Anwaltsfehler

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.06.2012
Rechtsgebiete: BGHRevisionStrafrechtVerkehrsrecht9|6059 Aufrufe

Ups - diese Revisionsbegründung ging daneben:

 

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und ein bei der Tat verwendetes Messer eingezogen.
Die hiergegen eingelegte Revision entspricht nicht den Formerfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO und ist deshalb unzulässig im Sinne von § 349 Abs. 1 StPO. Aus der Fassung der Revisionsbegründungsschrift ergibt sich, dass der Rechtsanwalt nicht - wie nach ständiger Rechtsprechung erforderlich (vgl. nur BGH NStZ-RR 2002, 309; Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. § 345 Rn. 16 mwN) - die volle Verantwortung für ihren Inhalt übernommen hat. Vielmehr nehmen sämtliche Formulierungen sprachlich auf die Auffassung des Angeklagten Bezug ("Herr G. rügt …", "möchte vortragen", "bleibt bei seiner Darstellung", "ist der Überzeugung"), und die Schrift enthält keine eigenständigen Ausführungen des unterzeichnenden Rechtsanwalts.

 

BGH, Beschluss vom 27.3.2012 - 2 StR 83/12

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9 Kommentare

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Ich frag mich immer, wer eine solche Revision einreicht. Ich mein, da schick ich meinen Mandanten doch lieber weg...

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Ich nehme an, dass sich der Angeklagte bereits in Haft befand. Da lässt sich die Vorschrift des §345, Abs. 2 StPO - zu Protokoll der Geschäftstselle, also selbst die Revision begründen - schwer realisieren, oder sehe ich das falsch?

 

Wenn nun der Angeklagte die Revision nicht selbst einreichen kann, ihm aber das rechtliche Gehör durch Formerfordernisse versagt bleiben, die er selbst nicht zu vertreten hat, da er dazu gezwungen wird auch einen - unfähigen ? - Anwalt nehmen zu müssen, dann liegt doch der Fall eines unfairen Verfahrens vor, oder?

 

Wenn "Herr G." Revision eingereicht hat, dann muss er sich falsch behandelt fühlen. Spätestens seit Kachelmann wissen wir, dass die Justiz Fehler begeht.

 

Die Stilblüten "möchte vortragen", "bleibt bei seiner Darstellung", "ist der Überzeugung" kann ich aus der dürftigen BGH-Begründung nicht als NICHT "eigenständigen Ausführungen des unterzeichnenden Rechtsanwalts" erkennen.

 

Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Anwaltszwang des §345 StPO verfassungskonform ist, wenn der Rechtsanspruch eines Angeklagten durch das Schludern eines Anwalts zunichte gemacht werden kann. Wo bleibt denn hier die Rechtsicherheit, also die Rechtstaaatlichkeit in der Form eines fairen Prozesses? Wäre so etwas nicht eine Verfassungsvorlage nach Art. 100 GG wert?

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Das finde ich albern. Das sind völlig übliche Formulierungen, die sich spiegelbildlich auch in den Entscheidungen des BGH wiederfinden. Dort heißt es dann ja auch: "soweit der Beschwerdeführer rügt / der Auffassung ist / die Ansicht vertritt" oder "Der Angriff des Beschwerdeführers geht fehl."  Es ist und bleibt das Rechtsmittel des Angeklagten, auch wenn er sich in der Revision durch einen Anwalt vertreten lassen muß. Oder wird vielleicht "die Revision des Verteidigers verworfen"?

 

Es stellt auch keineswegs eine Distanzierung vom Mandanten und dessen Rechtsmittel dar, wenn man solche Formulierungen wählt.  Mit dieser Begründung ist noch keine "meiner" Revisionen als unzulässig zurückgewiesen worden. Auch der 2. Strafsenat des BGH hat das bislang nicht beanstandet. Es gab im Gegenteil auch erfolgreiche Revisionen, die entsprechende Wortwahl enthielten.

 

Im Zivilrecht käme auch niemand in Anwaltsprozessen auf die Idee, Anträge oder Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen, weil man formuliert, "der Kläger ist der Ansicht", etc.  

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Die Entscheidung ist nicht überraschend. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Enstcheidungen, wonach der entsprechende Revisions-Vortrag unzureichend ist.

Es ist bemerkenswert, daß manche Anwälte im Rahmen der außergewöhnlich formstrengen Revision auch weiterhin entsprechende Formulierungen verwenden...

