CSU fordert Unterbindungsgewahrsam für Blockadebauern … oder doch nicht?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 08.01.2024
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Unter meiner (zugegeben) Click-Bait Überschrift verbirgt sich ein ernster Sachverhalt, der heute, am 8. Januar 2024 für jeden sichtbar geworden ist:

Vor nicht einmal einem Jahr haben die Fraktion CDU/CSU im Bundestag einen Gesetzesvorschlag eingebracht, mit dem die Strafen für Straßenblockaden empfindlich erhöht werden sollten. Zudem wurde Folgendes gefordert (Quelle)

„Der Straftatbestand des besonders schweren Falls der Nötigung im Paragrafen 240 Absatz 4 des Strafgesetzbuches sollte ferner um weitere Regelbeispiele ergänzt werden: „Täter, die eine öffentliche Straße blockieren und billigend in Kauf nehmen, dass Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben behindert werden, sollen zukünftig mit Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren bestraft werden.

Ebenso sollen Täter bestraft werden, die eine große Zahl von Menschen durch ihre Blockaden nötigen – etwa dann, wenn es durch die Blockaden im Berufsverkehr zu langen Staus kommt“, führte die Fraktion aus.“

 

Ähnliches findet sich in einem noch aktuellen Beschluss der CSU-Landesgruppe (Seeon 2023):

„Die Aktionen der Klimakleber sind Straftaten. Teile dieser Aktionen können Leib und Leben von Menschen gefährden. Teile der Aktionen sind darauf angelegt, das kulturelle Erbe und wertvolle Kulturgüter zu beschädigen. Dieses Vorgehen unterscheidet sich von den friedlichen Demonstrationen beispielsweise der Klimajugendbewegung. Um eine weitere Radikalisierung zu verhindern und Nachahmer abzuschrecken, fordern wir das Strafrecht zu verschärfen und die Blockade von Rettungswegen und die Behinderung von Rettungsmaßnahmen mit Mindestfreiheitsentzug zu bestrafen. Außerdem fordern wir, dass Straftäter aufgrund der von ihnen bei Straßenblockaden begangenen erheblichen Straftaten zukünftig bei eindeutiger Wiederholungsgefahr in Unterbindungsgewahrsam bzw. Untersuchungshaft genommen werden können.“

 

Entweder, die Abgeordneten der CSU-Landesgruppe haben nicht erkannt, dass es im Rechtsstaat einen Straftatbestand, der nur gegen „Klimakleber“ gilt, nicht geben kann, oder sie haben in wenigen Monaten ihre Ansicht zu gewaltsamen Straßenblockaden um 180 Grad gewendet. Denn: Wo ist der Aufschrei der CSU-Politiker gegen die Straßenblockaden der Bauern, die wie für diese Woche angekündigt Autobahnauffahrten und Verkehrsknotenpunkte mit ihren Traktoren blockieren, um auf ihr politisches Anliegen, weiterhin vergünstigten Treibstoff einkaufen zu dürfen, hinzuweisen?

Die Redaktion des BR berichtet Folgendes (Quelle):

„Dürfen Landwirte Autobahnauffahrten blockieren?

Nur, wenn das im Rahmen einer angemeldeten Demonstration nicht untersagt wird. Dafür ist auch wichtig, wie lange die Blockade geplant ist und ob andere Verkehrsteilnehmer Umfahrungsmöglichkeiten haben. Für diesen Montag haben einige Behörden erlaubt, dass bestimmte Auffahrten eine Stunde blockiert werden dürfen. Autobahnausfahrten müssen frei nutzbar bleiben, auf der Autobahn muss eine Rettungsgasse garantiert werden. Zudem müssen Rettungsfahrzeuge grundsätzlich durchgelassen werden.

Christian Rath, der die Praxis in einigen Bundesländern beschreibt, folgert auch aus den Nicht-Untersagungen direkt auf (strafrechtliche?) Rechtmäßigkeit, obwohl die Anmeldung von "Kolonnenfahrten" offensichtlich gar nicht der Praxis entsprach, die dann doch aus Blockaden bestand. Hier ein Auszug aus dem lesenswerten, aber m.E. nur verwaltungsrechtlich zutreffenden Artikel auf lto.de:

In Mecklenburg-Vorpommern hat das Innenministerium deshalb nach einem Kooperationsgespräch den Bauern die eindeutige Auflage gemacht: Die Versammlungen dürfen lediglich "an den" Auffahrten zu den Bundesautobahnen stattfinden. "Die Nutzung der Auffahrt muss jederzeit gewährleistet sein."

