"Kostenohrfeige"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 29.05.2012
Rechtsgebiete: OLG HammStrafrechtVerkehrsrecht4|5628 Aufrufe

Richtig so: Der Verteidiger hatte Beschwerde eingelegt - gegen den Willen seines Mandanten. Da gab`s die "Kostenohrfeige":

I.
Das Amtsgericht beraumte in der vorliegenden Sache mit Verfügung vom 29. Dezember 2011 einen Termin zur Hauptverhandlung auf den 27. Januar 2012 an. Die Ladung wurde dem Angeklagten am 5. Januar 2012 zugestellt. Mit Schriftsatz von diesem Tage, beim Amtsgericht eingegangen am 6. Januar 2012, bestellte sich Rechtsanwalt Q in B zum Verteidiger des Angeklagten und bat unter Hinweis auf eine Kollision des anberaumten Hauptverhandlungstermins mit einem Termin, den er in einer anderen Sache vor dem Landgericht I wahrnehmen müsse, um eine Verlegung der Hauptverhandlung. Mit Verfügung vom 11. Januar 2012 lehnte das Amtsgericht diesen Antrag ab. Hiergegen legte der Verteidiger Beschwerde ein, die das Landgericht mit Beschluss vom 24. Januar 2012 als unzulässig verwarf. Gegen diesen Beschluss legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 25. Januar 2012, beim Landgericht am gleichen Tage per Telefax eingegangen, "sofortige Beschwerde" ein.
Am 27. Januar 2012 fand die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht in Anwesenheit des Angeklagten statt. Der Verteidiger nahm an der Verhandlung nicht teil. Das Amtsgericht stellte das Verfahren nach § 153 Abs. 2 StPO ein. Ausweislich des Sitzungsprotokolles gab der Angeklagte im Termin noch folgende Erklärung ab: "Ich habe den Rechtsanwalt Q nicht mit einer Beschwerde gegen die Verlegung (Anmerkung des Senats: gemeint sein kann nur "gegen die Ablehnung der Verlegung") des Hauptverhandlungstermins beauftragt. Ich teilte ihm mit, dass ich den Termin auf jeden Fall wahrnehmen werde, auch wenn er keine Zeit haben sollte."
Unter dem 31. Januar 2012 erkundigte sich das Landgericht unter Hinweis darauf, dass die Hauptverhandlung am 27. Januar 2012 stattgefunden habe, bei dem Verteidiger, ob seine "sofortige Beschwerde" vom 25. Januar 2012 gleichwohl dem Oberlandesgericht vorgelegt werden solle. Hierauf teilte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 7. Februar 2012 mit, er bitte um die Vorlage an das Oberlandesgericht, obwohl die Beschwerde ihr eigentliches Ziel, die Verlegung der Hauptverhandlung, nicht mehr erreichen könne. Er hoffe, "mit einer Abgabe der an sich schon erledigten Beschwerde an das Oberlandesgericht Hamm einmal eine grundsätzliche Klärung herbeiführen zu können." Der Bitte des Verteidigers kam das Landgericht nach.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die "sofortige Beschwerde" als unzulässig zu verwerfen. Der Senat hat die Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft dem Verteidiger mit dem Hinweis zur Stellungnahme übersandt, es sei beabsichtigt, die Kosten der weiteren Beschwerde ihm, dem Verteidiger, aufzuerlegen.
Mit Schriftsatz vom 14. März 2012 hat der Verteidiger die "sofortige Beschwerde" zurückgenommen.

II.
Nach der Rücknahme des gemäß § 300 StPO als weitere Beschwerde anzusehenden Rechtsmittels war nur noch in Anwendung des § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Kostenschuldner ist der Verteidiger Rechtsanwalt Q.

Nach § 297 StPO kann der Verteidiger für den Beschuldigten Rechtsmittel einlegen, soweit nicht der ausdrückliche Wille des Beschuldigten entgegensteht. Soweit der Verteidiger nach dieser Vorschrift ermächtigt war, ein Rechtsmittel einzulegen, haftet der Beschuldigte für die Kosten des zurückgenommenen oder erfolglosen Rechtsmittels (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. [2011], § 473 Rdnr. 8). Soweit der Verteidiger hingegen nach § 297 StPO nicht zur Rechtsmitteleinlegung ermächtigt war, haftet er als falsus procurator für die Kosten; dies ist namentlich dann der Fall, wenn die als Verteidiger auftretende Person von dem Beschuldigten überhaupt nicht (wirksam) mit der Verteidigung betraut worden war oder wenn der Verteidiger das Rechtsmittel gegen den ausdrücklichen Willen des Beschuldigten eingelegt hat (vgl. Senat, NJW 2008, 3799).

