blog liefern?)

Nein. Die evtl. Strafbarkeit der BKin hängt an der vors. und rw. unerlaubten Einreise (der "Haupttat"). Deshalb ist es auch für eine Strafbarkeitsprüfung nicht unerlässlich zu prüfen, ob Merkel rechtmäßig gehandelt hat.

 

Bekanntlichh kann die Bundeskanzlerin mit einer Interviewäusserung nicht nur die Börsen in Unruhe versetzen, sondern auch -wie wir jetzt sehen- die halbe Welt ins Chaos stürzen.

Ja, das mögen Dinge sein, die man politisch und auch verfassungsrechtlich untersuchen kann, die aber bei der derzeitigen Rechtslage strafrechtlich nicht relevant sind. M. a. W.:  Das ist nicht meine Baustelle.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Lieber Professor,

vielen Dank für Ihre klarstellenden Worte. Sie haben recht, ich habe mich in meinem Post schon ein wenig von Ihrem Beitrag entfernt, resp. interpretatorische Eigenleistungen hineingetragen.

 

Daher mag vielleicht auch ein Missverständnis zwischen uns vorliegen, wenn Sie schreiben:

"Nein. Die evtl. Strafbarkeit der BKin hängt an der vors. und rw. unerlaubten Einreise (der "Haupttat"). Deshalb ist es auch für eine Strafbarkeitsprüfung nicht unerlässlich zu prüfen, ob Merkel rechtmäßig gehandelt hat."

 

Ich wollte vielmehr die Frage aufwerfen, ob Merkel überhaupt "gehandelt" hat.

Sprich: gibt es überhaupt Anweisungen der Regierung, welche im Rahmen ihrer Dispositionsbefugnis getätigt wurden? (Kann man die irgendwo nachlesen?)

 

Nach meiner Wahrnehmung gab es nur Interviews und vielleicht noch persönliche Versicherungen Merkels an Orban, die Flüchtlinge nicht an der Grenze aufzuhalten.

Kurz: Im Wissen darum, dass die Aussengrenzen des Schengenraumes durch Ungarn nicht ausreichend geschützt sind, hat sie die Anwendung des Schengenabkommens, also den Verzicht auf ständige Grenzkontrollen, ausdrücklich bekräftigt.

Die Menschen aber in die Züge steigen zu lassen, war m.E. in der Regierungsverantwortung von Orban. 

Die Sonderzüge selbst waren österreichische...

Ehrlich gesagt, weiss ich nicht, ob sich aus dem Schengenabkommen eine Pflicht der Bundesregierung ergibt, Grenzkontrollen durchzusetzen in dieser Situation, mit der Folge, dass ein solches Unterlassen eine rechtswidrige Förderung der unerlaubten Einreise wäre.

 

Ich frage mich schlicht, was soll die Frau denn gemacht haben, um entweder die Haupttat straffrei zu stellen oder selbst rechtswidrig gehandelt zu haben?

 

Unsinnige DDR Vergleiche anzustellen, kann doch noch nicht strafbar sein...

 

Beste Grüsse

 

 

@ Prof. Müller

 

Ich halte Ihre Argumentation nicht für überzeugend. Sie haben bereits darauf hingewiesen, daß Teile des Strafrechts verwaltungsakzessorisch sind. Dies gilt auch für weite Teile des Umweltstrafrechts. Wenn jetzt jedermann anfinge, seinen Müll in den Wald zu kippen, die zuständigen Behörden würden dem nicht mehr Herr und der zuständige Behördenleiter verkündete öffentlicht und beiläufig in einem Interview, das Problem sei für ihn nicht mehr beherrschbar, dann solle doch jeder seinen Mist in den Wald kippen, verträten Sie dann die Auffassung, daß sich mit dieser Form der Müllentsorgung niemand mehr strafbar mache, da er nicht mehr rechtswidrig handele, aufgrund der Äußerungen des Behördenleiters aber jedenfalls nicht mehr schuldhaft?

 

Das scheint mir doch etwas weit hergeholt, zumal für mich nicht deutlich wird, wo Sie die Grenze ziehen möchten. Gilt die Straffreiheit nur für syrische Flüchtlinge oder kann  sich keiner der 7 Milliarden Menschen, die außerhalb Deutschlands wohnen, mehr strafbar machen, wenn er einfach unsere Grenze übertritt und sich auf das Wort der Kanzlerin beruft? Nach dem Motto: ich habe die Kanzlerin so verstanden, daß hier jeder ohne Anlaß und Legitimation einreisen darf und übrigens: ich flüchte gerade vor diesem und jenem Unbill in meinem Land? Ergo: straffrei?

 

Ich bin zudem der Auffassung, daß die Frage, ob die Kanzlerin bzw. die zuständigen Exekutivorgane insgesamt rechtmäßig handeln, indem sie in einer nach meiner Überzeugung formell nicht rechtmäßigen Weise unser Ausländerrecht de facto (ggf. durch Unterlassung) außer Kraft gesetzt haben, bei der Beurteilung der Strafbarkeit der Einreisenden eine Rolle spielt. Es wäre mir völlig neu, daß die Strafbarkeit im verwaltungsakzessorischen Strafrecht dann entfällt, wenn die Verwaltung rechtswidrig die der Strafnorm zugrunde liegenden Verwaltungsvorschriften nicht anwendet, aus welchen Gründen auch immer.  Niemand, der beispielsweise einen Sozialbetrug begeht, kann sich darauf berufen, er wisse, daß die zuständigen Sachbearbeiter bei der Bewilligungsbehörde immer ein Auge zudrücken und aufgrund von Überlastung nicht genau hinschauen und ihm deshalb ermutigt hätten, so zu handeln.

 

In welcher (rechtmäßigen) Handlung der Exekutivorgane sehen Sie eine formelle Außerkraftsetzung des Einreiserechts?  Eine tatsächliche und stillschweigende Kapitulation vor der Macht des Faktischen ist in einem noch funktionierenden Rechtsstaat keine Rechtsakt, zumal der Bundesregierung meines Erachtens die rechtliche Kompetenz fehlt, diese Entscheidungen zu treffen. Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers umfaßt nicht die Befugnis, par ordre de mufti große Teile des Rechts außer Kraft zu setzen.