In Sachsen war man weniger streng. Dort wurden auch zeitweise Blockaden der Autobahnauffahrten erlaubt. In bestimmten Abständen – je nach Verkehrsaufkommen vor Ort – sollte jedoch der Autoverkehr durchgelassen werden. Feuerwehr und Krankenwagen sollten zudem stets passieren können.

Auch in Brandenburg gab es eine Intervall-Vorgabe. Danach waren die Autobahnauffahrten "alle 30 Minuten für jeweils 30 Minuten freizugeben". Gegen diese Auflage klagten die Bauern jedoch mit Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschied am Samstag in einem Eilverfahren (Beschl. v. 06.01.2024, Az.: OVG 1 S 3/24), dass die Bauern die Autobahnzufahrten auch stundenlang blockieren dürfen. Die Autofahrer müssten ja nicht unbedingt die Autobahn benutzen und könnten ihr Ziel auch auf anderen Straßen erreichen. So großzügig war der Umgang der Gerichte mit der "Letzten Generation" bisher in der Regel nicht.

In der Praxis hat sich der Umgang der Polizei mit den Treckern vor Ort wohl nicht sehr unterschieden. Am Vormittag waren die Autobahnauffahrten in Mecklenburg-Vorpommern trotz unterschiedlicher rechtlicher Ausgangslage ebenso dicht wie in Brandenburg, teilte die Nachrichtenagentur afp mit. Auch an vielen Kreisverkehren, Kreuzungen und Tunneln sorgten die Trecker schon durch ihre massenhafte Präsenz für schwere Verkehrsstörungen.

Es steht einer Ordnungsbehörde zwar im Rahmen der abwägenden Gefahrenabwehr zu, eine Versammlung aus verschiedenen Gründen auch dann nicht zu untersagen, wenn Straftaten zu besorgen sind;  einem Vorab-Verbot steht zudem, wie beim Verbot der Zensur, ein Grundrecht entgegen. Eine Ordnungsbehörde hat aber keinen unmittelbaren Zugriff auf die Strafbarkeit einer nicht verwaltungsakzessorischen individualschützenden Strafnorm. Das heißt: Selbst, wenn die Behörde eine Versammlung oder ein bestimmtes Verhalten bei einer Versammlung nicht untersagt, bedeutet das nicht, dass ein Verhalten, das objektiv einen Straftatbestand erfüllt, damit erlaubt wäre. Zwar hat auch die Polizei im Rahmen der verhältnismäßigen Gefahrenabwehr darüber zu  entscheiden, ob eine Versammlung trotz illegaler Aktivitäten unterbunden oder aufgelöst wird, und sie kann den Organisatoren darüber auch eine Vorabeinschätzung abgeben oder Absprachen treffen. Aber sie hat keine Entscheidungsgewalt darüber, ob es sich bei einer Straßenblockade um eine Straftat handelt oder nicht. Für eine strafrechtliche Bewertung kann die Anmeldung insbesondere dann nicht ausschlaggebend sein, wenn zwar ein "Kolonnenfahren" angemeldet wird, aber tatsächlich, wie offenbar von vornherein beabsichtigt, eine Blockade erfolgt, wie man etwa auf dem Foto sehen kann, das einem anderen lto-Artikel vorangestellt ist.

Im Ergebnis wird bei behördlicher Nicht-Untersagung oder gar Absprache mit der Polizei nur möglicherweise ein Verbotsirrtum ausgelöst, der bei Unvermeidbarkeit auch zur Straffreiheit führen kann, aber die Tat wird dadurch nicht gerechtfertigt. Über die Frage des hinreichenden Tatverdachts einschließlich der Frage der Verwerflichkeit nach § 240 Abs.2 StGB entscheidet die zuständige Staatsanwaltschaft und ggf., nach Anklageerhebung, ein Strafgericht.