Der letztgenannte Fall liegt hier vor. Rechtsanwalt Q hat das von ihm als "sofortige Beschwerde" bezeichnete Rechtsmittel gegen den ausdrücklichen Willen des Angeklagten eingelegt. Der Erklärung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, an deren inhaltlicher Richtigkeit der Senat keinen Zweifel hat, ist zu entnehmen, dass der Angeklagte seinem Verteidiger eindeutig zu verstehen gegeben hat, dass er mit der Terminsbestimmung durch das Amtsgericht einverstanden war und den Termin in jedem Falle wahrnehmen wollte. Die Einlegung eines Rechtsmittels gegen die amtsgerichtliche Terminsbestimmung – und erst recht die Einlegung einer in jedem Falle unzulässigen (§ 310 StPO) weiteren Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts – widersprach damit dem deutlich geäußerten Willen des Angeklagten.
Die Entscheidung des Senats ist nicht anfechtbar (§ 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 StPO).

 

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 16.5.12 - III-3 Ws 52/12

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4 Kommentare

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Also, da sollte man doch eher skeptisch sein.

Wer sagt denn, dass dem Angeklagten das mit der "gegen seinen ausdrücklichen Willen" eingelegten sofortigen Beschwerde nicht erst in der süßen Stimmung einer Hauptverhandlung einfiel, nachdem ihm die Einstellung des Verfahrens angeboten worden war und er sich mit allen anwesenden Beteiligten, also dem Sitzungsvertreter der StA und dem Gericht bestens verstanden hatte?

 

Könnte es nicht sein, dass er "pro forma", nachdem für ihn vielleicht schon alles in trockenen Tüchern war, gefragt wurde, was denn mit dieser "unsinnigen" sofortigen Beschwerde seines Verteidigers war und er daraufhin eine Erklärung abgab, die Gericht und StA hören wollten?

Könnte es vielleicht auch sein, dass der Angeklagte im Vorfeld der Hauptverhandlung gegenüber seinem Verteidiger überhaupt nichts von sich hatte hören lassen, und der Verteidiger natürlich pflichtgemäß aufgrund der Terminskollision Verlegung beantragen und gegen deren Ablehnung Rechtsmittel ergreifen musste, um zu verhindern, dass sein Mandant schutzlos in einer Hauptverhandlung sitzt, bei der ihm alle Beteiligten überlegen sind?

Ich habe manchmal schon etwas das Gefühl, dass es Gerichten und Staatsanwaltschaften zuweilen schon Freude bereitet, Angeklagten und Verteidiger gegeneinander auszuspielen. Daher ist das sicherlich keine schöne Entscheidung.

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Dann sollte doch der Verteidiger nachweisen können, dass er zur Einlegung beauftragt wurde. Dieser Weg stünde ihm offen, sofern er beauftragt wurde.......

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@ Gast:

Wenn Ihr Gefühl stimmen würde, wäre es wirklich keine schöne Entscheidung - ich gehe aber mal davon aus, dass das OLG es wie "PH" im zweiten Posting gesehen hat. Der Verteidiger hat ja immerhin zum Antrag der GStA (incl. Kostenantrag) Stellungnahmemöglichkeit erhalten.

1. Die Einlegung der "sofortigen Beschwerde" war ziemlich doof, da schon offensichtlich unzulässig. Insofern hat es der Verteidiger durchaus "verdient", die Kosten zu tragen.  Daß Dummheit weh tun muß, ist aber kein rechtlicher Maßstab.

 

2. Die Annahme des Senats, der Anwalt habe damit "gegen den ausdrücklichen Willen des Angeklagten" gehandelt, ist jedoch weit hergeholt. Das hat auch nicht der Anwalt darzutun, geschweige denn zu beweisen, auch nicht im Rahmen einer Gegenerklärung. Es ist nicht im Ansatz ersichtlich, daß der Verteidiger "gegen" den "ausdrücklichen" Willen des Angeklagten gehandelt hat. Daß der Mandant in der Hauptverhandlung geäußert haben soll, er habe den Termin in jedem Fall warnehmen wollen, gleichgültig, ob der Verteidiger Zeit habe, stellt keine gegenüber dem Verteidiger geäußerte ausdrückliche Kundgabe dar, keine Beschwerde einzulegen. Das Wort "ausdrücklich" wird hier sonderbar ausgelegt.

 

Im übrigen: weshalb haben Gerichte eigentlich nie Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Äußerung des Angeklagten, wenn diese gegen den eigenen Wahlverteidiger gerichtet ist?

 

 

 

 

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