 

Man kann das Recht natürlich ändern. Aber das muß der Bundestag entscheiden und nicht im wesentlichen Frau Merkel im Alleingang. Bei jeder weniger wichtigen Entscheidung hebt das BVerfG (und auch die Lehre) die Vorrechte des Bundestages hervor. Bei diesen einmaligen, einsamen und weitreichenden Entscheidungen der Kanzlerin soll das plötzlich nicht mehr gelten?  Das wage ich zu bezweifeln.

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Sehr geehrter Herr Crane,

danke für Ihren Beitrag. In der Tat hängt meine Schlussfolgerung natürlich an der Bewertung dieser Fragen.

Sie werden sicherlich zustimmen, dass das, was Merkel und mit ihr die gesamte damit befasste Exekutive derzeit macht, nämlich die Einreise von Flüchtlingen aufgrund bestimmter tatsächlicher Umstände (Flüchtlingskrise")  zu gestatten ohne auf Pässe zu achten, etwas anderes darstellt als die von Ihnen genannten Beispiele. Ich gehe auch einmal davon aus, dass Sie keine menschenunwürdigen Vergleiche anstellen wollten. Ich stimme auch nicht zu, dass "große Teile des Rechts" außer Kraft gesetzt werden, wenn die Bundesregierung sich entschließt, statt Grenzzäune und bewaffnete Truppen gegen Flüchtlinge einzusetzen, Flüchtlinge einreisen lässt. Letztlich ist es nur ein (zeitweiser und ausnahmsweiser) Verzicht auf die Passpflicht bei Einreise, der hier in Rede steht.

Die von Ihnen als so selbstverständlich bezeichnete Antwort, behördliche Duldung ändere nichts an der Strafbarkeit etwa des Umweltfrevlers , ist keineswegs selbstverständlich:

"Ob in einem solchen Fall  [behördliche Duldung] eine rechtswidrige und strafbare Umweltbeeinträchtigung vorliegt, ist eine der umstrittensten Fragen des Umweltstrafrechts" (Schmitz in MüKo-StGB, vor §§ 324 ff, Rn. 96).

Schmitz selbst kommt im MüKo-StGB zu dem Ergebnis, die rechtmäßige Duldung (auch die konkludente) begründe auch die Rechtmäßigkeit des umweltschädigenden Aktes, eine rechtswidrige Duldung hingegen nur einen Verbotsirrtum. An der Übertragbarkeit auf den hiesigen Fall habe ich aber erhebliche Zweifel und möchte auch nicht weiter den von Ihnen gezogenen Vergleich diskutieren.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Sehr geehrter Professor,

 

zu obenstehender Replik möchte ich anmerken, dass Sie für mein Empfinden sich vor der eigentlichen Frage drücken.

Ich finde den Schlenker über die "Passpflicht" in Ihrer Argumentation auch mehr verklärend als erhellend.

Die Reiseroute ist, resp. war Ungarn-Österreich-Deutschland.

Rechtslage ist, dass die Flüchtlinge dort registriert werden müssen, wo sie erstmals EU-Boden betreten. 

Und Dublin II verknüpft den Ort des Asylantrages mit dem Land der Registrierung.

In Ungarn wollten die Menschen sich aber nicht registrieren lassen.

Orbán hat es doch versucht. Hätte dies aber nur mit Gewalt durchsetzen können.

Das hätte eine gewaltätige Auseinandersetzung gegeben. Von humanitärer Krise keine Spur.

Also sagt Merkel : "Wir setzen die Rücksendung von Syrern aus."

Das entspricht aber nicht Dublin II.

Frage: Steht das in der Disposition der Bundeskanzlerin? Binden solche Aussprüche Merkels die Verwaltungsbehörden in Deutschland in irgendeiner Weise?

Die Duldung der Passfreien Einreise steht hier doch gar nicht zur Debatte.

1. Können wir getrost davon ausgehen, dass die Syrer alle ihre Pässe haben. Ist ja deren Asylversicherung in Deutschland.

2. Könnten sie ja auch einen Reiseausweis in Deutschland beantragen, sollten sie keinen haben. Die Einreise zum Zwecke des Asylantrages ist ja m. W. nicht strafbar. Die dürften hier aber keinen stellen. Das ist doch der Punkt.

Also hat man Österreich zugesagt, Deutschlands Grenzen blieben offen und Ungarn kann sich den Stress mit der Registrierung schenken.

Grenzkontrollen sind im Schengenraum nicht verpflichtend vorgesehen. In deren Unterlassung kann ich keine rechtswidrige Förderung entdecken.

Beste Grüsse

@ Prof. Müller

 

In dieser Debatte muß man wohl feststellen, daß auch die rechtliche Bewertung der politischen Haltung folgt. Hochumstrittene politische Fragen lassen sich in der Regel nicht eindeutig rechtlich fassen.  Wer die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung unterstützt, wird auch Argumente finden, sie rechtlich für einwandfrei zu erklären; Gegner dieser Politik werden mit ebenso guten Argumenten deren Rechtswidrigkeit zu belegen versuchen. Für das hier ebenfalls betroffene Völkerrecht ist das in meinen Augen geradezu typisch. Dessen Auslegung folgt den politischen Machtverhältnissen und Präferenzen. Mein Völkerrechtslehrer, Herr Prof. Gilbert Gornig, hat vor 20 Jahren in einer Vorlesung behauptet, keine Rechtsordnung werde so selten verletzt wie das Völkerrecht. Diese Einschätzung konnte ich schon damals nicht teilen.

 

Ich halte die Flüchtlingspolitik von der Intention her für richtig, deren rechtliche Handhabe aber für unvertretbar. Wenn man das nicht kurzfristig auf eine rechtlich saubere Basis stellt, befürchte ich, daß das Vertrauen in den Rechtsstaat Schaden leidet.

