Bewährungsauflage im laufenden Beschwerdeverfahren erfüllt: Verlängerung, statt Widerruf! Kostenentscheidung aber zu lasten des VU

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.11.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1347 Aufrufe

Ganz typischer Fall. Der Verurteilte kümmert sich nicht so richtig um seine Bewährung. Es kommt zum Widerruf, weil er der Bewährungsauflage nicht nachkommt. Die Beschwerde ist zudem verfristet. Er hat aber Glück - das OLG gewährt Wiedereinsetzung. Und der Verurteilte gibt dann doch noch Gas und erfüllt seine Bewährungsauflage. Richtigerweise honoriert das OLG dies und verlängert nur die Bewährungszeit. Die Kosten muss der Verurteilte auch tragen - konsequent, wie ich meine:

1. Dem Verurteilten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 25. Januar 2023 gewährt.
2. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 25. Januar 2023 aufgehoben.
3. Die mit Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 20. September 2021 auf zwei Jahre festgesetzte Bewährungszeit wird um ein Jahr auf nunmehr drei Jahre verlängert.
4. Der Verurteilte hat die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Mit Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 20. September 2021 wurde der Verurteilte wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Das Landgericht setzte die Bewährungszeit mit Beschluss vom selben Tage auf zwei Jahre fest und erteilte dem Verurteilten die Auflage, 2.700,- € in monatlichen Raten von 150,- € bis zum 1. eines jeden Monats, erstmalig nach Rechtskraft des Urteils, an die Staatskasse des Landes Niedersachsen zu zahlen. Das Urteil vom 20. September 2021 ist seit dem 28. September 2021 rechtskräftig.

In der Zeit vom 27. Januar 2022 bis 21. August 2022 zahlte der Verurteilte insgesamt 1.350,- € an die Staatskasse des Landes Niederachsen.

Mit Schreiben vom 3. Februar 2022 und 4. November 2022 wurde der Verurteilte seitens des Landgerichts auf die Erfüllung seiner Zahlungsauflage hingewiesen, nachdem er jeweils die auferlegten Raten nicht vollständig geleistet hatte.

Das Landgericht Braunschweig wies den Verurteilten mit Schreiben vom 20. Dezember 2022 erneut auf seine Zahlungsauflage sowie noch ausstehende Ratenzahlungen und das an ihn verfasste Erinnerungsschreiben vom 4. November 2022 hin. Daneben teilte die Kammer dem Verurteilten mit, es werde erwogen, die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen und beraumte einen Anhörungstermin für den 4. Januar 2023 an, zu welchem der Verurteilte ohne Angabe von Gründen nicht erschienen ist.

Mit Beschluss vom 25. Januar 2023 hat das Landgericht Braunschweig wie von der Staatsanwaltschaft Braunschweig am 11. Januar 2023 beantragt die mit Urteil vom 20. September 2021 gewährte Strafaussetzung widerrufen sowie 19 Tage aufgrund der bereits durch den Verurteilten geleisteten Zahlungen auf die zu verbüßende Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet.

Der Beschluss vom 25. Januar 2023 wurde dem Verurteilten am 28. Januar 2023 zugestellt.

Unter dem 8. Juni 2023 hat der Verurteilte mit Schreiben seines Verteidigers Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und sofortige Beschwerde eingelegt. Der Verurteilte sei am 17. Dezember 2022 in die Türkei gereist und habe die von ihm geschiedene und getrennt lebende Frau pp. zu welcher weiterhin ein freundschaftliches Verhältnis bestanden habe, gebeten, sich für die Zeit seiner Abwesenheit um seine Wohnung sowie Post zu kümmern. Frau pp. habe gewusst und der Verurteilte diese zudem darauf hingewiesen, dass er unter Bewährung stehe. Daher habe er sie gebeten, genau auf seine Post zu achten. Der Verurteilte habe geplant, zwei bis drei Monate in der Türkei zu verbleiben und dies Frau pp. mitgeteilt. Im März 2023 habe der Verurteilte erfahren, dass seine Fiktionsbescheinigung für die EU abgelaufen sei und er habe zunächst nicht in die Bundesrepublik Deutschland einreisen können, was er Frau mitgeteilt habe.

