EuGH: Tarifliche Altersgrenzen wirksam (Rechtssache Rosenbladt)

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 12.10.2010

Die Tarifvertragsparteien dürfen eine allgemeine "Altersgrenze 65" festlegen, mit deren Erreichen das Arbeitsverhältnis automatisch endet. Ebenso zulässig ist, dass ein solcher Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird. Das hat der EuGH mit Urteil vom 12.10.2010 auf Vorlage des ArbG Hamburg in der Rechtssache "Rosenbladt" (C-45/09) entschieden.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, Frau Rosenbladt, war als Reinigungskraft beschäftigt. 39 Jahre lang hat sie eine Kaserne in Hamburg-Blankenese gereinigt. Seit dem 1. November 1994 war Frau Rosenbladt beim Reinigungsunternehmen Oellerking mit einer Bruttomonatsvergütung von 307,48 Euro teilzeitbeschäftigt (zwei Stunden pro Tag, zehn Stunden pro Woche). Dieser Arbeitsvertrag sieht unter Bezugnahme auf den Rahmentarifvertrag für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung (RTV) vor, dass er mit Ablauf des Kalendermonats endet, in dem die Beschäftigte Anspruch auf eine Rente wegen Alters hat, spätestens mit Ablauf des Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollendet hat. Frau Rosenbladt widersprach dieser Beendigung. Am 28. Mai 2008 erhob Frau Rosenbladt beim Arbeitsgericht Hamburg Klage gegen ihre Arbeitgeberin. Sie macht geltend, dass die Beendigung ihres Arbeitsvertrags unzulässig sei, da sie eine Diskriminierung wegen des Alters darstelle. Eine Altersgrenze wie die in § 19 Nr. 8 RTV vorgesehene könne weder nach Art. 4 noch nach Art. 6 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein. Seit dem 1. Juni 2008 bezieht Frau Rosenbladt eine Rente aus der gesetzlichen Altersversorgung in Höhe von monatlich 253,19 Euro, entsprechend 228,26 Euro netto.

Das ArbG Hamburg war der Überzeugung, dass die tarifvertragliche Altersgrenze eine Diskriminierung wegen des Alters darstelle, es hatte den Rechtsstreit ausgesetzt und das Verfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss vom 20. 1. 2009 - 21 Ca 235/08, ZESAR 2009, 129).

Der EuGH hat nun die deutsche Tarifpraxis bestätigt. Seine Leitsätze lauten:

  1. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Bestimmung wie § 10 Nr. 5 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, wonach Klauseln über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Erreichen des Rentenalters des Beschäftigten zulässig sind, nicht entgegensteht, soweit zum einen diese Bestimmung objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik gerechtfertigt ist und zum anderen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Die Nutzung dieser Ermächtigung in einem Tarifvertrag ist als solche nicht der gerichtlichen Kontrolle entzogen, sondern muss gemäß den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ebenfalls in angemessener und erforderlicher Weise ein legitimes Ziel verfolgen.
  2. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass er einer Maßnahme wie der in § 19 Nr. 8 des Rahmentarifvertrags für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung enthaltenen Klausel über die automatische Beendigung der Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die das Rentenalter von 65 Jahren erreicht haben, nicht entgegensteht.
  3. Die Art. 1 und 2 der Richtlinie 2000/78 sind dahin auszulegen, dass es ihnen nicht zuwiderläuft, dass ein Mitgliedstaat einen Tarifvertrag wie den im Ausgangsverfahren in Frage stehenden für allgemeinverbindlich erklärt, soweit dieser Tarifvertrag den in seinen Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmern nicht den Schutz nimmt, den ihnen diese Bestimmungen gegen Diskriminierungen wegen des Alters gewähren.
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3 Kommentare

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Der EuGH erkennt die automatische Beendigung an, weil es dem über 65. jährigen Arbeitnehmer nicht untersagt ist, eine neue Beschäftigung zu suchen. Dabei steht er auch bei der Suche nach einem neuen Arbeitsverhältnis und darf entsprechend nicht wegen seines Alters diskriminiert werden (vgl. Rn. 74 und 75). Dies geht m.E. aber an der Realität vorbei. Ein verständiger Arbeitgeber wird sich doch momentan hüten, einen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis wegen Erreichen der Regelaltersgrenze beendet wurde, anders als sachgrundlos befristet einzustellen (womit der vorherige Arbeitgeber per se ausscheidet 14 Abs. 2 S. 2). Er wird Kosten scheuen, die aus der zwangsläufig irgendwann notwendig werdenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses resultieren und in Anbetracht der hohen Hürden bzgl.  Befristungs- oder Kündigungssachgrund üblicherweise einen teueren Aufhebungsvertrag (auf den auch der irgendwann rentenwillige Arbeitnehmer trefflich spekulieren kann) notwendig werden lassen. Er wird sich ganz überwiegend die Beschäftigung Älterer verkneifen, AGG hin oder her.

Wäre es vllcht sinnvoll, ab 65 Jahren auf das Sachgrunderfordernis und das Verbot nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG zu verzichten, um älteren Arbeitnehmer die Beschäftigung ernsthaft zu ermöglichen?

 

 

 

 

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