Die Anrechnung der Verfahrensgebühr im selbstständigen Beweisverfahren

von Dr. Hans-Jochem Mayer, veröffentlicht am 24.07.2008

Das Thema Anrechnung ist derzeit eines der Hauptthemen in der gebührenrechtlichen Diskussion. Doch Anrechnungsfragen stellen sich nicht nur bei der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach VV Vorbem. 3 IV, sondern -wie der Beschluss des OLG Stuttgart vom 15.07.2008- 8 W 264,265/08- zeigt auch bei der Anrechnung der Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr im Hauptsacheverfahren nach VV Vorbem. 3 V. Nach dem OLG Stuttgart hat die Anrechnung dergestalt zu erfolgen, dass die zeitlich zuvor entstandene Verfahrensgebühr im selbstständigen Beweisverfahren Bestand hat und die Verfahrensgebühr im Hauptsacheverfahren durch Anrechnung in Wegfall kommt.

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8 Kommentare

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Das Gericht folgt aus gutem Grund dem Wortlaut der Anrechnungs-bestimmung, denn dieser ist ebenso eindeutig wie der in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG. Bleibt zu hoffen, dass der 8.Senat des OLG Stuttgart als Familiensenat seinen Beschluss vom 15.01.2008 in 8 WF 5/08, juris, zur Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des PKH-Anwalts noch einmal ebenso konsequent überdenkt und korrigiert. Ein Verständis von Anrechnung im Sinne von Aufgehen in einer Gebühr scheint sich bei den Kommentare zum RVG scheinbar (historisch gewachsen) auch nur bei der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr herausgebildet zu haben. Schaut man einmal in die Kommentierungen zu Nr. 3101 Abs. 1 VV RVG wird gemeinhin angerechnet im wahren Sinne des Wortes. Nach einer Legaldefinition des Wortes Anrechnung im Sinne von Aufgehen in sucht man/frau bisher vergeblich - es gibt sie einfach nicht. Die Handhabe mag zu BRAGO-Zeiten ein probates Mittel gewesen sein, weil man da nicht so genau unterscheiden musste ob tatsächlich ein Geschäftsgebühr nach § 118 BRAGO entstanden ist oder die vorgerichtliche Tätigkeit bereits von einem unbedingten Klageauftrag erfasst war, der im Erfolgsfall lediglich mit der nach § 32 BRAGO geminderten Prozessgebühr abgegolten war. Nach den Entscheidungen des BGH hört man jetzt auffallend häufig das Argument: Wir hatten bereits einen unbedingten Klageauftrag, so dass im vorliegenden Fall keine Geschäftsgebühr entstanden ist. So gesehen drängt sich eine Gesetzesänderung nicht ohne weiteres auf.

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Die Hoffnung, dass der 8. Senat des OLG Stuttgart seinen Beschluss vom 15.01.2008 – 8 WF 5/08 (vgl. FD-RVG 2008, 255260) – zur Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des PKH-Anwalts in Richtung auf die unglückselige und unrichtige Rechtsprechung des BGH zur Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr korrigiert, vermag ich selbstverständlich nicht zu teilen, die Entscheidung vom 15.01.2008 war und ist richtig! Anders als die Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 dürfte die Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 5 eher selten praktische Auswirkungen haben, auch geht es hier um eine Vollanrechnung und nicht nur um eine Anrechnung zur Hälfte, betroffen ist ferner auch keine Satzrahmengebühr. Die Entscheidung des OLG Stuttgart vom 15.07.2008 belegt allerdings, dass es nicht so ganz falsch sein kann, wenn sich der Gesetzgeber einmal grundsätzlich mit dem Thema Anrechnung im RVG beschäftigt.

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Wenn ich das der Entscheidung des OLG Stuttgart richtig entnommen habe, hat die Vorinstanz getrennte Kostenentscheidungen für das selbständige Beweisverfahren und das Hauptsacheverfahren erlassen. Das finde ich fast noch bemerkenswerter als die Anrechnungsfrage, denn diese ist dann wohl nur konsequent entschieden worden.