Eine für das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der Bundesländer kaum tragbare Situation wäre es indes, wenn die Exekutive auch nur den Anschein erwecken würde, es würde mit zweierlei Maß gemessen: Als würde das bundeseinheitliche Strafrecht  landesrechtlich „gebogen“, wenn das mit der Versammlung verfolgte politische Anliegen übereinstimmt mit der Position der jeweiligen Landesregierungsparteien und sich noch dazu gegen die politisch gegnerische Bundesregierung richtet. 

Ganz unabhängig davon, was man von solchen Aktionen hält, ob man die politischen Inhalte mitträgt oder nicht – die Position des Staates, seiner Vertreter einschl. der Ordnungsbehörden, aber auch die der Polizeibeamten und Staatsanwaltschaften muss hier eindeutig sein: Die Strafverfolgung bei politisch motivierten Straßenblockaden muss selbstverständlich ohne Ansehen der politischen Ziele erfolgen, sofern diese Ziele innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung verwirklicht werden können (was ja bei den Klimaaktivisten wie bei den protestierenden Bauern der Fall ist)

Das vorsätzliche mit Hilfsmitteln durchgeführte Blockieren einer Straße, um andere zum Anhalten zu zwingen, ist Nötigung mit Gewalt. Dies entspricht der vom BVerfG gestützten ganz h.M. im Strafrecht. Lediglich die Verwerflichkeit nach § 240 Abs.2 StGB ist im Einzelfall zu prüfen und kann von ganz unterschiedlichen Faktoren abhängen. Wer um seiner politischen Ziele Willen Verkehrsknotenpunkte und ganze Ortschaften mit blockierenden Traktoren „lahmlegt“, der befindet sich nicht mehr innerhalb der durch Art.8 GG geschützten Grundrechtswahrnehmung. Die Klimaaktivisten gehen bewusst das Risko ein, verhaftet und bestraft zu werden für ein (immerhin der Allgemeinheit dienendes) Fernziel. Die Bauern mögen ebenfalls gute Gründe für ihren Protest haben, aber auch sie müssen sich, wollen sie nicht das Risko strafrechtlicher Verfolgung eingehen, an das geltende (Straf)-Recht halten. Um sich nicht selbst dem Vorwurf der Strafvereitelung auszusetzen, müssen Staatsanwaltschaften gegen Organisatoren und Beteiligte an gewaltsamen Nötigungen strafrechtliche Ermittlungen einleiten.

Ergänzung (12.01.2024):

Was ich bei Erstellung dieses Beitrags zwar gehofft, aber nicht für besonders wahrscheinlcih gehalten habe: Jedenfalls in Mindelheim hat nun die Polizei begonnen, gegen mehr als hundert Traktorfahrer zu ermitteln, wie der BR berichtet:

Nach der Verkehrsblockade im Rahmen der Bauernproteste am Montag in Mindelheim laufen aktuell Ermittlungen gegen "weit über 100" Fahrzeughalter. Das sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West dem BR. Es gehe um Nötigung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz sowie um Verstöße gegen die zuvor vom Landratsamt Unterallgäu erlassene Allgemeinverfügung, die einen geregelten Ablauf der Proteste garantieren sollte.

Alle Zufahrtswege in die Stadt blockiert

Ab dem Montagmorgen hatten die Landwirte mit Hunderten Traktoren bis in den Abend hinein sämtliche Zufahrtswege in die Stadt hinein und aus der Stadt heraus blockiert. Lediglich Rettungskräfte und Augenzeugenberichten zufolge auch etwa Pflegedienstmitarbeiter wurden von den Landwirten durchgelassen. Ein Caterer, der rund 80 Schulen und Kindertagesstätten in der Region mit Essen beliefert, konnte sein Essen dagegen nicht ausliefern.

 Ich bin positiv überrascht, dass sich der erste Eindruck Anfang der Woche nicht bestätigt und bin gespannt auf die weitere Verfahrensweise in diesen Fällen.

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Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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11 Kommentare

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Ein wichtiger Punkt blieb in den Betrachtungen unberührt: Die Bauern sind in der Lage und Willens die Fahrzeuge für Krankenwagen o.ä. oder auch nach Aufforderung durch die Polizei kurzfristig zu entfernen. Die besagten Demonstranten der Umweltbewegung kleben sich häufig an der Strasse fest, und zu deren Demonstrationskonzept gehört eben auch, zwar in der Lage aber nicht Willens zu sein sich kurzfristig, z. B. nach Aufforderung durch die Polizei, zu entfernen. Vielmehr scheint ja regelmäßig einkalkuliert zu sein, dass die Demonstranten (teilweise) unter zur Hilfenahme chemischer und / oder physischer Mittel zunächst vom Strassenkörper getrennt werden müssen, dann aber nicht der Aufforderung der Polizei folgeleisten, sondern anschließend von der Polizei im Wege des unmittelbaren Zwangs von der Strasse entfernt werden müssen.

