Verteidiger ist zu Mittag - Angeklagter singt - BGH hebt auf!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.09.2013
Rechtsgebiete: BGHStrafrechtVerkehrsrecht1|3703 Aufrufe

Der BGH hat in einer für die amtliche Sammlung vorgesehene Entscheidung die Rechte der Beschuldigten gestärkt und nochmals klargestellt: Wer nichts sagen will, darf auch nicht auf Umwegen hierzu veranlasst/verleitet werden!

Der Angeklagte wurde etwa drei Wochen nach der verfahrensgegenständlichen Tat wegen des dringenden Verdachts des versuchten Totschlags vorläufig festgenommen. Am nächsten Tag wurde er um ca. 13.30 Uhr der Er-mittlungsrichterin des Amtsgerichts Uelzen vorgeführt, die ihm den Haftbefehl eröffnete und ihn ordnungsgemäß, unter anderem nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO, belehrte. Der Angeklagte erklärte, dass er seinen Verteidiger Rechtsan-walt K. beigeordnet bekommen wolle. Die Ermittlungsrichterin unterbrach daraufhin die Vernehmung und versuchte um 13.35 Uhr, den Verteidiger tele-fonisch zu erreichen. Dort meldete sich ein Anrufbeantworter mit der Ansage, dass das Büro während der Mittagspause von 13.00 bis 15.00 Uhr nicht besetzt sei. Sie kehrte in das Vernehmungszimmer zurück und teilte dem Angeklagten mit, dass sie seinen Verteidiger nicht habe erreichen können. Der Angeklagte erklärte nunmehr, er wolle sich zur Sache nicht äußern, und fügte spontan hin-zu, er kenne - den im Haftbefehl genannten, ausschließlich in das Tatvorge-schehen verwickelten - S. , habe mit diesem aber nichts zu tun. Die Ermittlungsrichterin fragte daraufhin, ob er gesehen habe, wie S. auf den Fußweg uriniert habe, was zu einer der Tat vorgelagerten Auseinan-dersetzung zwischen S. und dem Tatopfer geführt hatte, aus der heraus sich im weiteren das eigentliche Tatgeschehen entwickelte. Der Angeklagte verneinte. Sodann fragte die Ermittlungsrichterin weiter, wie das Tatopfer verletzt worden sei. Der Angeklagte ließ sich im Folgenden umfassend zur Sache ein und räumte auf weitere Nachfragen ein, das Opfer zwei Mal gegen den Kopf getreten zu haben. Im Haftprüfungstermin vom 18. August 2011 revidierte
der Angeklagte - nunmehr anwaltlich beraten - sein Geständnis und gab an, er könne sich nicht erinnern, ob er das Opfer getreten habe.
In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Zum Inhalt seiner Angaben im Ermittlungsverfahren hat das Landgericht die Ermittlungsrichterin und den Protokollführer vernommen; der Verteidiger hat unter Hinweis darauf, dass die Angaben des Angeklagten im Termin zur Haftbefehlsverkündung wegen Belehrungsmängeln unverwertbar seien, sowohl der Vernehmung der Ermittlungsrichterin als auch der Verwer-tung ihrer Aussage widersprochen. Die Strafkammer hat den Verwertungswiderspruch zurückgewiesen und die Einlassung des Angeklagten anlässlich der Haftbefehlsverkündung im Urteil gegen ihn verwertet.
II.
1. Die von der Revision zulässig erhobene Verfahrensrüge zeigt auf, dass bei der Vernehmung des Angeklagten durch die Ermittlungsrichterin in unzulässiger Weise in dessen Rechte, sich nicht zur Sache äußern zu müssen und vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO), eingegriffen worden ist. Im Einzelnen:

a) Nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO ist der Beschuldigte zu Beginn seiner Vernehmung über sein Schweigerecht zu belehren und darauf hinzuweisen, dass er jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wäh-lenden Verteidiger befragen kann. Beide Rechte des Beschuldigten hängen eng zusammen und sichern seine verfahrensmäßige Stellung - als Beteiligter und nicht als Objekt des Verfahrens - in ihren Grundlagen. Die Verteidigerkonsultation hat dabei insbesondere auch den Zweck, dass sich der Beschuldigte beraten lassen kann, ob er von seinem Schweigerecht Gebrauch machen will oder nicht (BGH, Urteile vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 und vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174).