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Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
Ihre den Interessen eines Anwalts entsprechenden Ausführungen überraschen nicht weiter.
Für einen minderbemittelten Mandanten stellt sich die Situation jedoch ganz anders dar. Ihm wäre durch eine vorgerichtliche Tätigkeit des Anwalts im Rahmen von Beratungshilfe mehr gedient. Diese machte dann auch die Anrechnung einer von ihm stattdessen geschuldeten Geschäftsgebühr auf die PKH-Verfahrensgebühr entbehrlich.
Für die Landeskassen stellt sich die Situation ebenfalls anders dar. Die für Prozesskostenhilfe auszugebenden Steuermittel sind für die Begleichung der auf die mit der gerichtlichen Rechtsver-folgung verbundenen Anwaltskosten vorgesehen. Die Teilregulierung vorgerichtlicher Kosten gehört nicht dazu.
Ein weiterer nicht ganz unwesentlicher Nebenaspekt der Nichtanrechnung sollte m.E. in die weiteren Überlegungen zu einer eventuellen Gesetzesänderung mit einbezogen werden. Gegenwärtig stellen sich die Gerichte infolge der BGH-Entscheidung auf die Anrechnung ein. Das wird sich nach meiner Einschätzung recht bald einspielen. Nimmt man nun den Anrechnungsdruck wie in § 15 a RVG-E vorgesehen, stärkt man den Abrechnungsspielraum des Anwalts gegenüber seinem Mandanten, denn wegen der Bemessung der Geschäftsgebühr wird kaum ein Mandant eine gerichtliche Auseinandersetzung suchen. Auch der Gedanke, die Anrechnung für den Fall der vollen Erstattung der Verfahrensgebühr auszuschließen mag vermehrt erwogen werden. Dass infolge der beabsichtigten Neuregelung weiterhin ein normal ablaufendes Verfahren mit einer 1,3 Geschäftsgebühr zzgl. einer 0,65 Verfahrensgebühr abgerechnet wird, darf zumindest angezweifelt werden.

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Von einem "Anrechnungsdruck" habe ich bisher noch nie etwas gehört. Liegt die Bemessung der Geschäftsgebühr bei 1,5 oder darüber, ist die Anrechnung begrenzt. Liegt die Geschäftsgebühr darunter, so ist auch bei der Anrechnung die in der Rechtsprechung anerkannte Toleranzgrenze von 20 % zu beachten.
Ich glaube, man sollte nicht von vorneherein davon ausgeheben, dass ein Rechtsanwalt die Gebühren gesetzeswidrig - d.h. ungeachtet des § 14 I RVG - bestimmt.

Übrigens: Nicht jeder mittellose Bürger hat Anspruch Beratungshilfe, auch nicht derjenige, der später Prozesskostenhilfe erhält.

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Sehr geehrter Herr Fölsch,
da haben Sie vollkommen Recht und das tut wohl auch niemand. Den Begriff "Anrechnungsdruck" habe ich gleichwohl bewusst geprägt. Er führt in PKH-Anrechnungsfällen vereinzelt dazu, dass Anwälte ihre vorgerichtliche Tätigkeit für den minderbemittelten Mandanten mit dem Mindestgebührensatz abrechnen. Derartiger Festlegungen mit Blick auf die PKH-Vergütungsabrechnung bedarf es nach § 15 a RVG-E nicht mehr. Daher mögen dann für den Anwalt künftig andere Gründe für die Bemessung der Geschäftsgebühr in den Vordergrund rücken. Dies wiederum mag dem Mandanten nicht zum Vorteil gereichen und verschlechtert so gesehen seine Position.
Zu Ihrem übrigens: Nach wie vor bezahlt derjenige die Musik, der sie bestellt, wenn niemand anderes für hierfür einzustehen hat.

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Eine Gesetzesänderung des § 14 RVG steht doch nicht zur Diskussion. Die Umstände, die ein Rechtsanwalt für die Gebührenbestimmung zu berücksichtigen hat, bleiben auch nach der etwaigen Einführung eines § 15a RVG-E dieselben. Das Kriterium der "Anrechnung" ist kein Umstand i.S.v. § 14 RVG. Mir ist jedenfalls kein Fall bekannt, in dem ein Anwalt nachweislich mit einem Mindestgebührensatz abgerechnet hat, um z.B. aus der Staatskasse die Festsetzung einer höheren Vergütung zu erlangen. Davor sollte sich auch ein jeder Anwalt hüten.

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Mindestgebühren kommen lt. "Hartmann, Kostengesetze" bei einem Mindestbemittelten und dann in Betracht, wenn die Sache gleichzeitig einfach liegt. Ebenso Jungbauer in "Bischof, RVG" und Madert in "Gerold/Schmidt, RVG". Dies gehört zu den dem Anwalt zur Verfügung stehenden Bemessungskriterien des § 14 Abs. 1 RVG. Gelegentlich haben hier Anwälte davon bei der PKH-Vergütungsabrechnung bereits Gebrauch gemacht. Die Angaben erschienen mir plausibel und glaubhaft. Auch wenn § 14 RVG nicht zur Diskussion steht, mag der Einfluss von § 15 a RVG-E auf die Gebührenbemessung im Einzelfall nicht unterschätzt werden. Dieser "Neben"Aspekt ist für mich in die Gesamterwägungen für die beabsichtigte Gesetzesänderung mit einzubeziehen.

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