Ferner habe er dieser gesagt, dass es wichtig sei, dass sie sich weiter um seine Post kümmere. Frau pp. habe eine schwere Zeit gehabt; zudem habe sie fünf Kinder und sei berufstätig gewesen. Während seiner Abwesenheit habe Frau pp. dem Verurteilten grundsätzlich mitgeteilt, welche Post für ihn eingegangen sei. Beide hätten zwei bis drei Mal pro Woche telefoniert. Am 2. Juni 2023 sei der Verurteilte aus der Türkei zurückgekehrt und habe sogleich Frau pp. aufgesucht. Diese habe ihm sämtliche Post übergeben und dabei sei dem Verurteilten ein Brief in einem gelben DIN-A4-Postumschlag aufgefallen, welchen Frau pp. versehentlich nicht geöffnet, sondern in eine Schublade ihres Schreibtisches gepackt habe, nachdem er ihr am 28. Januar 2023 zugegangen sei. Den vorstehenden Sachverhalt hat Frau pp. in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 7. Juni 2023, welche dem Schreiben vom 8. Juni 2023 beigefügt war, bestätigt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 27. Juli 2023 beantragt, dem Verurteilten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 25. Januar 2023 zu gewähren und die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Auf diesen Antrag hin hat der Verurteilte mit Schreiben seines Verteidigers vom 31. Juli 2023 ausgeführt, dass er die Zahlungsauflage nunmehr vollständig erfüllt habe und dem Schreiben Screenshots von Überweisungsvorgängen vom 28. Juli 2023 zum Nachweis von zwei Zahlungen in Höhe von 350,- € sowie 1.000,- € beigefügt.

Der Eingang einer Zahlung des Verurteilten auf die erteilte Zahlungsauflage konnte unter dem 31. Juli 2023 in Höhe von 350,- bei der Staatskasse des Landes Niedersachsen festgestellt werden. Eine Zahlung in Höhe von 1.000,- € war dort hingegen nicht eingegangen.

Am 14. August 2023 hat der Verurteilte mittels anwaltlichen Schreibens vom selben Tage mitgeteilt, dass die Überweisung in Höhe von 1.000,- € am 28. Juli 2023 nicht habe durchgeführt werden können, diese aber nunmehr nachgeholt worden sei. Dem Schreiben war unter anderem ein Screenshot angehängt, welcher einen Überweisungsvorgang am 14. August 2023 für eine Zahlung in Höhe 1.000,- € ausweist.

Unter dem 29. August 2023 konnte ein Zahlungseingang des Verurteilten bei der Staatskasse des Landes Niedersachsen in Höhe von 1.000,- € verzeichnet werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat nach erneuter Gelegenheit zur Stellungnahme am 6. September 2023 beantragt, wie erkannt

Der Verurteilte hat unter dem 13. September 2023 per Schreiben seines Verteidigers erklärt, dass mit den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft vom 6. September 2023 Einverständnis bestehe.

II.

1. Dem Verurteilten war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 25. Januar 2023 zu gewähren. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 27. Juli 2023 verwiesen werden, denen sich der Senat anschließt.

2. Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 453 Abs. 2 Satz 3 StPO) und nach der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO).

Darüber hinaus ist sie teilweise begründet.

a) Die Voraussetzungen für einen Widerruf der mit Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 20. September 2021 gewährten Strafaussetzung zur Bewährung liegen nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB vor. Danach widerruft ein Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person wie hier gröblich oder beharrlich gegen eine Auflage verstößt.

Der Verurteilte hat in der Zeit nach dem 21. August 2022 bis Ende Juli 2023 keine Zahlungen auf die ihm mit Beschluss vom 20. September 2023 erteilte zulässige Zahlungsauflage geleistet, obwohl er seitens des Landgerichts auf diese Auflage sowie ausgebliebene Zahlungen, insbesondere auch nach der Zahlung vom 21. August 2022, hingewiesen worden ist. Dadurch hat er gröblich und beharrlich gegen die erteilte Zahlungsauflage verstoßen.
Dieser Verstoß war auch schuldhaft, insbesondere war der Verurteilte zahlungsfähig. Er konnte bis August 2021 die Zahlungen leisten und sich Ende des Jahres 2022 eine mehrmonatige Reise in die Türkei leisten, ohne seine Wohnung in Deutschland aufgeben zu müssen. Einer Leistung der Zahlungen stand auch nicht der Aufenthalt des Verurteilten in der Türkei entgegen, zumal der Verurteilte bereits vorher mehrere Monate gegen die Auflage gröblich und beharrlich verstoßen hatte. Denn er hätte die Zahlungen auch von der Türkei aus ausführen können oder für deren Ausführung von dort durch Dritte sorgen müssen. Für seine Zahlungsfähigkeit spricht auch, dass es dem Verurteilten nach seiner Rückkehr aus der Türkei möglich war, die Auflage durch Zahlung von zwei nicht unerheblichen Beträgen in Höhe von 350,- und 1.000,¬€ vollständig zu begleichen.

Die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung wäre deshalb grundsätzlich wie zunächst zutreffend vom Landgericht Braunschweig beschlossen zu widerrufen gewesen. Allein die nachträgliche und vollständige Erfüllung der Zahlungsauflage steht einem Widerruf aufgrund des bereits eingetretenen Verstoßes gegen die Auflage nicht entgegen (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 30. August 2004 2 Ws 190/04 , Rn. 17, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 24. Oktober 1980 1 Ws 600/80 , juris).

b) Vorliegend genügt es aber, die Bewährungszeit als mildere Maßnahme um ein Jahr zu verlängern.

