Strafmilderung wegen drohenden Bewährungswiderrufs?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 05.03.2013
Rechtsgebiete: WiderrufStrafrechtVerkehrsrecht1|3884 Aufrufe

Begeht der Angeklagte während laufender Bewährung eine Straftat, so kann es zum Widerruf der Strafaussetzung kommen, § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB. Muss wegen dieser drohenden Gefahr aber auch der "drohende Widerruf" als Strafmilderungsgrund erörtert werden? Hiermit hat sich das OLG Hamm gerade beschäftigt und hätte wohl dazu geneigt, dies zu verneinen - letztlich kam es aber nicht drauf an:

 

Der Senat kann auch vorliegend im Hinblick auf die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts dahinstehen lassen, ob der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass ein drohender Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung in anderer Sache wegen der neuen Verurteilung ein bestim-mender oder jedenfalls zu erörtender Strafzumessungsgesichtspunkt ist (BGH Beschl. v. 22.07.2009 – 5 StR 243/09 - juris; BGH Beschl. v. 09.11.1995 – 4 StR 650/95 – juris m.w.N.; OLG Düsseldorf Beschl. v. 20.09.2010
– 3 RVs 117/10 – juris m.w.N.), zu folgen ist. Hieran könnten erhebliche Zweifel bestehen. Denn solche Auswirkungen der Tat auf den Täter, die dieser bewusst riskiert hat oder sich ihm hätten aufdrängen müssen, sind grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 18.06.2009 – 3 Ss 222/09 – juris; Fischer, StGB, 59. Aufl. § 46 Rdn. 34c).

 

Ansatzpunkt für eine Berücksichtigung des drohenden Widerrufs wäre zunächst § 46 Abs. 1 S. 2 StGB („Wirkungen, die von der Strafe … zu erwarten sind“). Diese Regelung greift aber nicht unmittelbar ein, weil der Widerruf nicht eine Auswirkung der nunmehr verhängten neuen „Strafe“ ist, sondern allein Folge des Bewährungsversagens. Der Widerruf setzt gerade nicht voraus, dass der Angeklagte wegen der neuen Tat auch bestraft wird (z.B. würde auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR ein Geständnis reichen).
Der Widerruf in anderer Sache ist gesetzliche Folge der Nichterfüllung der in den Verurteilten früher gesetzten Erwartung (§ 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB) und damit eine Korrektur der vom früheren Tatgericht angestellten Legalprognose. Warum der Angeklagte insoweit zwingend besser stehen sollte, weil er eine frühere Bewährungschance nicht genutzt hat, als ein anderer Täter, dem eine solche Bewährungschance erst gar nicht eingeräumt, sondern der im Rahmen des vorangegangenen Verfahrens gleich zu einer vollstreckbaren Freiheits-strafe verurteilt worden ist, erschließt sich nicht ohne weiteres. Das gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass zum Zeitpunkt der Verurteilung noch gar kein Widerruf erfolgt ist, dieser also lediglich droht. Es würde also ein Umstand in der Strafzumessung berücksichtigt, dessen tatsächlicher Eintritt ungewiss ist. Eventuell führt dies sogar dazu, dass zunächst der drohende Widerruf bei der Strafzumessung mildernd berücksichtigt wird und später im Widerrufsver-fahren von einem Widerruf abgesehen wird, wenn die neue Strafe bereits vollstreckt und der Verurteilte schon wieder aus der Strafhaft entlassen worden ist (vgl. zu dieser Konstellation u.a.: OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.11.2008 – 1 Ws 198/08 – juris; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 169). Der betroffene Straftäter würde dann gleich zweifach begünstigt.

Die Alternative „verschuldete Auswirkungen der Tat“ nach § 46 Abs. 2 StGB greift insoweit ebenfalls nicht ein, denn diese Alternative betrifft die etwaigen Folgen für unmittelbare Tatopfer oder Dritte, wie sich aus dem Zusatz „verschuldete“ ergibt, welcher auf einen Strafschärfungsgrund hindeutet.

Auch eine analoge Anwendung des § 60 StGB (vgl. dazu Fischer, StGB, 59. Aufl. § 46 Rdn. 34c) erscheint dem Senat fragwürdig. Eine planwidrige Regelungslücke ist nicht erkennbar. Auch die Anwendung des dem § 60 StGB zugrunde liegenden Rechtsgedankens bei drohendem Widerrruf einer Straf-aussetzung drängt sich zumindest nicht ohne weiteres auf. Denn nach Vornahme einer normativen Wertung ist gerade nicht unmittelbar ersichtlich, dass ein Unterlassen der strafmilderdenden Berücksichtigung dieser Folge bei bewusstem Bewährungsbruch verfehlt wäre.

Der Senat kann dies alles aber letztlich dahinstehen lassen. Er kann ausschließen, dass der Tatrichter den drohenden Widerruf bei der Straf-zumessung aus den Augen verloren hat. Er erwähnt den Umstand, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt unter Bewährung stand, an mehreren Stellen im Urteil, auch in der Strafzumessung, und kommt – angesichts der Vorstrafen – zu einer maßvollen Bestrafung.

 

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 3.1.2013 - III-1 RVs 90/12

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Weshalb von Revisionsgerichten manchmal in epischer Breite abwegige Rechtsfragen diskutiert werden, obwohl im Rahmen des § 349 Abs. 2 StPO ein Einzeiler ausgereicht hätte, während in man in anderen Fällen, in denen hochstreitige und bislang nicht entschiedenen Rechtsfragen zu bewerten sind, mit eben jenem Einzeiler abgespeist wird, werde ich niemals verstehen.

 

Man könnte manchmal den Eindruck gewinnen, als sei maßgebliches Kriterium für die Ausführlichkeit eines 349-II-Beschlusses die aktuelle Arbeitslust des Senats und dessen Interesse an der zu entscheidenden Rechtsfrage.

 

 

 

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