Staatsanwaltliche PR im Fall Tauss - "soziale Exekution"?
von , veröffentlicht am 21.07.2009Wie heute berichtet wird, hat die Karlsruher Staatsanwaltschaft ihre Anklageerhebung im Fall des Bundestagsabgeordneten Tauss angekündigt. Es fehle lediglich noch die Aufhebung der Immunität. Die Bild-Zeitung hatte offenbar bereits vorab berichtet, Oberstaatsanwalt Rüdiger Rehring bestätigte diese Berichterstattung nun und begründete die beabsichtigte Anklageerhebung gegenüber der Öffentlichkeit in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung.
Tauss und sein Anwalt empörten sich über diese Vorgehensweise, da sie erst jetzt Akteneinsicht bekommen hätten und sie also noch keine Gelegenheit zur Stellungnahme bzw. zur Stellung von Beweisanträgen im Ermittlungsverfahren gehabt hätten. Die Handlungsweise der Staatsanwaltschaft komme einer "sozialen Exekution" gleich. (Pressemitteilung)
Die Einwände Tauss´ und seines Verteidigers sind zwar grundsätzlich durchaus beachtlich, doch ist ihre Verteidigungsstrategie (Berufung auf § 184 b Abs. 5 StGB) der Öffentlichkeit schon längst bekannt. Eine gerichtliche Klärung dieser Frage (bzw. Klärung eines evtl. Verbotsirrtums in diese Richtung) ist m. E. wünschenswert. Zudem hat Tauss sich das schlechte Bild in der Öffentlichkeit durch seine ungeschickte Vorgehensweise bei seinen "Ermittlungen" im Umfeld eines vermeintlichen Kinderschänderrings zumindest teilweise selbst zuzuschreiben.
Allerdings hatte die Staatsanwaltschaft vor einigen Monaten erklärt, sie habe zunächst gar nicht an die Öffentlichkeit gehen wollen, aber das Öffentlichkeitsinteresse habe sie "wie ein Tsunami" überrollt. Was Oberstaatsanwalt Rehring allerdings nicht davon abgehalten hat, die Presse mit weiteren Details der Ermittlungen zu füttern. (siehe hier)
Auch angesichts der neuerdings offensiveren Pressearbeit der Staatsanwaltschaften im Allgemeinen, ist die Frage zu stellen: Liegt hier (noch) berechtigte Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft vor? Oder wird mittels Umwegs über die Medienöffentlichkeit versucht, auf die Entscheidung des Parlaments im Hinblick auf die Immunitätsaufhebung Einfluss zu nehmen?
Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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10 Kommentare
Kommentare als Feed abonnierenle D kommentiert am Permanenter Link
Ich würde ja eher mutmaßen, dass ein Teil der Verteidigungsstrategie bekannt ist. Ob das die einzige Verteidigungslinie ist, die der geschätzte Kollege aufzieht, entzieht sich der Kenntnis beinahe aller (Alle bis auf Tauss und seinem Anwalt [und ggf. den Bürokollegen mit denen über das Verfahren geredet wurde]).
Die Art und Weise, wie die StA hier das Verfahren führt halte ich für sehr anrüchig.
Michael Langhans kommentiert am Permanenter Link
Nun, das Problem der "sehr späten" Akteneinsicht und damit einhergehend das Problem des Abschneidens einer Verteidigung im Ermittlungsverfahren lasse ich bei einer Bewertung vollständig außen vor - es handelt sich ja um ein bekanntes Übel.
Unter dieser Prämisse ist wenn überhaupt jetzt erstmals berechtigtes Interesse an einer Öffentlichkeitsarbeit samt namenlicher Nennung gegeben - weil man ja erst jetzt selbst eine Strafbarkeit bejaht.
Hans-Otto Burschel kommentiert am Permanenter Link
Zwichenzeitlich hat die Generalstaatsanwätin von BaWü ihre Kollegen in Karlsruhe gerüffelt.
http://www.sueddeutsche.de/,ra1m1/politik/901/481373/text/
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrte Heren le D und Langhans,
danke für Ihre Hinweise und Anmerkungen.
In Blogs verbreitet heißt es (z.B. hier), Herr OStA Rehring habe mit der BILD gesprochen, bzw. habe die BILD-Zeitung genutzt, um seine Anklage bekannt zu machen. Ob dies stimmt, entzieht sich meiner Kenntnis. Wenn die BILD jemanden wörtlich zitiert, heißt das noch lange nicht, dass er mit dieser notorisch eher der Lüge als der Wahrheit verpflichteten Zeitung auch (exklusiv) gesprochen hätte. Trotzdem: Nachdem Herr OStA Rehring die Presse schon im März als "Tsunami" wahr genommen hat, ist es doch höchst merkwürdig, warum er jetzt die Reporteranfragen nicht einfach abblockt, bis er Akteneinsicht gewährt hat. Steckt vielleicht doch ein kleines bisschen Ruhmsucht dahinter?
