CSU fordert Unterbindungsgewahrsam für Blockadebauern … oder doch nicht?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Unter meiner (zugegeben) Click-Bait Überschrift verbirgt sich ein ernster Sachverhalt, der heute, am 8. Januar 2024 für jeden sichtbar geworden ist:
Vor nicht einmal einem Jahr haben die Fraktion CDU/CSU im Bundestag einen Gesetzesvorschlag eingebracht, mit dem die Strafen für Straßenblockaden empfindlich erhöht werden sollten. Zudem wurde Folgendes gefordert (Quelle)
„Der Straftatbestand des besonders schweren Falls der Nötigung im Paragrafen 240 Absatz 4 des Strafgesetzbuches sollte ferner um weitere Regelbeispiele ergänzt werden: „Täter, die eine öffentliche Straße blockieren und billigend in Kauf nehmen, dass Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben behindert werden, sollen zukünftig mit Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren bestraft werden.
Ebenso sollen Täter bestraft werden, die eine große Zahl von Menschen durch ihre Blockaden nötigen – etwa dann, wenn es durch die Blockaden im Berufsverkehr zu langen Staus kommt“, führte die Fraktion aus.“
Ähnliches findet sich in einem noch aktuellen Beschluss der CSU-Landesgruppe (Seeon 2023):
„Die Aktionen der Klimakleber sind Straftaten. Teile dieser Aktionen können Leib und Leben von Menschen gefährden. Teile der Aktionen sind darauf angelegt, das kulturelle Erbe und wertvolle Kulturgüter zu beschädigen. Dieses Vorgehen unterscheidet sich von den friedlichen Demonstrationen beispielsweise der Klimajugendbewegung. Um eine weitere Radikalisierung zu verhindern und Nachahmer abzuschrecken, fordern wir das Strafrecht zu verschärfen und die Blockade von Rettungswegen und die Behinderung von Rettungsmaßnahmen mit Mindestfreiheitsentzug zu bestrafen. Außerdem fordern wir, dass Straftäter aufgrund der von ihnen bei Straßenblockaden begangenen erheblichen Straftaten zukünftig bei eindeutiger Wiederholungsgefahr in Unterbindungsgewahrsam bzw. Untersuchungshaft genommen werden können.“
Entweder, die Abgeordneten der CSU-Landesgruppe haben nicht erkannt, dass es im Rechtsstaat einen Straftatbestand, der nur gegen „Klimakleber“ gilt, nicht geben kann, oder sie haben in wenigen Monaten ihre Ansicht zu gewaltsamen Straßenblockaden um 180 Grad gewendet. Denn: Wo ist der Aufschrei der CSU-Politiker gegen die Straßenblockaden der Bauern, die wie für diese Woche angekündigt Autobahnauffahrten und Verkehrsknotenpunkte mit ihren Traktoren blockieren, um auf ihr politisches Anliegen, weiterhin vergünstigten Treibstoff einkaufen zu dürfen, hinzuweisen?
Die Redaktion des BR berichtet Folgendes (Quelle):
„Dürfen Landwirte Autobahnauffahrten blockieren?
Nur, wenn das im Rahmen einer angemeldeten Demonstration nicht untersagt wird. Dafür ist auch wichtig, wie lange die Blockade geplant ist und ob andere Verkehrsteilnehmer Umfahrungsmöglichkeiten haben. Für diesen Montag haben einige Behörden erlaubt, dass bestimmte Auffahrten eine Stunde blockiert werden dürfen. Autobahnausfahrten müssen frei nutzbar bleiben, auf der Autobahn muss eine Rettungsgasse garantiert werden. Zudem müssen Rettungsfahrzeuge grundsätzlich durchgelassen werden.
