LAG Berlin-Brandenburg bestätigt Zulässigkeit der Verdachtskündigung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 22.02.2012

Schon im "Emmely"-Verfahren war versucht worden, die Rechtsprechung zur Aufgabe des Instituts der Verdachtskündigung zu bewegen. Dies ist - trotz des Erfolgs der Klägerin beim BAG (Urt. vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227) - im Ergebnis nicht gelungen. Zur Überzeugung der Tatsacheninstanzen hatte die Klägerin die ihr zur Last gelegten Taten nämlich tatsächlich begangen, sodass die rechtliche Würdigung auf der Basis einer Tat- und nicht nur einer Verdachtskündigung erfolgte.

In einem aktuellen Verfahren hatte das LAG Berlin-Brandenburg erneut Gelegenheit, zur Zulässigkeit der Verdachtskündigung Stellung zu nehmen:

Der Arbeitnehmer war mit der Verwaltung von Fahrscheinen für die externen Verkaufsstellen der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) beschäftigt. Die Verkaufsstellen erhalten Blankofahrscheinrollen, mit denen sie Fahrscheine ausdrucken können. Restrollen werden an die BVG zurückgegeben und in einem Tresor verwahrt. Für die Mitarbeiter der Verkaufsstellen besteht die Möglichkeit, in einem besonders gesicherten Schulungsraum die Herstellung der Fahrscheine zu trainieren. Nachdem zwei Kundinnen innerhalb kurzer Zeit mehrere Jahreskarten und Tageskarten zur Erstattung eingereicht hatten, die in dem Schulungsraum hergestellt worden waren, kündigte die BVG nach weiteren Ermittlungen das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers fristlos.

Die Kündigungsschutzklage hatte vor dem Landesarbeitsgericht keinen Erfolg (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 08.02.2012 - 24 Sa 1800/11). Der Arbeitnehmer sei dringend verdächtig, Fahrscheine hergestellt und vertrieben zu haben. Er habe Zugang zu den verwahrten Restrollen und dem Schulungsraum gehabt und sei während der Herstellung der Fahrscheine im Dienst gewesen. Die Kundinnen, die die Fahrscheine zur Erstattung eingereicht hatten, seien mit dem Arbeitnehmer verwandt bzw. freundschaftlich verbunden. Bei dieser Sachlage bestehe eine ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Arbeitnehmer an der erfolgten Fahrscheinmanipulation beteiligt gewesen sei. Dies berechtige die BVG zur außerordentlichen Kündigung des langjährig bestehenden Arbeitsverhältnisses; eine Täterschaft des Arbeitnehmers müsse hierfür nicht nachgewiesen werden.
 

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Die wiederholte Befassung der Arbeitsgerichte mit dem Institut der Verdachtskündigung hat sowohl tatsächliche als auch rechtliche Gründe: Zum einen wächst die Neigung auf Arbeitgeberseite, bereits den Verdacht einer Verfehlung zum Anlass einer Kündigung zu nehmen. Dies mag in Zeiten anhaltender Compliance-Diskussionen, medialer Aufbereitung von Gerichtsverfahren sowie fortschreitender Technisierung und damit Verkomplizierung sämtlicher Arbeitsvorgänge seine Ursache in einer erhöhten Sensibilisierung gegenüber jeglicher Gefährdung von Betriebsgütern und -abläufen haben. Zum anderen nimmt die Bereitschaft der Arbeitnehmer - jedenfalls in den nicht-prekären Beschäftigungsverhältnissen - zu, um den Erhalt des Arbeitsplatzes als familiärer Existenzgrundlage zu kämpfen.

In rechtlicher Hinsicht begegnet die Verdachtskündigung erheblichen Bedenken: Sie läuft den sonst für arbeitgeberseitige Kündigungen geltenden Grundsätzen zuwider. Das Risiko der Unaufklärbarkeit eines Sachverhalts geht zu Lasten des Arbeitnehmers. Da mit der Verdachtskündigung gerade auch ein Unschuldiger getroffen werden kann, nützt es wenig, dass die Rechtsprechung als Korrekturmöglichkeit unter bestimmten, von dem Arbeitnehmer darzulegenden Voraussetzungen einen Wiedereinstellungsanspruch zur Verfügung stellt.

Die Verdachtskündigung versößt sowohl gegen das Bestandsschutzprinzip des deutschen Kündigungsrechts als auch den Rechtsstaatsgrundsatz (Artt. 12 u. 20 GG) und ist daher generell abzulehnen.   

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