Zumindest Nr. 23 Abs. 2 der RiStBV scheint verletzt worden zu sein. Dort heißt es
(2) Über die Anklageerhebung und Einzelheiten der Anklage darf die Öffentlichkeit grundsätzlich erst unterrichtet werden, nachdem die Anklageschrift dem Beschuldigten zugestellt oder sonst bekanntgemacht worden ist.
Beste Grüße
Henning Ernst Müller
P.S.: Danke Herr Burschel, für den Hinweis. da hatten sich unsere Beiträge gekreuzt.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch Pressearbeit der Staatsanwaltschaft vgl. OLG Düsseldorf: Urteil vom 27.04.2005 - 15 U 98/03 (Fall Esser/Mannesmann/vodafone). Das Urteil gibt es in der sehr lang Version bei beck-online, hier eine sehr kurze Zusammenfassung.
aloa5 kommentiert am Permanenter Link
Das Vorgehen ist jedenfalls anrüchig. Gerade im Falle von medial gut auszuschlachtenden und auch zu instrumentalisierenden Kinderpornos ist den Staatsorganen oft nicht viel "zu schade". Das hat man nicht zuletzt auch im Falle der Operation "Mikado" gesehen. Sehr angelehnt und frei nach der "Opertation Ore":
http://infowars.wordpress.com/2007/08/05/dossier-operation-ore-der-gross...
http://en.wikipedia.org/wiki/Operation_Ore
Daher sollte man gerade bei diesem Thema sorgfältig vorgehen. Man würde das (Verantwortungsbewusstsein bei Staatsorganen) zumindest gerne glauben wollen als Bürger.
Grüße
ALOA
Hans-Otto Burschel kommentiert am Permanenter Link
Ausweislich der Homepage der StA Karlsruhe ist Herr Rehring "nur" stellvertretender Pressesprecher. Auch findet sich dort zum Fall Tauss keine offizielle Presserklärung
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Das "Ping-Pong" Spiel zwischen Tauss und der Staatsanwaltschaft - und die BILD-Zeitung als Tischtennisplatte? (Kommentar auf Zeit-Online)
Simon kommentiert am Permanenter Link
Ich fand es grundsätzlich in Ordnung, dass die StA überhaupt mit der Presse gesprochen hat (auch das wird anderswo ja bezweifelt). Die Staatsanwaltschaft ist ja auch dem öffentlichen Informationsinteresse verpflichtet. Außerdem will (und darf) die Staatsanwaltschaft ja auch vermeiden, in der Öffentlichkeit falsch dargestellt zu werden.
Allerdings verkennt Rehring hier offensichtlich die Ausstrahlungswirkung von Art. 46 GG. Die offensive Pressearbeit der Staatsanwaltschaft hat auf Tauss Situation eine viel stärkere Wirkung, als es eine spätere Verurteilung hätte - schon der Verdacht reicht aus, um ihm das öffentliche Ansehen und damit auch die berufliche Grundlage zu entziehen. Hier muss eine Staatsanwalt besonders sorgsam vorgehen - andernfalls wäre der Schutz des Art. 46 Abs. 2 GG faktisch unterlaufen.
Ich könnte mir gut vorstellen, dass das noch ein Grundsatzurteil des BVerfG gibt. Im Moment aber kann man nur hoffen, dass die Staatsanwaltschaft Karlsruhe die Art ihrer Pressearbeit überdenkt.
or kommentiert am Permanenter Link
Mir erschließt sich nicht, welche strafprozessuale Bewandnis "Öffentlichkeitsarbeit" einer StA hat, insbesondere vor dem Anschluß der Ermittlungen...Die Wirkung durch das Verbreiten der Informationen kommt einer dauerhaften öffentlichen Ächtung gleich....Das zu erwartende Strafmaß steht dazu in keinem Verhältnis.
Wenn man sich dann noch vorstellt, dass Staatsanwälte oft in einem politischen Spannungsfeld agieren, dann ist der Willkür Tor und Tor geöffnet.....
.Bezeichnend ist hier der Vorgang Zypries-Arcandor-Middelhoff. (Inbs, dass Ermittlungen auf politische Weisung von Oben eingeleitet werden und nicht vorher).
Wüsste man es nicht besser, dann würde man sagen: O.J. Simpson lässt grüßen. Fehlt nur noch ein Johnny Cochran.