OLG Köln: Unfallflucht auch nach Unfallverursachung beim Beladen möglich

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.08.2011
Rechtsgebiete: UnfallfluchtOLG KölnStrafrechtVerkehrsrecht|4560 Aufrufe

Im Verkehrslexikon findet sich im Volltext OLG Köln, Urteil vom 19.07.2011 - III-1 RVs 138/11, in dem es um die Frage der Unfallflucht geht nach einer Schädigung, die beim Beladen eines LKW stattfand. Das LG hatte hier freigesprochen, da es sich nicht um einen Unfall im Straßenverkehr handele. Das OLG hierzu:

Entgegen der Auffassung des Landgerichts handelt es sich bei der Beschädigung des Pkw um einen "Unfall im Straßenverkehr", wie ihn § 142 Abs. 1 StGB voraussetzt.

a) Ein Unfall in diesem Sinne ist jedes schädigende Ereignis, das mit dem Straßenverkehr und seinen Gefahren ursächlich zusammenhängt. Jedoch genügt nicht jedwede ursächliche Verknüpfung des Schadensereignisses mit einem Verkehrsgeschehen. Nicht jeder Unfall ist schon deshalb ein "Unfall im Straßenverkehr" im Sinne des § 142 StGB, weil er sich im öffentlichen Verkehrsraum ereignet. Vielmehr setzt die Annahme eines "Verkehrsunfalls" nach dem Schutzzweck der Norm des § 142 StGB einen straßenverkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang voraus. In dem "Verkehrsunfall" müssen sich gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben (so insgesamt BGHSt 47, 158 = NJW 2002, 626 = DAR 2002, 132 = VM 2002, 17 = NZV 2002, 236 = zfs 2002, 198 = VRS 102, 52; vgl. OLG Köln, 3. Strafsenat, VRS 65, 431). Eine solche Reduzierung des Tatbestandes ist erforderlich, um schädigende Geschehensabläufe von der Bewertung als "Verkehrsunfall" auszuschließen, die völlig außerhalb des Straßenverkehrs liegen. Auszuschließen sind danach Geschehensabläufe, bei denen der öffentliche Verkehrsraum eher zufälliger Art und der eingetretene Schaden weniger die unmittelbare Folge eines Verkehrsvorganges als vielmehr das Ergebnis ausschließlich verkehrsfremden Verhaltens ist (Geppert in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Auflage, § 142 Rn. 23; vgl. BGH a.a.O.).

Dass sich in dem Schadensereignis ein verkehrstypisches Unfallrisiko realisiert hat, kann jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn ein Verhalten schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild keine Auswirkung des allgemeinen Verkehrsrisikos, sondern einer deliktischen Planung ist (BGH a.a.O.).

Darüber hinaus gestaltet sich die Grenzziehung zwischen straßenverkehrstypischen und verkehrsatypischen Schadensrisiken schwierig (vgl. Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Auflage, § 142 Rn. 18/19 mit Nachweis). Insbesondere ist die Unterscheidung zwischen fließendem und ruhendem Verkehr kein Abgrenzungskriterium.

Als Schadenereignisse im Sinne des § 142 StGB kommen nämlich auch solche im ruhenden Verkehr in Betracht, wenn sie verkehrsbezogene Ursachen haben (OLG Stuttgart NJW 1969, 1726 ; LG Bonn NJW 1975, 178; OLG Köln a.a.O.; Sternberg-Lieben a.a.O., § 142 Rn. 14; Burmann, in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 21. Auflage, StGB § 142 Rn. 4). Wer sein Fahrzeug auf öffentlichem Grund abstellt, ist während der gesamten Dauer des Parkens Verkehrsteilnehmer (Heß in Burmann u.a., a.a.O., StVO § 1 Rn. 19). Das Be- und Entladen von haltenden oder parkenden Fahrzeugen ist verkehrsbezogener Teil des ruhenden Verkehrs, wenn ein innerer Zusammenhang mit der Funktion eines Kraftfahrzeugs als Verkehrs- und Transportmittel besteht (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.; Deutscher VRR 2009, 70 - abl. Anmerkung zu AG Tiergarten NJW 2008, 3728; Burmann a.a.O. StVG § 7 Rn. 10. Das Be- und Entladen umfasst auch Nebenverrichtungen, die aufgrund ihrer notwendigen Zugehörigkeit als deren Bestandteil erscheinen (Heß a.a.O. StVO § 1 Rn. 25).

