Bsirske und Lafontaine für Legalisierung des politischen Generalstreiks

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 07.11.2010

Der Streik als Mittel der politischen Auseinandersetzung ist in Deutschland nach bislang nahezu unangefochtener Meinung unzulässig. Der Streik muss - so die tradierte Sichtweise - auf ein tariflich regelbares Ziel ausgerichtet sein. Dies ist in der neueren Rechtsprechung des BAG, die zuletzt das Streikrecht der Gewerkschaften deutlich ausgeweitet hatte (vgl. BAG 19.6.2007, NZA 1055 zum Unterstützungsstreik und BAG 22.9.2009, NZA 2009, 1347 zum Flashmob), zwar nicht mehr so deutlich zum Ausdruck gebracht worden wie in früheren Entscheidungen, stellt aber immer noch einen Grundpfeiler der auf Art. 9 Abs. 3 GG basierenden Dogmatik des Arbeitskampfrechts dar. Diese Fesseln möchten führende Gewerkschaftler und Politiker der Linkspartei offensichtlich abstreifen. Den Anfang machte der Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske im Hamburger Abendblatt vom 6.11.2010. „Ich finde, dass wir auch in Deutschland ein politisches Streikrecht brauchen. Das Verbot des politischen Streiks stammt von 1955. Jetzt haben wir eine vollkommen andere Situation“, hatte Bsirske gesagt. Er verwies auf den jüngsten Widerstand der Franzosen gegen die geplante Verlängerung der Lebensarbeitszeit: "Von der Protestkultur in Frankreich können wir uns eine Scheibe abschneiden.“ Prominente Unterstützung hat Bsirske vom saarländische Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Oskar Lafontaine, erhalten (Hamburger Abendblatt vom 8.11.2010). Lafontaine unterstützt die Gewerkschaftsforderung nach einem Recht auf politischen Generalstreik. "Das Recht auf politischen Streik ist europäische Normalität“, sagte Lafontaine dem Abendblatt. „Die Arbeitnehmer brauchen eine wirksame Möglichkeit, sich gegen den Abbau des Sozialstaats zur Wehr zu setzen“, ergänzte der ehemalige Parteichef der Linken.

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4 Kommentare

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Ich vermag den Sinn eines Generalstreiks nicht zu erkennen. Der Fall in Frankreich hat doch gezeigt, dass das Volk sich hauptsächlich selbst schadet, wegen fehlender Müllabfuhr, Tankstellen, Transport, Tourismus, etc.

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Tilman schrieb:

Ich vermag den Sinn eines Generalstreiks nicht zu erkennen. Der Fall in Frankreich hat doch gezeigt, dass das Volk sich hauptsächlich selbst schadet, wegen fehlender Müllabfuhr, Tankstellen, Transport, Tourismus, etc.

Das ist ja mal eine richtig tiefschürfende Denkweise. Mein Gott, wie peinlich.

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hier übrigens die Urteile frei zugänglich:

http://www.hensche.de/Rechtsanwalt_Arbeitsrecht_Urteile_Versetzungsklausel_BAG_1AZR396-06.html

http://www.hensche.de/Rechtsanwalt_Arbeitsrecht_Urteile_Streik_Flashmob_BAG_1AZR972-08.html

 

"deutlich" ausgeweitet? Diese Formulierung ist krass übertrieben:

Eine Bewertung von Arbeitskampfmaßnahmen durch die Fachgerichte als rechtswidrig kommt deshalb grundsätzlich nur in Betracht, wenn eine Arbeitskampfmaßnahme offensichtlich ungeeignet oder unverhältnismäßig ist (BVerfG 10. September 2004 - 1 BvR 1191/03 - aaO). (1 AZR 396/06, Rn 19)

In Rnrn 32 ff. werden relativ klare Grenzen zur Rechtswidrigkeit gezogen, und diese wurden im konkreten Fall nicht überschritten (es wurde von 20 Druckern eine Nachtschicht einer Zeitungsdruckerei bestreikt, um für die Tarifverhandlungen für den zu 100% konzernverbundenen Verlag den Druck zu erhöhen)

Ein Arbeitgeber kann ja auch nicht bzw. anderweitig gewerkschaftsgebundene Arbeitnehmer aussperren - da ist die Verhältnismäßigkeit auch nur deswegen gegeben, wenn diese von einer Allgemeinverbindlichkeit des zukünftigen Tarifvertrags profitieren.

Wo bitte lesen Sie heraus, dass ein Streik "weniger auf ein tariflich regelbares Ziel ausgerichtet sein" muss als früher? 

Das einzige was sich geändert hat, ist die Feststellung

- dass ein mit dem sich im Tarifstreit befindlichen Unternehmen wirtschaftlich eng verflochtene Unternehmen (z.B. solche mit gemeinsamer Konzernmutter und mit Lieferantenbeziehung mit dem im Tarifstreit befindlichen Unternehmen) nicht völlig unbeteiligt ist (wie überraschend!) und darum nicht jeder Streik automatisch unangemessen und/oder unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ist.

- dass sich Arbeitskampfmaßnahmen von gewerkschaftlicher Seite nicht auf die Arbeitsniederlegung beschränken müssen

So gesehen hat sich grundsätzlich nichts geändert und politische Streiks werden auf absehbare Zeit rechtswidrig bleiben.


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Auch Sarkozy fährt Frankreich gegen die Wand, aber dort dürfen sich die Bürger durch politischen Streik äußern. Auf die katastrophale Politik von Frau Merkel und Konsorten hat der deutsche Bürger keine vergleichbare Reaktionsmöglichkeit, politische Demonstrationen werden kaum wahrgenommen oder es werden anschließend nur politische Scheindebatten geführt, die das Thema über einen langen Zeitraum verwässern, den Aktivismus der unzufriedenen Bürger brechen und diese ruhig stellen sollen.

 

Hier ist ein schöner kleiner Vergleich des Streikrechts in Frankreich und Deutschland: http://www.lto.de/de/html/nachrichten/1765/streiks-in-frankreich-und-deu...

 

In die europäische Dimension des Problems wurde sehr schön im dazu abgegebenen Kommentar eingeführt, daraus:

 

"Und was ist mit der EU? Eine Antwort auf diese Frage ist deshalb wichtig, weil durch die EU zwangsläufig auch rechtlich die Staaten zusammenrücken. Gerade beim Streikrecht hat die vorherrschende deutsche Rechtsauffassung „schlechte Karte“ nachdem das Ministerkomitee des Europarats bereits Anfang 1998 eine Verletzung von Art. 6 Abs. 4 der Europäischen Sozialcharta (ESC) in der deutsche Haltung zum Streikrecht feststellte (ähnlich kritisch zu sehen: die deutsche Haltung zu den ILO-Übereinkommen Nr.87 und Nr. 98). Die Weiterentwicklung der „doppelte (Staats)-Bürgerschaft“ verschärft das rechtliche Problem noch. Da ja jeder deutsche Bürger zugleich Bürger der EU ist, kann sich dies eigentlich nicht nur in den Pflichten, sondern muss sich auch in den Rechten ausdrücken. Und zu letzteren gehört eben auch das Streikrecht. ..."

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