DAV: Gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit will gut überlegt sein

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 29.09.2010
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtDAVTarifeinheitWillemsen3|3551 Aufrufe

Nach der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit durch das BAG fordert der Deutsche Anwaltverein (DAV) eine sorgfältige Folgenabschätzung. Erst dann könne über eine etwaige Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung entschieden werden. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen eine Initiative der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und die hiermit verbundenen verfassungsrechtlichen Fragestellungen. Der Vorsitzende des DAV-Ausschusses Arbeitsrecht, Heinz Josef Willemsen sagte: „Angesichts der hohen verfassungsrechtlichen Hürden einer gesetzlichen Festschreibung des Grundsatzes der Tarifeinheit sollte eine sorgfältige Folgenabschätzung aller mit der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit verbundenen Konsequenzen erfolgen. Erst danach kann über die Notwendigkeit und Zulässigkeit eines solch tief greifenden Einschreitens des Gesetzgebers befunden werden.“ Bevor der Königsweg gesucht werde, seien insbesondere die Folgen einer Tarifpluralität im Tarifvertrags-, Betriebsverfassungs- und Arbeitskampfrecht abzuschätzen. Nach Auffassung von Willemsen richte sich der Blick in erster Linie auf die Folgen und möglicherweise regelungsbedürftigen Fragen, welche die Aufgabe des Prinzips der Tarifeinheit für das Arbeitskampfrecht mit sich bringt: Ungeklärt sei, ob noch weiterhin von einer arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft ausgegangen werden könne, so dass sich alle Arbeitnehmer im Betrieb unabhängig von der Gewerkschaftsmitgliedschaft und einer anderweitigen Tarifbindung an einem Arbeitskampf beteiligen können. Des Weiteren sei für die Kampfparität entscheidend, wie das Arbeitskampfrisiko in tarifpluralen Betrieben, insbesondere bei Arbeitskampfmaßnahmen von Spartengewerkschaften, zu verteilen sei. Wenn man davon ausgehe, dass die gesamte Belegschaft das Risiko des streikbedingten Lohnausfalls trage, stelle sich die Frage, ob nicht bereits dies rein faktisch zu einer Disziplinierung der Gewerkschaften beitragen könne. „Am Ende der Debatte könnte auch die Erkenntnis stehen, dass es vielleicht besser wäre, auf gesetzgeberischen Beistand zu verzichten und es der Praxis zu überlassen, brauchbare Lösungen zu entwickeln“, so Willemsen weiter. 

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Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) fordert eine „sorgfältige Folgenabschätzung aller mit der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit verbundenen Konsequenzen“. Erst danach könne über die Notwendigkeit und Zulässigkeit eines solch tief greifenden Einschreitens des Gesetzgebers befunden werden.

Diese Formulierung „tief greifendes Einschreiten des Gesetzgebers“ verschleiert meines Erachtens etwas die Tatsachenlage. Der Gesetzgeber soll ja gar nicht einen Zustand, der sich über Jahrzehnte bewährt hat, tiefgreifend verändern. Ganz im Gegenteil, das BAG hat mit seiner Entscheidung zur Abkehr von der Tarifeinheit einen Zustand geschaffen, der tiefgreifende Veränderungen mit sich zu bringen droht. Der Zustand, wie er vorher war, nämlich die Tarifeinheit hatte sich vielmehr über Jahrzehnte bewährt.

Auch bei einer sorgfältigen Folgenabschätzung der Konsequenzen, die die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit mit sich bringt, liegen massive Gefahren auf der Hand, die nur wenige Leute wünschenswert finden: Mehr-Klassen-Gesellschaften in den Belegschaften, Verbesserung der Gehälter einzelner für den Betrieb notwendiger Fachkräfte auf Kosten von leichter ersetzbaren Belegschaftsteilen. Und nicht zuletzt auch die Funktionsfähigkeit der Betriebe ist gefährdet, wenn heute die einen, morgen die anderen streiken, mal ganz abgesehen vom Klima innerhalb der Belegschaften.

Ich finde es aus diesen Gründen recht kühn, wenn der DAV es lieber „der Praxis überlassen will, brauchbare Lösungen zu entwickeln“. Er selbst muss das Lohngefälle, das mit ziemlicher Sicherheit aus dieser Rechtslage entsteht, nicht ausbaden. Dagegen wird das Finden brauchbarer Lösungen in der Praxis sicherlich äußerst viele Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen, viel Brot und Butter für Anwälte also.

Es ist außerdem bezeichnend, dass die DGB Gewerkschaften in Eintracht mit den Arbeitgeberverbänden, die die Interessen einer breiten Bevölkerungsschicht vertreten, sich für ein Gesetz einsetzen, dass aber die InteressenvertreterInnen einzelner innerhalb einer Belegschaft relativ mächtiger Positionsinhaber  von einem solchen Gesetz nichts wissen wollen.

Fazit: Es bedarf vielmehr eine sorgfältigen Interessenabschätzung, was man will: sozialen Frieden oder die Begünstigung einzelner Gruppen.

Annette Fuhrmann

www.betriebsratsqualfizierung.de

www.arbeitsweltblog.de

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