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Sehr geehrter Herr Crane,

Sie schreiben:

Wer die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung unterstützt, wird auch Argumente finden, sie rechtlich für einwandfrei zu erklären; Gegner dieser Politik werden mit ebenso guten Argumenten deren Rechtswidrigkeit zu belegen versuchen.

Genau deshalb habe ich mich zurückgehalten hinsichtlich einer Bewertung der (allg.) Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Bundeskanzlerin. Es geht mir allein um das Strafrecht, genauer um die Frage, ob die Bundeskanzlerin gegen § 96 AufenthaltsG verstoßen hat, indem sie bei der unerlaubten Einreise geholfen hat. Meines Erachtens hängt das nicht von der völkerrechtlichen Bewertung ab.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Mustermann,

Sie schreiben:

Frage: Steht das in der Disposition der Bundeskanzlerin? Binden solche Aussprüche Merkels die Verwaltungsbehörden in Deutschland in irgendeiner Weise?

Die Duldung der Passfreien Einreise steht hier doch gar nicht zur Debatte.

Ich habe zu begründen versucht, warum  an der "unerlaubten Einreise" auch die Strafbarkeit der Bundeskanzlerin hängt. Sie müssen mir in meiner Argumentation ja nicht unbedingt folgen, dass die faktische Duldung die unerlaubte Einreise ausschließt, aber dass genau diese Frage zur Debatte steht, ist m. E. kaum von der Hand zu weisen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Henning Ernst Müller schrieb:

Ich habe zu begründen versucht, warum  an der "unerlaubten Einreise" auch die Strafbarkeit der Bundeskanzlerin hängt. Sie müssen mir in meiner Argumentation ja nicht unbedingt folgen, dass die faktische Duldung die unerlaubte Einreise ausschließt, aber dass genau diese Frage zur Debatte steht, ist m. E. kaum von der Hand zu weisen.

Lieber Professor,

vorweg möcht ich anschicken, dass ich mich nicht am Ergebnis Ihrer Analyse stosse. Ihr Lösungsweg scheint mir aber nicht dem zugrunde liegenden Sachverhalt gerecht zu werden.

Es mag auch an meinem intellektuellen Unvermögen liegen, wenn ich aus Putzke`s Schriftsatz nicht herauslesen konnte, dass er sich bei der Beschäftigung mit § 95 AufenthG auf die passfreie Einreise bezogen hat.

 

Nach meiner Auffassung -sollte man sich auf diesen Aspekt beziehen wollen-steht mit Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention ein gesetzlicher Rechtfertigungsgrund zur Verfügung.

 

Ein de-facto Verwaltungsakt (???) innerhalb der Dispositionsbefugnis einer Bundeskanzlerin zur Strafbefreiung der "Haupttat" bedarf es hierzu nicht.

 

Mit freundlichen Grüßen

Henning Ernst Müller schrieb:

 

Genau deshalb habe ich mich zurückgehalten hinsichtlich einer Bewertung der (allg.) Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Bundeskanzlerin. Es geht mir allein um das Strafrecht, genauer um die Frage, ob die Bundeskanzlerin gegen § 96 AufenthaltsG verstoßen hat, indem sie bei der unerlaubten Einreise geholfen hat.

 

Die Bundeskanzlerin hat ihre Kompetenzen überschritten, indem sie nicht nur in wenigen Einzelfällen die Einreise ohne Pass erlaubt hat, sondern generell. Sie hat offensichtlich rechtswidrig gehandelt, und da sie als Bundeskanzlerin die Gesetze kennt (kennen muss), auch vorsätzlich.

Das vorsätzlich rechtswidrige Verhalten eines Exekutivorgans fällt unter den Straftatbestand Rechtsbeugung. Nicht nur Richter, auch Verwaltungsbeamte können sich der Rechtsbeugung schuldig machen. Dann natürlich auch die Bundeskanzlerin.

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Oh, macht Putzke ja gleich im ersten Satz... xD

 

Interessant ist, wie in der Strafanzeige der AfD argumentiert wird und auch, welche strafrechtlichen Zusammenhänge weggelassen werden: Es wird in der Strafanzeige nämlich nur hergeleitet, dass die Einreise nach AsylVerfG "unerlaubt" sei, weitere in Betracht kommende Erlaubnissachverhalte werden nicht geprüft. Zudem fehlt es an der plausiblen Herleitung der vorsätzlichen und rechtswidrigen unerlaubten Einreise.

