Rückwärtsfahrt auf Beschleunigungsspur der Autobahn: Kein Fahrverbot

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 11.07.2008

Das OLG Bamberg hat in einem bislang nicht in Zeitschriften veröffentlichten Beschluss vom 16.01.2008 - 2 Ss OWi 1687/07 eine Fahrverbotsanordnung aufgehoben, obwohl der Betroffene auf der Beschleunigungsspur der Autobahn mit seinem Kfz rückwärts gefahren war:

Aus Ziffer 83 des Bußgeldkatalogs ergibt sich folgende Staffelung der Regelahndung: Das Rückwärtsfahren in einer Ein- und Ausfahrt einer Autobahn wird nach Ziffer 83.1 des Bußgeldkatalogs mit einer Regelgeldbuße von 50 €, auf der Nebenfahrbahn oder dem Seitenstreifen nach Ziffer 83.2 mit einer Geldbuße von 100 €, und auf den durchgehenden Fahrbahnen nach Ziffer 83.3 mit einer Regelgeldbuße von 150 € und einem Regelfahrverbot von einem Monat geahndet. Der Betroffene ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts nicht auf der Hauptrichtungsfahrbahn (= durchgehenden Fahrbahn) rückwärts gefahren, sondern „nur“ auf dem Seitenstreifen und der Beschleunigungsspur der Einfahrt und der Verzögerungsspur der Ausfahrt. Der Beschleunigungsstreifen und der Verzögerungsstreifen sind zwar Bestandteil der Autobahn, jedoch nicht Teil der Richtungsfahrbahn (BayObLG

DAR 1970, 276; OLG Hamm Beschluss vom 10.01.1978, Az. 1 Ss OWi 1986, 77 online abrufbar unter j...de; vgl. auch Hentschel StVO § 2 Rn. 2a m. w. N.). Sie sind daher als Nebenfahrbahnen anzusehen. Die Voraussetzungen für die Regelahndung nach Ziffer 83.3 BKat sind somit nicht gegeben. Für die festgestellte Zuwiderhandlung sieht Ziffer 83.2. vielmehr eine Regelgeldbuße in Höhe von 100 € vor.

  Nun mag man darüber streiten, warum die Beschleunigungsspur nicht Teil der Richtungsfahrbahn sein soll, doch ist viel interessanter, was das OLG Bamberg weiterhin feststellt. Es verneint nämlich auch ansonsten den groben Pflichtenverstoß i.S.d. § 25 Abs. 1 StVG:

Sonstige hinzutretende Umstände, die den Schluss auf ein gegenüber dem Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle besonders gefahrträchtiges, rücksichtsloses oder in sonstiger Hinsicht verantwortungsloses Verhalten zuließen und deshalb, insbesondere in Verbindung mit eventuellen Vorahndungen, die Anordnung eines Fahrverbots dennoch nahe legen könnten, hat das Amtsgericht aber nicht festgestellt. Entsprechende Anhaltspunkte können sich in einem solchen Fall aus der Länge der Fahrtstrecke ergeben, ebenso wie aus dem Umstand, ob das Fahrzeug rückwärts an einer stehenden Kolonne oder am herannahenden, noch fließenden Verkehr vorbei rückwärts geführt wurde. Auch die hier vorliegende vorsätzliche Begehungsweise rechtfertigt keine andere Beurteilung, da ein derartiger Verstoß regelmäßig vorsätzlich begangen wird, so dass sich Vorsatz als ein normaler Tatumstand darstellt, sich daher im Übrigen auch nicht bußgelderhöhend auswirkt (vgl. Thüringer OLG VRS

111, 209/211).

  Erscheinen nicht das Rückwärtsfahren auf der Richtungsfahrbahn und auf der Beschleunigungsspur ähnlich risikoreich und daher vergleichbar? 

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3 Kommentare

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War vielleicht wieder ein Darsteller aus dem Karl-May-Universum?
Extrem langsam mit eingeschaltetem Warnblinker äußerst rechts auf dem Seitenstreifen halte ich nicht für ganz so schlimm, allerdings fällt mir auch kein vernünftiger Grund ein warum man dies tun sollte. Ebenso auf der Beschleunigungsspur. Aber auf dem Verzögerungsstreifen ist das eine Verantwortungslosigkeit sonder gleichen, die Geschwindigkeit der herannahenden Fahrzeuge nimmt doch immer mehr zu je näher man der BAB kommt.
Das die Regelsätze so niedrig sind war mir allerdings neu, da kann Herr Tiefensee gerne ne Schüppe drauflegen.
Denn für solches Verhalten gibt es ja überhaupt keine Rechtfertigung oder Notwendigkeit.

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Hallo Corax

nun aber: Würden Sie das als grobe Pflichtverletzung i.S.d. § 25 StVG ansehen, auch wenn kein Regelfall nach der BKatV vorliegt. Wenn Sie der Richter wären, würden Se also ein Fahrverbot anordnen?

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Herr Krumm,

ich kenne die genauen Umstände ja nicht. Der Beschluss sieht aus wie verlinkt ist aber "tot".
Mir ist vorhin eingefallen, ich bin mal als Beifahrer, mit einer 2,2 to Pritsche mitgefahren als wir in einer Autobahnabfahrt in dem "kurvigen" Abschnitt nach dem Verzögerunsstreifen eine Schubkarre verloren haben. (Hätte auch nicht passieren dürfen). Der Fahrer hat die Warnblinkanlage angemacht und ist am äußersten Fahrbahnrand vorsichtig rückwärtsgefahren, bis kurz vor besagte Schubkarre. Ein LKW mit Warnlicht ist natürlich für herannahende Fahrzeuge eher zu erkennen als eine einzelne liegende Schubkarre auf der Fahrbahn, und ich kann auch sonst jedem nur abraten "zu Fuß" in solchen Bereichen zu agieren. Von daher war dies meiner Meinung nach damals die richtige Entscheidung.

Der obige Fall sieht mir aber danach aus, dass kein wichtiger Grund für die Rückwärtsfahrt vorlag.
Deshalb sehe ich durchaus, das dieses Verhalten
den Schluss auf ein gegenüber dem Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle besonders gefahrträchtiges, rücksichtsloses oder in sonstiger Hinsicht verantwortungsloses Verhalten zuließen und deshalb, insbesondere in Verbindung mit eventuellen Vorahndungen, die Anordnung eines Fahrverbots dennoch nahe legen könnten,

Ich würde deshalb ein Fahrverbot anordnen, (wenn ich Richter wäre).

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