Ich sehe hier nur eine bedingte Vergleichbarkeit.

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Auch die Klimaaktivisten behaupten, dass sie jeweils eine Rettungsgasse freimachen können. Und das ist auch von den Bauern angekündigt worden, richtig. Entscheidend für die strafrechtliche Beurteilung ist aber nicht der Plan oder die Anmeldung, sondern was tatsächlich passiert. Die Blockaden führen regelmäßig zu Rückstaus, wo dann eine Rettungsgasse nicht mehr gewährleistet ist, das wurde auch den Klimaaktivisten vorgehalten.

Demonstrationen im Wald sind eher selten (Lützerath). Praktisch jede Demonstration blockiert die Strasse, angemeldet oder unangemeldet.

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Ja, dieses Argument wurde auch von den Klimaaktivisten teilweise vorgebracht. Richtig valide ist es nicht, weil sich sich fortbewegende  Demonstrationen, in denen Verkehrsbehinderungen quasi nebenbei entstehen, von der Wirkung doch erheblich unterscheiden von absichtlichen Blockaden, die an Verkehrsknotenpunkten errichtet werden, um über das Lahmlegen des Verkehrs erhöhte Aufmerksamkeit zu erhalten. Bei Traktorendemos ist das noch augenfälliger als bei Personenblockaden.

"Praktisch jede Demonstration"" ist insofern nicht ganz richtig, weil viele Demonstrationen in verkehrsberuhigten Innenstädten und auf Plätzen ohne Durchgangsverkehr oder gar in Fußgängerzonen stattfinden.

Praktisch jede Demonstration"" ist insofern nicht ganz richtig, weil viele Demonstrationen in verkehrsberuhigten Innenstädten und auf Plätzen ohne Durchgangsverkehr oder gar in Fußgängerzonen stattfinden.

Ich vermute Demonstrationen finden in Innenstädten und Fußgängerzonen statt, weil dadurch die Störleistung maximiert und relativ breit gestreut wird. Fußgänger bewegen sich meistens langsamer als Autos, aber die mögliche Verkehrsdichte ist viel höher. Die Mieten in verkehrsberuhigten Innenstätten sind vermutlich proportional zur Verkehrsleistung (und oft sehr hoch). Bei solchen Demos werden viele gestört, aber der einzelne wird nicht sehr stark belastet, weil noch genug Platz ist (Ausnahme: zB Köln).

Die Lösung über die Beachtung des Versammlungsgrundrechts hätte den Vorzug, dass die Behörden nicht nach der Wertigkeit des Ziels und den PS der Teilnehmer:innen differenzieren könnten.

Der historische Hintergrund ist wahrscheinlich dass den Bürgern im Gegenzug für ihre Friedfertigkeit und Verzicht auf Bewaffnung ein Blockade- und Störgrundrecht eingeräumt wurde. Zweck: Vermeidung sinnloser Gewalt.

Falls aufgrund von Blockaden tatsächlich eine Hungersnot o.ä. droht liegt eine Kollision von Grundrechten vor, die den Staat dann irgendwann berechtigt einzugreifen. Aber es macht keinen Sinn wenn jede noch so geringe Beeinträchtung eines anderen Grundrechts zu dessen Obsiegen führt. Mit dem Krankenwagenargument wird jede beliebige Straßennutzung zum Eventualtotschlag, weil jede Straßennutzung die Stauwahrscheinlichkeit erhöht.

Die probabilistischen Putativtoten sind also bis zu einem gewissen Grad hinzunehmen.

Geschützt ist das unbewaffnete friedliche Versammeln unter freien Himmel, also auch ein Versammeln dass eine Blockadewirkung hat.

Das Strafgesetzbuch greift hier also in das geschützte Verhalten ein.