Die Dispositionsbefugnis der Exektutive für Ausnahmen zur Passpflicht ergibt sich aus § 3 Abs. 2 AufenthG zu:   "(1) Ausländer dürfen nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie von der Passpflicht nicht durch Rechtsverordnung befreit sind. Für den Aufenthalt im Bundesgebiet erfüllen sie die Passpflicht auch durch den Besitz eines Ausweisersatzes (§ 48 Abs. 2). (2) Das Bundesministerium des Innern oder die von ihm bestimmte Stelle kann in begründeten Einzelfällen vor der Einreise des Ausländers für den Grenzübertritt und einen anschließenden Aufenthalt von bis zu sechs Monaten Ausnahmen von der Passpflicht zulassen."   Diese Dispositionsbefugnis passt m. E. aus folgenden Gründen nicht: - Frau Merkel ist nicht das BmI. Kann sie als Kanzlerin die Aufgabe an sich ziehen? Ist das erstens überhaupt, zweitens formal korrekt erfolgt? Das ist zumindest unklar. - Die Regelung bezieht sich auf "begründete Einzelfälle". Eine "Generalausnahme" ist davon sicherlich nicht umfasst. Eine Prüfung und Begründung im Einzelfall wäre erforderlich. "Kommt alle her" ist das genaue Gegenteil dessen. Mit derselben Logik könnte eine Polizeibehörde im Rahmen ihres Entschließungsermessens die Entscheidung treffen, generell nicht mehr tätig zu werden. Nein! Sie hat im Einzelfall zu prüfen. - Die Ausnahme ist nur für bis zu sechs Monate möglich. Ist das hier der Fall? Viele der Einreisenden werden länger im Inland bleiben. - Eine Anwendung des Abs. 2, die die grundsätzliche Regelung in Abs. 1 vollkommen aufhebt, verkehrt Ausnahme und Regel in ihr Gegenteil und dürfte nicht dem gesetzgeberischen Willen sowie der Funktion der Ausnahmeregelung entsprechen.   In der Sache bin ich wahrscheinlich sogar bei Frau Merkel. Aber der korrekte Weg hätte wohl anders ausgesehen.   Im Übrigen fände ich eine Bejahung der Strafbarkeit so umwälzend auch nicht. Ändert es viel, wenn sie einen Strafbefehl über sechs Monatsgehälter bekommt? Peinlich vielleicht, aber sie nimmt durch diese Entscheidung größere Nachteile auf sich als das, konkret in der Gefährdung ihrer Wiederwahl.   Um mal einen ganz weiten Bogen zu ziehen: Frau Merkel hat die vorsätzliche Tötung Osama Bin Ladens begrüßt, obwohl diese Tötung möglicherweise als strafbare Handlung zu bewerten ist oder bei Anwendbarkeit deutschen Rechts zu bewerten wäre. Jdf. nach ihrem Wertekanon ist die Begehung einer Tötung (und möglicherweise Straftat) nicht unbedingt falsch, wenn damit ein übergeordnetes, ideologisches Ziel erreicht wird, dort die Tötung eines Terroristen, hier die Rettung von Flüchtlingen vor Krieg und Terrorismus. Dieser Wertekanon wäre nicht unbedingt in Frage gestellt, für die Rettung von Flüchtlingen eine eigene Bestrafung in Kauf zu nehmen. Und ganz unschlüssig wäre das nicht - eigene Nachteile, u. U. auch eine gesellschaftliche oder rechtliche Verurteilung durch andere, in Kauf zu nehmen, ist Teil dessen, was es heißt, ein Held zu sein, oder nicht?
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Zur Frage, ob sich das Vorsatzelement plausibel herleiten lässt, habe ich einen thematisch treffenden Bericht aus den österreichischen Nachrichten gefunden:

https://www.youtube.com/watch?v=VUdUkKH3J7o

Ob der Umstand, dass "sich die Polizisten schliesslich fügen" den Vorsatz entfallen lassen kann, halte ich für fragwürdig. Objektiv betrachtet darf man annehmen, dass den damals in Ungarn "festsitzenden" Flüchtlingen der Grund des Rückstaus auf ihrem langen Marsch bekannt gewesen sein muss.

 

Ob das freundliche Gesicht der Kanzlerin nun einen Verwaltungsakt darstellt oder nicht, braucht nicht weiter erörtert zu werden, denn richtig ist, irgendetwas muss - in Rücksicht auf §63 Beamtengesetz- geschehen sein, ansonsten liesse sich diese Leitentscheidung zum Selbsteintrittsrecht (mit Photo) nicht erklären:

http://blogs.faz.net/hierundjetzt/2015/10/09/warum-ayham-alshaabi-ploetz...

Würden wir an Frau Merkels öffentlich geäusserten Worten der  Nichtrückführung von Syrer festhalten, würde das die Frage nach der Strafbarkeit für Angehörige anderer Volksgruppen und eben auch für sie selbst weiterhin offenlassen.

 

 

Es ist schön das die rechtlichen Fragen nun auch mal etwas genauer diskutiert werden.

 

Die Frage ob unerlaubte Einreise vorliegt ist sicher zentral.

 

Es stimmt, dass die Exekutive bei der Erlaubniserteilung eine Rolle spielt, die sie ja auch regelmässig durch Visaerteilung ausübt. Daraus zu schliessen, dass Sie dabei vollkommen frei ist, halte ich für unvertretbar. Das AufenthaltsG bestimmt nämlich grade auch die Art, Form und Ausmass der Dispositionsbefugnisse der Exekutive.

In diesem Fall dürfte AufenthaltsG § 3 einschlägig sein:

§ 3 - Passpflicht

(1) Ausländer dürfen nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie von der Passpflicht nicht durch Rechtsverordnung befreit sind. Für den Aufenthalt im Bundesgebiet erfüllen sie die Passpflicht auch durch den Besitz eines Ausweisersatzes (§ 48 Abs. 2).

 

Hier wird abschliessend ("nur") definiert wann es Ausländern erlaubt ist einzureisen, nämlich im Regelfall durch Besitz entsprechender Papiere (Pass oder Passersatz). Einfluss der Exekutive besteht also im Regelfall nur indirekt, also durch Ausstellung entsprechender Papiere aufgrund entsprechender Gesetze. Ausserdem muss der Ausländer diese auch besitzen, so das eine Fernpasserteilung durch TV-Interview wohl ausgeschlossen ist. Es bleibt also nur die Rechtsverordnung, die im nächstem Abschnitt geregelt ist. Das beantwortet auch die Frage wann ein Pass i.S. der Strafgesetze erforderlich ist, nämlich bei allen Ausländern, die nicht per Rechtsordnung befreit wurden.

(2) Das Bundesministerium des Innern oder die von ihm bestimmte Stelle kann in begründeten Einzelfällen vor der Einreise des Ausländers für den Grenzübertritt und einen anschließenden Aufenthalt von bis zu sechs Monaten Ausnahmen von der Passpflicht zulassen.

Das in dem TV-Interviews kaum so eine Rechtsverordnung gesehen werden kann dürfte dann wohl klar sein, schon weil Sie auf Einzelfälle beschränkt ist.

 

Deshalb werden zur Umsetzung von Visafreiheitsabkommen ja auch Gesetze und nicht Rechtsverordnungen erlassen. Es ist vorstellbar, dass sich in anderen Gesetzen eine Erlaubnis zum Erlass einer allgemeinen Rechtsverordnung findet, aber wenn dann wird sie wohl mind. ähnlich stark eingeschränkt sein, denn es besteht ein gewisses Intresse daran, dass nicht jeder Feld-und-Wiesen-Bundesbeamter Visafreiheitsabkommen schliessen kann.