Die Belehrungspflichten des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO schützen mithin die Selbstbelastungsfreiheit, die im Strafverfahren von überragender Bedeutung ist: Der Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare), zählt zu den Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Er ist verfassungsrechtlich abgesichert durch die gemäß Art. 1, 2 Abs. 1 GG garantierten Grundrechte auf Achtung der Men-schenwürde sowie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1981 - 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37, 43 ff.) und gehört zum Kernbereich des von Art. 6 MRK garantierten Rechts auf ein faires Strafverfah-ren (EGMR, Urteil vom 5. November 2002 - 48539/99 - Fall Allan v. Großbritan-nien, StV 2003, 257, 259; BGH, Beschluss vom 31. März 2011 - 3 StR 400/10, NStZ 2011, 596, 597). Aus diesem Grund wiegt ein Verstoß gegen die Beleh-rungspflicht schwer (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 221; Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174).

b) Einen Verfahrensverstoß stellt es aber auch dar, wenn der Beschuldigte vor seiner ersten Vernehmung zwar nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO be-lehrt worden ist, ihm die Rechte, die Gegenstand der Belehrung sind, aber ver-wehrt werden: Entscheidet sich der Beschuldigte, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen, ist dies von den Ermittlungsbehörden grundsätzlich zu respektieren (BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - 3 StR 104/07, BGHSt 52, 11, 19); stetige Nachfragen ohne zureichenden Grund können das Schweigerecht entwerten (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1009).

Gleiches gilt, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger zu konsultieren wünscht (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372). Insoweit ist anerkannt, dass die Vernehmung sogleich zu unterbrechen ist, um eine Kontaktaufnahme zu einem Verteidiger zu ermöglichen (BGH, Urteile vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 und vom 12. Januar 1996 - 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 18 f.; Geppert in Festschrift Otto, 2007, S. 913, 917 mwN; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 136 Rn. 10 mwN); der Be-schuldigte darf nicht bedrängt werden, weitere Angaben zu machen (BGH, Be-schlüsse vom 18. Dezember 2003 - 1 StR 380/03, NStZ 2004, 450, 451 und vom 10. Januar 2006 - 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1009 f.).

c) Allerdings kann die Vernehmung auch ohne vorherige Konsultation fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte dem in freier Entscheidung zustimmt (BGH, Urteil vom 21. Mai 1996 - 1 StR 154/96, BGHSt 42, 170; LR/Gleß, StPO, 26. Aufl., § 136 Rn. 101; Geppert, aaO, S. 918), wobei eine solche Zustimmung auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden kann (vgl. Klein, Inhalt und Reichweite der Belehrungsvorschrift des § 136 StPO, 2005, S. 145 f.; LR/Gleß aaO; aA BGH, Urteil vom 12. Januar 1996 - 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15). Dieses kann grundsätzlich etwa darin zu sehen sein, dass sich der Beschuldigte von sich aus spontan zur Sache äußert, obwohl eine Verteidigerkonsultation noch nicht möglich war.
Bei der Prüfung, ob in Spontanäußerungen des Beschuldigten zugleich die eigenverantwortliche und von einem freien Willensentschluss getragene Zustimmung zu einer solchen Fortsetzung der Vernehmung zu sehen ist, muss aber der enge Zusammenhang zwischen dem Schweigerecht und dem Recht auf Verteidigerkonsultation in den Blick genommen werden. Dient die Ermögli-chung der Beratung durch einen Verteidiger gerade dazu, eine sachgerechte Entscheidung des Beschuldigten über den Umgang mit seinem Schweigerecht zu ermöglichen, sind an das Vorliegen einer - noch dazu konkludent erklärten - Zustimmung zur Fortsetzung der Vernehmung hohe Anforderungen zu stellen. Insoweit ist die bloße Entgegennahme spontaner Äußerungen regelmäßig un-bedenklich; diese und die spätere Verwertung solcher Angaben sind auch bei einem nicht über seine Rechte belehrten Beschuldigten zulässig, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Belehrungspflicht des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO - und damit letztlich die dadurch geschützten Beschuldigtenrech-te - gezielt umgangen werden sollten, um den Betroffenen zu einer Selbstbelas-tung zu verleiten (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 170/09, NJW 2009, 3589 mwN). Der hohe Rang der Selbstbelastungsfreiheit gebietet es in-des, dass auch Spontanäußerungen - zumal zum Randgeschehen - nicht zum Anlass für sachaufklärende Nachfragen genommen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung über seine Rechte nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO die Konsultation durch einen benannten Verteidiger begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.

d) Nach diesen Maßgaben erweist sich das Vorgehen der Ermittlungs-richterin als verfahrensfehlerhaft.

