Kurzstreckenfahrt: 200 m sind zuviel zumal AAK so hoch wie fast absolute Fahrunsicherheit

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.01.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|693 Aufrufe

Was die Kurzsstreckenfahrt als Grund für ein Absehen vom Regelfahrverbot angeht, habe ich bei 200 m keine Probleme, dem BayObLG zu folgen. Aber: Umrechnungen von AAK in BAK sind rechtsmedizinisch bekanntermaßen Mumpitz. Das das BayObLG sowas schreibt, ist umso erstaunlicher. 

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Coburg vom 23. Februar 2023 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.

 II. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Coburg zurückverwiesen.

 Gründe: 

 I.

 Das Amtsgericht hat den im Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit stehenden Betroffenen wegen einer am 30.07.2022 als Führer eines Pkws fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit des Führens eines Kraftfahrzeugs mit einer Atemalkoholkonzentration (AAK) von 0,25 mg/l oder mehr bzw. einer zu einer solchen führenden Alkoholmenge im Körper gemäß § 24 a Abs. 1 mit Abs. 3 StVG zu einer Geldbuße von 1.200 Euro verurteilt. Die mit dem Atemalkoholmessgerät ‚Dräger Alcotest 9510‘ polizeilich festgestellte AAK ergab eine solche von 0,47 mg/I im Mittelwert. Von dem im Bußgeldbescheid vom 11.08.2022 neben einer Geldbuße von 500 Euro angeordneten Fahrverbot von einem Monat nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG hat das Amtsgericht unter gleichzeitiger Erhöhung des an sich verwirkten Regelbußgeldes gemäß § 4 Abs. 4 BKatV von 500 Euro auf 1.200 Euro abgesehen.

 Nach den Urteilsfeststellungen nahm der Betroffene am Tattag an einem Junggesellenabschied teil, in dessen Rahmen auch Alkohol, überwiegend Bier, konsumiert wurde. Gegen 20.00 Uhr kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Betroffenen und der Zeugin V., in deren Verlauf sich die Zeugin von dem Betroffenen, mit welchem sie eine gemeinsame Tochter hat, trennte. Daraufhin wollte sich der Betroffene „der Situation entziehen“. Hierzu befuhr er um 20.17 Uhr als Führer eines Pkws Seat die N.-Straße in P., obwohl er hätte erkennen können und müssen, dass er infolge vorausgegangenen Alkoholgenusses eine Alkoholmenge im Körper hatte, die zu einer AAK von 0,25 mg/I oder mehr führte. Als der Betroffene kurz nach Fahrtantritt realisierte, dass er aufgrund seines Alkoholkonsums kein Fahrzeug mehr führen durfte, kehrte er aus eigenem Antrieb wieder zu seinem Parkplatz in die N.-Straße zurück. Die Fahrt dauerte insgesamt nur wenige Minuten und die zurückgelegte Fahrtstrecke betrug insgesamt ca. 200 m. Aus Sorge um den Betroffenen hatte die vorgenannte Zeugin in der Zwischenzeit bereits telefonisch die örtliche Polizeidienststelle über die Wegfahrt des Betroffenen informiert. Noch während dieses Telefonates war der Betroffene wieder zurückkehrt und hatte den Pkw wiederum auf dem Parkplatz abgestellt, wo er zusammen mit der Zeugin auf das Eintreffen der Polizei wartete.

 Mit ihrer gegen dieses Urteil zu Ungunsten des Betroffenen eingelegten, ausweislich der Begründung in der Rechtsmittelrechtfertigungsschrift vom 03.04.2023 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten, von der Generalstaatsanwaltschaft München vertretenen Rechtsbeschwerde rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Die zur Rechtsbeschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft abgegebene Stellungnahme des Verteidigers des Betroffenen vom 04.05.2023 lag dem Senat bei der Entscheidung ebenso vor wie die zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 03.07.2021 abgegebene Stellungnahme des Verteidigers vom 25.07.2023.

 II.

 Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige, wegen der wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels allein den Rechtsfolgenausspruch betreffende Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist begründet und führt auf die erhobene Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht, weil die Begründung, mit der dieses von der Anordnung eines Fahrverbots abgesehen hat, einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält.