 

Auch das Eintretungsrecht nach Dublin kann mit sicherheit auch nicht per TV-Interview ausgeübt werden und schon garnicht für unbestimmt grosse Gruppe. Soweit ich weiss gibt es bisher nur eine interne Verwaltungsanweisung. Man sollte auch daran denken, dass jede Asylanerkennung (etc) potentiell Lasten für alle EU Länder erzeugt, aufgrund der fehlenden Grenzkontrollen. Vllt ist grosszügige Anerkennung sogar Ultra-Vires gegenüber anderen EU-Ländern.

 

 

 

4

Der Bogen zur Tötung ist garnicht so weit.

 

Es gibt ja noch andere Straftatbestände bei denen bedingter Vorsatz und "objektive Förderung" im allerweitest denkbarem Sinne regelmässig ausreicht. 

 

 

Was man schon jetzt sagen kann ist wohl, dass Aufgrund der Fluechtlingspolitik in Deutschland viele zusätzliche Morde und Vergewaltigungen begangen werden. Letzteres ist schon jetzt mehrfach dokumentiert innerhalb von Fluechtlingslagern.

 

Dass Merkel mit ihrem Interview und Weisungen bald den Tod von vielen Menschen verursacht haben wird würd ich ihr nicht mal vorwerfen, wenn es Ergebnis rationaler Abwägung wär, also insgesamt die beste Handlungsoption. Aber sie weigert sich  beständig realistische Folgenabschätzungen anzustellen und ggf. die betr. Rechtsgüter abzuwägen. 

 

Das Unterlässt man bereits seit Jahren bzgl der ertrinkenden Mittelmeerflüchtlinge, obwohl es klar ist, dass sie nur deshalb die Gefahr eingehen weil sie sich darauf verlassen können nicht zurückgebracht zu werden. Vor Australien ertrinkt fast niemand mehr seitdem dort alle Bootsflüchtlinge konsequent wieder abgeschoben werden. Daran sieht man gut, dass es der Politik nicht um die Fluechtlinge geht sondern um den Propagandabrennwert. 

4

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird zwar von einigen großen Medien beinahe wie eine Heilige dargestellt.

Aber laut unserer geschriebenen Verfassung steht sie nun mal (zumindest bislang) nicht über dem Gesetz, und sie hat nicht die Kompetenz Gesetze außer Kraft zu setzen (letzteres können nur die Gesetzgebungsgremien Bundestag und Bundesrat und auch nur in den dafür vorgesehenen formalen Verfahren).

Wenn man sich auf den Standtpunkt stellen würde, illegale Einanderer wären gerechtfertigt gewesen oder hätten nicht tatbestandsmäßig gehandelt, weil die Bundeskanzlerin mit ihrer Einreise einverstanden gewesen sei, dann geht man damit doch wohl einen Schritt auf eine de-facto-Willkürherrschaft der Bundeskanzlerin zu?

Verfassung und Rechtsstaat über Bord zu werfen unter Berufung darauf das man doch "Gutes" tuen wolle und "Humanität" ausüben wolle erscheint mir sehr fragwürdig.

Macht es denn niemand Sorge, daß so etwas Schule machen könnte?

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Rechtsbeugung - spannende Idee. Scheitert möglicherweise daran, dass keine Entscheidung im Einzelfall vorliegt und keine konkrete Partei benachteiligt oder bevorzugt wird - ich verstehe die Norm so, dass sie das voraussetzt. Ganz auszuschließen ist es aber auch nicht.

Fachlich: Die Formulierungen "kennen musste" und "vorsätzlich" passen nicht gut einen Satz. Kennenmüssen ist ein Argument bei der Begründung von Fahrlässigkeit, nicht von Vorsatz.

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Leser schrieb:

Rechtsbeugung - spannende Idee. Scheitert möglicherweise daran, dass keine Entscheidung im Einzelfall vorliegt und keine konkrete Partei benachteiligt oder bevorzugt wird - ich verstehe die Norm so, dass sie das voraussetzt.

Wäre es eine Entscheidung im Einzelfall, so wäre es ja vermutlich gerade keine Rechtsbeugung. Denn eine Ausnahmentscheidung im Einzelfall ist laut Gesetz ja gerade zulässig.

Nehmen wir mal an, der Beamte einer Führerscheinbehörde trifft die Entscheidung, ab sofort jedem Führerscheinbewerber auch ohne bestandene Prüfung den Führerschein auszuhändigen. In einem Anfall von Wohltätigkeit, unter Missachtung aller Vorschriften. Wie Frau Merkel auch. Was würde man mit diesem Verwaltungsbeamten machen?

5

Haben die Kollegen in Passau und anderswo angesichts des aktuellen Flüchtlingselends wirklich nichts bessers zu tun, als sich über die Bestrafung der Kanzlerin Gedanken zu machen? Alles verwaltungsakzessorisches Strafrecht steht unter dem Vorbehalt rechtmässigen Verwaltungshandelns. Und wenn unsere oberste demokratisch und rechtsstaatlich legitimierte Exekutive, gleich ob zuständig oder nicht, gleich ob ultra vires oder nicht, zur Gefahrenabwehr eine Verwaltungsentscheidung trifft, dann ist das in Ordnung und nicht strafbar, ganz gleich, was irgendwelche blutarmen Dogmatiker in Passau absondern.

 

 

2

Die meisten Politiker genießen doch diplomatische Immunität - und die Bundeskanzlerin doch sicher auch, oder etwa nicht?

1

In manchen Ländern haben Staatsanwälte (oder auch Sherriffs) eine relativ unabhängige Stellung.

In Deutschland ist das nicht so.

Hierzulande bemühen sich zumindest manche Staatsanwälte, es sich nicht mit ihrer Landesregierung oder auch der Bundesregierung zu verderben.

Außerdem bemühren sich manche Staatsanwälte auch darum, sich mit der Boulevardpresse gut zu stehen.

Die Bundeskanzlerin ist Chefin der Bundesregierung, und hat als Bundesvorsitzende ihrer Partei auch Einfluss auf manche Landesregierungen.

Außerdem stehen große Boulervardzeitungen und andere Massenmedien hinter der Bundeskanzlerin.

Alleine schon bloß vor diesem Hintergrund erscheint es nicht wahrscheinlich, daß ein Staatsanwalt gegen die Bundeskanzlerin Anklage erheben würde, wenn es sich denn auch nur irgendwie (z.B. unter Berufung auf fehlende Zuständigkeit) vermeiden lässt.

In manchen Bundesstaaten der USA, wo ein Sherriff oder auch ein Staatsanwalt direkt vom Volk gewählt und legitimiert werden, wäre die Wahrscheinlichkeit, daß es zu einer Anklage oder zumindest zu einem Ermittlungsverfahren käme, vermutlich höher.

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Ich hab mich früher auch sehr darüber geärgert, dass die Gerichte alle in die normale Verwaltung eingegliedert sind, was die Folge hat, dass die Exekutive über die Beförderungen der Richter bestimmt.

Dann hab ich mich mal mit der Praxis in Italien befasst, deren Justiz wesentlich unabhängiger ist als hier und seitdem denke ich dass eine durchgehende Hiarchie mit Fachaufsicht über alle Behörden Sinn macht. Wenn da ein leitender Beamter durchdreht kann er immer schnell ersetzt werden, ausser wenn das Problem ganz oben liegt (nur das ist halt eh ein Problem ein beiden Modellen). Der Bürger hat auch einfach nichts davon, wenn verschiedene Teile des Staates anfangen gegeneinander zu arbeiten. Im Endeffekt ist Gewaltenteilung vermutlich in jedem Staat eine Illusion, weil es letztlich darauf ankommt wer Polizei und Militär kontrolliert. Hier wissen wir nun immerhin wer für die Gesamtveranstalltung verantwortlich ist.

Ist auch kein Zufall dass der Rechtsstaat im Absolutismus entstanden ist.

Unabhängigkeit klingt ja ganz gut, aber das hiesse dann auch das so ein unabh. Staatsanwalt tun und lassen kann was er will; zb unschuldige Leute verfolgen und einsperren (recht beliebt in Italien zb).

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Der Vorwurf der Rechtsbeugung an Angela Merkel macht für mich Sinn. Ein Zitat aus einem Urteil (BGH 4 StR 84/13 - Urteil vom 18. Juli 2013 (LG Halle)):

"Der Tatbestand der Rechtsbeugung erfordert, dass sich der Richter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an eigenen Maßstäben ausrichtet (st. Rspr.)."

1. Merkel hat in der Rechtssache "Einreise und Aufnahme von Migranten" durch öffenltliche Aussage ganz klar die Leitung übernommen. Alle Bundesbehörden unterstehen letztendlich der Weisungsbefugnis von Merkel. Wenn Merkel sagt "Wir setzen für diese Flüchtlinge Dublin aus.", dann sind die dazu verpflichtet das umzusetzen.

2. Wenn die Migranten als die unerlaubt begünstigte Partei betrachtet werden, dann stellt sich noch die Frage nach der benachteiligten Partei. Hier kommt grundsätzlich das ganze deutsche Staatsvolk in Frage, dass die Lasten eines verfassungswidrigen Verhaltens der Exekutive zu tragen hat.

Oder aber Flüchtlinge, die bereits im Transitbereich eines deutschen Flughafens mit Hinweis auf Dublin abgeschoben werden.
 

Natürlich wird kaum ein weisungsgebundener Staatsanwalt gegen Angela Merkel ermitteln, denn in diesem Punkt haben wir ja keine Gewaltenteilung, dennoch wird klar, dass nach den vorliegenden Rechtsenscheidungen Angela Merkel Straftäterin ist.

Die Beurteiliung von Politikern kann man gerne durch Wahlen vollziehen, die Verurteilung von Politikern ist allerdings die Sache von Gerichten - zumindet in einem Rechtsstaat -, mein lieber Herr Professor.

 

Herzliche Grüße

Gerold Keefer

 

 

5

Wenn Merkel sagt "Wir setzen für diese Flüchtlinge Dublin aus.", dann sind die dazu verpflichtet das umzusetzen.

 

Das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass die Rückweisung in Drittstaaten nach Dublin Verordnung nicht zwingend ist. Es ist unbestritten, dass der Selbsteintritt eines Staates innerhalb der Dispositionsbefugnis der Exekutive steht.

Es mag vielleicht sogar so sein -wie der Prof. postuliert-, dass selbst die passfreie Einreise verfügt werden kann.

Wir können sogar so weit gehen, dass ist faktisch ja auch Prämisse für die vorliegende Strafbefreiung, dass sich eine solche Befreiung auf einen unbestimmten Personenkreis richten kann.

 

Ein Knackpunkt scheint mir aber zu sein, dass diese Befreiung nie kommuniziert worden ist.

In Anbetracht der -selbst kurzfristigen- Aussetzung von Dublin, wirkt dieser Rechtsakt m.E. nicht darüber hinaus, auch wenn die Voraussetzung für dessen Umsetzung die Rechtmässigkeit der Einreise bedingt.

Beispielhaft könnte man das überspitzt mit folgender Situation vergleichen:

Der Konsum eines Betäubungsmittel ist nicht strafbar.

Der Besitz und die Weitergabe aber sehr wohl.

Mit derselben hier angewandten Logik, müsste (zumindest) der Besitz ebenso strafbefreit werden, denn man tut sich schwer, zu konsumieren, ohne vorher besessen zu haben.

 

 

Der Vorwurf der Rechtsbeugung an Angela Merkel macht für mich Sinn.

Das macht gar keinen "Sinn", sondern ist Unsinn, weil die Rechtsbeugung ein Delikt der Judikative ist und keines der Exekutive. Solange Frau Merkel nicht Verfassungsrichterin wird oder am Amtsgericht in Dudweiler als Proberichterin anfängt, kann sie keine Rechtsbeugung begehen, genau so wenig wie Sie, wenn Sie Strafnormen durch den Fleischwolf drehen.

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Leser schrieb:
Das macht gar keinen "Sinn", sondern ist Unsinn, weil die Rechtsbeugung ein Delikt der Judikative ist und keines der Exekutive.