Abgesehen davon mag der Schluß auf eine Distanzierung des Rechtsanwalts von den Ausführungen nicht zwingend sein. Wohl aber ist dieser Schluß möglich, so daß ein Anwalt auch außerhalb von revisionsrechtlichen Schriftsätzen von solchen, seinem Mandanten potentiell schadenden Formulierungen Abstand nehmen sollte.

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Es nennt sich Rechtsstaat, wenn einem Verurteilten nur deshalb die Freiheit entzogen wird, weil sein Anwalt, möglicherweise sogar ein vom verurteilenden Richter ausgewählter Geständnisbegleiter so arbeitet.

Ein Kopf reicht da gar nicht zum Schütteln.

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Wenn es der BGH für sachdienlich und rechtswissenschaftlich weiterführend hält, eine Revision, die vermutlich ohnehin als offensichtlich unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen gewesen wäre, als unzulässig zurückzuweisen, weil der Anwalt solche Formulierungen gewählt hat, sagt das mehr über die Qualität der Rechtsprechung aus als über die Qualität der Revisionsbegründung.

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@RA Gunter (#6):

 

Die Verwerfung als offentlich unbegründet hat die Außenwirkung: "Der böse BGH". Die hier diskutierte Entscheidung hat die Außenwirkung: "Der dumme Anwalt." Es gibt rechtssoziologische Untersuchungen, wonach Gerichte, wenn sie nicht in der Sache entscheiden wollen, formale Anforderungen hochschrauben, während sie, wenn sie in der Sache entscheiden wollen, die formalen Anforderungen überspielen.

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Man kann in der Tat über die immer strengeren - formalen und inhaltlichen -Anforderungen der Revision in Strafsachen trefflich streiten (man denke nur an die gestiegenen Anforderungen zur Widerspruchslösung, zur Beruhensfrage auch bei absoluten Revisionsgründen etc.).

Indes bleibt dem Anwalt gar keine andere Wahl als ausgesprochen umsichtig vorzutragen. Es hilft dem Mandanten nicht, hinterher gemeinsam über ein "ungerechtes" Ergebnis zu jammern. Die Rechtsprechung zu der Frage des Distanzierens von dem eigenen Vortrag ist nicht neu. Ob sie nun in der Sache berechtigt ist oder nicht: Kennen sollte man die Rechtsprechung als ein Revisionen einlegender Strafverteidiger.

Ich stimme indes der Auffassung voll und ganz zu, daß die durch die Rechtsprechung gestellten Anforderungen in diesem Bereich deutlich überzogen sind. Ein Gegentrend ist nach meiner Wahrnehmung leider nicht festzustellen.

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Das Problem ist doch, daß viele Pflichtverteidiger, die entweder vom Gericht ausgewählt wurden, da sie "so unkompliziert" sind oder vom Angeklagten benannt worden waren, weil dieser ihn in einem Mietrechtsstreit schon einmal so gut vertreten hat, die Rechtsprechung des BGH im einzelnen gar nicht kennen können und/oder sich diese für die lächerliche Revisionsverfahrensgebühr von 412,00 Euro sich auch nicht aneignen können.

 

Die Rechtsprechung scheint doch gar kein Interesse an einer guten Verteidigung zu haben. Wie sonst ist es zu erklären, daß der BGH es ohne weiteres duldet, daß ein erkennbar überforderter oder unmotivierter Anwalt als Pflichtverteidiger wirkt und diesem auch noch genüßlich auf's Brot schmiert, von der BGH-Rechtsprechung keine Ahnung zu haben?

 

Der Erfolg in Strafsachen hängt ganz wesentlich von der Brieftasche des Angeklagten ab. Wer sich ein teures und kompetentes Verteidigerteam leisten kann, hat  bessere Chancen auf eine kürzere U-Haft, ein milderes Urteil, eine erfolgreiche Revision, etc., als der mittellose Trottel, der für ein Taschengeld von einem unfähigen und lustlosen Pflichtheini "verteidigt" wird.  Wenn Urteile in diesem Sinne "käuflich" werden (also durch das Engagement teurer Verteidiger), ist das für einen Rechtsstaat bedenklich.

 

Glücklicherweise gibt es auch viele Kollegen, die sich für Pflichtverteidigergebühren stark für den Angeklagten engagieren. Wie der Blick in viele Verfahrensakten zeigt (* Hände über den Kopf zusammenschlag *) ist das aber nicht der Regelfall.

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