Der Nötigungstatbestand kriminalisiert die Bodennutzung bei abweichenden Bodennutzungswillen. Wenn mehrere Personen die gleiche Fläche auf ausschließende Art und Weise nutzen wollen macht sich der strafbar der seine Nutzung realisiert (sofern die Nutzung als Gewalt konstruiert werden kann). Das gilt wohl auch für die Autofahrer die eine Strasse benutzen, obwohl andere gerne dort demonstrieren würde. Der in zweiter Reihe stehende Demonstrant wird mit Gewalt dazu genötigt nicht zu demonstrieren.

Weder die Versammlungsfreiheit noch die allgemeine Handlungsfreiheit wird hier geschützt

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Dass Klimakleber und Landwirte mit zweierlei Maß gemssen werden, ist eine allgemeine Wahrnehmung:

Bauernproteste in SH; Landwirte und „Letzte Generation“: Politiker und Gesellschaft messen mit zweierlei Maß (SHZ am 5. Januar 2024 nach der Aktion gegen Robert Habeck in Nordfriesland)

Das stimmt sicher auch - aber nur halb. Denn kein Klimaaktivist hat bisher eine Demo "Ankleben auf der B1" o.ä. angemeldet. Gemacht haben die Klimaaktivisten es trotzdem.

Die Bauern haben ihre Proteste dagegen brav angemeldet. Und wenn sie Auflagen bekamen, sind sie tw. gerichtlich dagegen vorgegangen, tw. sogar mit Erfolg:

"Polizei scheiterte mit strengeren Auflagen

Vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg konnte sich die Polizei am Wochenende derweil nicht mit Auflagen durchsetzen, die Einschränkungen angemeldeter Blockadeaktionen der Bauern vorsahen. Ein Sprecher des Polizeipräsidiums in Potsdam bestätigte am Sonntag einen entsprechenden Bericht der Bild und der B.Z..

Polizeisprecher Mario Heinemann sagte, die nun vor Gericht gescheiterten Auflagen hätten vorgesehen, dass nicht alle Autobahnauffahrten und diese nicht für den gesamten beantragten Zeitraum blockiert werden dürften. An einigen Orten seien Blockaden von morgens bis zum Abend angemeldet. Das Verwaltungsgericht Berlin habe die Auflagen aber für unzulässig erklärt. Eine Beschwerde der Polizei dagegen habe das OVG zurückgewiesen." (Quelle lto.de)

"Auch in Brandenburg gab es eine Intervall-Vorgabe. Danach waren die Autobahnauffahrten "alle 30 Minuten für jeweils 30 Minuten freizugeben". Gegen diese Auflage klagten die Bauern jedoch mit Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschied am Samstag in einem Eilverfahren (Beschl. v. 06.01.2024, Az.: OVG 1 S 3/24), dass die Bauern die Autobahnzufahrten auch stundenlang blockieren dürfen. Die Autofahrer müssten ja nicht unbedingt die Autobahn benutzen und könnten ihr Ziel auch auf anderen Straßen erreichen. So großzügig war der Umgang der Gerichte mit der "Letzten Generation" bisher in der Regel nicht." (Quelle: lto.de)

Gut ist, dass der Bauernverband Gewalt als "No-Go" brandmarkte. Das hat den Ordnungsbehörden die Zusammenarbeit sicher sehr erleichtert. Und vermutlich haben sich die Landwirte auch zumeist an die Auflagen gehalten, so es welche gab.

Schwierig wird nur, in Zukunft angemeldete Fahrraddemonstrationen auf Autobahnen zu verbieten (die dafür meist an Sonntagen für mehrere Stunden gesperrt werden müssten, dazu "Dürfen auf einer Autobahn Fahrraddemos stattfinden?"), wenn die Bauern am Montag in der Rush hour oder gar ganztägig Autobahnzufahrten blockieren dürfen.

Entstehende Wertungsunterschiede werden die Gerichte in Zukunft sicher noch oft beschäftigen. Aber die sind sicher genügend gut ausgestattet, diese Fall für Fall auszugleichen.