Ein aufmerksames Lesen der Norm mag diese Rechtsauffassung in Frage stellen.

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Leser schrieb:

Der Vorwurf der Rechtsbeugung an Angela Merkel macht für mich Sinn.

Das macht gar keinen "Sinn", sondern ist Unsinn, weil die Rechtsbeugung ein Delikt der Judikative ist und keines der Exekutive. Solange Frau Merkel nicht Verfassungsrichterin wird oder am Amtsgericht in Dudweiler als Proberichterin anfängt, kann sie keine Rechtsbeugung begehen

Das hatte sich der Behördenleiter in München in seiner Unwissenheit auch so vorgestellt, bis der Bayer. VGH ihn wegen versuchter Rechtsbeugung aus dem Amt entfernte ...

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Ein aufmerksames Lesen der Norm mag diese Rechtsauffassung in Frage stellen.

Ich fasse es nicht.

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Im Gesetz ist ausdrücklich von "anderen Amtstägern" die Rede. Damit beschränkt sich dieses Gesetz eindeutig nicht auf die Judikative:

§ 339
Rechtsbeugung

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

http://dejure.org/gesetze/StGB/339.html

3

Hier nochmal Absatz 2 des §18 Asylverfahrensgesetz:

(2) Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn

1. er aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) einreist,
2. Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird, oder
3. er eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er in der Bundesrepublik Deutschland wegen einer besonders schweren Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist, und seine Ausreise nicht länger als drei Jahre zurückliegt.

 

5

Sehr geehrte Kommentatoren,

die Frage, ob eine Rechtsbeugung vorliegen könnte, lässt sich sehr leicht verneinend beantworten: Die Angelgenheit, um die es hier geht, ist sicherlich keine "Rechtssache" i.S.d. § 339 StGB.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Im Gesetz ist ausdrücklich von "anderen Amtstägern" die Rede

Aber doch nur "Amtstäger", die bei der Leitung einer Rechtssache, also wie ein "Richter" tätig sind. Leute, das sind die elementarsten grundlegenden Grundlagen! Darüber sollte man voraussetzen dürfen. Darüber sollte man nicht diskutieren müssen, es sei denn bei RTL nachmittags im Hausfrauenfernsehen, wenn man darüber diskutiert, ob auch die Beugung des linken Armes beim Armdrücken eine Rechtsbeugung im Sinne des Gesetzes und strafbar ist.

Wer kommt als Täter in Betracht?

Rechtsbeugung ist ein Sonderdelikt, d.h. ein Delikt, das nicht jedermann, sondern nur ein bestimmter Personenkreis begehen kann. Dazu gehören:

• Berufsrichter und ehrenamtliche Richter (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 StGB),

• andere Amtsträger, sofern sie eine Rechtssache wie ein Richter zu leiten oder zu entscheiden haben wie Rechtspfleger, Staatsanwälte und Schiedsrichter im Sinne des 10. Buchs der Zivilprozessordnung.

http://goo.gl/rWvutD

5

Fischer in der Zeit: (http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-10/notwehr-strafrecht...)

Es gibt viele "Rechtfertigungsgründe". Jeder ist anders strukturiert, jeder stellt auf eine andere Konfliktsituation ab. Die "Notwehr" ist unter ihnen ein ganz spezieller Grund, er mobilisiert sozusagen ein "naturwüchsiges" Recht der Selbsterhaltung gegen jeden überindividuellen, staatlichen Vorwurf ein Unrecht begangen zu haben. Mit der Berufung auf Notwehr setzt der Bürger dem Staat sein schärfstes Schwert entgegen: "Es geht dich, verehrte Staatsgewalt, nichts an, dass ich die Grenzen deiner Strafvorschriften verletzt habe. Denn ich habe ein stärkeres Recht, und das kommt aus mir selbst: Aus meinem Wert, meinem Selbst."

Ob sich die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge wirklich in solch einer Situation befunden haben, dass selbst die Kanzlerin meint, bei soch einer Notlage müsste sie helfend beispringen...

 

Also ich hab Zweifel.

 

Sehr geehrter Herr Mustermann,

hier geht es gar nicht um Notwehr, sondern um Notstand, wenn überhaupt.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Keefer,

Adressaten der von Ihnen zitierten Norm § 18 Abs.2 AsylVerfG sind ersichtlich nicht die Ausländer, sondern die Grenzbehörden  (so auch die Überschrift der Norm), die danach unter bestimmten Umständen potentiellen Asylbewebern die Einreise zu verweigern haben. Diese Norm ist nicht strafbewehrt, vgl. § 84 ff. AsylverfG.

Die Norm ist zudem ersichtlich durch die Entscheidung außer Kraft gesetzt worden, die an der Grenze nicht zu bewältigende Anzahl von Flüchtlingen zunächst einreisen zu lassen, um das Asylverfahren dann später (an Erstaufnahmeeinrichtungen) in Gang zu setzen und dies unabhängig von der sicheren Herkunftsstaats-Regelung. Das ist genau der Mechanismus, der m.E. dazu führt, dass Flüchtlinge eben nicht vorsätzlich und rechtswidrig unerlaubt eingereist sind, weshalb eine Voraussetzung der Strafbarkeit von BKin Merkel nach § 96 AufenthaltG entfällt.

Selbst wenn das Verhalten der Exekutive als rechtswidriges Verwaltungshandeln eingestuft wird, ändert das nichts daran, dass die Strafbarkeit der Ausländer wegen unerlaubter Einreise und daher auch die Strafbarkeit der daran beteiligten Exekutivorgane entfällt.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Rechtlich betrachtet ist sowohl die illegale Einreise, der illegale Aufenthalt als auch der Versuch der illegalen Einreise strafbar (siehe auch: § 95 I Nr. 3 und III AufenthG). Nach den allgemeinen strafrechtlichen Regelungen sind auch die Anstiftung und die Beihilfe zu diesen Delikten strafbar.

Frau Merkel hat dies alles außer Kraft gesetzt.