Nach § 56f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB sieht ein Gericht von einem Widerruf ab, wenn es ausreicht, die Bewährungszeit zu verlängern.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu ausgeführt:

Letztlich reicht jedoch die als gegenüber dem Widerruf mildere Maßnahme der Verlängerung der Bewährungszeit um ein Jahr vorliegend aus (§ 56 f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB), ein Widerruf der Strafaussetzung dürfte sich demgegenüber nunmehr als unverhältnismäßig darstellen.
Eine Verlängerung der Bewährungszeit ist bei der vorliegenden Widerrufskonstellation auch dann zulässig, wenn sie weder zu spezialpräventiven Zwecken noch zu dem Zweck, die Ratenzahlung auf eine noch unerfüllte Auflage innerhalb der Bewährungszeit zu ermöglichen, erfolgt (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 30. August 2004 - 2 Ws 190/04 -, juris, Rn. 21f.). Die Bewährungszeit kann trotz der unterschiedlichen Zwecke von Auflagenerteilung und Bemessung der Bewährungszeit auch dann gemäß § 56 f Abs. 2 StGB verlängert werden, wenn Grund für den Widerruf der Strafaussetzung nach § 56 f Abs. 1 StGB der Verstoß gegen eine Auflage ist, die der Verurteilte nachträglich vollständig erfüllt hat (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O., - Leitsatz ). Trotz des funktionalen Unterschiedes kann auf den Verstoß gegen eine inzwischen erledigte Auflage mit einer Verlängerung der Bewährungszeit reagiert werden (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O.; im Erg. ebenso OLG Koblenz in NStZ 1981, 101 - Leitsatz ).
Eine spürbare Verlängerung der Bewährungszeit um ein Jahr reicht hier aus, erscheint aber angesichts der erheblichen Verzögerungen in der Auflagenerfüllung und dem Gewicht des entsprechenden Schuldvorwurfs auch geboten und deshalb im beantragten Umfang verhältnismäßig."

Dem schließt sich der Senat an. Der Verurteilte hat nach Einreichung seines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Einlegung der sofortigen Beschwerde die Zahlungsauflage noch innerhalb der mit Beschluss vom 20. September 2021 festgesetzten Bewährungszeit vollständig erfüllt und damit nachträglich die Genugtuung für das begangene Unrecht in dem vollen vom erkennenden Landgericht für erforderlich erachteten Umfang geleistet. Weitere Gesichtspunkte die für einen Widerruf der Strafaussetzung sprechen könnten sind nicht ersichtlich. Daher genügt es, die Bewährungszeit um ein Jahr zu verlängern.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 7 StPO soweit dem Verurteilten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden ist

Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 473 Abs. 1 StPO. Da die Beschwerdeentscheidung zu einer um die Hälfte der ursprünglich festgesetzten Verlängerung der Bewährungszeit als mildere Maßnahme anstelle des Widerrufs der Strafaussetzung und nicht nur zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung geführt hat, liegt kein vollständiger Erfolg des Rechtsmittels (a. A. ohne nähere Begründung: Maier in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage, 2019, § 473 Rn. 126), aber ein teilweiser Erfolg im Sinne des § 473 Abs. 4 Satz 1 StPO vor (a. A. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a. a. 0., Rn. 27 bis 29; vgl. aber für eine Gewährung der Strafaussetzung zur Bewährung: Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 66. Aufl., 2023, § 473 Rn. 25; Gieg in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Aufl., 2023, § 473 Rn. 4; Maier, a. a. 0., Rn. 168; BGH, Beschluss vom 12. Februar 1987 4 StR 724/86 , Rn. 5, juris, der sogar nur einen Teilerfolg bei einer nach dem Rechtsmittel gewährten Strafaussetzung zur Bewährung annimmt, obwohl daneben noch, nach dem Entfallen einer Einzelstrafe, die Gesamtstrafe reduziert worden ist). Indes ist es nicht unbillig, den Verurteilten mit den Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie seinen notwendigen Auslagen (§ 473 Abs. 4 Satz 2 StPO) zu belasten. Grund für das Absehen von einem zunächst vom Landgericht zutreffend beschlossenen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung sind nur die nach Erlass des Beschlusses vom 25. Januar 2023 geleisteten Zahlungen des Verurteilten. Diese konnte das Landgericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen und sie liegen allein im Verantwortungsbereich des Verurteilten. Zu beachten war auch, dass die Zahlungen erst mehrere Monate nach Fälligkeit und Erlass des Beschlusses vom 25. Januar 2023 sowie ebenfalls erst einige Zeit nach Kenntnisnahme des Verurteilten von diesem erfolgt sind. Eine Unbilligkeit wird nicht allein dadurch begründet, dass der Verurteilte mit der Verlängerung der Bewährungszeit zumindest sein Ziel, eine Vollstreckung der Strafe zu verhindern, durch die sofortige Beschwerde erreicht hat, da die vorgenannten Umstände überwiegen. Wird eine Unbilligkeit verneint, gelten die Regeln für erfolglose Rechtsmittel (Maier, a. a. 0., Rn. 172).

 

OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.09.2023 - 1 Ws 166/23 - gefunden bei www.burhoff.de

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen