EnBW / Kommission – Eine weitere Grundsatzentscheidung des EuG zur Transparenzverordnung

von Dr. Rolf Hempel, veröffentlicht am 11.06.2012

Am 22.05.2012 hat das Gericht die Entscheidung der Europäischen Kommission aufgehoben, mit der diese der EnBW Energie Baden-Württemberg AG den Zugang zu den Verwaltungsakten im Kartellverfahren „Gasisolierte Schaltanlagen“ verweigert hatte. Die üblichen kartellrechtlichen „Nachrichtendienste“ haben über die Entscheidung zwar berichtet. Sie wurde darüber hinaus – soweit ersichtlich – aber noch nicht gewürdigt.

Worum ging es?

Der Energieversorger hatte nach der Verordnung (EG) Nr. 1049/2011, der sog. Transparenzverordnung, Zugang zu den Verwaltungsakten der Europäischen Kommission in einem bestimmten Kartellverfahren begehrt, wohl um die Geltendmachung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche gegen die Kartellanten vorzubereiten. Wie üblich, hatte die Europäische Kommission die Entscheidung über den Zugangsantrag zunächst sehr lange herausgezögert (unter Überschreitung der in der Verordnung vorgesehen Fristen) und sodann den Zugang verweigert (vgl. zur Praxis der Europäischen Kommission auch Hempel, Fischzüge bei der Kommission – Informationsbeschaffung für kartellrechtlicher Schadensersatzklagen, in Bechtold/Jikeli/Rohe (Hrsg.), Recht, Ordnung und Wettbewerb, Festschrift zum 70. Geburtstag von Wernhard Möschel, 2011, 265 ff., und Hempel, Access to DG Competition’s files: An Analysis of recent EU Court Case Law, [2012] 33 (4) E.C.L.R. 195).

Was ist nun das Besondere an der aktuellen Entscheidung des Gerichts?

Es ist anerkannt, dass das betroffene Organ, zu dessen Dokumenten der Zugang begehrt wird, in besonderen Fällen nicht zur konkreten und individuellen Prüfung des Inhalts der begehrten Dokumente verpflichtet ist. Diese Rechtsprechung präzisiert das Gericht jetzt für den Zugang zu Akten in Kartellverwaltungsverfahren. Es handelt sich um drei Ausnahmefälle:

  • Offenkundigkeit, dass der Zugang zu verweigern oder zu gewähren ist: Dabei kann es allgemeine Annahmen geben, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten.
  • Dokumente, die der gleichen Kategorie angehören.
  • Belastung des Organs in besonderem Maße, so dass damit die Grenzen dessen überschritten würden, was vernünftigerweise verlangt werden kann.

Das Gericht verneint das Vorliegen aller drei Ausnahmefälle. Hervorzuheben ist hierbei, dass es die Ableitung einer allgemeinen Annahme aus den kartellverwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften ablehnt. Der EuGH hatte eine entsprechende Annahme den beihilferechtlichen Vorschriften entnommen. Das Gericht grenzt den vorliegenden Fall davon ab.

Die zweite Ausnahme konnte nicht eingreifen, da die von der Europäischen Kommission gebildeten Kategorien nach Auffassung des Gerichts nicht zweckdienlich waren.

Für die dritte Ausnahme fehlten dem Gericht geeignete Nachweise, die die Kommission hätte vorbringen müssen.

Von Interesse ist weiterhin, dass das Gericht – ohne dies kenntlich zu machen – an seine Entscheidung vom 15.12.2011, Rs.T-437/08 – CDC/Kommission, anknüpft und den Verweigerungsgrund der Gefährdung laufender Untersuchungen der Kommission verneint. Es stützte sich – wie in der früheren Entscheidung – darauf, dass das fragliche Verwaltungsverfahren mit der Bußgeldentscheidung der Europäischen Kommission abgeschlossen gewesen sei und dass auf die laufenden Rechtsmittelverfahren nicht abgestellt werden könne. Es wiederholte auch seine Argumentation dazu, dass der Zugang nicht mit dem Argument verweigert werden könne, die Tätigkeit der Kommission bei der Kartellverfolgung generell werde durch den Zugang gefährdet (vgl. zur CDC-Entscheidung auch Hempel, Zugang zu Kronzeugenanträgen nach der Transparenzverordnung? (Gastkommentar), EuZW 2012, 161).

Schließlich setzte sich das Gericht mit dem Verweigerungsgrund des Schutzes geschäftlicher Interessen anderer auseinander. Die Kommission konnte sich nach Auffassung des Gerichts bei ihrer Entscheidung auch nicht auf diesen Grund für eine Ausnahme vom allgemeinen Zugangsrecht stützen. Das Gericht stellte dabei darauf ab, dass die Kommission hätte prüfen müssen, ob der Zugang zu den fraglichen Dokumenten trotz des inzwischen „hohen Alters“ der dort enthaltenen Informationen noch geeignet sei, geschäftliche Interessen konkret zu gefährden.

Zuletzt setzte sich das Gericht ausführlich mit der Ausnahme zum Schutze des Entscheidungsprozesses der Kommission auseinander.

Fazit:

Die Europäische Kommission ist einmal wieder für ihre restriktive Handhabung des Zugangsrechts nach der Transparenzverordnung „abgestraft“ worden. Das Gericht hat die Auslegung der Transparenzverordnung in Fällen, in denen Geschädigte zur Vorbereitung von kartellrechtlichen Schadensersatzklagen Zugang zu Akten aus Kartellverfahren begehren, weiter konkretisiert. Das wird die Kommission nicht daran hindern, solche Zugangsanträge aus Furcht um eine (vermeintliche?) Beeinträchtigung des Funktionierens ihrer Kronzeugenregelung auch weiterhin konsequent zu blockieren.

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