Christian Rath, der die Praxis in einigen Bundesländern beschreibt, folgert auch aus den Nicht-Untersagungen direkt auf (strafrechtliche?) Rechtmäßigkeit, obwohl die Anmeldung von "Kolonnenfahrten" offensichtlich gar nicht der Praxis entsprach, die dann doch aus Blockaden bestand. Hier ein Auszug aus dem lesenswerten, aber m.E. nur verwaltungsrechtlich zutreffenden Artikel auf lto.de:
In Mecklenburg-Vorpommern hat das Innenministerium deshalb nach einem Kooperationsgespräch den Bauern die eindeutige Auflage gemacht: Die Versammlungen dürfen lediglich "an den" Auffahrten zu den Bundesautobahnen stattfinden. "Die Nutzung der Auffahrt muss jederzeit gewährleistet sein."
In Sachsen war man weniger streng. Dort wurden auch zeitweise Blockaden der Autobahnauffahrten erlaubt. In bestimmten Abständen – je nach Verkehrsaufkommen vor Ort – sollte jedoch der Autoverkehr durchgelassen werden. Feuerwehr und Krankenwagen sollten zudem stets passieren können.
Auch in Brandenburg gab es eine Intervall-Vorgabe. Danach waren die Autobahnauffahrten "alle 30 Minuten für jeweils 30 Minuten freizugeben". Gegen diese Auflage klagten die Bauern jedoch mit Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschied am Samstag in einem Eilverfahren (Beschl. v. 06.01.2024, Az.: OVG 1 S 3/24), dass die Bauern die Autobahnzufahrten auch stundenlang blockieren dürfen. Die Autofahrer müssten ja nicht unbedingt die Autobahn benutzen und könnten ihr Ziel auch auf anderen Straßen erreichen. So großzügig war der Umgang der Gerichte mit der "Letzten Generation" bisher in der Regel nicht.
In der Praxis hat sich der Umgang der Polizei mit den Treckern vor Ort wohl nicht sehr unterschieden. Am Vormittag waren die Autobahnauffahrten in Mecklenburg-Vorpommern trotz unterschiedlicher rechtlicher Ausgangslage ebenso dicht wie in Brandenburg, teilte die Nachrichtenagentur afp mit. Auch an vielen Kreisverkehren, Kreuzungen und Tunneln sorgten die Trecker schon durch ihre massenhafte Präsenz für schwere Verkehrsstörungen.
Es steht einer Ordnungsbehörde zwar im Rahmen der abwägenden Gefahrenabwehr zu, eine Versammlung aus verschiedenen Gründen auch dann nicht zu untersagen, wenn Straftaten zu besorgen sind; einem Vorab-Verbot steht zudem, wie beim Verbot der Zensur, ein Grundrecht entgegen. Eine Ordnungsbehörde hat aber keinen unmittelbaren Zugriff auf die Strafbarkeit einer nicht verwaltungsakzessorischen individualschützenden Strafnorm. Das heißt: Selbst, wenn die Behörde eine Versammlung oder ein bestimmtes Verhalten bei einer Versammlung nicht untersagt, bedeutet das nicht, dass ein Verhalten, das objektiv einen Straftatbestand erfüllt, damit erlaubt wäre. Zwar hat auch die Polizei im Rahmen der verhältnismäßigen Gefahrenabwehr darüber zu entscheiden, ob eine Versammlung trotz illegaler Aktivitäten unterbunden oder aufgelöst wird, und sie kann den Organisatoren darüber auch eine Vorabeinschätzung abgeben oder Absprachen treffen. Aber sie hat keine Entscheidungsgewalt darüber, ob es sich bei einer Straßenblockade um eine Straftat handelt oder nicht. Für eine strafrechtliche Bewertung kann die Anmeldung insbesondere dann nicht ausschlaggebend sein, wenn zwar ein "Kolonnenfahren" angemeldet wird, aber tatsächlich, wie offenbar von vornherein beabsichtigt, eine Blockade erfolgt, wie man etwa auf dem Foto sehen kann, das einem anderen lto-Artikel vorangestellt ist.
Im Ergebnis wird bei behördlicher Nicht-Untersagung oder gar Absprache mit der Polizei nur möglicherweise ein Verbotsirrtum ausgelöst, der bei Unvermeidbarkeit auch zur Straffreiheit führen kann, aber die Tat wird dadurch nicht gerechtfertigt. Über die Frage des hinreichenden Tatverdachts einschließlich der Frage der Verwerflichkeit nach § 240 Abs.2 StGB entscheidet die zuständige Staatsanwaltschaft und ggf., nach Anklageerhebung, ein Strafgericht.