 1. Zwar hat das Amtsgericht erkannt und seinen Erwägungen zum Rechtsfolgenausspruch zutreffend vorangestellt, dass ein Absehen von dem gesetzlich angeordneten Regelfahrverbot nach §§ 24 a Abs. 1 und 3, 25 Abs. 1 Satz 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 3 BKatV nur in einem Härtefall ganz außergewöhnlicher Art in Betracht kommen kann, oder dann, wenn wegen besonderer Umstände äußerer oder innerer Art das Tatgeschehen ausnahmsweise aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1 StVG derart herausfällt, dass die Verhängung des Regelfahrverbots als offensichtlich unpassend anzusehen wäre (vgl. schon BGH, Beschluss vom 28.11.1991 – 4 StR 366/91 = BGHSt 38,125, 134 = BeckRS 1991, 2653 = ZfSch 1992, 30 = NJW 1992, 446 = VerkMitt 1992, Nr 11 = NStZ 1992, 135 = DAR 1992, 69 = NZV 1992, 117 = MDR 1992, 275 = BGHR StVG § 25 Fahrverbot 1 = NJ 1992, 174 = VRS 82 [1992], 216; ferner u.a. OLG Bamberg, Beschluss vom 11.03.2005 – 2 Ss OWi 236/05 und 20.08.2008 – 3 Ss OWi 966/08 = DAR 2009, 39 = Blutalkohol 45 [2008], 394 = OLGSt StVG § 25 Nr 43 = BeckRS 2008, 22409). Denn anders als bei den Katalogtaten nach § 4 Abs. 1 und 2 BKatV, in denen ein Fahrverbot lediglich in der Regel „in Betracht“ kommt, „ist“ bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 a StVG gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 3 BKatV in der Regel ein Fahrverbot anzuordnen. Den Gerichten ist deshalb in den Fällen des § 24 a StVG bei der Entscheidung darüber, ob von einem Fahrverbot im Einzelfall ausnahmsweise abgesehen werden kann, ein geringerer Ermessensspielraum als in den Fällen nach § 4 Abs. 1 BKatV und § 4 Abs. 2 BKatV eingeräumt. Angesichts des höheren Unrechtsgehalts und der Gefährlichkeit einer derartigen Ordnungswidrigkeit versteht sich vielmehr die grundsätzliche Angemessenheit eines Fahrverbots einschließlich seiner vorgesehenen Regeldauer von selbst (st.Rspr.; vgl. neben BGH u. OLG Bamberg, Beschluss vom 20.08.2008 – 3 Ss OWi 966/08, jeweils a.a.O. u.a. OLG Bamberg, Beschluss vom 29.10.2012 – 3 Ss OWi 1374/12 bei juris = BeckRS 2012, 24386 u. 02.07.2018 – 3 Ss OWi 754/18 bei juris = NStZ-RR 2018, 325 = BeckRS 2018, 15192; OLG Celle, Beschluss vom 18.12.2019 – 2 Ss [OWi] 338/19 = Blutalkohol 57, [2020] 47 = NZV 2020, 255 = VerkMitt 2020, Nr 26 = OLGSt StVG § 24a Nr 24 = BeckRS 2019, 33532 sowie OLG Zweibrücken, Beschluss vom 29.06.2021 – 1 OWi 2 SsBs 40/21 bei juris = BeckRS 2021, 18277 = ZfSch 2021, 650 = NZV 2022, 101, jeweils m.w.N.).

 2. Das Amtsgericht hat aber – entgegen diesen Maßstäben – aufgrund der konkreten Tatumstände des Verkehrsverstoßes in Verbindung mit dem Nachtatverhalten des Betroffenen zu Unrecht die tatbestandsbezogene gesetzliche Indizwirkung des Regelbeispiels nach den §§ 25 Abs. 1 Satz 2, 24a StVG als entkräftet angesehen.

 a) Das Amtsgericht hat bereits aus dem Blick verloren, dass unbeschadet der festgestellten Wegstrecke von immerhin ca. 200 m und der wenigen Minuten andauernden Fahrt schon aufgrund des Tatverlaufs wegen der damit belegten psychischen Ausnahmesituation zur Tatzeit gerade nicht von einer die Sicherheit des Straßenverkehrs weniger oder gar nur marginal beeinträchtigenden Trunkenheitsfahrt auszugehen ist, so dass die Annahme, das Tatgeschehen falle wegen besonderer Umstände äußerer oder innerer Art derart aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1 StVG, dass die Verhängung des Regelfahrverbots als offensichtlich unpassend anzusehen wäre, nicht gerechtfertigt ist.

 b) Hinzu kommt, dass der Betroffene zur Tatzeit mit einer festgestellten AAK von 0,47 mg/I im Mittelwert den gesetzlichen Atemluftgrenzwert nach § 24a Abs. 1 StVG von 0,25 mg/l nicht nur geringfügig überschritten, sondern die AAK nahe zum Grenzwert der (absoluten) Fahruntüchtigkeit i.S.v. § 316 Abs. 1 StGB lag.

 c) Auch das von Schuldeinsicht und Reue geprägte Nachtatverhalten des Betroffenen vermag die tatbestandsbezogene gesetzliche Indizwirkung des Regelbeispiels nach den §§ 25 Abs. 1 Satz 2, 24a StVG nicht zu entkräften. Es handelt sich insoweit zwar um anzuerkennende Umstände zugunsten des Betroffenen, ihnen kommt aber bei der gebotenen Gesamtschau nicht ein derartiges Gewicht zu, das zur Entkräftung der Regelwirkung führen würde.

 III.

 Aufgrund des sachlich-rechtlichen Begründungsmangels ist auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mitsamt der Kostenentscheidung aufzuheben und die Sache in diesem Umfang an das Amtsgericht Coburg zurückverwiesen. Wegen der engen Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße betrifft die Aufhebung nicht nur die Fahrverbotsanordnung, sondern den gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO).

 Das Amtsgericht wird in einer neuen Hauptverhandlung u.a. Feststellungen zu der Frage zu treffen haben, ob ein einmonatiges Regelfahrverbot unter besonderer Berücksichtigung einer nach Sachlage zu gewährenden vorläufigen Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG (sog. ‚Vier-Monats-Regel‘) für den Betroffenen tatsächlich die von diesem beschriebenen Folgen für sein berufliches Fortkommen bis hin zum Verlust seiner beruflichen Existenz zeitigen würden, wozu weitere Feststellungen zu treffen sein werden.

 IV.

 Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

BayObLG Beschl. v. 28.9.2023 – 202 ObOWi 780/23, BeckRS 2023, 31054

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