aa) Zwar unterbrach sie zunächst prozessordnungsgemäß die Vernehmung, um den vom Angeklagten gewünschten Verteidiger zu erreichen und so eine Konsultation durch diesen zu ermöglichen. Angesichts des kurzen Zeit-raums, in dem der Verteidiger wegen der Mittagspause seiner Kanzlei uner-reichbar war, bestand indes auch unter Berücksichtigung eines Interesses der Ermittlungsbehörden, möglichst frühzeitig Angaben des Beschuldigten zu erhalten (vgl. dazu Geppert, aaO, S. 914) - dem hier angesichts der etwa drei Wochen zurückliegenden Tat und des Umstandes, dass bereits ein Haftbefehl er-gangen war, allerdings ohnehin keine hohe Bedeutung zukommt - kein nach-vollziehbarer Grund, mit der Vernehmung nicht bis nach der Mittagspause zuzuwarten. Es waren in der Zwischenzeit auch weder weitere Erkenntnisse er-langt worden noch war eine neue prozessuale Situation eingetreten, aufgrund derer zu erwarten gewesen wäre, dass sich die Auffassung des Beschuldigten geändert haben könnte (vgl. zu diesen Kriterien bei der Fortsetzung der Vernehmung eines Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hat BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1009). Es hätte damit bereits jetzt Veranlassung bestanden, die unterbrochene Ver-nehmung nicht fortzusetzen.

Die Fortführung der Vernehmung ohne vorherige Verteidigerkonsultation war auch nicht deshalb zulässig, weil der Angeklagte dem zugestimmt hätte: Eine ausdrückliche Zustimmung hat er nicht erteilt. Von einer konkludent erklär-ten kann hier ebenfalls nicht ausgegangen werden, weil er sich nach der Mittei-lung über die Versuche, den gewählten Verteidiger zu erreichen, ausdrücklich auf sein Schweigerecht berufen hat. In diesem Moment hätte die Ermittlungsrichterin die Vernehmung nicht fortsetzen dürfen.

bb) Dem steht nicht entgegen, dass der Angeklagte im Anschluss an seine Erklärung, er wolle nichts zur Sache sagen, spontan erklärte, er kenne S. , habe mit ihm aber nichts zu tun.

