Mitbestimmung II: Berücksichtigung ausländischer Tochterunternehmen bei der Mitbestimmung?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 28.04.2015

Ein Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main schreckt derzeit viele deutsche Unternehmen auf. Sollte er von den nachfolgenden Instanzen bestätigt werden, würde die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vielfach erweitert werden.

Für die Berechnung der Arbeitnehmerzahl im Konzern wurden bislang nur Arbeitnehmer deutscher Tochterunternehmen berücksichtigt

Nach dem Drittelbeteiligungsgesetz steht in Unternehmen mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern deren Vertretern ein Drittel der Sitze im Aufsichtsrat zu. Das Mitbestimmungsgesetz sieht bei mehr als 2.000 Arbeitnehmern sogar eine paritätische Besetzung des Aufsichtsrats mit Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer vor. In einem Konzern zählen für die Obergesellschaft auch die Arbeitnehmer der Tochterunternehmen mit (§ 2 Abs. 2 DrittelbG, § 5 Abs. 1 MitbestG). Bislang entsprach es freilich ganz herrschender Auffassung, dass nur die Arbeitnehmer inländischer Tochtergesellschaften zu berücksichtigen sind, nicht aber diejenigen von Auslandsbeteiligungen. Dies stützte sich u.a. auf die parlamentarischen Beratungen zum MitbestG 1976, in denen es heißt:

Im [Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung] bestand Einmütigkeit darüber, (…) dass die im Gesetzentwurf festgelegten Beteiligungsrechte nur den Arbeitnehmern der in der Bundesrepublik belegenen Betriebe dieser Unternehmen zustehen. Im Ausland gelegene Tochtergesellschaften und deren Betriebe im Inland von unter das Gesetz fallenden Unternehmen zählen bei der Errechnung der maßgeblichen Arbeitnehmerzahl nicht mit.

(BT-Drucks. 7/4845 vom 10.3.1976 S. 4)

In der wissenschaftlichen Diskussion ist allerdings in jüngerer Zeit die Auffassung vertreten worden, dass der Ausschluss der (EU-)ausländischen Tochterunternehmen gegen das Recht der Europäischen Union verstoße. Daraus sollte die Konsequenz zu ziehen sein, dass das MitbestG und das DrittelbG wegen Unionsrechtswidrigkeit nicht mehr angewendet werden dürften. Die Arbeitnehmer wären daher gar nicht mehr im Aufsichtsrat vertreten.

LG Frankfurt am Main: Deutsche Börse muss den Aufsichtsrat nach dem MitbestG, nicht dem DrittelbG bilden

Mit diesem Ziel hat der Antragsteller, Professor für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der LMU München, die Deutsche Börse AG verklagt, deren Aktionär er ist. Das Unternehmen beschäftigt im Inland rund 1.600 Arbeitnehmer, sein Aufsichtsrat ist nach dem DrittelbG zusammengesetzt. Bei den (EU-)ausländischen Tochterunternehmen sind weitere 2.000 Arbeitnehmer, insgesamt also ca. 3.600 Personen beschäftigt. Der Antragsteller macht geltend, der Aufsichtsrat der Gesellschaft sei gesetzeswidrig zusammengesetzt, weil das DrittelbG mit seiner Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf inländische Arbeitnehmer gegen das Recht der Europäischen Union verstoße, da es in anderen Mitgliedsstaaten beschäftigte Arbeitnehmer von der Wahl zum Aufsichtsrat ausschließe. Es dürfe daher nicht angewendet werden. Mit seinem Hauptantrag will er erreichen, dass der Aufsichtsrat allein mit Vertretern der Anteilseigner besetzt ist. Hilfsweise fordert er die paritätische Zusammensetzung des Aufsichtsrats nach dem MitbestG, weil auch die Arbeitnehmer der Auslandsbeteiligungen der Deutschen Börse zu berücksichtigen seien.

Sein Hauptantrag wurde vom LG Frankfurt am Main abgewiesen. Mit dem Hilfsantrag hatte er Erfolg:

Bereits frühzeitig ist darauf hingewiesen worden, dass diese Interpretation (des BT-Ausschusses - Verf.) nicht zwingend ist und eine entsprechende Einschränkung insbesondere im Gesetz keinen Ausdruck gefunden hat (...) Der Wortlaut des Mitbestimmungsgesetzes – und auch des Drittelbeteiligungsgesetzes – nimmt an keiner Stelle im Ausland Beschäftigte von der Mitbestimmung aus (...). Auch enthalten weder das Mitbestimmungsgesetz noch das Drittelbeteiligungsgesetz eine diesbezügliche Regelung, sondern verweisen hinsichtlich der zu berücksichtigenden Arbeitnehmer auf die Regelung über den Konzern in § 18 Abs. 1 AktG (§ 5 Abs. 1 MitbestG, § 2 Abs. 2 DrittelbG). Hinsichtlich dieser Regelung ist aber nicht fraglich, dass zum Konzern auch ausländische Unternehmen zählen können. Maßgeblich ist allein, ob ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne des § 17 Abs. 1 AktG besteht.

Deshalb sei der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin nicht nach dem DrittelbG, sondern nach dem MitbestG - und damit paritätisch - zusammenzusetzen. Darüber, wie die Wahl bei den ausländischen Tochterunternehmen zu organisieren ist, hatte das Landgericht nicht zu entscheiden.

Die Antragsgegnerin hat Beschwerde zum OLG Frankfurt am Main eingelegt.

(LG Frankfurt am Main, Beschl. vom 16.2.2015 - 3/16 O 1/14, BeckRS 2015, 05715)

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1 Kommentar

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Da hat der Herr Professor zwar in EuZA 4 [2011] S. 145 ff. doch so schön hergeleitet, warum das "Territorialitätsprinzip" gegen Unionsrecht verstößt, aber ab dem Kapitel "Konsequenzen" versperrt ihm sein übliches Lobbying den Blick auf die einfache und korrekte Lösung, die das LG nun gefunden hat: die europarechtskonforme Auslegung der Gesetze.

P.S.: ob das Unternehmen aufschrecken sollte, kann bezweifelt werden. Schließlich würde dadurch der Einfluss der "privilegienverteidigenden" Arbeitnehmer in Deutschland eingeschränkt und der derjenigen Arbeitnehmer, die im Sinne ihrer ausländischen "Billigstandorte" mitbestimmen, zunehmen.

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