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Das OVG Brandenburg hat eine Eilentscheidung getroffen, leider ist mir der genaue Inhalt nicht bekannt, nur das Ergebnis. Hier wird generell vorab abgewogen, welche Folgen eine Untersagung hätte (wenn dann am Ende doch rechtmäßig demonstriert worden wäre) gegenüber der Frage welche Folgen eine Gestattung hat für die evtl. durch die Traktorendemonstration behinderten Personen. Wegen des hohen Grundrechtsgehalts ist hier in der summarischen Vorab-Prüfung die Versammlung ohne Auflagen durchgegangen. Meines Erachtens kann das OVG nicht etwa über das Strafrecht vorab entscheiden, nur über die Versammlung und die Auflagen. Wichtig ist mir, dass dies keine  Entscheidung dazu ist, ob und welche Straftaten dann tatsächlich begangen werden udn ob man sie verfolgen kann. Das Strafrecht steht nicht zur Disposition der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Und natürlich wäre ich gespannt, ob ein OVG einer angemeldeten Klima-Demonstration auch "gestatten" würde, entgegen der hM im Strafrecht gewaltsam (nämlich mit Klebstoff) zu demonstrieren.

"... Meines Erachtens kann das OVG nicht etwa über das Strafrecht vorab entscheiden, nur über die Versammlung und die Auflagen. Wichtig ist mir, dass dies keine Entscheidung dazu ist, ob und welche Straftaten dann tatsächlich begangen werden und ob man sie verfolgen kann. Das Strafrecht steht nicht zur Disposition der Verwaltungsgerichtsbarkeit..."

Ich denke, dass man dieses Fass nicht (wieder) aufmachen sollte. Die Abgrenzung von Versammlungsfreiheit und Nötigung wird seit fast 50 Jahren immer wieder gesucht und meistens beim OVG endgültig gefunden. Versammlungsleiter und Teilnehmer sollten sich schon darauf verlassen können, dass die Teilnahme an einer Versammlung unter Beachtung der Auflagen keine Straftatbestände erfüllt - und das erst Recht, wenn ein VG oder OVG die Auflagen durchgesehen und bestätigt oder eben nicht bestätigt hat. Gerade eine Nötigung dürfte mangels Verwerflichkeit bzw. Rechtswidrigkeit dann ausscheiden, wenn die (verbliebenen) Auflagen eingehalten werden. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mangels Widerstand dann auch.

Ich finde überhaupt, dass der Vorwurf einer Nötigung inflationär erhoben wird - übrigens auch von der Polizei oft selbst. In Elmshorn wurden u.a. Radfahrer, die anstelle des Gehwegs die Fahrbahn befuhren und über 300 Meter wegen Gegenverkehrs nicht überholt werden konnten, oder in Tempo 30-Zonen (ohne Radweg) auf der 4 Meter breiten Fahrbahn mit 80 cm Abstand zum Gehweg über 150 Meter nur 10 km/h fuhren, bevor sie überholt werden konnten, immer wieder Nötigung vorgeworfen. In Einzelfällen kam es sogar zur Anklage und die Strafrichterin musste dem anwesenden Amtsanwalt in öffentlicher Verhandlung mit den Worten "so würde ich da auch fahren" wie ein quengelndes Kleinkind in die Senkel stellen, um der Sache ohne zeitraubend abzufassenden Freispruch vom Tisch zu bekommen.

Ganz anderes sieht es natürlich bei nicht angemeldeten Versammlungen aus.

Vielleicht sollten die Klimakleber ihre Demonstrationen entsprechend anmelden und mal sehen, was das OVG Berlin-Brandenburg dazu sagt. Das spart dann auch Klebstoff.

Spannender ist doch die Frage, ob eine Totalblockade, die dazu führt, dass die Polizei die anderen Verkehrsteilnehmer weiträumig um die Demonstration herumleiten muss, überhaupt noch der Kommunikation mit der Bevölkerung, die die Blockade nicht unmittelbar wahrnehmen kann, dienen kann (anders als eine Demonstration an einem Verkehrsknotenpunkt, den man noch langsam und vorsichtig durchfahren kann), oder das nur noch eine reine grobe Machtdemonstration der Gruppe ist. Der Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg könnte also auch falsch sein. Aber das Risiko liegt dann m.E. nicht beim Versammlungsleiter oder Teilnehmer.

