Keine Abgeltung des Urlaubs eines verstorbenen Arbeitnehmers

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 22.09.2011

 

Eine mit Spannung erwartete Entscheidung des BAG (Urteil vom 20.9.2011 - 9 AZR 416/10, Pressemitteilung Nr. 72/11) bezieht eine klare Position zur Vererblichkeit von Urlaubsabgeltunsansprüchen. Zugrunde lag der Entscheidung folgender Fall: Die Klägerin und ihr Sohn sind gemeinschaftliche Erben des im April 2009 verstorbenen Ehemanns der Klägerin. Dieser war seit April 2001 als Kraftfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Seit April 2008 bis zu seinem Tod war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Urlaub konnte ihm 2008 und 2009 nicht gewährt werden. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete mit dem Tod des Arbeitnehmers. Die Klägerin verlangt die Abgeltung der in 2008 und 2009 nicht gewährten 35 Urlaubstage in Höhe von 3.230,50 Euro. Rechtlicher Ausgangspunkt ist § 7 Abs. 4 BUrlG. Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden, so ist er abzugelten. Zwar endet das Arbeitsverhältnis auch durch Tod des Arbeitnehmers. In diesem Falle, so das BAG, erlösche jedoch der Urlaubsanspruch. Er wandele sich nicht etwa nach § 7 Abs. 4 BUrlG in einen Abgeltungsanpruch um. Vor dem Hintergrund der Schultz-Hoff-Entscheidung des EuGH (NZA 2009, 135) hatte die Vorinstanz (LAG Hamm) das noch anders gesehen. Die Entscheidungsgründe werden hoffentlich auch Auskunft darüber geben, weshalb das BAG sich trotz der unionsrechtlich zweifelhaften Rechtslage nicht für verpflichtet hielt, den EuGH um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Klärungsbedürftig ist übrigens noch folgende Fallgestaltung: Der schwer erkrankte Arbeitnehmer kann über einen langen Zeitraum keinen Urlaub mehr nehmen. Infolge der dauernden Arbeitsunfähigkeit kommt es zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (z.B. arbeitgeberseitige Kündigung). Der (frühere) Arbeitnehmer macht kurz nach seinem Ausscheiden seinen Abgeltungsanspruch geltend. Zur Auszahlung kommt es jedoch nicht mehr, da der (frühere) Arbeitnehmer vorher verstirbt. Hier spricht sich eine starke Literaturmeinung zu Recht dafür aus, den entstandenen Abgeltungsanspruch auf die Erben übergehen zu lassen. Anders hingegen das BAG, das hier mitunter mit einem Schadensersatzanspruch zur Hilfe kommt (22.10.1991, AP Nr. 57 zu § 7 BUrlG Abgeltung). 

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1 Kommentar

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Auch ich bin auf die europarechtlichen Teile der bisher nur über die Pressemitteilung bekannten BAG-Entscheidung gespannt. Wenn denn welche drin sind! Das Urteil war noch am Tage, da es erging, auf "SPIEGEL online" unter dem Titel "Es gibt keinen Urlaub nach dem Tod" vorgestellt worden. An dem Artikel ist nur die drastische Überschrift gut. Die europarechtl. Komponente wurde gar nicht erwähnt.

Ein Blick zurück im Zorn:

Das Berufungsurteil vom 22.04.2010 in der Vorinstanz beim LAG Hamm (Az.: 16 Sa 1502/09) war von einem gewissen Hin und Her des Argumentationsgangs geprägt. Der Volksmund würde das vermutlich weniger diplomatisch als Eiertanz bezeichnen. Einerseits, so die Westfalen, habe der EuGH im Fall C–350/06 den Gesundheitsschutz betont, dem Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG diene. Herr Schultz-Hoff, ein Angestellter bei der Dt. Rentenversicherung Bund, war damals beim EuGH in Luxemburg gerade deshalb in den Genuss der Urlaubsabgeltung gekommen, weil - wie es das LAG Hamm formulierte -  der "Gesundheitsschutz [...] seine Bedeutung nicht verliert, [da] die positive Wirkung des bezahlten Jahresurlaubs durch eine Ruhezeit verwirklicht werden kann, die zu einem späteren Zeitpunkt genommen wird." Ergo: "Dieser Zweck ist mit dem Tod des Arbeitnehmers nicht mehr zu verwirklichen." (LAG Hamm). Nun aber kommt die Rolle rückwärts. Obwohl das LAG Hamm über die Klage der Witwe eines verstorbenen Fernfahrers und damit gerade über Urlaub beim Tod des Arbeitnehmers zu entscheiden hatte, könnte man sich, so die Berufungsrichter, ja auch "andere Fallgestaltungen" denken. Etwa, dass der Arbeitnehmer noch lebt und in Frührente geht. Klar, denken kann man viel, andere Fälle gibt es immer und die Welt ist bunt. Aber über über diese konkrete Berufung der Witwe war zu entscheiden - und deren Mann war tot. Dagegen Hamm:  "Die Gebote der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit verbieten es, für jede einzelne Fallgestaltung eine erneute Auslegung des § 7 Abs. 4 BUrlG unter Beachtung der Europäischen Vorgaben vorzunehmen." Unglaublich! Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Oder mal spaßeshalber mit den Ausführungen des EuGH im Urteil vom 06.04.2006 (Az.: C-124/05) kontrastieren:

In einem Rechtsstreit in den Niederlanden hatte sich die "Vereinigung niederländischer Gewerkschaften" gegen eine Broschüre des dortigen Arbeits- und Sozialministeriums gewandt. Darin waren folgende "Rechtsausführungen" enthalten:

"Das Haus muss dringend renoviert werden. Kann ein Arbeitnehmer im Tausch gegen seine aufgesparten Urlaubstage Geld erhalten? Ja, aber … Zusätzliche Urlaubstage dürfen jetzt abgekauft werden. Es geht um Urlaubstage [...], die in vergangenen Jahren gespart wurden."

Die niederl. Gewerkschaften schäumten. Das Gericht in den Haag legte den Fall dem EuGH vor. Der entschied (s. o.):

"Die gemeinschaftsweite Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung soll einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer durch die Gewährung von Mindestruhezeiten, insbesondere eines bezahlten Jahresurlaubs, und angemessenen Ruhepausen gewährleisten." (Rn. 26)

Und:

"Der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ist als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft anzusehen, von dem nicht abgewichen werden darf." (Rn. 28)

Aufs nationale deutsche Erbrecht heruntergebrochen würde ich daher sagen, dass hier - auch in Form der Urlaubsabgeltung - ein höchstpersönlicher Anspruch vorliegt, der nicht vererblich ist.

 

Rechtsanw. u. Fachanw. f. Arbeitsrecht M. Bender, Schwetzingen

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