Diese Äußerung betraf lediglich seine Beziehung zu einer am Vorgeschehen der Tat beteiligten Person; er machte keine Angaben zu deren Verhalten und keine zum eigentlichen Tatgeschehen. Die zu seiner Überführung verwertete Einlassung gab er erst ab, nachdem die Ermittlungsrichterin ihm - von seiner Äußerung ausgehend - gezielte Nachfragen zum Verhalten von S. und zum Tatgeschehen gestellt hatte. Damit ging die Ermittlungsrichterin über die bloße Entgegennahme seiner Äußerung hinaus; dies stellt nach den dargelegten Maßstäben einen unzulässigen Eingriff in die Selbstbelastungsfrei-heit des Angeklagten dar.
Seine Äußerung kann hier auch nicht dahin verstanden werden, dass er in freier Entscheidung seinen unmittelbar zuvor zum Ausdruck gebrachten Entschluss, sich nicht zur Sache einzulassen, revidiert hätte. Seine Angaben waren inhaltlich vom Tatvorwurf so weit entfernt, dass ihnen nicht die konkludente Erklärung entnommen werden konnte, er wolle entgegen seiner zuvor ausdrücklich geäußerten Absicht doch umfassend aussagen.
Jedenfalls hätte es der Ermittlungsrichterin in dieser Situation - wollte sie nicht den Eindruck erwecken, die Berufung des Angeklagten auf sein Schwei-gerecht zu übergehen - aufgrund ihrer verfahrensrechtlichen Fürsorgepflicht oblegen, durch ausdrückliche Befragung zu klären, ob der Angeklagte nunmehr gleichwohl bereit war, Angaben zur Sache zu machen, gegebenenfalls auch ohne vorherige Verteidigerkonsultation (Geppert, aaO, S. 922). Auch dies ist nicht geschehen.
2. Der aufgezeigte Verstoß bei der Vernehmung des Angeklagten führt zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich seiner Angaben anlässlich der Haftbe-fehlsverkündung.
Zwar zieht nach ständiger Rechtsprechung nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne Weiteres auch ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Bedeutsam sind dabei insbesondere die Art und der Schutzzweck des etwaigen Beweiserhebungsverbots sowie das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 117/12, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Ein Verwertungsverbot liegt jedoch stets dann nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren zu sichern (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 219 ff.; Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 f.).
So verhält es sich hier. Die von § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO geschützten Beschuldigtenrechte gehören - wie dargelegt - zu den wichtigsten verfahrens-rechtlichen Prinzipien. Durch sie wird sichergestellt, dass der Beschuldigte nicht nur Objekt des Strafverfahrens ist, sondern zur Wahrung seiner Rechte auf dessen Gang und Ergebnis Einfluss nehmen kann (BGH, Urteil vom 29. Okto-ber 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374). Der Beschuldigte ist bei seiner ersten Vernehmung in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt, sich unbe-dacht selbst zu belasten. In dieser Situation ist er oft unvorbereitet, ohne Rat-geber und auch sonst von der vertrauten Umgebung abgeschnitten. Nicht selten ist er durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt oder verängstigt. Seine ersten Angaben entfalten zudem - wie nicht zuletzt der vorliegende Fall zeigt - selbst bei einer späteren Änderung des Aus-sageverhaltens eine faktische Wirkung, die für den weiteren Verlauf des Ver-fahrens von erheblicher Bedeutung ist (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 221 f.). Diese zum Schweigerecht des Be-schuldigten entwickelten Grundsätze gelten für die Belehrung über das Verteidigerkonsultationsrecht entsprechend (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174).
Der Annahme eines nach diesen Maßstäben gegebenen Beweisverwertungsverbotes steht nicht entgegen, dass der Angeklagte aufgrund der ein-gangs der Vernehmung ordnungsgemäß erteilten Belehrung zunächst Kenntnis sowohl von seinem Schweige- als auch von seinem Verteidigerkonsultations-recht erlangt hatte (vgl. dazu BGH, aaO und BGH, Beschluss vom 18. Dezem-ber 2003 - 1 StR 380/03, NStZ 2004, 450, 451). Grundsätzlich mag der Beschuldigte, der in Kenntnis seiner Rechte gleichwohl Angaben zu Sache macht, weniger schutzbedürftig sein. Der aufgezeigte enge Zusammenhang zwischen dem Verteidigerkonsultations- und dem Schweigerecht erfordert hier jedoch die Annahme eines hohen Schutzniveaus: Der Angeklagte hatte mit seinem Wunsch nach Verteidigerkonsultation zum Ausdruck gebracht, dass er der Beratung bedurfte. Als diese nicht möglich war, verweigerte er Angaben zur Sache, was zum Abbruch der Vernehmung hätte führen müssen.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen und dem Revisionsvorbringen zum Gang der Vernehmung ist zudem nicht ersichtlich, dass sich der Angeklagte im Zeitpunkt seiner ihn belastenden Einlassung dieser Beleh-rung noch bewusst war, etwa weil er differenziert damit umgegangen wäre. Vielmehr befand er sich im Unklaren darüber, ob und gegebenenfalls wann sein Verteidiger erreichbar sein würde, und konnte er die wiederholten Nachfragen der Ermittlungsrichterin dahingehend verstehen, dass seinem geäußerten Wunsch, sich jedenfalls nicht ohne vorherige Befragung seines Verteidigers zur Sache einzulassen, nicht entsprochen werden würde. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn der Angeklagte erneut über seine Rechte belehrt worden wäre (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2013 - 1 StR 560/12, NStZ 2013, 299, 300). Das ist indes nicht geschehen.
Schließlich sprechen auch die Schwere des Tatvorwurfs und der Grund-satz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, nicht gegen die Annahme eines Beweisverwertungsverbots; insoweit ist in die Abwägung auch einzustellen, dass die Wahrheit nicht um je-den Preis erforscht werden muss (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 220 mwN).

3. Das Urteil beruht auf der Verwertung der Angaben des Angeklagten aus seiner Vernehmung anlässlich der Haftbefehlsverkündung. Ausweislich der Urteilsgründe hat keiner der Zeugen bekundet, dass der Angeklagte auf das Opfer eingetreten habe; die Strafkammer hat sich diese Überzeugung vielmehr aufgrund der Verwertung seiner Einlassung im Ermittlungsverfahren gebildet.
Der Verteidiger musste in der Hauptverhandlung nicht auch der Vernehmung des Protokollführers und der Verwertung von dessen Aussage widersprechen. Der erhobene Verwertungswiderspruch bezüglich der Aussage der Ermittlungsrichterin bezog sich nach seiner Begründung eindeutig auf das Beweisthema - Angaben des Angeklagten in seiner Beschuldigtenvernehmung -, so dass für die Verfahrensbeteiligten ungeachtet des protokollierten Wortlauts des Widerspruchs kein Zweifel bestehen konnte, dass auch der Verwertung etwaiger Angaben des später vernommenen Protokollführers zu diesem Be-weisthema widersprochen werden sollte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2003 - 5 StR 307/03, BGHR StPO § 136 Abs. 1 Verteidigerbefragung 7).

BGH, Urteil vom 27.6.2013 - 3 StR 435/12

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