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Nachdenkfrüchte: Wenn tatsächlich "genehmigt" wurde - wenn auch durch Eilentscheidung des OVG, dass merhstündige Blockaden stattfinden dürfen, dann dürften in der Tat die Organisatoren und Teilnehmer einer solchen Versammlung strafrechtlich nicht belangt werden. Insofern korrigiere ich meinen Beitrag oben. Allerdings kann es mE nicht angehen, dass - nach hM im Strafrecht - "gewaltsame Nötigungen" vom Oberverwaltungsgericht quasi erlaubt werden. Denn die Vorab-Entscheidung über die Rechfertigung oder die Verwerflichkeit einer objektiven Nötigung  darf nicht einfach vernachlässigen, dass die demokratische Mehrheit dieser Gesellschaft die Straßenblockade für politische Zwecke für eine (ggf. sogar schwerwiegende) Straftat hält. Und dies muss tatsächlich ohne Ansehen der Protestierenden gelten. Ich halte die Entscheidung deshalb für sehr problematisch. Und sie wäre es noch mehr, wenn die Unionsparteien mit ihren Strafschärfungen Erfolg gehabt hätten. Ich hoffe deshalb auf eine Klärung durch das BVerfG, das uns diese Situation letztlich eingebrockt hat.

Und natürlich gilt das oben Gesagte ohnehin nur, wenn sich die Protestierenden an das halten, was sie in ihrer Anmeldung angegeben haben. Kolonnenfahrten als Demonstration ist etwas anderes als die Blockade von Verkehrsknotenpunkten oder ganzen Gemeinden bzw. Kleinstädten.

 

Ich bin am Freitag in der Abenddämmerung an einem Mahnfeuer auf einer Mittelinsel eines Kreisels im Verlauf der B 203 außerorts vorbei gekommen. Dort waren einige Traktoren auf dem unbefestigten Seitenstreifen und dem Geh- und Radweg, der im Sommerhalbjahr selten, im Winterhalnjahr fast nie genutzt wird, abgestellt. Ich kann daher bestätigen, dass eine solche Demo, an der ich im Kreisel mit Schrittgeschwindigkeit vorbeigefahren bin, um niemanden zu gefährden, sehr eindrucksvoll sein kann und auch aus Sicht der protestierenden Bauern jeder Blockade vorzuziehen ist. Da der Zeitverlust unter einer Minute betrug, lag ganz sicher keine Nötigung vor und die Teilnehmer hatten meine Sympathie (die sie, wenn sie im Sommer / Herbst ihre Ernte auf der B 203 mit 40 bis 60 km/h von Büsum bis Heide ziehen, ohne jemals Platz zu machen, eher nicht haben). Es war auch mein erster und letzter Kontakt mit den Bauernprotesten.

Gegen die genehmigten, oder besser wegen der Aufhebung der Auflagen nicht mehr verbotenen Blockaden spricht natürlich auch die fehlende Sachnähe von Landwirtschaft und Autobahnen. Tieferes Nachdenken dürfte zu anderen Entscheidungen führen als der des OVG Berlin-Brandenburg.

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Was ich bei Erstellung dieses Beitrags zwar gehofft, aber nicht für besonders wahrscheinlcih gehalten habe: Jedenfalls in Mindelheim/Bayern hat nun die Polizei begonnen, gegen mehr als hundert Traktorfahrer zu ermitteln, wie der BR berichtet:

Nach der Verkehrsblockade im Rahmen der Bauernproteste am Montag in Mindelheim laufen aktuell Ermittlungen gegen "weit über 100" Fahrzeughalter. Das sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West dem BR. Es gehe um Nötigung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz sowie um Verstöße gegen die zuvor vom Landratsamt Unterallgäu erlassene Allgemeinverfügung, die einen geregelten Ablauf der Proteste garantieren sollte.

Alle Zufahrtswege in die Stadt blockiert

Ab dem Montagmorgen hatten die Landwirte mit Hunderten Traktoren bis in den Abend hinein sämtliche Zufahrtswege in die Stadt hinein und aus der Stadt heraus blockiert. Lediglich Rettungskräfte und Augenzeugenberichten zufolge auch etwa Pflegedienstmitarbeiter wurden von den Landwirten durchgelassen. Ein Caterer, der rund 80 Schulen und Kindertagesstätten in der Region mit Essen beliefert, konnte sein Essen dagegen nicht ausliefern.

 Ich bin positiv überrascht, dass sich der erste Eindruck von Anfang der Woche nicht (jedenfalls nicht durchgehend) bestätigt und bin gespannt auf die weitere Verfahrensweise in diesen Fällen.

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