Frau Merkel hat offensichtlich die zuständigen Beamten und Behörden angewiesen, die illegale Einreise vorübergehend zuzulassen und von Strafverfolgung abzusehen. Damit hat sie sich genauso der Rechtsbeugung schuldig gemacht, wie u.g. Behördenleiter. Nun ja, der Behördenleiter wurde für sein Handeln aus dem Dienst entfernt, Frau Merkel wird das nicht passieren ...

 

Bayer. VGH vom 3. Februar 2009.

 

2. Durch die Einstellung des gegen Herrn ... gerichteten Ordnungswidrigkeitenverfahrens hat sich der Beklagte des Verbrechens der versuchten Rechtsbeugung (§§ 339, 22 StGB) schuldig gemacht.

2.1 Eine solche Straftat können nach dem Wortlaut des § 339 StGB nicht nur Richter und Schiedsrichter, sondern auch "sonstige Amtsträger" begehen. Zu ihnen gehören nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a StGB u. a. Beamte im statusrechtlichen Sinn. Zwar hat die strafgerichtliche Rechtsprechung den Kreis der nichtrichterlichen Amtsträger, die als taugliche Täter des Sonderdelikts nach § 339 StGB in Betracht kommen, erheblich eingeschränkt. Beamte, die im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens über die Verhängung (oder Nichtverhängung) einer Geldbuße zu befinden haben, können hierbei jedoch den Tatbestand des § 339 StGB verwirklichen (BGH vom 16.2.1960 BGHSt 14, 147/148; OLG Hamm vom 9.2.1979 NJW 1979, 2114; OLG Schleswig vom 13.12.1982 SHAnz 1983, 86; OLG Celle vom 17.4.1986 NStZ 1986, 513; Spendel in: LK zum StGB, 11. Aufl. 1999; RdNr. 20 zu § 339; Uebele in: MK zum StGB, 2006, RdNr. 14 zu § 339; Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, RdNr. 8 a zu § 339; Kühl in: Lackner, StGB, 24. Aufl. 2001, RdNr. 3 zu § 339). Denn § 339 StGB verlangt nicht, dass der Amtsträger, der eine Rechtssache zu leiten oder zu entscheiden hat, unabhängig ist (BGH vom 16.2.1960, a.a.O.; OLG Hamm vom 9.2.1979, a.a.O.); ausschlaggebend ist vielmehr, ob er eine ihrem Wesen nach richterliche Tätigkeit wahrzunehmen hat (OLG Hamm vom 9.2.1979, a.a.O.). Für eine solche Tätigkeit ist kennzeichnend, dass ein Amtsträger über widerstreitende Interessen "zum Zweck der Verwirklichung des Rechts" befindet (OLG Hamm vom 9.2.1979, a.a.O.); der Täter muss, wie aus der amtlichen Bezeichnung des von § 339 StGB erfassten Delikts und seiner Einstufung als Verbrechen zu entnehmen ist, in eine besondere Verantwortung gegenüber der Rechtsordnung gestellt und zu ihrer Durchsetzung berufen sein (OLG Hamm vom 9.2.1979, a.a.O.). Als kennzeichnend dafür, dass ein Beamter eine rechtsprechungsähnliche Tätigkeit ausübt, kommt ferner das Ausmaß der förmlichen Ausgestaltung des Verfahrens in Betracht, das der Entscheidung vorausgeht (BGH vom 14.3.1972 BGHSt 24, 326/328).

 

 

 

Damit ist die Diskussion zur Rechtsbeugung wieder neu eröffnet, Herr Professor ...

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Gast schrieb:

Damit ist die Diskussion zur Rechtsbeugung wieder neu eröffnet, Herr Professor ...

Sie ist nicht eröffnet. Das Tatbestandsmerkmal "Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache" ist so weit geklärt, daß allgemeines Verwaltungshandeln - und erst recht Regierungshandeln - nicht darunter fällt. Daß sich Staatsanwälte wegen Rechtsbeugung strafbar machen können, wenn sie ein Verfahren einstellen, und daß dies möglicherweise übertragbar ist auf Beamte, die ein Ordnungswidrigkeitsverfahren führen, ist kein Argument für die Idee, der Straftatbestand wäre auf jedes Verwaltungshandeln anwendbar.

 

Bei Interesse eine Rechtsprechungsübersicht: http://www.internet-law.de/2013/01/staatsanwaltschaft-durchsucht-raume-d...

 

 

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@Prof.

Ich wolltenur darauf hinweisen, dass die Voraussetzungen des Notstandes das Vorliegen der Voraussetzungen der Notwehr bei Notalge inkludiert, ohne damit Angriff und Gefahr vertauschen zu wollen. (Irgendworauf muss die Humanität der Kanzlerin ja auch Bezug nehmen)

 

Im Prinzip habe ich noch einen weiteren "Knopf" aus diesen Überlegungen:

Ihre Lösung klingt sehr nach einer Einverständniserklärung des Staates, welche sich tatbestandsaufhebend auswirken soll.

Aber derlei Einverständnisse sind freiwillig abzugeben.

Wenn also ein Notstand derart konkurrierend in Betracht kommt, reibt sich das augenscheinlich sehr mit der Freiwilligkeit.

So richtig bin ich  immer noch nicht ganz überzeugt, dass Ihre Lösung, die dogmatisch saubere ist.

 

Mit der Pflicht zur Abweisung an der Grenze, die er begründet vor Ort auch aussetzen kann, haben Grenzbeamte durchaus in einer Rechtssache eine ganz grundsätzliche Entscheidung "hü oder hott" zu treffen, die im durch öffentlich verbreitete, nicht nur rechtswidrige, sondern auch grundgesetzwidrige Weisung von Angela Merkel in geschätzt mehreren hundert tausend Fällen abgenommen wird.

Merkel hat die Leitung dieser Rechtssache an sich gezogen, da sie letztendlich höchste Vorgesetzte dieser Bundesbeamten ist und begeht mit der Aussetzung von $16a Absatz 2 GG bzw. der davon abgeleiteten Gesetze eine klare Rechtsbeugung, die darüberhinaus gegen das Rechtsstaatlichkeits und das Demokratieprinzip vertstößt.

Sie sind wieder dran, Herr Professor.

 

 

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