b) Danach ist es rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht hier einen verkehrsbezogenen Zusammenhang verneint hat. Seine im Anschluss an die Entscheidung des AG Tiergarten (NJW 2008, 3728 ) angestellte Abgrenzungserwägung, ein solcher Zusammenhang läge nur vor, wenn der Schaden an dem Pkw durch einen vom Lkw herabgefallenen Ladungsteil verursacht worden wäre, greift nach den vorstehend wiedergegebenen Grundsätzen zu kurz. Ist, wie ausgeführt, das Be- und Entladen verkehrsbezogener Teil des ruhenden Verkehrs, dann macht es bezogen auf das Tatbestandsmerkmal "Unfall im Straßenverkehr" keinen Unterschied, ob ein bereits geladener Gegenstand vom geparkten Fahrzeug herunterfällt oder der Schaden bereits beim Beladen des Fahrzeugs oder erst später beim Entladen entsteht (Deutscher a.a.O.). Dem Schutzbereich des § 142 StGB unterfallen gerade solche Geschehensabläufe im öffentlichen Straßenverkehr, die mit einem erhöhten Unfall- und Schadensrisiko sowie - wegen der Beteiligung eines Fahrzeugs - mit dem Risiko eines schnellen Entfernen des Verursachers vom Unfallort und damit einem gesteigerten Aufklärungsinteresse anderer Verkehrsteilnehmer einhergehen (vgl. Geppert a.a.O. § 142 Rn. 23). Dazu gehören aber insbesondere auch Ladevorgänge, und zwar gerade - wie vorliegend - fehlerhafte.

In diesem Zusammenhang führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Vorlageverfügung zutreffend aus:
"Der Angeklagte hielt, um dem Zweck seines LKWs als Transportmittel nachzukommen. Seine Fahrten als Schrotthändler bestehen zwingend aus einzelnen kurzen Stopps, um den Wagen beladen zu können. Damit ist auch ein Wegrutschen oder Abprallen der zu transportierenden Materialien eine typische, sich aus dem Verkehrsvorgang ergebende Gefahr."
Wie auch die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung richtig anmerkt, ist der dem Urteil des Landgerichts zugrunde liegende Sachverhalt damit gerade nicht vergleichbar mit der durch das Landgericht angeführten - auch vom OLG Stuttgart, a.a.O., kurz erörterten - Fallgestaltung, in der einem Handwerker, der neben der Straße an einem Gebäude arbeitet, der Hammer aus der Hand rutscht und ein geparktes Fahrzeug beschädigt. Anders als in diesem Fallbeispiel führten vorliegend nicht bloße verkehrsfremde Ursachen zu der Beschädigung des Fahrzeugs, sondern, da die Beschädigung durch einen Teil der Ladung erfolgte, gerade verkehrsspezifische Ursachen. Hinzu kommt, dass der Angeklagte anders als der (fiktive) Handwerker selbst Verkehrsteilnehmer war.

Dass der Angeklagte nach Schadeneintritt mit dem Lkw davongefahren ist, belegt zusätzlich den Eintritt der Situation, die durch § 142 StGB verhindert werden soll. Entgegen der Auffassung des Landgerichts führt die Anwendung des § 142 StGB auf den hier in Rede stehenden Fall nicht zu einer vom Wortlaut der Norm nicht mehr gedeckten Ausuferung des Tatbestandes.

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