Eine für das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der Bundesländer kaum tragbare Situation wäre es indes, wenn die Exekutive auch nur den Anschein erwecken würde, es würde mit zweierlei Maß gemessen: Als würde das bundeseinheitliche Strafrecht landesrechtlich „gebogen“, wenn das mit der Versammlung verfolgte politische Anliegen übereinstimmt mit der Position der jeweiligen Landesregierungsparteien und sich noch dazu gegen die politisch gegnerische Bundesregierung richtet.
Ganz unabhängig davon, was man von solchen Aktionen hält, ob man die politischen Inhalte mitträgt oder nicht – die Position des Staates, seiner Vertreter einschl. der Ordnungsbehörden, aber auch die der Polizeibeamten und Staatsanwaltschaften muss hier eindeutig sein: Die Strafverfolgung bei politisch motivierten Straßenblockaden muss selbstverständlich ohne Ansehen der politischen Ziele erfolgen, sofern diese Ziele innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung verwirklicht werden können (was ja bei den Klimaaktivisten wie bei den protestierenden Bauern der Fall ist)
Das vorsätzliche mit Hilfsmitteln durchgeführte Blockieren einer Straße, um andere zum Anhalten zu zwingen, ist Nötigung mit Gewalt. Dies entspricht der vom BVerfG gestützten ganz h.M. im Strafrecht. Lediglich die Verwerflichkeit nach § 240 Abs.2 StGB ist im Einzelfall zu prüfen und kann von ganz unterschiedlichen Faktoren abhängen. Wer um seiner politischen Ziele Willen Verkehrsknotenpunkte und ganze Ortschaften mit blockierenden Traktoren „lahmlegt“, der befindet sich nicht mehr innerhalb der durch Art.8 GG geschützten Grundrechtswahrnehmung. Die Klimaaktivisten gehen bewusst das Risko ein, verhaftet und bestraft zu werden für ein (immerhin der Allgemeinheit dienendes) Fernziel. Die Bauern mögen ebenfalls gute Gründe für ihren Protest haben, aber auch sie müssen sich, wollen sie nicht das Risko strafrechtlicher Verfolgung eingehen, an das geltende (Straf)-Recht halten. Um sich nicht selbst dem Vorwurf der Strafvereitelung auszusetzen, müssen Staatsanwaltschaften gegen Organisatoren und Beteiligte an gewaltsamen Nötigungen strafrechtliche Ermittlungen einleiten.
Ergänzung (12.01.2024):
Was ich bei Erstellung dieses Beitrags zwar gehofft, aber nicht für besonders wahrscheinlcih gehalten habe: Jedenfalls in Mindelheim hat nun die Polizei begonnen, gegen mehr als hundert Traktorfahrer zu ermitteln, wie der BR berichtet:
Nach der Verkehrsblockade im Rahmen der Bauernproteste am Montag in Mindelheim laufen aktuell Ermittlungen gegen "weit über 100" Fahrzeughalter. Das sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West dem BR. Es gehe um Nötigung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz sowie um Verstöße gegen die zuvor vom Landratsamt Unterallgäu erlassene Allgemeinverfügung, die einen geregelten Ablauf der Proteste garantieren sollte.
Alle Zufahrtswege in die Stadt blockiert
Ab dem Montagmorgen hatten die Landwirte mit Hunderten Traktoren bis in den Abend hinein sämtliche Zufahrtswege in die Stadt hinein und aus der Stadt heraus blockiert. Lediglich Rettungskräfte und Augenzeugenberichten zufolge auch etwa Pflegedienstmitarbeiter wurden von den Landwirten durchgelassen. Ein Caterer, der rund 80 Schulen und Kindertagesstätten in der Region mit Essen beliefert, konnte sein Essen dagegen nicht ausliefern.
Ich bin positiv überrascht, dass sich der erste Eindruck Anfang der Woche nicht bestätigt und bin gespannt auf die weitere Verfahrensweise in diesen Fällen.